Gott ist tot

Ich bin gerade in meinem letzten Schuljahr und wir haben letztens im Deutschunterricht über Nietzsche gesprochen und unser Deutschprofessor hat uns ein Zitat von Nietzsche diktiert:

„Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszu-leeren? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten?“

Jetzt wollte ich gerne die Meinung anderer Menschen zu diesem Zitat hören. Und wie denken die Leute im Allgemeinen auch über Nietzsche?? Ich finde ihn sehr faszinierend, hat mich doch auch schon Hegel, Feuerbach und Marx sehr angsprochen.

Mfg
Desdemona

Hallo, Desdemona,

da hast du einen Treffer gelandet und bist auf eine Goldader gestoßen!
Nur weiter mit der Lektüre. Du hast einige Augenöffner vor dir.

Menschliches Allzumenschliches, Morgenröte, Die Fröhliche Wissenschaft, aus der das Zitat (Aph. 125) stammt, Jenseits von Gut und Böse, Zur genealogie der Moral, um nur einige zu nennen.

Aber Vorsicht!

Vor dem Aphorismus 125, in dem der „tolle Mensch“ den Tod Gottes verkündet, steht:

_124

Im Horizont des Unendlichen - Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns - mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun Schifflein! Sieh dich vor! Neben dir liegt der Ozean: es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter lioegt er da wie Seide und Gold und Träumerei der Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, daß er unendlich ist und das es nichts Furchtbareres giebt als Unendlichkeit. Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wändes dieses Käfigs stößt! Wehe, wenn das Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr F r e i h e i t gewesen wäre, - und es giebt kein „Land“ mehr!_

Und:

Vorsicht: Gift
Wer hier nicht lachen kann, soll hier nicht lesen!
Denn, lacht er nicht, packt ihn „das böse Wesen“.

aus den „Sinnsprüchen“

Aber nur zu!

Fritz

Nietzsche
Hi!

Seinerzeit gab es in meinem Jahrgang zwei Schüler, die sich (so sagt man) nach - bzw. auf Grund dieser Lektüre das Leben nahmen. Haben sie ihn zu sehr oder zu falsch verstanden? Waren sie zu unreif, um Gedanken wie „Alles endet im bedeutungslosen Nichts“ kritisch zu hinterfragen?
Meiner Meinung nach ist Nietzsche der Fuchs mit den Trauben. Du kennst die Fabel?: Ein Fuchs, dem die leckeren Trauben zu hoch hängen, behauptet, dass er Trauben ohnehin nicht mag. Wahrscheinlich fußt Nietzsches gesamte Philosophie auf der Suche nach Rechtfertigungen für den eigenen Zustand der permanenten Freud-/Perspektivlosigkeit.

Gruß Tom

Hallo Desdemona,

„Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine
Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir
das Meer auszu-leeren? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen
Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von
ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin
bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht
fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen
Seiten?“

Jetzt wollte ich gerne die Meinung anderer Menschen zu diesem
Zitat hören.

Nietzsche sagt hiermit, dass die Zeit der festgefügten
himmlischen Ordnung, in der jedes Ding seinen festen
Platz hatte und in der jedem Menschen eine übersinnliche
Bedeutung zukam, zu Ende geht.

Er sagt korrekt voraus, dass der Platz, den das
transzendente Übersinnliche, „der Gott“, einmal
einnahm, nicht wieder ausgefüllt werden kann.
Auch nicht oder gerade nicht bei „Christen“,
Nietzsches „speziellem“ Thema.

Er sagt an anderer Stelle, dass diese Zerstörung
des Übersinnlichen im Christentum selbst verwurzelt
liegt. Das Christentum ist seiner Ansicht nach
die lebesfeindlichere Variante des jüdischen
Loyalitäts-Fanatismus gegenüber einem einzigen
wahren Gott. (Was er damals nicht wissen konnte
ist, das dieser Aspekt ein ägyptische „Erfindung“
ist und dem Judentum kaum originär zuzurechnen ist.)

Dieses innewohnende „Wahrheitsprinzip“ ist es
letztlich, das sich nach Nietzsches Ansicht
am Ende gegen die Religion selbst richtet
und sie zerstört. Gerade durch die
Aufrichtigen und Ernsten.

Er selbst beschreibt das im „Ecce Homo“:

Die Entdeckung der christlichen Moral ist ein Ereigniss, 
das nicht seines Gleichen hat, eine wirkliche Katastrophe. 
Wer über sie aufklärt, ist eine force majeure, ein Schicksal, 
— er bricht die Geschichte der Menschheit in zwei Stücke. 
Man lebt vor ihm, man lebt nach ihm … Der Blitz der Wahrheit 
traf gerade das, was bisher am Höchsten stand: 
wer begreift, was da vernichtet wurde, mag zusehn, ob
er überhaupt noch Etwas in den Händen hat. Alles, was bisher
„Wahrheit“ hiess, ist als die schädlichste, tückischste,
unterirdischste Form der Lüge erkannt; der heilige Vorwand, die
Menschheit zu „verbessern“ als die List, das Leben selbst
auszusaugen, blutarm zu machen. Moral als Vampyrismus …
Wer die Moral entdeckt, hat den Unwerth aller Werthe mit
entdeckt, an die man glaubt oder geglaubt hat; er sieht in den
verehrtesten, in den selbst heilig gesprochnen Typen des
Menschen nichts Ehrwürdiges mehr, er sieht die verhängnissvollste
Art von Missgeburten darin, verhängnissvoll, weil sie fascinirten
...

Und wie denken die Leute im Allgemeinen auch über
Nietzsche??

Wie „die Leute“ denken, willst Du wissen? Hehe!
Und über welchen Nietzsche? Ich identifiziere
mindestens 4 Denk-Phasen von Friedrich Nietzsche …

Ich finde ihn sehr faszinierend,

Für Nietzsche gilt imho eines der „Heideggerworte“, die
in ihrer Klarheit und Prägnanz die Augen öffnen sollten.
Einen Denker achtet man dadurch, dass man denkt“.
:wink:

hat mich doch
auch schon Hegel, Feuerbach und Marx sehr angsprochen.

Nietzsche ist imho sehr sehr schwierig zu lesen,
gerade weil die Ausdrucksstärke seiner Texte
beim Leser einen aha-Effekt auslösen kann, obwohl
nichts verstanden wurde. Sehr sehr schwierig.
Definitiv nichts für „Zwischendurch“ zum lesen
wie z.B. Feuerbach :wink:

Grüße

CMБ

Auch Hi

Wahrscheinlich fußt Nietzsches gesamte Philosophie auf der
Suche nach Rechtfertigungen für den eigenen Zustand der
permanenten Freud-/Perspektivlosigkeit.

Das ist ein bedenkenswerter, frag-würdiger Gedanke.

Allerdings ist es imho nicht Nietzsches „Philosophie“,
sondern seine „Psychologie“, die zu diesen Dis-
kussionen im Thread gehört.

An sich ist der Gedanke aber richtig, Nietzsche
selbst nimmt sich bisweilen die Zeit, fremde
„Philosophien“ auf die Magenverstimmungen ihrer
Urheber hin abzuklopfen.

Nun besteht die Möglichkeit, dass Nietzsche den
Kampf gegen seine Krankheit nicht immer gewann
und dass sich Spuren dessen im Werk identifizieren
lassen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass
Teile seiner Werke ab Herbst 1888 das erkennen
lassen.

Ich würde mich über Textstellen freuen, in denen
Du Nietzsches’
"Suche nach Rechtfertigungen für den eigenen
Zustand der permanenten Freud-/Perspektivlosigkeit
"
aus seinen Werken lesen konntest.

Grüße

CMБ

Ich würde mich über Textstellen freuen, in denen
Du Nietzsches’
"Suche nach Rechtfertigungen für den eigenen
Zustand der permanenten Freud-/Perspektivlosigkeit
"
aus seinen Werken lesen konntest.

Kann ich leider nicht, Semjon. Da muss ich passen. Sorry. Ich besitze zwar Nietzsches bis dato gesammelte Werke, habe aber nur sehr selten darin gelesen - um jedesmal festzustellen, dass ich seine Aussagen einfach nicht genügend interessant finde, um sie nachzuvollziehen bzw. überhaupt zu begreifen. So ist es auch nur ein dürftiges Halbwissen (wohl noch weniger als das), was mich zu dieser o. g. Vermutung bringt. Einige Schlagworte sind hängengeblieben wie „Geringschätzung der Weiblichkeit“ (Nietzsche hat die wahre Liebe und somit die Vorzüge der Weiblichkeit niemals kennengelernt und rechtfertigt diesen eigenen Mangel durch Herabsetzung des gesamten weiblichen Geschlechts. Einschlägige Texte hierzu dürften bekannt sein.)

Gruß Tom

Hallo Tom,

Seinerzeit gab es in meinem Jahrgang zwei Schüler, die sich
(so sagt man) nach - bzw. auf Grund dieser Lektüre das Leben
nahmen.

das sind so Legenden, die selten stimmen - jedenfalls glaube ich so etwas erst, wenn es in einem Abschiedsbrief steht.

Haben sie ihn zu sehr oder zu falsch verstanden? Waren
sie zu unreif, um Gedanken wie „Alles endet im bedeutungslosen
Nichts“ kritisch zu hinterfragen?

In der Tat, beide Fragen kann man bejahen. Man müsste noch hinzufügen, dass sie Nietzsche eigentlich gar nicht gelesen haben, denn seine Philosophie versteht sich eben gerade nicht als Nihilismus, sondern gerade als dessen Gegenteil: die Bejahung des Lebens ist bei ihm höchste Maxime! Man mag das werten, wie man will, aber so ist es jedenfalls gemeint. Es ist auch merkwürdig, dass niemand die Trauer bemerkt, die das „Gott ist tot“ hervorruft.

Wahrscheinlich fußt Nietzsches gesamte Philosophie auf der
Suche nach Rechtfertigungen für den eigenen Zustand der
permanenten Freud-/Perspektivlosigkeit.

Ganz im Gegenteil! Weder ist Nietzsche freudlos noch perspektivlos. Seine Kunsttheorie bietet sogar eine ästhetische Rechtfertigung der Welt - dazu gab es sogar gerade ein Symposium (vom 26.-29.09.2004):
http://www.nietzsche-gesellschaft.de/deutsch/anzterm… .

Zu Nietzsches Grundsätzen empfehle ich die Lektüre des Abschnittes 7 (7) im folgenden Text: http://thenietzschechannel.fws1.com/nachd7.htm . Und wenn man unbedingt mit Sekundärliteratur an Nietzsche herangehen will (was man aufgrund der regelmäßigen Missverständnisse meines Erachtens wirklich empfehlen sollte), dann ist es sinnvoll, die neuere Literatur zu Nietzsche zuerst zu lesen, damit man nicht durch die Fehler der Vergangenheit fehlgeleitet wird.

Aus dem Netz ist z. B. lesenswert:
http://www.wu-wien.ac.at/usr/h98b/h9852733/nietzsche… .

Die bei weitem beste Einführung in Buchform ist diese:
ISBN: 3406459986 Buch anschauen .

Herzliche Grüße

Thomas Miller

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Jetzt wollte ich gerne die Meinung anderer Menschen zu diesem
Zitat hören. Und wie denken die Leute im Allgemeinen auch über
Nietzsche?? Ich finde ihn sehr faszinierend, hat mich doch
auch schon Hegel, Feuerbach und Marx sehr angsprochen.

Nietzsche ist sehr faszinierend, aber er war nur ein Philosoph. Es gibt viele Schulen in der Philosophie, die sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Als junger Teenie habe ich einige von Nietzsche’s Werken gelesen, viel ist nicht hängengeblieben. Meine Weltanschauung hat sich dermaßen verändert, daß ich von Nietzsche zwar Denkanstöße bekommen habe aber nicht wirklich mit ihm übereinstimmen würde.

Das empfehle ich übrigens jedem, sich mit der Materie Nietzsches über Gott zu konfrontieren kann sehr lehrreich sein: echter Glauben wird davon allerdings nicht berührt, aber es zerstört viele unserer falschen Vorstellungen über das Göttliche.

Ich behaupte, kein Mensch kann beweisen, daß Gott nicht (mehr) existiert genauso wie kein Mensch beweisen kann, daß Er existiert.
Gott selbst kann dies jedoch beweisen, aber - wäre er Gott, wenn er sich dazu von uns zwingen ließe?
Wir können sehr wohl Nietzsche, die Naturwissenschaften und die moderne Technik heranziehen um zu beweisen, daß die damalig vorherrschende Vorstellung von Gott (ein materielles Wesen, das in den Wolken über der Erdenscheibe lebt) falsch waren. Aber mehr auch nicht.
Ich würde sogar behaupten, daß alles was uns hilft zu erkennen, daß wir falsche Vorstellungen haben, uns näher zu dem bringen können, was wirklich Gott ist.

Aber das ist nur meine Meinung.

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Hallo Thomas!

Ganz im Gegenteil! Weder ist Nietzsche freudlos noch
perspektivlos. Seine Kunsttheorie bietet sogar eine
ästhetische Rechtfertigung der Welt - dazu gab es sogar gerade
ein Symposium (vom 26.-29.09.2004):
http://www.nietzsche-gesellschaft.de/deutsch/anzterm… .

Da hat Heidegger wohl recht behalten, als er schrieb:
„Und doch hat die Auseinandersetzung mit Nietzsche noch nicht einmal begonnen.“
Bist du nicht auch Mitglied der Nietzsche-Gesellschaft?
*neugierigwieimmer*

@Semjon

Nun besteht die Möglichkeit, dass Nietzsche den
Kampf gegen seine Krankheit nicht immer gewann
und dass sich Spuren dessen im Werk identifizieren
lassen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass
Teile seiner Werke ab Herbst 1888 das erkennen
lassen.

Es wird vermutet, dass Nietzsche an einer Syphilisinfektion erkrankt war. Obwohl das seine Schwester immer vehement bestritten hat. Folglich wäre seine Krankheit eine pathologische, also kein „Größenwahnsinn“, sondern ganz natürlich. Was die ganzen Spekulationen in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lassen.
Wie sind da die neuesten Erkenntnisse?

Viele Grüße
Junktor

Hi Desdemona.

lese mal Feuerbach, lese Goethe, lese Schiller, lese Remarque, lese…

Denke selbst nach.

Alle - halbwegs intelligente - denkenden Menschen halten einen Gott (wie von den christlichen Religionen gewünscht) als eine nicht sehr realistische Vorstellung.

Anders ausgedrückt, Religion ist = etwas blöd.

Gruss Nickolas

Nietzsche ist sehr faszinierend, aber er war nur ein
Philosoph.

Nietzsche war ein denkender Mensch, was von einigen der katholischen Päderasten (Priester genannt) wohl nicht unbedingt zu behaupten ist. Nietzsche war auch kein Päderast.

Weil, an irgendwelche selbsterschaffende Götter glaubend wie Christlich/katholisch/evangelisch Denkend, ist wohl ein W-Spruch zur simplen Naturwissenschaftlichen Realität. Meine ich mal. Nun ja.

Gruss Nick

Hallo Junktor,

Da hat Heidegger wohl recht behalten, als er schrieb:
„Und doch hat die Auseinandersetzung mit Nietzsche noch nicht
einmal begonnen.“

ja, das denke ich auch, allerdings ist mir die eigentliche Nietzscheinterpretation bei Heidegger als Ganzes nicht so sympatisch wie dieser eine Satz.

Bist du nicht auch Mitglied der Nietzsche-Gesellschaft?

Nein.

*neugierigwieimmer*

Gut so.

Wie sind da die neuesten Erkenntnisse?

Es bleibt wohl umstritten:

Herzliche Grüße

Thomas