Gibt es wirklich noch 'neue' Musik?

Hallo,

ich frage mich schon seit längerem, ob es wirklich noch neue Pop/Rock-Musik gibt, oder ob nicht mittlerweile schon alles einmal da war und nur (unbewußt) wiederholt wird.

Ich stecke nicht so wirklich drin in der Musiktheorie, aber es gibt ja nunmal eine bestimmte Anzahl an Tönen, und irgendwann müßten doch mal alle Notenkombinationen schonmal da gewesen sein. Zumal man ja auch die Töne nicht beliebig kombinieren kann, sondern es auch harmonisch klingen muss. Es gibt soviele Leute die Musik machen, man hört ja nur von einem Bruchteil der Bands die es auf der Welt gibt in seinem Leben.

Wenn ich mir zum Beispiel Punk Rock anschaue: Drei Akkorde. Auf der Gitarre kann man auch nur eine bestimmte Anzahl Akkorde spielen, irgendwann ist der Hals ja zu Ende. Und beliebig kann man sie auch nicht kombinieren, es muss ja auch harmonisch passen. Also kann es doch eigentlich nicht sein dass noch völlig neue Akkordfolgen komponiert werden.

Trotzdem, wenn ein neues Punk-Lied zum ersten Mal im Radio gespielt wird, kann man es zwar gleich der Musikrichtung zuordnen, aber es hört sich meist auch neu an. Woran liegt das?

Kann mich da mal jemand aufklären?

Danke.

Gruß

Marc

ja, gibt es
hallo!

interessante frage! du hast zwar recht, daß es nur eine begrenzte anzahl an tönen gibt und daß sich die auch nur in einer begrenzten anzahl kombinieren lassen, aber das ist noch lange nicht alles.

klassischerweise spricht man von den drei wichtigsten parametern der musik, und zwar von melodie, harmonie und rhythmus. die melodie ist die reihenfolge der töne, die harmonie das zeitweilige zusammenklingen derselben und der rhythmus die genaue zeitliche organisation. jede musik weist diese drei parameter auf, auch wenn manche in gewissen fällen in den hintergrund treten (eine unbegleitete einstimmige melodie impliziert zum beispiel auch harmonische zusammenhänge).

zu diesen drei muß man auf jeden fall noch die form dazunehmen, die erst durch die ersten drei entsteht, aber auch immer vorhanden ist. weiters kann man die klangfarbe erwähnen (schon mal für elise auf einer mundharmonika gehört? das ist ganz was anderes als du es gewohnt bist), ich würde aber angesichts der tatsache, daß deine frage auf pop/rockmusik abzielt, in grober vereinfachung vom arrangement sprechen, was ja gewissermaßen auch als klang einer band verstanden werden kann.

so, schauen jetzt wir mal ein bißchen, wie das im detail aussieht. theoretisch ist die anzahl aller möglichen endlich langen melodien mathematisch begrenzt, praktisch ist sie aber nicht so leicht zu erreichen. selbst wenn du eine melodie auf eine bloße tonfolge reduzierst, wirst du eine astronomisch hohe zahl erhalten, wenn du dann aber noch die rhythmische verteilung der töne und vielleicht den gesungenen text (es gibt ja auch nur endlich viele wörter, ist dann die literatur auch irgendwann komplett?) berücksichtigst, kannst du dir vorstellen, daß nicht die gefahr besteht, daß uns irgendwann die ideen ausgehen.

harmonische folgen gibt es tatsächlich nicht unendlich viele, und in der tat kommen bestimmte harmoniefolgen immer wieder vor, meistens ohne daß es dir auffällt. in vielen stilrichtungen gibt es häufig verwendete akkordfolgen, die trotzdem nicht immer gleich klingen. wenn melodie und arrangement unterschiedlich sind, kommt die harmoniefolge nicht so prominent zum vorschein. ein lustiges video zu diesem thema kannst du hier sehen: http://www.youtube.com/watch?v=JdxkVQy7QLM

was ist nun, wenn melodie (inklusive text und rhythmus) und harmoniefolge gleich sind, aber das arrangement verändert wird? das sind dann in der pop/rockmusik die berühmten coverversionen, die zum teil ja wirklich ganz anders klingen als das original. vergleiche mal i will survive von gloria gaynor und von cake. da liegen welten dazwischen. allein mit originellen covers könnte man die musik noch einige jahrzehnte locker weiterführen.

insgesamt kommen so viele aspekte zum tragen, daß es sicher nie passieren wird, daß man keine neue musik mehr machen könnte. klar, es gibt kreativere und weniger kreative phasen, aber wenn man mal wirklich in einen notstand gerät, kann man an den oben erwähnten parametern noch einiges schrauben: zu den 12 halbtönen einer oktav noch zusätzliche zwischentöne dazunehmen (stichwort mikrotonalität), die „regeln“ der harmonischen zusammenhänge erweitern (das ist in der tat mehrfach in der musikgeschichte passiert bzw. passiert eigentlich von tag zu tag unmerklich) und neue arrangements erfinden.

ganz abgesehen voll all dem ist für dich das neue musik, was du noch nicht kennst. ich bin sicher, man könnte dir diverse sachen aus früheren jahrzehnten vorsetzen, die du als neue musik einstufen würdest. und da niemand alles kennen kann, wirst du auch immer was neues für dich entdecken können. muß ja nicht immer das aktuellste und angesagteste sein.

Vielen Dank für die ausführlich Erklärung.

Es kommt also durchaus vor, dass zwei Lieder auf dem Papier die selben Noten haben, aber durch die Variationsmöglichkeiten der Musiker trotzdem unterschiedlich klingen.

Das Video zeigt sehr schön, welchen Einfluss z.B. der gesungene Text (und wie er betont wird) auf ein Lied haben kann.

Was wäre eigentlich, wenn man die Akkorde aus dem Video z.B. eine Oktave höher oder tiefer spielen würde? Geht das so einfach, und hätten diese dann die gleiche Bezeichnung wie das Original?

Es kommt also durchaus vor, dass zwei Lieder auf dem Papier
die selben Noten haben, aber durch die Variationsmöglichkeiten
der Musiker trotzdem unterschiedlich klingen.

ja. dafür gibt es dann anwälte, die solche fälle ausfechten :wink: stichwort plagiat.

Das Video zeigt sehr schön, welchen Einfluss z.B. der
gesungene Text (und wie er betont wird) auf ein Lied haben
kann.

melodie und text, würde ich sagen. und die melodie allein wäre auch schon genug.

Was wäre eigentlich, wenn man die Akkorde aus dem Video z.B.
eine Oktave höher oder tiefer spielen würde? Geht das so
einfach, und hätten diese dann die gleiche Bezeichnung wie das
Original?

ein akkord ist nichts absolutes, sondern immer eine mögliche realisation einer idealen harmonie. soll heißen: ein C-dur-akkord besteht aus den tönen c, e und g, aber es ist grundsätzlich egal, welche lagen dafür genommen werden. auf der gitarre haben wir bei einem offenen C-dur eine ganz andere konstellation, als zb. auf einem klavier in enger lage. und natürlich kann man den ganzen akkord umkehren oder um oktaven hin- und hertransponieren, ohne daß sich die harmonie ändern würde.

nimm mal den ton des videos auf und spiels mit doppelter geschwindigkeit ab. es wird immer noch nach genau der selben musik klingen.

melodie und text, würde ich sagen. und die melodie allein wäre
auch schon genug.

Wieso die Melodie? Der Gitarrist spielt doch ständig die gleichen Akkorde, an der Abfolge ändert sich nichts. Bei der Punk-Version ist die Geschwindigkeit höher, aber sonst?

Wieso die Melodie? Der Gitarrist spielt doch ständig die
gleichen Akkorde, an der Abfolge ändert sich nichts. Bei der
Punk-Version ist die Geschwindigkeit höher, aber sonst?

er spielt die selben akkorde: das ist das harmonieschema. es gibt viele lieder mit dem selben harmonieschema (auch wenn nicht ganz alle, die er da spielt, wirklich das gleiche haben, aber doch ziemlich einige). du würdest diese lieder auch erkennen, wenn er nicht dazu singen, sondern die melodie zb. auf einem anderen instrument spielen würde. zum vorgegebenen harmonieschema passen ja auch viele verschiedene melodien.

er spielt die selben akkorde: das ist das harmonieschema. es
gibt viele lieder mit dem selben harmonieschema (auch wenn
nicht ganz alle, die er da spielt, wirklich das gleiche haben,
aber doch ziemlich einige). du würdest diese lieder auch
erkennen, wenn er nicht dazu singen, sondern die melodie zb.
auf einem anderen instrument spielen würde. zum vorgegebenen
harmonieschema passen ja auch viele verschiedene melodien.

Achso, also zu einem bpsw. C-Dur-Akkord gibt es mehrere passende Melodien, also aufeinanderfolgende Einzeltöne?

Achso, also zu einem bpsw. C-Dur-Akkord gibt es mehrere
passende Melodien, also aufeinanderfolgende Einzeltöne?

natürlich.

Achso, also zu einem bpsw. C-Dur-Akkord gibt es mehrere
passende Melodien, also aufeinanderfolgende Einzeltöne?

natürlich.

Kann man das eingrenzen? Also klar sagen, diese Tonabfolge passt zu jenem Akkord?

Kann man das eingrenzen? Also klar sagen, diese Tonabfolge
passt zu jenem Akkord?

ja, aber das führt von deiner ausgangsfrage schon sehr weit weg. ich würde dir ein buch oder eine internetseite zum thema musiktheorie nahelegen, das ist nix, was man noch ein tausendstes mal hier schreiben muß.

Mag sein Gyuri, dass es verdammt viele Möglichkeiten gibt, da geb ich dir völlig recht. Das Dumme ist, dass in der Rock Musik, bzw. populärer Musik gar nicht alles ausgenutzt wird, bzw. viele gar nicht dazu in der Lage sind, das auszunutzen. Deswegen klingt vieles auch so ähnlich.

Viele Bands verwenden sogar über Jahre hinweg immer die gleiche Akkordfolge und transponieren sie nicht mal. Beispiel Red Hot Chili Peppers: a F C G
Die Akkordfolge wird auch bis zum erbrechen in vielen anderen Songs anderer Interpreten verwendet.
Fakt ist, würden die heutigen Rockbands das Potenzial von Harmonie, Rhythmik und Melodie tatsächlich ausnutzen, dann würden nicht andauernd Leute fragen, warum diese Musik selten große Unterschiede aufweist
(Ich will klarstellen, dass ich von Populärer Musik rede, ich weiß durchaus, dass es auch Bands im Pop, Rock und Metal Bereich gibt, die durchaus mit den drei oben genannten Dingen umgehn können)
Das, meiner Meinung nach, schlimmste Beispiel ist immer noch Linkin Park. Ich war es gewöhnt, dass in der „Mainstreammusik“ kaum noch Innovationen, etc. vorkommen, aber das jemand so dreist immer wieder das gleiche Lied schreibt und einen anderen Titel dahinter schreibt, kannte ich bis jetzt nur in der Volkstümlichen(wohl gemerkt „volkstümlichen“) Musik.

Viele Bands verwenden sogar über Jahre hinweg immer die
gleiche Akkordfolge und transponieren sie nicht mal. Beispiel
Red Hot Chili Peppers: a F C G

sehe ich ähnlich, und genau dieses beispiel bringe ich auch immer im musikunterricht :wink:

einigen wir uns auf folgendes: es wird wohl nie passieren, daß der menschheit die möglichkeiten ausgehen, die gefahr ist viel eher, daß sich zu viele auf die gängigen modelle versteifen und daher eine art kreative armut entsteht.

einigen wir uns auf folgendes: es wird wohl nie passieren, daß
der menschheit die möglichkeiten ausgehen, die gefahr ist viel
eher, daß sich zu viele auf die gängigen modelle versteifen
und daher eine art kreative armut entsteht.

Ja, so würd ichs auch sagen. Aber das ist auch der vorteil für kreative Musiker. So bleiben ihnen die innovativen Ideen, praktisch konkurrenzlos.
Es fehlt nur noch, dass im Denken der Menschen etwas geändert wird, bzw. am Musikunterricht in Schulen und den Schülern dahingehend die Augen geöffnet werden.
(Mein Musikunterricht bestand daraus, dass wir das ganze Schuljahr Filme schauten, oder das gleiche Lied zehn mal von verschiedenen Interpreten angehört haben um dann zu sagen, welches besser klingt. Zusätzlich durfte ich nichts sagen, weil mein Lehrer der Meinung war, ich wüsste alles schon.)

OT

Es fehlt nur noch, dass im Denken der Menschen etwas geändert
wird, bzw. am Musikunterricht in Schulen und den Schülern
dahingehend die Augen geöffnet werden.

ganz deiner meinung.

eine meiner schülerinnen, sie spielt nicht mal ein instrument, hat im laufe des schuljahres vier lieder geschrieben und aufgenommen (jeweils nur melodie mit text, aber beides gut). ich habe ihr in meiner freizeit die begleitungen dazugeklimpert, eins haben wir bereits beim schulfest mit band aufgeführt, die anderen möchte ich noch im sommer ebenfalls mit band auf video aufnehmen. das ist natürlich nicht der musikunterricht bei uns, aber ich ermutige alle dazu, selbst kreativ zu werden, und opfere zu ihrer unterstützung auch meine freizeit.

und die beschäftigung mit dem klassischen werkkanon ist für mich auch in erster linie eine beschäftigung mit der kreativität und das lernen von den meistern. das ist natürlich bei jugendlichen nicht ganz so einfach durchzudrücken, aber wenn sie sich dafür öffnen, können sie davon auch sehr viel mitnehmen.