Gewaltfreie Erziehung

Hi @ll,

angeregt von dem „Schienbeintreten“ und dann dem Link zu http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1631.html (Recht auf gewaltfreie Erziwhung)…

Ich übe Gewalt aus… beinahe jeden Tag.
So als Polizei bei Überschreiten von interkindlichen Machtkämpfen
So als Gericht bei unerlaubten entfernen vom Gerichtssaal
So als Gefängniswärter bei Fluchtversuch aus Internierung (na, eher Aussperrung vom Wohnzimmer…)
Übliche Maßnahmen: Festhalten, wegtragen oder -ziehen, wegschubsen… somit alles Gewalt!
Und hier wusste ich mir gar nicht anders zu hefeln (bzw. nix fruchtete): er hat regelmässig unserem Hund Haarbüschel ausgerissen, was der Hund mit Quietschen und Flucht quittierte. Nachdem ich ihn dann so geschätzte 10 mal erwischt und ihn auch an den Haaren gezogen hatte (NEIN… er hat nicht wirklich Haare lassen müssen aber so mit etwas Steigerung dann schon fester, ganz am Anfang fand mein Sohn es ja nur lustig), erst dann setzte das Verständnis ein…

Bitte - und das ist ernst gemeint - wer kann einen „wilden dreijährigen Bub“ wirklich ganz ohne Gewaltanwendung handhaben?
Bei meiner Tochter reichte manchmal schon strenges gucken… das geht bei ihm irgendwie nicht so wirklich…

Und wenn ja: WIE???

LG
Ce

Hallo

Bitte - und das ist ernst gemeint - wer kann einen „wilden dreijährigen Bub“ wirklich ganz ohne Gewaltanwendung handhaben?

Nein natürlich nicht.
Mit ‚Gewalt‘ ist bei Erziehung wohl immer brutale Gewalt mit Hauen und Wehtun gemeint.

Es wird ja auch immer irgendwie verschwiegen, dass der Staat selber Gewalt ausübt. Klar, die Leute tun es alle immer ‚freiwillig‘, wenn sie im Namen des Gesetzes irgendwas machen müssen, man weiß ja aber, dass am Ende doch die polizeiliche Gewalt steht, wenn man es nicht tut.

Festhalten und Wegtragen wird merkwürdigerweise irgendwie nicht als Gewalt eingestuft, jedenfalls sehr oft nicht.

Übrigens ist streng gucken auch eine Form von psychischer Gewalt.
Gewalt ist m. W. so definiert, einen anderen zu Handlungen zu zwingen, die dieser andere eigentlich nicht tun will.

Wie man ganz ohne Gewalt (in diesem Sinne) miteinander auskommen soll, weiß ich nicht, das kann ich mir im Grunde genommen gar nicht vorstellen.

Viele Grüße

Hatten wir schon zig Male
Hi!
Die Diskussion hatten wir schon einige Male. Ich habe mich dazu schon mehrfach ausführlich geäußert, im Archiv sind sicher noch viele viele Argumente zu finden.

Ich übe Gewalt aus… beinahe jeden Tag.
So als Polizei bei Überschreiten von interkindlichen
Machtkämpfen
So als Gericht bei unerlaubten entfernen vom Gerichtssaal
So als Gefängniswärter bei Fluchtversuch aus Internierung (na,
eher Aussperrung vom Wohnzimmer…)
Übliche Maßnahmen: Festhalten, wegtragen oder -ziehen,
wegschubsen… somit alles Gewalt!

Wie wäre es mit einem: So wenig Gewalt, wie irgendwie möglich. Und nur zur Abwendung wesentlich größerer Übel.

Selbst mehrfache Mörder genießen bei uns ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, geistig verwirrte oder demente Menschen ebenfalls. Warum sollten ausgerechnet unsere Kinder auf dieses Recht verzichten müssen?

Und hier wusste ich mir gar nicht anders zu hefeln

Das ist der Punkt und ich finde es erstaunlich, dass die wenigsten es selber merken: Wer Gewalt ausübt, ist in dem Moment hilflos. Und ich persönlich finde das durchaus in Einzelfälle in Ordnung. Man ist Mensch und nicht Maschine und manchmal sieht man keine andere Möglichkeit.
Aber im nachhinein betrachtet fiele einem doch noch was anderes ein, oder nicht? Je nach Alter des Kindes und in genauer Kenntnis der Situation.

erst dann setzte das Verständnis ein…

Verständnis von was genau? „Ich darf nicht an den Haaren ziehen, aber Mama darf?“ Oder im noch schlechteren Fall wird er das Hund-an-Haaren ziehen einfach aus Angst lassen, ohne überhaupt etwas verstanden zu haben. Angst ist einfach kein guter Berater und wer Angst hat, denkt meist auch nicht mehr nach.Schlechte Voraussetzungen für einen Lernprozess.

Bitte - und das ist ernst gemeint - wer kann einen „wilden
dreijährigen Bub“ wirklich ganz ohne Gewaltanwendung
handhaben?

Wie gesagt: So wenig wie möglich und zur Abwehr von Schaden. Natürlich halte ich die Hand eines Kindes fest, dass mich im Zorn schlagen möchte. Ich halte auch das ganze Kind fest, wenn es anfängt, die Einrichtung zu demolieren und Ähnliches. Aber nicht als Strafe, sondern um Schaden abzuwenden. Und wenn der Zorn vorüber ist, dann lass ich auch sofort wieder los.

Ich denke, man kann sich da durchaus ein Stück von seinem Gefühl leiten lassen. Die Grenze können Eltern doch spüren, auch aus der Reaktion des Kindes. Wer ehrlich zu sich selbst ist und aufmerksam, der merkt doch, wenn er die Nerven verloren hat oder in die Nähe dessen gerät, wenn er hilflos war und wird sich hoffentlich fragen, wie er das in Zukunft vermeiden kann.

Häufig wird als Alternative zu Gewalt in der Erziehung "Laisse fair "(keine Ahnung, wie man das richtig schreibt) hingestellt. Und das ist einfach nicht richtig. Es gibt andere Wege, Kinder zu erziehen. Konsequent und respektvoll, ohne ihnen Angst zu machen und sie zu demütigen. Ich verurteile niemanden, der aus Verzweiflung oder Hilflosigkeit „mal“ zuschlägt, aber ich setze mich vehement gegen Gewalt als Erziehungsmittel ein.

Ein Plädoyer von Astrid Lindgren, dass schon ein wenig abgegriffen ist, aber einfach immer wieder richtig:
http://www.zeit.de/reden/die_historische_rede/friede…

Grüße
kernig

Hallo Kernig,

Verständnis von was genau? „Ich darf nicht an den Haaren ziehen, aber Mama darf?“ Oder im noch schlechteren Fall wird er das Hund-an-Haaren ziehen einfach aus Angst lassen, ohne überhaupt etwas verstanden zu haben. Angst ist einfach kein guter Berater und wer Angst hat, denkt meist auch nicht mehr nach.Schlechte Voraussetzungen für einen Lernprozess.

tja… mein Sohn fand es lustig, dass der arme Hund halt quietscht und davoneilte… alle Erklärungen, dass es ihm weh tut, er leidet, er sich dummer (besser glücklicher)weise nicht selbst wehrt… und er stand dann strahlend da und wrift die Haare in die Luft…
Geschimpft, geredet und dann auch gebrüllt… gckte er nur kurz traurig um dann gleich wieder mal etwas zu zupfen. Mein Hund suchte sich andauernd andere Rückzugsorte…
Nein, ich wusste keinen anderen Rat…

Jedenfalls bin ich doch etwas schockiert, dass das Gesetz GENAUSO da steht (auch wenn es dann wieder Auslegungssache ist - aber im eigentlichen Sinne verstoße ich dagegen öfter, als gegen jedes andere)
… und das war mir so nicht bewußt

LG
Ce

Wachsam bleiben
Hallo,

ich denke, das Problem liegt nicht darin, gelegentlich mal zu drastischeren Erziehungsmitteln zu greifen. Manchmal erfordert die Art des Vergehens eine entsprechende Reaktion. Manchmal passiert es, dass man als Elternteil einfach überreagiert und manchmal ist man schlichtweg mit einer Situation überfordert. Dennoch liegt in meiner Bewertung die Betonung auf „gelegentlich“. Und wenn ich das in einem Zeitrahmen definieren sollte, dann würde ich sagen, maximal zweimal im Jahr (nur um mal eine Richtgröße anzugeben).

Das Problem, das ich sehe ist nämlich, dass Gewalt zunächst unglaublich erfolgreich ist. Besonders, nachdem das Ringen um eine anderweitige Durchsetzung elterlichen Willens zunächst gescheitert scheint, verblüfft die Wirkung von Gewaltanwendung durchaus. Was dabei wirkt, ist aber primär der Überraschungseffekt.

In der Folge reagiert der elterliche Mensch,wie jedes andere Lebewesen, nicht selten instinktiv: Erfolgreiche Verhaltensweisen werden beibehalten. Die (unbewusste) Bereitschaft, in einer vergleichbaren Situation wieder Gewalt einzusetzen, steigt.

Gleichzeitig sinkt fatalerweise mit der wiederholten Anwendung von Gewalt auch die Hemmschwelle, diese anzuwenden. Das nennt man Gewöhnung, und sie bedingt, dass die Abstände zwischen den gewaltsamen Maßnahmen kürzer werden.

Da der Effekt der Gewöhnung aber auch beim Kind eintritt, reduziert sich die anfänglich meist starke Wirkung einer gewaltsamen Maßnahme, was wiederum zur Folge hat, dass die Gewalt von elterlicher Seite nicht nur häufiger, sondern auch stärker eingesetzt wird, um Wirkung zu zeigen.

Verfolgt man diese Entwicklung weiter, zeigt sich, dass Gewalt eine schlechte Lösung ist. Sie neigt dazu, sich zu steigern und führt über Abstumpfungsprozesse auf beiden Seiten (Eltern und Kind) entweder früher oder später zur Wirkungslosigkeit oder zur Eskalation.

Besonders problematisch wird es, wenn Gewalt aus Überforderung resultiert. Dann ist der Erwachsene in der Regel in einem Zustand, in dem er seine Emotionen nicht kontrollieren kann - und dann wird es richtig übel, weil das Kind nicht mehr einschätzen kann, was passiert.

Deshalb: Vorsicht mit Gewalt, sei sie nun physischer oder psychischer Natur. Die Gefahr, dass sie sich unmerklich verselbstständigt, ist hoch.

Übliche Maßnahmen: Festhalten, wegtragen oder -ziehen,wegschubsen… somit alles Gewalt!

Stimmt. Und als solche in meinen Augen unbedingt immer wieder für sich selbst (als Eltern) zu reflektieren: War diese oder jene Maßnahme in diesem Fall tatsächlich nötig? Oder kam sie nicht eher als scheinbar einfachstes/ am schnellsten wirksamstes… Mittel zum Einsatz? Hat man sich bewusst für den Einsatz der Maßnahme entschieden? Oder ist sie mittlerweile bereits ein Stück Gewohnheit?

Genau das ist der Job von Eltern: Sich ihr erzieherisches Handeln bewusst zu machen und immer wieder aufs Neue kritisch zu hinterfragen. Man stelle sich vor, die Erzieherinnen im Kindergarten würden mit den ihnen anvertrauten Kindern permanent ebenso umgehen: Festhalten, wegtragen, wegziehen, wegschubsen…Die Eltern würden - völlig zurecht - Sturm laufen.

Bitte - und das ist ernst gemeint - wer kann einen „wilden dreijährigen Bub“ wirklich ganz ohne Gewaltanwendung handhaben?

Ich behaupte: Niemand. Was aber den für mich entscheidenden Unterschied macht ist, ob man sich immer wieder bewusst macht, dass das, was man tut, Gewalt ist und sich darum bemüht, diese wann immer es möglich ist zu vermeiden.

und wenn ja, wie?

Etwas, was ich sehr wichtig finde ist, möglichst nicht aus eigener Emotion (Wut, Enttäuschung, Frustration…) heraus zu handeln. Lieber erst mal aus der Situation raus gehen (natürlich nur, wenn keine Gefahr im Verzug ist) und sich selbst die Gelegenheit geben, runterzufahren.

Pestalozzi sagte: „Was nützt uns die ganze Pädagogik? Unsere Kinder machen uns ja doch alles nach“. Das sollten wir nie aus dem Blick verlieren, wenn wir zu gewaltsamen Maßnahmen greifen. Denn gerade, wenn sie erfolgreich scheinen, lernt das Kind vor allem eines: Dass Gewalt erfolgreich ist.

Schöne Grüße,
Jule

Moin,

Es wird ja auch immer irgendwie verschwiegen, dass der Staat
selber Gewalt ausübt.

Das wird doch nicht verschwiegen - schon mal vom staatlichen Gewaltmonopol gehört? Deutlicher geht’s wohl kaum.

Gruß

Anwar

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