Goethe: Faust

Hallo zusammen,

habe nun ach meinen Faust durchaus studiert,
mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor,
aber eines versteh ich nicht:

Faust ersticht Gretchens Bruder und flieht vom Tatort mit Mephisto in die Walburgisnacht. Kommt zurück und findet Gretchen im Knast, weil sie die Mutter vergiftet und ihr Kind ertränkt hat.

Hier stellt sich mir die Frage:

  • Wie lange war Faust denn mit Mephisto auf dem Blocksberg???
    9 Monate???
  • Wovon ist Gretchen schwanger geworden? Denn unser Held ging mit Mephisto weg und nicht mit Gretchen ins Bett.

Nennen wir das Ganze künstleriche Freiheit
oder hab ich mal wieder was nicht verstanden???

Gruß Stefan

Hi,

ich denke, Herrn Goethe war das nicht so wichtig. Fantastisch ist ja auch, dass aus dem alten Faust plötzlich ein junger wird. Warum sollte Gretchens Schwangerschaft also nicht kürzer als 9 monate dauern? Und über den Beischlaf selbst hat man möglicherweise deswegen nicht geschrieben, weil das erst seit dem 20. Jahrhundert erst so wahnsinnig interessant ist, dass man en Detail beschreiben muss, was eh jeder weiß. Dichterische Freiheit - klar. Zeitsprünge inklusive. Und Verschweigen von Selbstverständlichem (ohne Beischlaf keine Schwangerschaft).

Grüßle,

Susanne

Ich hab den Faust gerade nicht zur Hand, also mal so aus dem Gedächtnis heraus:

  • Zwei Vermutungen: Gretchen ist als „Kindsmörderin“ verurteilt. Also Abtreibung. Da ist zwar in der Kerkerszene von einem „Teich“ die Rede, aber vermutlich hat sie nicht das „fertige“ Kind ersäuft… Andere Beobachtung: Valentin weiß es schon, alle Freunde lästern bereits. Sie wird es kaum am nächsten Morgen selbst herumerzählt haben. Das heißt: Man konnte schon eine ganze Menge sehen von ihrem Schwangerschaftsbauch. Der Zeitsprung war also nicht in der Walpurgisnachtszene, sondern vor der Valentin-Szene.
  • Zur sexuellen Handlung: Die waren damals extrem prüde. Nicht nur die Gesellschaft. Auch die Zensurbehörden, die einen Geschlechtsakt auf der Bühne oder in der Druckfassung garantiert nicht geduldet hätten (Man beachte die Gedankenstriche in an den derberen Stellen der Walpurgisnacht). Aber: In dem Augenblick, in dem Faust Gretchen das Fläschchen mit dem Schlaftrunk/Gift für ihre Mutter gibt, wusste jeder Leser, was in der nächsten Nacht folgt. Und konnte sich die entsprechenden Szenen in der Phantasie ausmalen… Übrigens: Hast du mal versucht, in Fontanes „Effi Briest“ (drei bis vier Literaturgenerationen später) die Stelle zu finden, in der Effis Seitensprung stattfindet? Es steht nicht drin. Aber: An einer Stelle wird gesagt, dass Effi ihr Dienstmädchen wegschickt und mit dem Kerl unbeaufsichtigt allein ist. Das ist das Signal für den Leser - „ein Mann, eine Frau, allein“, das heißt sofort: das Mädel wird schwach und verliert seine Ehre…

Hier stellt sich mir die Frage:

  • Wie lange war Faust denn mit Mephisto auf dem Blocksberg???
    9 Monate???
  • Wovon ist Gretchen schwanger geworden? Denn unser Held ging
    mit Mephisto weg und nicht mit Gretchen ins Bett.

O, Stefan,
du scheinst die Szenen „Hexenküche, Straße, Abend. Ein kleines reinliches Zimmer“ bis „Kerker“ zu lesen, als ob sie jeweils einen Tag oder weniger lang gehen.

Dabei wird man doch wenigstens einen Monat annehmen müssen, der vergeht von der Anrede an Gretchen „Mein schönes Fräulein …“ bis zum Treffen in Marthes „Garten“.

„Wald und Höhle“ zeigt dann an, dass Faust keineswegs jeden Abend bei Gretchen auf dem Bänkchen saß und durchaus andere Sachen trieb. „Gretchens Stube“ zeigt, dass sie in dieser Zeit nichts anders tut, als an ihn zu denken.

In „Marthes Garten“ wird dann Faust examiniert, ob er als „braver Mann“ gelten kann, dem ein kleines, braves, armes Mädchen auch ihr Letztes anvertrauen kann.

In den nächsten Tagen geschah wohl das unvermeidliche. „Am Brunnen“ erfährt Gretchen, wie es einer anderen erging, die dasselbe erlebt hat.

In dieser Zeit hat Faust Gretchen beredet, der Mutter ein Schlafmittel zu verabreichen, um sich unbemerkt bei ihr einschleichen zu können. Dieses Schlafmittel führte durch die Boshaftigkeit des Mephistopheles zum Tod der Mutter.

In „Zwinger“ hat Gretchen inzwischen ihre neuen Zustand entdeckt und beginnt zu verzweifeln. Zur selben Zeit merkt auch Valentin, was los ist in „Nacht. Straße vor Gretchens Türe“.

Von „Marthes Garten“ bis „Nacht. Straße vor Gretchens Tür“ sind sicher etwa drei Monate vergangen.

In „Dom“ kann Gretchen ihre Schwangerschaft kaum noch verbergen.

Von da bis zur „Walpurgisnacht“ kann wieder eine gute Zeit vergangen sein, in der der das Kind gerboren und wohl auch getötet wurde. Diese Sequenz ist in Murnaus „Faust“-Film sehr anrührend dargestellt.
Gretchen dürfte schon angeklagt und verurteilt sein und auf ihre Hinrichtung warten, als Faust dies auf dem Blocksberg erfährt.
Was der in der Zwischenzeit gemacht hat, wird von Goethe nicht erwähnt.

Mephisto wird den Neugierigen in der Welt herumgeführt haben und Faust hat das Mädchen über die Wunder der Welt vergessen.

Fritz

Hi Fritz,
einfach nur danke.
Liebe Gruesse
Elke