Gibt es Arten?

Hallo Biologen!

Angeregt durch ein Interview in „Spektrum der Wissenschaft“ vom Evolotionsbiologen Axel Meyer meine Frage:

Sind Arten („Tierarten“)

  1. wirklich existent oder sind es
  2. gedankliche Strukturen, mit denen Menschen die Welt kategorisieren? Kann man in jedem Fall sagen: Dies sind zwei verschiedene Arten, dies aber nur Variationen innerhalb einer Art?

Ich tendiere zu 2., da ich von fleißenden Übergängen im Bereich Art, aber letztlich auch Familie, Klasse, Stamm ausgehe.

Gespannte Grüße!
Karl

Hallo Biologen!

Hallo Karl!

Sind Arten („Tierarten“)

  1. wirklich existent oder sind es
  2. gedankliche Strukturen, mit denen Menschen die Welt
    kategorisieren?

Da diese Frage philosophische Aspekte der Weltanschauung betrifft, kann ich dir dazu nur meine persönliche Ansicht darstellen:

Jedwede Kategorisierung (nicht nur für biologische Einheiten) basiert auf der Begrifflichkeit unseres Denkens. Es handelt sich dabei um Bildungen von Mengen im Sinne der mathematischen Mengentheorie: sozusagen „mit diesem Begriff belege ich alle von mir erfassten Objekte mit der Eigenschaft…“. Insbesondere in der Biologie handelt es sich bei den Objekten aber um Individuen. Daher ist diese Mengenbildung der Gesamtheit nur „aufgepfropft“.
Leider ist diese Begrifflichkeit die einzige Art und Weise, wie unser Gehirn mit der komplexen Gesamtheit der Realität zumindest sprachlich fertig werden kann. Hätte man keine Begriffe, könnte man sich darüber auch nicht unterhalten. Insofern ist eine Kategorisierung unbedingt erforderlich.

Dann kommt in der Biologie aber noch ein zweiter Punkt dazu:
Nämlich daß sich die höheren Arten, z.T.auch die Einzeller, durch geschlechtliche Vorgänge fortpflanzen. Dies führt dazu, daß bei diesen Arten das Grundmaterial ihrer Gene laufend durchmischt wird und sich so eine Grundähnlichkeit der Individuen einstellt. Wenn man will, läßt sich daraus die „Existenz“ der Arten ableiten.

Kann man in jedem Fall sagen: Dies sind zwei
verschiedene Arten, dies aber nur Variationen innerhalb einer
Art?

Nein! Erstens sind die Definitionen dessen, was als Art zu betrachten ist, ein wenig mit Spielraum behaftet, sodaß sich allein daher Auslegungsschwierigkeiten ergeben können; die Natur ist halt mal wieder komplexer, als es die Begriffe der Menschen zulassen.
Zweitens ist die aus meiner Sicht beste Artdefinition die, daß alles was sich miteinander unter den normalen Bedingungen paaren kann, einer Art zuzurechnen ist, in der Praxis der Überprüfung mit Schwierigkeiten verbunden, sodaß sie nur selten anwendbar ist.
Dies führt zu Interpretationen bezüglich der Zugehörigkeit zu einer Art und bringt letztendlich eine gewisse Unsicherheit hinein.

…da ich von fleißenden Übergängen im
Bereich Art, aber letztlich auch Familie, Klasse, Stamm
ausgehe.

Fließende Übergänge gibt es im Bereich der Arten, wie oben erwähnt.
Was die höheren Taxa betrifft, so sind sie sowieso subjektiv definiert und dadurch in ihrer Umgrenzung verschieden auslegbar!

Schönen Gruß
Peter

Sind Arten („Tierarten“)

  1. wirklich existent oder sind es
  2. gedankliche Strukturen

Hallo,

dass ein Krokodil und ein Löwe keine Nachfahren zeugen können, liegt ja wohl nicht an der Betrachtung durch den Menschen. Also ist die Einteilung keineswegs willkürlich wie etwa die Anordnung der Bücher in einer Bibliothek (und die ist auch nicht ohne sachliche Grundlage). Willkürlich sind nur solche Begriffe wie Nutzpflanzen oder Schädlinge, aber die gehören eigentlich auch nicht in die Biologie.

Unschärfen gibt es nur bei nahen Verwandten, und zwar egal mit welcher Definition. Das ist auch zu erwarten, denn Arten entwickeln sich auseinander (bitte keine Antworten von Kreationisten!) und dabei wird der Abstand stetig grösser - irgendwann ist es dann eine neue Art.

Gruss Reinhard

Huhu!

Das Kreuz mit dem Artbegriff…
Natürlich ist die Bezeichnung „Art“ ein Gedankenkonstrukt des Menschen… je weiter man in die feinen Bereiche hinunter kommt, desto schwieriger scheint die genaue Abgrenzung der Begriffe wie Art, Rasse, Unterart, Variation usw zu sein. Die Natur und ihre Arten sind ja eigentlich ein ständiger Fluß. Der Evolutionstheorie folgend verändern sich Arten, bilden verschiedene Variationen die sich durchsetzen und weiter absetzen oder wieder vom Genpool verschluckt werden. Jede Variation einer Tierart könnte potentiell der Beginn einer neuen Art sein, wenn sie den richtigen Begleitumständen ausgesetzt wird. Allzuoft sind sie es nicht, weil die Umweltbedingungen ein weiteres Absetzen bestimmter Merkmale nicht unterstützen.
Aber gerade da alles so fließend ist, ist es eigentlich quasi unmöglich, da eine klare Trennlinie zu setzen. Es gibt da meisten Spielraum. Stell dir eine fließende Farbskala vor, in der ein Blau allmählich in ein Grün übergeht. Frage zehn Leute, wo sie die Grenze setzen würden, wo das Blau kein Blau mehr ist, sondern ein Grün, und die wirst 10 verschiedene Trennlinien gezeigt bekommen… das ist schlicht ein Ermessensspielraum. Ebenso können Begriffe wie eben Art, Rasse usw in einem gewissen Ermessenspielraum gesetzt werden.
Da uns die meisten Übergänge fehlen von einer Art zur anderen (oder von Blau zu grün), wird es uns in der Regel leichter gemacht, Arten zu definieren.
Probleme gibt es dann, wenn eine der Artdefinitionen (es gibt ja nach wie vor verschiedene) pltzlich nicht mehr greift.

Da ich persönlich auch Anhänger der Definition des Artbegriffs anhand der Forpflanzungsfähigkeit (sie sie nun anatomisch oder vom Verhalten bestimmt) unter natürlichen Bedingungen bin, ist ein immer wieder faszinierendes Beispiel für mich die Problematik der Ringarten (= Artenkreise, Rassekreis, ring species).

Ich habe die am Beispiel der Kohlmeise kennen gelernt (ein weiteres sehr populäres Beispiel sind Silber- und die Heringsmöwe). Im Prinzip geht es darum, dass sich entlang eines Verbreitungsgebietes leichte graduelle Veränderungen in Färbung und Gesang ergeben, die allerdings nicht ins Gewicht fallen, wenn man auf der Linie bleibt. Untereinander können sich alle nebeneinander lebenden Variationen fortpflanzen und tun es auch. Damit ist die Kohlmeise nach obiger Definition eine einzige Art.
Interessant wird es dann, wenn Individuen der beiden Grenzfälle (quasi Grün und Blau :wink:) aufeinander treffen. Zwischen diesen Populationen sind die Verhaltensunterschiede so stark, dass es nicht mehr zu einer Verpaarung kommt…man könnte diese also als eigenständige Arten definieren.
Hier scheitert der von mir bevorzugte Artbegriff kläglich.
Wenn man da weiter denkt, komme ich auch immer wieder bei der Frage raus, warum Dogge und Chihuahua nicht als zwei verschiedene Arten definiert werden, denn natürlicherweise würden sich die beiden wohl auch nicht mehr erfolgreich fortpflanzen.

…aber wie so vieles im Leben gibt es eben auch hier immer wieder Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

In ermangelung einer praktikablen Alternative, werde ich auch weiterhin ungezwungen den Begriff „Art“ benutzen, aber mit dem Wissen im Hinterkopf, dass sich die Natur nicht in ein allgemeingültiges Schema pressen lässt.

lieben Gruß
Aj

Hallo Karl,

das von dir erwähnte Interview mit Axel Meyer im „Spektrum der Wissenschaft“ (welches Heft?) habe ich leider nicht gelesen.

Zu dem Thema sah ich bei ARTE am 14. Nov. 2009 eine ausgezeichnete Sendung: „Die wunderbare Artenvielfalt“.
In der TV-Zeitung stand dazu: „Eine unglaubliche Vielzahl verschiedener Arten von Lebewesen besiedelt unseren Planeten. Doch wie lassen sich all diese Lebewesen in Arten, Familien und Gattungen einordnen? Denis van Waerebeke und Vincent Gaullier gewähren auf humorvolle Weise Einblicke in die Verwandschaftsbeziehungen.“

Sicher wird der Beitrag irgendwann wiederholt. Ich schaue immer nach solchen Sendungen in den Programmzeitschriften.

Viele Grüße

watergolf

Danke…
für die interessanten Antworten, ich habe sie mit Genuss gelesen! Besonders den Vergleich mit der Farbskala fand ich plausibel!.
Karl

Hallo,

Jede Definition, jeder Begriff ist menschgemacht. Definitionen und Begriffe sind in aller Regel sinnvoll, um sich auf gedankliche Konzepte zu einigen und diese mitzuteilen. Inwiefern diese Konzepte real existieren, ist dafür unerheblich.

Meist orientieren sich unsere Kategorisierungen an „Grenzfällen“, die oft in recht weiten Bereichen unserer alltäglichen Erfahrungswelt gültig sind (bzw. sind die Unterschiede der Beobachtungen zum Kategorialen Konzept vernachlässigbar). Das macht es ja überhaupt erst sinnvoll, die Welt in Begriffe/Kategorien einzuteilen.

Sieht man genauer hin, erkennt man aber, dass unsere Kategorien meist nicht exakt korrekt sind. Nun haben aber die Begriffe die übliche Eigenschaft, entweder als vollständig richtig (passend) oder vollständig falsch (unpassend) interpretiert zu werden. Bei der Verwendung von Begriffen greift bei uns die Boole’sche Logik, die nur die Wahrheitswerte „wahr“ und „falsch“ kennt. So teilen wir Individuen entweder der selben Art zu oder nicht. Das ist eine Vereinfachung, welche Begriffe für uns einfach handhabbar macht, war so aber in dre Realität nur selten zutrifft.

In der Realität greift vielmehr eine fuzzy logic („unscharfe Logik“) mit fließenden Übergängen zwischen „wahr“ und „falsch“. Hiermit könnten zwei Individuen sozusagen beispielsweise zu 83% von einer Art sein. Ein derartiger Artbegriff würde dann praktisch die genetischen und etiologischen Änlichkeiten quantifizieren oder eine Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Verpaarung unter „Standardbedingungen“ oder, oder… (und eben kein Boole’sche Entscheidungskriterium mehr benötigen).

Wo uns das im Alltag schon besser gelingt sind Eigenschaften. Beispiel: „kreisrund“, ein mathematisch klar definierter Begriff. In unserer Erfahrungswelt kommen kreisrunde Dinge nicht vor, aber Dinge, die mehr oder weniger kreisrund sind. Abweichungen vom mathematischem „kreisrund“, die im Kontext relevant(!) sind, werden dabei begrifflich ergänzt („fast kreisrund“, „etwa kreisrund“, usw).

VG
Jochen