Glaube an Gott

Hallo stucki,

nicht dass du denkst, ich hätte keine Lust mehr zu antworten,
aber mir fehlt ein bisschen die Zeit - du weisst ja: „Rentner
sein ist ein Vollzeitjob“ :wink:)

Ehrlich gesagt: Ich habe Dich hier ein bißchen vermisst. Kirchenkritik von jemanden, der auch „zuhören“ kann, ist herausfordernder und wertvoller.
Da wir hier mittlerweile allein sind, werde ich etwas abschweifen:wink:

Nie würde ich die heutigen Christen persönlich
verantwortlich machen für das, was im Namen der
Christen/Kirche in den vergangenen Jahrhunderten geschehen
ist. Wie du sagst, die heutigen Deutschen auch nicht
persönlich für das, was vor Jahrzehnten passiert ist.
Aber es gibt da für mich einen kleinen Unterschied: Die
Kirche/das Christentum hat seit etwa 2000 Jahren eine
„Verfassung“, die ziemlich gut sagt, wo es lang gehen sollte.
Daran gehalten hat sich von den maßgebenden Leuten fast
niemand, keine Kirche hat die mittelalterlichen Folterungen,
die europäisch/christlichen Raubzüge durch die ganze Welt, den
Jahrhunderte, Jahrtausende währenden Antijudaismus (wir
wissen, wie das endete) verhindert oder auch nur angeprangert.
Daher frage ich mich: Was soll’s? Daher macht mich

Was Du sagst, betrifft mein Verständnis von Geschichte als wissenschaftlicher Disziplin und warum sie wichtig ist, gerade für einen Theologen. Es heißt ja immer so schön, man müse aus der Geschichte lernen, aber ob in Kirche oder Gesellschaft: Frag mal jemanden, was das heißt, und Du stößt auf verzweifeltes Schweigen.
Zu Deiner Kritik: Historisch sehe ich das SChuldbekenntnis eines Johannes Paul II. (das übrigens ja letztlich auch von Ratzinger stammte) revolutionär an, da ist etwas in der rk Kirche aufgebrochen. Das spezifische Traditionsverständnis der rk Kirche verhindert das an „mehr“, was wir gemeinsam fordern.
Ich will hier nicht die ev Kirche als die rundum bessere darstellen, aber ihre Struktur ist eine andere. Es gibt hier, m.E. fatale, Bestrebungen einer zunehmenden Hierarchisierung, weil man eben auch gerne einen da oben hätte, der dann weltweit repräsentiert. Noch ist es nicht so weit.
Die Verhinderer sind selten, aber nicht die Anprangerer (was natürlich einfach ist). Aber die maßgebliche Literatur zu den von Dir genannten Themen stammen von Kirchenhistorikern, d.h. aus Kirche und Theologie selbst stammen diejenigen, die aufgedeckt haben, was heute berechtigt kritisiert wird. Zumindest in evangelische Landeskirchenverfassungen hat viel davon Eingang gefunden (so eben eine klare Standortposition zum Judentum, die uns zwar vielleicht gesellschaftlich spät vorkommt, die aber angesichts der Geschichte nie zu spät ist). Mein Verständnis von Kirche sowie das meiner Kirche von sich selbst ist ein historisches. Das gilt es sowohl intern wie extern zu verteidigen. Nur dann kann ich einerseits Handlungen historischer Personen kritisieren aber auch differenzieren, ich kann aber auch mit der von Dir so genannten „Verfassung“ nur dann im „aufgeklärten“ Sinne umgehen. Die Frage ist nicht einfach: Was steht da und wie kann ich es umsetzen, sondern: Was steht da, warum steht es da, welche Wirkung hatte es und wie verbindlich ist es heute. Nur „Zeitloses“ hat den Anspruch auf Verbindlichkeit (z.B., um ganz protestantisch zu sein, die paulinische Rechtferigungslehre), aber zeitimmanentes (z.B. die antijüdischen Aussagen des Johannes, in seiner Zeit harmlos und verständlich, aber mit einer verheerenden Wirkung in anderer Zeit) verlangt von mir keine Verbindlichkeit. Diese Entscheidungsprozesse, was ist verbindlich, was nicht, sind immer wieder neu vorzunehmen. Mein positives Verhältnis zu einer Institution rührt dann daher, daß ich solche Entscheidungsprozesse nur in einem Diskurs vollziehen kann, nicht für mich allein. Das macht natürlich nur Sinn, wenn ich die Grundentscheidung (den Glauben) teile - ich bin aber auch davon überzeugt, daß jeder, der nicht bereit ist, seine Werte und Entscheidungen in einen Diskurszusammenhang zu stellen, in Gefahr steht, rigoristisch zu werden. Insofern lehrt auch die Geschichte, daß die Bereitschaft zur Gemeinschaft (was ja nicht Kirche sein muß) eine wichtige Voraussetzung einer menschenwürdigen Welt ist, denn nur in der Gemeinschaft lerne ich mich selbst zu hinterfragen. Wir wissen aber beide, daß auch „Gemeinschaft“ ein gefährliches Konstrukt sein kann.

Ja, ein bisschen. Späte Erkenntnis ist auch Erkenntnis.
„Steigbügelhalter“ für die Nazis war er damit ebenso wie die
Konservativen, die die Republik und Demokratie der Weimarer
Republik bekämpft haben und dann doch von den Nazis
hingerichtet wurden. Lese dazu Kurt Sontheimers
„Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“. Auch
frage ich mich, wie das „einfache Volk“ denn denken und
handeln soll, wenn die Führungseliten so reden wie Dibelius
vor der Machtübernahme. Heidegger z.B. gehört auch in diese
Kategorie.

Deswegen ist auch derjenige, der über Bildung, Mittel und Macht verfügt, anders zu beurteilen, als der „einfache Mann“. Es war ja auch gerade das peußische, "kultur"protestantische Bürgertum, daß Hitler trotz des ursprünglich klar antipreußischen Impetus der bajuwarischen Nazi-Partei euphorisch begrüßt hat, was m.E. zu einem der verdrängtesten Kapitel dieser Zeit gehört.
In einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft hat die NSDAP allgemeine Plausibilität beanspruchen können - vor der Gleichschaltung. Es gab einen gesellschaftlichen Konsenz, in dem sich der Kirchenhasser und der Pfarrer, der kurz darauf auf Adolf Hitler taufte, trafen.
Wenn man hier aus der Geschichte lernen könnte, wäre mehr als alles gewonnen.

Grüße,
Taju

Guten Abend Taju,

schnelle Antwort: Ich höre hier mal auf, 1. weil mir wirklich die Zeit fehlt, 2. wir wohl langsam im Archiv verschwinden.
Also, nichts für ungut, vielleicht in einem anderen Thread mehr.

Bis dann, Stucki