Gewaltfreies Minderheiten Regime?

Hallo!

Wie sich manche vielleicht erinnern habe ich vor einem Jahr schon einmal nach religiösen Minderheitenregimen gefragt. Ihr habt mir damals sehr weitergeholfen!

Mittlerweile arbeite ich an einer Hausarbeit zum Thema Gewaltanwendung von religiösen Minderheitenregimen.
Was heißt das?
Es geht darum, dass eine Gruppe A mit der Religion X in eine Machtposition über Gruppe B mit Religion Y kommt. Gruppe B ist dabei zahlenmäßig Gruppa A überlegen, aber nicht in der Machtposition.

Ich möchte nun die Faktoren untersuchen, die dazu führen, dass diese Regime oft unterdrückend bzw. letztendlich meist gewaltsam gegen Gruppe B vorgehen.
Beispiele habe ich nun genug gefunden, und mit Syrien ja auch aktuell bei der Hand - an der Systematik arbeite ich noch.

Nun wäre mir aber wichtig ob vielleicht eine/r von euch ein Minderheitenregime irgendwo auf der Welt an irgendeinem Punkt der Geschichte kennt, das nicht gewaltsam oder besonders unterdrückend gegen Gruppe B vorgegangen ist.

Ich habe mir einiges angeguckt, aber nichts gefunden. Abgesehen vielleicht vom Römischen Reich vor dem Kaiserkult, wenn die Dorfreligion eines weit entfernten eroberten Gebietes niemanden interessiert hat. Da ist es aber schwierig eine Beziehung zwischen Gruppe A und B herzustellen. Daher frage ich hier.

Also:
Ist jemanden ein Regime bekannt, dass eine religiöse Minderheit im eigenenen Land war und die religiöse Mehrheit _nicht_ unterdrückt hat?

lg
Kate

Hi Kate,

Ist jemanden ein Regime bekannt, dass eine religiöse
Minderheit im eigenenen Land war und die religiöse Mehrheit
_nicht_ unterdrückt hat?

wenn ich mich recht erinnere haben die Muslime die christliche Minderheit früher nicht unterdrückt. So konnten die Christen im muslimisch besetzten Spanien ihren Glauben frei ausüben.
Gleiches soll für Christen und Juden in Jerusalem gegolten haben: Bis die Kreuzritter kamen, konnten dort beide Religionen unter muslimischer Herrschaft ihren Kult frei ausüben.

Auch meine ich mich zu erinnern, dass in China unter Kublai Khan auch Religionsfreiheit geherrscht hat.

Vielleicht helfen Dir die Ansätze ja weiter.

Charlie80

Hallo Charlie,

wenn ich mich recht erinnere haben die Muslime die christliche
Minderheit früher nicht unterdrückt. So konnten die Christen
im muslimisch besetzten Spanien ihren Glauben frei ausüben.

Nicht ganz. Die Christen konnten ihren Glauben ausüben.
Ungefähr so frei wie Juden im Mittelalter in in Europa.
Das war dann verbunden mit Rechtlosigkeit, demütigenden Verordnungen, Ausplünderungen und gelegentlich mal einem Progrom.

Insofern hilft dieser Ansatuz nicht weiter, im Gegensatz zu Kublai Khan.
Auch das römische Reich war gegen über anderen Religionen sehr tolerant, solange man in späteren Zeiten den Kaiserkult mitmachte.

Gruß
Carlos

Hallo Kate,

Deine Frage hat mich veranlasst, mein Album von meiner China-Rundreise 2002 anzuschauen.

Xian
Große Moschee im muslimischen Viertel

Mein Text von damals:
Ca. 90 000 Bewohner von Xian gehören dem muslimischen Volk der Hui an, eine der offiziell anerkannten Minderheiten in China. Sie haben sich als Händler zur Seidenstraßen-Hochkultur hier niedergelassen und durften auch eigene „Tempel“ bauen.

Lieben Gruß
Irmgard

Hallo Kate,

wie waren die Mehrheitsverhältnisse im Heiligen Römischen Reich? Wenn die Protestanten die Mehrheiten hatten, dann hast Du ein schönes Beispiel.

Gruß
Andreas

Ha, ich hab’s!
Brandenburg-Preußen!

Die Kurfürsten wurden aus persönlicher Überzeugung ev.-reformiert, verzichteten aber auf die Umsetzung des cuius regio eius religio. Später (ca. 1820?) unierten sie Lutheraner und Reformierte.

UNd Sachsen! „Warschau ist eine Messe wert“ :wink: und so wurde der ertprotestantische Kurfürst von Sachsen katholisch, ohne seine sächsischen Landsleute deswegen zu missionieren.

Gruß,
Andreas

Hallo

Servus

wie waren die Mehrheitsverhältnisse im Heiligen Römischen
Reich? Wenn die Protestanten die Mehrheiten hatten, dann hast
Du ein schönes Beispiel.

Also ‚gewaltfrei‘ nenne ich was anderes oder hast du den 30jährigen Krieg vergessen?

Gruß
Andreas

Mfg
Penegrin

Hallo Penegrin,

ich halte zwar den 30-Jährigen-Krieg für einen klassischen Machtkrieg (unter Ausnutzung religiöser Propaganda), aber entscheidend ist doch im Sinne der Frage der Augsburger Religionsfriede, der dem Land den längsten Frieden der Geschichte 1555-1618 bescherte.

Gruß
Andreas

Hallo Charlie

wenn ich mich recht erinnere haben die Muslime die christliche
Minderheit früher nicht unterdrückt.

was verstehst Du denn unter Unterdrückung? Nur den Verzicht auf Zwangskonvertierung? Die Angehörigen sog. ‚Buchreligionen‘ (andere wurden gnadenlos ausgerottet) wurden zwar geduldet; vor allem jedoch als Steuerzahler. Während die christlichen Kirchen Steuern von ihren Angehörigen kassierten, finanzierte sich die Umma (die muslimische Gemeinschaft) zunächst praktischerweise in erster Linie aus der Kopfsteuer, die Nichtmuslime zu zahlen hatten. Man schlachtet nicht die Kuh, die man melkt. Höchstens, wenn sie nicht mehr genug Milch gibt.

Übrigens auch der Hauptgrund für den mangelnden Bekehrungseifer der frühen Muslime einerseits, der gerne mit religiöser Toleranz verwechselt wird, sowie für das Wachstum der Umma andererseits. Es war im Herschaftsbereich der Muslime ein teurer Spass, an der alten Religion festzuhalten.

Ansonsten war die Religionsausübung von Nichtmuslimen beschränkt - sie durfte nicht öffentlich sein, Neubau von Kirchen und Synagogen war in alle Regel untersagt usw. usf… Natürlich wurden Nichtmuslime auch im Rechtsverkehr diskriminiert, es gab diskriminierende Kleidervorschriften usw… In der Summe mag das alles zumindest die meiste Zeit etwas erträglicher als im christlich beherrschten Abendland gewesen sein - aber von Toleranz war das immer noch meilenweit entfernt.

So konnten die Christen
im muslimisch besetzten Spanien ihren Glauben frei ausüben.

Mal wieder das anscheinend unausrottbare Märchen vom ach so toleranten muslimischen Spanien. Die Märtyrer von Cordoba (48 Christen, die zwischen 851 und 859 wegen ‚Blasphemie‘ hingerichtet wurden) sind nur das bekannteste Gegenbeispiel. Noch schlechter ging es zeitweise den spanischen Juden - die mittelalterlichen Judenpogrome setzten im aufgeklärten und toleranten muslimischen spanien ein, mit den Massakern von Cordoba (zwischen 1011 und 1013) und Granada (1066). Jahrzehnte vor den christlichen zu Beginn des 1. Kreuzzuges.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Penegrin,

Servus Andreas

ich halte zwar den 30-Jährigen-Krieg für einen klassischen
Machtkrieg (unter Ausnutzung religiöser Propaganda), aber
entscheidend ist doch im Sinne der Frage der Augsburger
Religionsfriede, der dem Land den längsten Frieden der
Geschichte 1555-1618 bescherte.

Das mag für einzelne Teile des Reiches gelten. In Österreich zB wurden unter Kaiser Rudolf II. protestantische Kirchen und Schulen geschlossen und Priester ausgewiesen.
Und spätestens nach der Gründung der katholischen Liga und der protestantischen Union nach dem Reichstag von 1608 standen die Zeichen auf Sturm.

Ausnahmen wie Sachsen und Brandenburg gab es natürlich. Aber auf das gesammte Reich würde ich das nicht beziehen.

Gruß
Andreas

Mfg
Penegrin

…aber das war ja nun wieder ein Herrscher, der die Mehrheit „vertrat“, was nun wieder nicht in die Frage passt.

…aber das war ja nun wieder ein Herrscher, der die Mehrheit
„vertrat“, was nun wieder nicht in die Frage passt.

Ähm…du hast das HRR ins Spiel gebracht, nicht ich :smile:

Du musst unterscheiden in seiner Rolle als Landesherr (Erzherzog von Österreich, König von Böhmen) und seiner eingeschränkten Souveränität als König-Kaiser des HRR.

Minderheiten-Regimes können sich nur mittels Gewalt an der Macht halten, andernfalls werden sie von der Mehrheit beseitigt.

Hi

Das ist richtig, die Moschee von 1250 ist auch sehr schön, aber die Muslime haben in China nie geherrscht. Im 10. Jh waren sie in ganz Südchina verbreitet, später fast nur noch im Norden wahrnehmbar. Die Yuan-Dynastie war eher buddhistisch ausgerichtet, obwohl die Nachkommen des Khans im Westen muslimisiert wurden.

lg
Kate

Du musst unterscheiden in seiner Rolle als Landesherr
(Erzherzog von Österreich, König von Böhmen) und seiner
eingeschränkten Souveränität als König-Kaiser des HRR.

Tja, dann musst du aber zwischen dem Reich und seinen einzelnen Mitgliedern unterscheiden. Dein Austangspostung bezieht sich ja auf das HRR als Ganzes und nicht auf einen bestimmten Teil.

Hi!

Danke für die Hinweise, ich werde mir das mal näher anschauen, vielleicht finde ich bei ihren Beweggründen ja etwas für meine Thesen.

lg
Kate