hallo vastitas,
sorry, mein Text ist lang und recht unstrukturiert geworden, weil die Thematik komplex ist, und ich beileibe kein Luhmannianer bin.
ist das denn jetzt luhmanns formulierung oder eine
interpretation von giancarlo corsi? giancarlo steht jedenfalls
unter diesem text im GLU.
keine Ahnung; ich habe die „Soziologie der Moral“ von Luhmann nicht gelesen und auch nicht zur Hand;
Dein Zitat ist zu kurz, um es zuordnen zu können; z.B. hätte ich es, hätte ich die Quelle nicht gekannt, formal eher dem Luhmann ab 1982, also nach seiner autopoietischen Wende, zugeordnet.
Andererseits habe ich mich ohnehin dummerweise dazu hinreißen lassen, der Anschaulichkeit halber im Zusammenhang von Luhmann von einem „System der Moral“ zu sprechen, was zumindest der Luhmann nach 1982 dezidiert ablehnt (nicht aber etwa ein Religionssystem mit dem Code transzendent/immanent); er hält moralische Kommunikation per se für umweltliche, nicht systemische Kommunikation.
Von daher kann ich zur Herkunft und Einordnung Deines Zitats wenig sagen.
Es passt jedenfalls auch nicht zum Luhmann der 60er Jahre, als dieser noch so sehr Parsonianer war, dass man in dem Sinne, den Oranier hier vorgebracht hat, das eine „gut“ als „dysfunktional“ übersetzen müsste, nämlich als „gut“ für das Funktionieren der gesellschaftlichen Gemeinschaft, also für die Integration der Gesellschaft…
das verstehe ich noch nicht:
Da nach den Axiomen der Formanalyse bei Spencer Brown die
Unterscheidung eine Einheit bildet mit den beiden
unterschiedenen Seiten, und das Moralsystem die Unterscheidung
gut/böse auf der Ebene erster Ordnung als „gut“ beobachtet,
gilt dies dann eben auch für die beiden Seiten der
Unterscheidung, für „gut“ und für „böse“.
warum betrachtet das System Moral die Unterscheidung gut/böse
auf der 1. Beobachtungsebene als „gut“? Was ist damit gemeint?
beobachtet sozusagen das System aus einer höheren Ebene heraus
die eigene Unterscheidung von gut und böse und nennt dies dann
„gut“? dann könnte diese Unterscheidung doch genauso „böse“
sein.
Das was Du richtigerweise ansprichst, wäre die Differenz zwischen Beobachtung 1. und Beobachtung 2. Ordnung;
so etwas kann das Moralsystem (ich bleibe der Anschaulichkeit halber bei diesem Ausdruck) nicht leisten, weil seine Leitdifferenz, damit die „Grenzen des Systems“ gut/böse ist;
das heißt, dass ein einzelnes moralisches Programm (Standpunkt) sehr wohl die konkrete Unterscheidung von gut und böse, die ein anderes moralisches Programm vornimmt, durchaus für böse halten kann, nicht aber die Differenz gut/böse als solche (denn wenn es etwas für böse hält, dann „denkt“ es ja bereits nach dem binären Code gut/böse).
Lediglich ein externes System der Gesellschaft wie das politische System könnte gut/böse auf der Ordnung 2. Beobachtung beobachten, es aber dann nicht für böse halten, sondern für „machtlos“ (gemäß dem Code der Politik überlegene/unterlegene Macht bzw. Amtsinhabe/Amtslosigkeit).
Ich habe die Beobachtung 0. Ordnung direkt Spencer Browns Laws of Form entnommen (bekanntlich ja auch Luhmanns „Logik“; Luhmann unterscheidet meines Wissens nicht zwischen 0. und 1. Ordnung), was aber in unserem Zusammenhang auch gar nicht wichtig ist.
warum betrachtet das System Moral die Unterscheidung gut/böse
auf der 1. Beobachtungsebene als „gut“? Was ist damit gemeint?
beobachtet sozusagen das System aus einer höheren Ebene heraus
die eigene Unterscheidung von gut und böse und nennt dies dann
„gut“?
Das Moralsystem (wie jedes andere System auch) kann sich nicht von „höheren Ebenen“ aus betrachten, weil es immer nur nach gut/böse beobachten kann.
Es hält nicht die Leitdifferenz gut/böse für „gut“, sondern die Differenziertheit zwischen Gut und Böse selbst für „gut“, also die Tatsache, dass nicht Gut und Böse gleichgültig sind;
wie dies in den einzelnen Programmen des Moralsystems dann gehandhabt wird, ist wieder variabel: als Offenbarung, d.h. göttliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse, als Naturrecht, als gesellschaftlicher Konsens, etc.
Nur zur Verdeutlichung: das von mir eben Gesagte ist bloß ein Als-Ob die Moral ein autopoietisches System wäre; meines Wissens haben andere Theoretiker der Luhmannschen Systemtheorie dies propagiert, Luhmann selbst aber nicht.
ich verwende das wort „gemeinplatz“ nicht und möchte im Sinne
der Kommunikationsbegünstigung doch ganz gerne verstehen, was
du damit meinst 
Naja, ich habe dafür kein besseres Wort gefunden; ich denke, dass man die Einheit der Poststrukturalismen in der gemeinsamen Ablehnung des mythe d’origine bzw. des mythe d’fondation sehen kann, damit also in der Haltung, dass das Differente immer einer Differenzierung entspringt, also ein Primat der Differenz über das Differente besteht (Althusser z.B. spricht vom Primat des Klassenkampfes über die Klassen).
Wenn man bedenkt, dass die Metapher des Ortes bzw. Platzes (lieu) im Poststrukturalismus große Bedeutung hat („Primat des Ortes über den Ortsinhaber“ in Deleuze, „Was ist Strukturalismus?“) dann findet mein unbedachtes Wort vom „Gemeinplatz“ nachträglich seinen Sinn 
Viele Grüße
franz