Gibt es Legasthenie in China, Korea, Japan?

Hallo,

eine etwas blöde Frage, zugegeben. Aber sie ist immerhin logisch abgeleitet und beruht auf den unterschiedlichen Schriftsystemen.

Legastheniker können bekanntlich einige Buchstaben nicht richtig erkennen. Was ist nun, wenn es keine Buchstaben gibt, sondern nur inenandergeschachtelte gerade Striche, wie bei den asiatischen Schriftmodellen?
Sind dort andere Menschen legastheniekrank, weil sie andere Details nicht erkennen können?

Danke fürs antworten,
Gruss!

Ich frage mich natürlich, warum Du erwartest, drei Länder in einem Abwasch behandeln zu können, nur weil es die „chinesischen Schriftzeichen“ in allen drei Ländern gibt…Da Japan, Korea und China jeweils eigene Schriftsysteme haben, halte ich mich mal an den Teil für Japan:

Hintergrund:

  1. In Japan gibt es ein Silbenalphabet. Jedes „Zeichen“ entspricht dabei einer Silbe mit einer fest zugeordneten Aussprache. Es gibt also das Problem, bestimmte Buchstabenkombinationen verschiedenen Aussprachen zuzuordnen nicht.
  2. Die „chinesischen Schriftzeichen“ stellen - im Allgemeinen - Bilder dar. In Japan gibt es einen vom Bildungsministerium verwalteten Zeichenkatalog, der in den Schulen gelehrt und in Zeitungen usw. als allgemeiner Kenntnisstand vorausgesetzt werden darf.

Nun zur Frage:
a) Das Silbenalphabet wird den Kindern bereits vor dem Kindergartenalter (und früher) beigebracht. Die Kinder lernen die Zeichen über Bildassoziationen kennen - ähnlich wie bei uns der Buchstabe „A“ mit dem Bild eines Apfels verknüpft wird. Das Silbenalphabet beherrschen dabei meines Wissens alle Japaner (Einfluss körperlicher oder geistiger Behinderung hier bewusst weggelassen).
b) Die chinesischen Schriftzeichen machen natürlich Schwierigkeiten. Da aber selbst gebildete Japaner aus der Übung kommen können, halte ich es für schwierig hier von „Legasthenie“ zu sprechen: Es gibt eben Japaner, die schlechter in der Schule sind und auch den Standardsatz der ca. 2000 Zeichen nicht wirklich beherrschen, aber auch gebildete Japaner die weit mehr Zeichen lernen/beherrschen (z.B. für Fachvokabular).
c) Diese Schriftzeichen kann man nachhaltig nur lernen, wenn man sie aktiv schreibt, da viele Zeichen sich nur durch einen, auf die schnelle oft nicht wahrgenommenen Strich unterscheiden. In der heutigen Welt der Computer, wo wir Schriftzeichen vorgeschlagen bekommen, verlernen auch „gebildete“ Japaner immer mehr die Details von Zeichen.

Fazit: „Legasthenie“ im Sinne der Lernschwäche, Buchstabenkombinationen zu Aussprache zuordnen zu können, gibt es zumindest im Japanischen nicht. Das heisst aber nicht, dass alle Japaner alle japanischen Texte lesen können.

Hallo Rambule,

Legasthenie kann viele Ursachen haben, daher gibt es sie in allen Kulturen dieser Welt und ist von den jeweils verwendeten Schriftzeichen unabhängig. Verursacher können u.a. auditive Wahrnehmungsstörungen (Störung der Verarbeitung sprachlicher Informationen im Gehirn) oder Lesestörungen durch mangelnde Verknüpfungen in den Sehzentren des Gehirns sein. Weitere Informationen zu diesem Thema findest Du unter Kleines Lexikon: Legasthenie.

Ich hoffe, dass ich Dir weiterhelfen konnte.

Liebe Grüße,
Thomas Wilhelm, Lernpraxis Püttlingen

glaube ich nicht
Hallo,

Fazit: „Legasthenie“ im Sinne der Lernschwäche,
Buchstabenkombinationen zu Aussprache zuordnen zu können, gibt
es zumindest im Japanischen nicht. Das heisst aber nicht, dass
alle Japaner alle japanischen Texte lesen können.

Das ist aber eine eigenwillige Definition von Legasthenie und beseitigt das Problem auf einer rein formalen Ebene.

Legasthenie hat m.W. neben sensorischen Problemen auch eine oft genetisch disponierte kognitive Schwierigkeit zu Grunde liegt, visuelle abstakte Zeichen, den Lauten zuzuordnen (und umgekehrt), dies wird auch auf eine dafür unzureichende Konzentrations- und Gedächnisleistung zurückgeführt.
Dieses Problem ist im Kern unabhängig von dem verwendeten Zeichensystem.
Daraus folgt: Legasthenie gibt es für/in/bei jeder Schriftsprache.

Gruß
Werner

Meine grobe Googlesuche hat ergeben, daß im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die Anzahl der Google-Treffer für das Wort „Legasthenie“, d.h. 诵读障碍 bzw. 読字障害 bei den chinesischen Seiten ungefähr so ist wie bei den deutschsprachigen. Bei den japanischsprachigen jedoch nur gut ein Zehntel davon.
Dies spricht zunächst einmal für meine generelle Beobachtung, daß in der japanischen Schule von Leseschwäche weniger Aufhebens gemacht wird als in D, weil man schwache Schüler nach aller Möglichkeit durch die sechsklassige Grundschule durchschleppt.
Meine Google-Statistik widerspräche jedoch der These, daß die drei Sprachen wegen ihrer jeweiligen Schrift unterschiedlich legasthenie-anfällig seien, denn Japanisch liegt, was die Komplexität der Schrift anbelangt, zwischen dem Chinesischen und dem Deutschen. (Koreanisch hat übrigens seit angeblich tausend Jahren eine Buchstabenschrift, in die man bis zur Rechtschreibreform im Jahre 1980 chinesische Schriftzeichen mischte.)
Übrigens lernt man die chinesischen Schriftzeichen als Buchstaben und nicht als Piktogramme. Die Bildhaftigkeit mancher Schriftzeichen thematisiert man bisweilen anekdotisch, sieht sie jedoch nicht als zentral oder auch nur als didaktisch an.

Ja
Moin,

und der Beweis dafür ist ganz einfach: wenn man im wiki-Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Legasthenie links im Klapp-Menü „In anderen Sprachen“ den Mauszeiger auf den seltsam aussehenden Schriften ruhen lässt, dann wird die Sprache angezeigt und man stößt neben vielen anderen Kopfzerbrechern auch auf 日本語 (Japanisch), 한국어 (Koreanisch) und 中文 (Chinesisch).

Wenn es irgendetwas irgendwo nicht gibt, dann gibt es in diesem Irgendwo auch kein Wort dafür* - nein, das stimmt heutzutage nicht mehr. Aber es gäbe dann sicher keine langen Artikel mit weiterführenden Links zu diesem Thema in einer doch eher volkstümlichen Enzyklopädie. Da stünde dann eher sinngemäß Legasthenie ist eine Störung des Erwerbs der Schriftsprache. Sie tritt fast ausschließlich bei Sprachgemeinschaften auf, die das lateinische Alphabet benutzen und wird in Ländern mit prekärem Bildungssystem oft herangezogen, um … (jetzt schweige ich besser ;-»)

*Einen Satz aus García Márquez’ Hundert Jahre Einsamkeit habe ich seit etwa 40 Jahren nicht vergessen: "El mundo era tan reciente, que muchas cosas carecían de nombre, y para mencionarlas había que señalarlas con el dedo."
Auf Deutsch: Die Welt war so neu, dass viele Dinge keinen Namen hatten, und um sie zu erwähnen, musste man mit dem Finger auf sie zeigen.

Pit

schon, aber nicht so einfach (+Übersetzung)
Hi

Besser ist, wenn man lesen kann, was da steht, denn ganz so eindeutig ist es dann doch nicht.

Im Artikel geht es ziemlich generell um Alexie/Dylexie, also die erworbene Lese-Rechtschreibschwäche, nicht um die angeborene.

Zahlen werden auch nur weltweilt benannt, keine Zahlen für China, das ist ungewöhnlich (die Zahlen sind nie exakt aber meist gibt es doch Schätzungen).

Der erste Teil des Artikels setzt sich mit phonetischen Zeichen (wie im Deutschen oder Englischen) auseinander, Englisch wird auch als Beispiel angegeben, also Buchstabensprachen.

Dann erst wird kurz auf „Piktogramm“-Sprachen eingegangen, folgendes nennt der Artikel:
„1. Zeichenformungsschwäche: Zeichen können verstanden und ihre Komponenten erstellt werden, es fällt jedoch schwer die Zeichen zusammen zusetzen, das geht soweit, dass sie rechts- und links, oben- und unten verkehrt sind. Das Erlernen des Lesens erfordert viel Mühe.
2. Kognitive Erkennungsstörung: Es fällt schwer, Zeichen zu erkennen oder von anderen zu unterscheiden, dies sorgt für Verwirrung. Es ist unklar, was gelesen wird, daher kommt es zum Springen in der (immer selben?) Zeile und wiederholten Vorlesen. Ein Hindernis sind zu kleine Schriftarten und zu enge Zeilenabstände, auch hier erfordert das Erlernen des Lesens viel Mühe.“

Wie gesagt, hier geht es um die erworbene Leseschwäche und es gibt nichts, dass auf chinesische Fälle hinweist.

Der Artikel ist auch gar nicht „lang“, nur weil der Font groß ist :wink: Sondern für chinesische Verhältnisse recht knapp.

Desweiteren steht dort nur noch, wie üblicherweise mit Alexie-Patienten umgegangen wird (Bilderbücher, Audiobücher etc.) und es werden berühmte Personen mit diesem Problem aufgezählt.

Und jetzt kommt der Clou: Das sind alles Westler!
Zum Beispiel:
Thomas Edison, Bell, Disney, Picasso, Faraday, Gwen Stefani, usw. usf.

Darunter sind dann noch Lee Kuan Yew (Politiker aus Singapur), Jam Hsiao (ein taiwanesischer Sänger) und Xie Zhe-Qing, ein chinesischer Infotainer. Da weiß man aber auch nicht, ob es erworben (beim Politiker eher der Fall) oder angeboren ist und auf welche Sprache (Chinesisch oder English?) es sich bezieht.

lg
Kate