(GPS-)Vemessungen nach Verschiebung der Kontinente

Moin,
da sich durch das Erdbeben vor Chile der Kontinent verschoben hat (http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,6825…) bin ich ein wenig stutzig/nachdenklich geworden.
Die Kontinente verschieben sich ja ohnehin um ein paar Zentimeter pro Jahr. Wie wird das dann z.B. bei Messungen per GPS ausgeglichen. Die Verschiebung ist ja wohl auch nicht parallel. Die Kontinente werden sich auch zueinander „verdrehen“. Wird das alles über den Almanach erledigt? Und was ist mit dem lokalen Kataster in Chile? Einige Ortschaften haben sich um mehr als 3 Meter verschoben. Sich nun alle Koordinaten die jemals aufgenommen wurden für die Mülltonne?

Vielen Dank für die Beantwortung,
Paul

Moin,

was ist mit dem lokalen Kataster in Chile? Einige Ortschaften
haben sich um mehr als 3 Meter verschoben. Sich nun alle
Koordinaten die jemals aufgenommen wurden für die Mülltonne?

Weil die Welt eben sich ändert, wird’s auch weiterhin Arbeit für Kartographen geben. Flüsse sind ja auch keine unveränderlichen Objekte, und da gibt’s noch vieles anderes, was das Gesicht der Welt ändert, da braucht’s gar keine Erdbeben :smile:

Gruß,
Ingo

Hallo,

vorab ein engl.Beitrag mit Bild
http://www.sciencedaily.com/releases/2010/03/1003081…

Die Frage beschäftigt mich auch. Was ich beitragen kann sind ein paar Anmerkungen:

Also bei drei Meter Differenz fangen keine Kartographen an zu arbeiten, die erkennen höchstens 30 Meter &gt:wink:

Zentimetergenaue Vermessungen - von Geodäten - werden nicht allein an die GPS-Satelliten angeschlossen. Es sind Relativmessungen zwischen Empfänger, Satelliten und Referenzstationen. Diese Referenzstationen geben Korrekturwerte an den Empfänger, um diesen in ein nationales Koordinatensystem einzupassen.

In Deutschland sind das z.B. SAPOS-Stationen, in Osteuropa EUPOS-Stationen - uvam.
In Südamerika vrmtl. SIRGAS.

http://www.dgfi.badw.de/index.php?id=70
http://www.sirgas.org/index.php?id=15&L=2
(Die chilenische SIRGAS-Seite ist wohl nicht verfügbar)

Die Referenzstationen sind an den Platten „festgemacht“ und bewegen sich mit diesen. Bewegt sich die Platte kontinuierlich, bleiben alle Punkte auf dieser relativ zueinander unverändert.

Was passiert, wenn die Platte bricht, gestreckt oder gestaucht wird … ?
Ich vermute, bis zu bestimmten Toleranzwerten kann man die Verwerfungen mit veränderten Korrekturdaten ausgleichen. Tja, bei Klaffungen …

Im Moment haben die Chilenen sicher andere Sorgen. Nach Lebensrettung, Erstversorgung, Infrastrukturwiederaufbau kommt vieles andere - dann das Kataster.
Und im Kataster gilt und hilft das „Prinzip der Nachbarschaft“.

http://www.gpsworld.com/government/emergency-respons…

„We take this opportunity to express our solidarity with our Chilean friends and their families.
Our best wishes are with them.“

P.S. Die Höhen ! Was wird aus dem Höhenfestpunktfeld ? Das weiß ich auch nicht.

Grüße Roland

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Danke Euch für die Antworten.
Allerdings hab ich nix von Kartographen erzählt. Für mich ist das Kataster (zumindest in Deutschland) z.B. für Grenzpunkte auf 2cm genau. Bitte nicht über die genaue Zahl streiten!

Als Beispiel: wenn sich in Europa durch ein solches Erdbeben z.B. Deutschland verschieben würde, müssten dann alle Koordinaten im Kataster angepasst werden (mit Bezug auf Greenwich/0°)?

Paul

Hallo Paul,

… diese Gedankenspiele …

Nein.

Wenn ganz D geschüttelt würde, würde nichts passieren. Die 260 deuschen Referenzstationen würden weiterhin den Bezug bilden. Deren Koordinaten wurden 1989 im europäischen ETRS-System festgehalten und sind unabhängig vom globalen Bezug.

http://www.etrs.nrw.de/images/downloads/Faltblatt_ET… (5MB) NRW

Wenn dagegen der Rheingraben oder der Hohenzollerngraben aufbräche …

Man beachte: schon jetzt driften wir fröhlich und unbekümmert gen Nordosten. Dabei entfernen wir uns vom Nullmeridian knapp 2 Zentimeter pro Jahr.

… „der Nullmeridian von Greenwich“.
Soll ich Dir mal verraten, wo der durchläuft ?
Schau Dir mal den Papierkorb an der Wegekreuzung 100 Meter östlich des ehemaligen Observatoriums g e n a u an …

http://maps.google.com/maps?f=q&source=s_q&hl=de&geo…

Grüße Roland

… diese Gedankenspiele …

Stimmt schon.

Also bewegt sich ganz Europa (innerhalb dessen die Koordinaten im ETRS89 stimmen). Aber sind die Koordinaten die die Vermesser vor 50 Jahren aufgenommen haben heute um 1dm verfälscht? Oder werden bei der Umstellung Transformationen gerechnet?

Paul

Hallo,

ahh : ein Opfer :smile:
Dann hole ich mal kurz zum Rundumschlag aus…

Ptolemäus kannte schon astronomische Ortsbestimmungen.
Wegener waren mehrere Ortsbestimmungen bekannt, die auf eine Lageveränderung z.B. von Grönland deuteten. Globale Bestimmungen waren also schon bekannt, aber irgendwo im Mehrere-Meter-Bereich.

Astronomische Länge und Breite konnte noch nicht in ein globales Referenzsystem überführt werden. Das gelang erst mit der Beobachtung von Satelliten. Und auch damit lassen sich letztlich mehrere definieren:

WGS84, GRS80, PZ90, ( Galileo-Terrestrial Reference System, vielleeeiiicht?)

Für die Landes- oder Katastervermessung war für die Orientierung der eigenen Gebiete nur ein „grober“ globaler Bezug nötig - und möglich.
Dieser wurde durch die Länge und Breite eines Observatoriums (Rauenberg) realisiert und von dort wurden Trigonometrische Punkte mit lokalen Koordinaten bestimmt. Auch Gauß-Krüger-Koordinaten, die auf Rauenberg bezogen sind, sind letztlich lokal.
Die Österreicher bezogen ihre z.B. auf den Hermannskogel usw.

Koordinatenänderungen gab es ungefähr jede Vermesser-Generation; sei es durch Systemwechsel Soldner-Gauß-Krüger-UTM oder durch Netzerneuerungen (Neubeobachtungen) z.B. Netz77. Über Transformationsansätze wird der Übergang stets eineindeutig (hin und rück) gewährleistet.

Heute gibt es „Auswüchse“ an Patchwork-Transformationen, die die Transformationsgebiete in Teilgebiete bis hin zu Rasterdaten unterteilen und polynomiale Ansätze haben, so dass jede Kataster-Koordinate mit -naja- Zentimetergenauigkeit hin- und hertransformiert werden kann.

http://www.conterra.de/de/service/news/VDV_492_496_V…

Es können Koordinaten transformiert werden, die 50 Jahre alt sind, sogar welche die 150 Jahre alt sind. Nur ist dann die Identität der Passpunkte unsicher und kann schonmal einen Dezimeter-Fehler (?) verursachen.

Du meinst mit der Transformation vielleicht das, was die Experten unter „Diagnoseausgleich“ *hüstel* verstehen. Man kann das alte Netz der trigonometrischen Punkte mit heutigen hochgenauen Punkten im ETRS vergleichen.

http://uvka.ubka.uni-karlsruhe.de/shop/download/1000…
114 Seiten, nimm die ersten 20.
Edit:
der Link ist korrekt und wird auch von Google unter „DHDN Ausgleichungsrechnung“ angezeigt - er funktioniert ab und zu nicht :frowning:

Für Einzelfragen auch gut
http://www.etrs.nrw.de/etrs.html
(FAQs NRW)

Grüße Roland

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Wow! Tolle, ausführliche und für mich ausreichende Antwort. Vielen Dank!