Hallo!
Bevor es die Möglichkeit der Insolvenz für gewöhnliche Menschen gab, wurde lebenslanges Elend mit dem
Das-hätte-man-sich-früher-überlegen-Argument produziert.
Ich behaupte, dass die Meisten, die PI beantragen auch später am Existenzminimum nagen.
Ob die Behauptung zutrifft oder nicht, sei dahingestellt, weil sie am Kern des Problems vorbei geht.
Als juristische Personen geführte Unternehmen konnten schon immer Insolvenz anmelden. Das war auch schon immer vernünftig, denn ein wirtschaftlich untragbares Gebilde muss man irgendwie zum Ende bringen können. Es ist aber nicht einzusehen, dass ein Weg, der für juristische Personen logisch und vernünftig erscheint, für natürliche Personen nicht gelten soll. Das war denn auch das stärkste Argument für die Neufassung des Insolvenzrechts.
Wenn jemand Tageszinsen von 100 DM zu zahlen hatte, aber nur 50 DM verdiente, stiegen die Schulden schneller, als sie abgetragen werden konnten. Solche Menschen wurden mitsamt ihren Familien dauerhaft „platt gemacht“. Natürlich gibt es Zeitgenossen, die aus dem Bauch heraus „recht so“ sagten, denen es dabei aber völlig abging, welcher Schaden angerichtet wurde. Das war menschlicher Schaden – so etwas kann nicht Sinn und Zweck einer Gesellschaft sein – und es war volkswirtschaftlicher Schaden. Jeder Betroffene wurde nämlich praktisch lebenslänglich chancenlos und zur wirtschaftlichen Belastung für das Gemeinwesen. Welchen Sinn sollte das haben? Weil jemand weshalb auch immer in die Überschuldung geriet, sollte der Rest des Lebens gelaufen sein? Befürworter solcher Vorgehensweise sollten ihre Wertvorstellungen dringend updaten.
Die Abschreckung hatte schon Wirkung.
Das war das unentwegt wiederholte Argument der Verfechter lebenslänglicher Verfolgung und geht nach wie vor am Sachverhalt vorbei. Da hatte jemand Fehler in seinem Geschäftskonzept gemacht oder konnte Geld von faulen Zahlern nicht eintreiben oder hatte ein Haus gekauft und ist ernsthaft krank oder arbeitslos geworden oder die Ehe ging in die Brüche – was soll denn dabei das Gerede von Abschreckung!? Das Gerede von Abschreckung wird auch nicht sachgerechter, weil es Leute gibt, die sich mit Kinkerlitzchen und Klimbim der Unterhaltungselektronik überschulden. Man kann immer die Beispiele einiger Hohlköpfe verallgemeinern, um vernünftige Regelungen zu blockieren oder anzugreifen.
Heute beantragen über 100.000 Personen pro Jahr die PI. Tendenz steigend.
Wir sind ein Volk von 80 Millionen Menschen, davon sind 60 Millionen volljährig, könnten also insolvent werden. 100.000 von 60 Millionen sind 0,16 % der Bevölkerung. Eine Privatinsolvenz dauert einschl. Wohlverhaltensphase etwas mehr als 6 Jahre. Damit befinden sich rund 1% der insolvenzfähigen Bevölkerung in einem Insolvenzverfahren. Diese niedrige Quote ist angesichts einer weit höheren Zahl überschuldeter Menschen erstaunlich und es lohnt sich, über die Gründe nachzudenken, denn wir können als Gemeinwesen kein Interesse an massenhaft überschuldeten Menschen haben. Wir brauchen freie Köpfe, arbeitende Menschen, keine demotivierten und unentwegt von Gerichtsvollziehern verfolgten Leute.
Wenn man zu den Ursachen für die niedrige Zahl privater Insolvenzen recherchiert, kommt tatsächlich Abschreckung ins Spiel. Das Insolvenzverfahren für Privatleute mit weniger als 20 Gläubigern ist nämlich abschreckend langwierig. Wenn nichts mehr zu holen ist, die wirtschaftliche Existenz praktisch tot ist, werden nur noch vermeidbare Kosten und vermeidbarer Aufwand verursacht, wenn man auf dem toten Pferd noch 6 Jahre reiten will. Einige Nachbarn in Europa handeln längst klüger, indem sie Privatinsolvenzen viel schneller erledigen, statt rückwärtsgewandt ewig darauf herum zu kauen, ohne dass es irgend jemandem nützt.
Schließlich noch dies: Heute geliefert – erst in 3 Monaten zahlen … Superschnäppchen, 0 % Zinsen, 48 Monatsraten … Urlaub auf Kredit – Finanzierungsangebot anbei … bei solchen Angeboten des Handels ist es kein Wunder, dass sich manche Menschen zum Kauf verleiten lassen, obwohl sie besser die Finger davon ließen. Natürlich ist jeder Erwachsene für sein Tun selbst verantwortlich, aber dann ist es gewiss nicht zu viel verlangt, wenn auch der Handel für sein Tun selbst verantwortlich zu sein hat. Wenn der Handel aggressiv mit Ratenangeboten wirbt, soll er gefälligst das damit verbundene Risiko tragen und wenn er das nicht möchte, soll er Cash verlangen.
Gruß
Wolfgang