Weihnachten religiös, Volksbrauch und Familie
Servus,
in unserer Familie unter ideologischer Führung einer Pfarrerstochter gab es verständlicherweise keinen Weihnachtsmann und, da sie der eher schmucklosen württembergisch reformierten Fraktion angehörte, die mit sensibler Nase überall Götzenanbetung und heidnische Magien wittert, auch kein Christkind. Kirchlich gefeiert wurde die Geburt Christi zur Christvesper und am Weihnachtsfeiertag, Heiligabend in der Familie fand ohne verschlossenes Zimmer, geheimnisvolle Glöckchen etc. statt, den Baum haben wir mit unserem Vater zusammen geschmückt, Geschenke kamen von den Eltern und mit der Post, die ganz prosaisch verpackten Pakete wurden zu Heiligabend geöffnet und die dazugehörigen Briefe verlesen.
Der ideologisch weniger sensible Osterhase wurde gepflegt, ebenso wie der Besuch von St. Nikolaus (ohne Begleitung des finsteren, drohenden Knecht Ruprecht); als jüngster einer ganzen Reihe von Brüdern wusste ich mit vier Jahren, dass es beide nicht realiter gibt; gleichzeitig war ich von der Idee, dass es sie geben könnte, ganz angetan. Da wir unter Brüdern eine ganze Reihe von teils selbst erfundenen, teils von irgendwo her übernommenen „Mythen“ pflegten, von denen wir wussten, dass sie keine Realität wiedergaben, und sie in diesem Bewusstsein detailliert und reich ausschmückten und unterhielten, hatte ich keine Mühe damit, die realistische Sichtweise „kein Osterhase, kein Nikolaus zu Besuch“ und die mythische „Moos sammeln und Nester bauen für den Osterhasen, Warten auf den Nikolaus“ parallel zu erhalten. An dessen ernsthafte Mahnung, nicht immer alles gleichzeitig anzufangen und alsbald die Flinte ins Korn zu werfen, wenn was nicht auf Anhieb klappt, die ich im Alter von vielleicht sieben Jahren erhalten habe, erinnere ich mich noch heute öfter einmal.
Rund um die weihnachtlichen Rituale war mir der Gang in den Wald am Samstag vor 1. Advent für Haselruten und Tannenreis und das Kranzen, dann das Adventssingen an den Adventssonntagabenden ungefähr ab dem genannten Alter bis ungefähr zur Konfirmation wichtiger als die Weihnachtsfeier kirchlich und in der Familie. Frisch konfirmiert und auf der Suche nach eigener Religiosität war mir dann der eher dünn besuchte Gottesdienst am Stephanstag am wichtigsten, weil ich dort weniger Kleingläubige, Pharisäer und dergleichen wähnte als zur Christvesper und zum Weihnachtsgottesdienst.
Mit der innerlichen Entfernung von den - für dieses Alter gänzlich normal - als allzu eng erlebten Familienfesseln habe ich dann etwa mit sechzehn eine Clique gefunden, mit der ich zur Mitternachtsmesse in einer etwa sechs Kilometer entfernten Marienwallfahrtskirche marschiert bin: Ein Mittel, am heiligen Abend ab etwa halbzehn eine „familienfreie Zone“ zu schaffen, ohne den Eltern allzusehr auf den Schlips zu treten.
Die innerliche Entfernung, die Du beschreibst, vermischt den Abschied von volksreligiösen Ritualen mit dem Abschied von der Familie - Du könntest wohl beides ohne den ein wenig bitteren Beigeschmack, den ich beim Lesen durchzuhören glaube, rekapitulieren, wenn Du die beiden Themen „Volksbrauch“ und „Familie“ nach Möglichkeit getrennt angehst: Beide Aspekte sind keine Enttäuschung wert und fühlen sich nicht als „Verlust“ an, wenn der Entfernung bewusste Entscheidungen zugrunde liegen. Schwierig wirds bloß mit „halb/halb“ vollzogenen Schritten.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder