Hallo Desdemona,
„Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine
Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir
das Meer auszu-leeren? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen
Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von
ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin
bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht
fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen
Seiten?“
Jetzt wollte ich gerne die Meinung anderer Menschen zu diesem
Zitat hören.
Nietzsche sagt hiermit, dass die Zeit der festgefügten
himmlischen Ordnung, in der jedes Ding seinen festen
Platz hatte und in der jedem Menschen eine übersinnliche
Bedeutung zukam, zu Ende geht.
Er sagt korrekt voraus, dass der Platz, den das
transzendente Übersinnliche, „der Gott“, einmal
einnahm, nicht wieder ausgefüllt werden kann.
Auch nicht oder gerade nicht bei „Christen“,
Nietzsches „speziellem“ Thema.
Er sagt an anderer Stelle, dass diese Zerstörung
des Übersinnlichen im Christentum selbst verwurzelt
liegt. Das Christentum ist seiner Ansicht nach
die lebesfeindlichere Variante des jüdischen
Loyalitäts-Fanatismus gegenüber einem einzigen
wahren Gott. (Was er damals nicht wissen konnte
ist, das dieser Aspekt ein ägyptische „Erfindung“
ist und dem Judentum kaum originär zuzurechnen ist.)
Dieses innewohnende „Wahrheitsprinzip“ ist es
letztlich, das sich nach Nietzsches Ansicht
am Ende gegen die Religion selbst richtet
und sie zerstört. Gerade durch die
Aufrichtigen und Ernsten.
Er selbst beschreibt das im „Ecce Homo“:
Die Entdeckung der christlichen Moral ist ein Ereigniss,
das nicht seines Gleichen hat, eine wirkliche Katastrophe.
Wer über sie aufklärt, ist eine force majeure, ein Schicksal,
— er bricht die Geschichte der Menschheit in zwei Stücke.
Man lebt vor ihm, man lebt nach ihm … Der Blitz der Wahrheit
traf gerade das, was bisher am Höchsten stand:
wer begreift, was da vernichtet wurde, mag zusehn, ob
er überhaupt noch Etwas in den Händen hat. Alles, was bisher
„Wahrheit“ hiess, ist als die schädlichste, tückischste,
unterirdischste Form der Lüge erkannt; der heilige Vorwand, die
Menschheit zu „verbessern“ als die List, das Leben selbst
auszusaugen, blutarm zu machen. Moral als Vampyrismus …
Wer die Moral entdeckt, hat den Unwerth aller Werthe mit
entdeckt, an die man glaubt oder geglaubt hat; er sieht in den
verehrtesten, in den selbst heilig gesprochnen Typen des
Menschen nichts Ehrwürdiges mehr, er sieht die verhängnissvollste
Art von Missgeburten darin, verhängnissvoll, weil sie fascinirten
...
Und wie denken die Leute im Allgemeinen auch über
Nietzsche??
Wie „die Leute“ denken, willst Du wissen? Hehe!
Und über welchen Nietzsche? Ich identifiziere
mindestens 4 Denk-Phasen von Friedrich Nietzsche …
Ich finde ihn sehr faszinierend,
Für Nietzsche gilt imho eines der „Heideggerworte“, die
in ihrer Klarheit und Prägnanz die Augen öffnen sollten.
„Einen Denker achtet man dadurch, dass man denkt“.

hat mich doch
auch schon Hegel, Feuerbach und Marx sehr angsprochen.
Nietzsche ist imho sehr sehr schwierig zu lesen,
gerade weil die Ausdrucksstärke seiner Texte
beim Leser einen aha-Effekt auslösen kann, obwohl
nichts verstanden wurde. Sehr sehr schwierig.
Definitiv nichts für „Zwischendurch“ zum lesen
wie z.B. Feuerbach 
Grüße
CMБ