Gut und Böse

Hallo,

mir geht gerade ein Satz durch den Kopf, der die paradoxe Struktur der Auffassung zeigen soll, die Unterscheidung von Gut und Böse íst gut:

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht existieren würde.“ (aus: Soziologie der Moral 1978, erschienen im GLU S.120)

Ich prüfe gerade die Richtigkeit dieser Aussage, traue mir aber noch kein endgültiges Urteil zu. Was meint ihr dazu?

schöne grüße
vastitas

gut und böse, gut und schlecht, richtig und falsch

Hallo,

mir geht gerade ein Satz durch den Kopf, der die paradoxe
Struktur der Auffassung zeigen soll, die Unterscheidung von
Gut und Böse íst gut:

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist
das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht
existieren würde.“ (aus: Soziologie der Moral 1978, erschienen
im GLU S.120)

Ich prüfe gerade die Richtigkeit dieser Aussage, traue mir
aber noch kein endgültiges Urteil zu. Was meint ihr dazu?

Hallo,
hier geht es keineswegs um eine paradoxe Struktur, sondern um zwei unterschiedliche Kategoriensysteme.
Es geht hier einmal um das Gegensatzpaar „gut“ und „böse“ als moralische Kategorien únd zum ganz anderen um das Gegensatzpaar „gut“ und „schlecht“ im Sinne von „richtig“ und „falsch“ als logische Kategorien.
Dem merkwürdigen Satz oben liegt eine unangemessene Vermischung dieser Kategorien zugrunde, indem mit der Mehrdeutigkeit des Wortes „gut“ gespielt wird bzw. diese missachtet wird.
Man kann die Probe leicht mit Hilfe des jeweiligen Gegenteils machen. So ist es durchaus sinnvoll, zu sagen: „Das Essen ist gut.“, aber kaum sinnvoll: „Das Essen ist böse.“ (Hier zusätzlich noch „gut“ und „schlecht“ als ästhetische Wertungs-Kategorien.)
Oder würde der Autor des intelligenten Satzes womöglich behaupten wollen, es sei (moralisch) böse und verwerflich, (die Begriffe) gut und böse nicht zu unterscheiden?

Grüße
oranier

Das hast Du sehr gut erkannt. Innerhalb eines moralischen Systems, ist es wahrscheinlich sehr wichtig, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Denn ohne das würde man den Maßstab menschlichen Zusammenlebens verlieren.

Aber als kosmisches Problem gesehen, würde es sich als unanwendbar erweisen.

Beispiel: Im Fall einer Naturkatastrophe mit vielen Toten würden die Menschen das nach ihrem moralischen Empfinden, als schlecht oder böse bewerten.

Vom Standpunkt der Natur wäre es aber völlig neutral. Auf Gott bezogen, den man ja für alles verantwortlich macht, hieße es sogar logischerweise: Gott ist böse :smile:

Es ist eben eine Zwickmühle.

gruß
rolf

Hallo vastitas

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist
das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht
existieren würde.“ (aus: Soziologie der Moral 1978, erschienen
im GLU S.120)

wenn ich das richtig verstehe, dann meinst Du den Aufsatz Niklas Luhmanns von 1978.

Der Witz bei Luhmanns Vorgehen ist es, maximal grundlagenlos vorzugehen, ein System, hier das Moralsystem, nicht als etwas zu konzipieren, welches auf der Grundlage einer bereits bestehenden Immer-schon-Unterschiedenheit (z.B. Offenbarung) operieren würde, sondern als ein System, welches radikal selbstreferentiell operiert, damit aber alle Unterscheidungen selbst trifft.

Bei der Frage, was den Anfang solcher Systeme bedingt hätte, greift Luhmann zu Fundierungsparadoxien, durch die das System von der 0. auf die 1. Ebene der Unterscheidung/Beobachtung gelangt.

Nach Luhmann bzw. nach Spencer Brown besteht der eigentlich schöpferische Akt nicht in einer der beiden unterschiedenen Seiten, sondern in der Unterscheidung, hier: gut/böse.

Da diese Unterscheidung die Leitunterscheidung des Moralsystems ist, ist sie gut (weil die Moral also solche sich selbst als Gutes-schaffend beobachtet; Beobachtung erster Ordnung; genauso wie etwa das Wirtschaftssystem nach zahlen/nicht-zahlen beobachtet, damit aber auf der Ebene der Beobachtung erster Ebene sich als eine Operationsweise betrachtet, welche Zahlungen hervorbringt);

Luhmann nennt meiner Erinnerung nach die eine Seite der Unterscheidung den „Präferenzwert“ (ich bin mir aber über den Begriff nicht ganz sicher), also den Wert, der zwar ohne den anderen nicht beobachtet werden kann, welcher aber in den „Programmen“ (Luhmanns terminus technicus etwa für Abhandlungen, Reden, etc.) der angestrebte Wert ist. Das ist beim Moralsystem das „Gute“.

Da nach den Axiomen der Formanalyse bei Spencer Brown die Unterscheidung eine Einheit bildet mit den beiden unterschiedenen Seiten, und das Moralsystem die Unterscheidung gut/böse auf der Ebene erster Ordnung als „gut“ beobachtet, gilt dies dann eben auch für die beiden Seiten der Unterscheidung, für „gut“ und für „böse“.

Übrigens, um nochmal darauf zurückzukommen:

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist
das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht
existieren würde.“ (aus: Soziologie der Moral 1978, erschienen
im GLU S.120)

im sog. „Poststrukturalismus“, dessen Tradition ja auch Luhmann sich zurechnet, ist es beinahe schon ein Gemeinplatz, „das Gesetz als die Mutter des Verbrechens“ (Lacan) zu verstehen, also die Unterscheidung gut/böse als das Konstitutivum des Guten wie des Bösen.

Viele Grüße
franz

Hallo,

genau! mir fiel auch auf, dass er mit dem wort „gut“ zwei unterschiedliche wertungen vornimmt. korrekter (oder eindeutiger) wäre die wortwahl „notwendig“, also: „…, dann ist das Böse notwendig, weil es ohne…“ und das würde die Notwendigkeit der Aussage vernichten, was das Paradoxon auflöst.

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht existieren würde.“

grüße
vastitas

Gut und Böse
hallo franz,

eins ist klar… es ist gut((!), noch einmal von einem soziologen die hintergründe dieser formulierung im GLU erklärt zu bekommen :wink:
ist das denn jetzt luhmanns formulierung oder eine interpretation von giancarlo corsi? giancarlo steht jedenfalls unter diesem text im GLU.

das verstehe ich noch nicht:

Da nach den Axiomen der Formanalyse bei Spencer Brown die
Unterscheidung eine Einheit bildet mit den beiden
unterschiedenen Seiten, und das Moralsystem die Unterscheidung
gut/böse auf der Ebene erster Ordnung als „gut“ beobachtet,
gilt dies dann eben auch für die beiden Seiten der
Unterscheidung, für „gut“ und für „böse“.

warum betrachtet das System Moral die Unterscheidung gut/böse auf der 1. Beobachtungsebene als „gut“? Was ist damit gemeint? beobachtet sozusagen das System aus einer höheren Ebene heraus die eigene Unterscheidung von gut und böse und nennt dies dann „gut“? dann könnte diese Unterscheidung doch genauso „böse“ sein.

und noch was:

im sog. „Poststrukturalismus“, dessen Tradition ja auch
Luhmann sich zurechnet, ist es beinahe schon ein Gemeinplatz,
„das Gesetz als die Mutter des Verbrechens“ (Lacan) zu
verstehen, also die Unterscheidung gut/böse als das
Konstitutivum des Guten wie des Bösen.

ich verwende das wort „gemeinplatz“ nicht und möchte im Sinne der Kommunikationsbegünstigung doch ganz gerne verstehen, was du damit meinst :wink:

bis dann
vastitas

Vom Standpunkt der Natur wäre es aber völlig neutral. Auf Gott
bezogen, den man ja für alles verantwortlich macht, hieße es
sogar logischerweise: Gott ist böse :smile:

das ist aber doch keine logische Schlussfolgerung. Selbst wenn Gott für Naturkatastrophen verantwortlich wäre, hieße es noch lange nicht, Gott ist böse. vielleicht tut er uns mit diesen katastrophen ja etwas gutes und wir sehen es nur noch nicht… es gibt genug beispiele dafür in der vergangenheit.

Wir sind hier ja schon ziemlich am Rande der Philosophie und unser Theodizee-Problem hat vielleicht eher ein Platz im Religionsforum.

die unterscheidung gut/böse ist stark abhängig vom betrachter. das „böse“ wasser, was uns bei mangelder schwimmtechnik das leben kosten würde, ist überlebenswichtig für die fische, also „gut“. dinge können gleichzeitig gut und böse sein… abhängig vom betrachter. hmmm das macht es aber nicht leichter damit umzugehen und eine entscheidung zu treffen, ob das zitat verifizierbar ist.

grüße
vastitas

hallo vastitas,

sorry, mein Text ist lang und recht unstrukturiert geworden, weil die Thematik komplex ist, und ich beileibe kein Luhmannianer bin.

ist das denn jetzt luhmanns formulierung oder eine
interpretation von giancarlo corsi? giancarlo steht jedenfalls
unter diesem text im GLU.

keine Ahnung; ich habe die „Soziologie der Moral“ von Luhmann nicht gelesen und auch nicht zur Hand;

Dein Zitat ist zu kurz, um es zuordnen zu können; z.B. hätte ich es, hätte ich die Quelle nicht gekannt, formal eher dem Luhmann ab 1982, also nach seiner autopoietischen Wende, zugeordnet.

Andererseits habe ich mich ohnehin dummerweise dazu hinreißen lassen, der Anschaulichkeit halber im Zusammenhang von Luhmann von einem „System der Moral“ zu sprechen, was zumindest der Luhmann nach 1982 dezidiert ablehnt (nicht aber etwa ein Religionssystem mit dem Code transzendent/immanent); er hält moralische Kommunikation per se für umweltliche, nicht systemische Kommunikation.

Von daher kann ich zur Herkunft und Einordnung Deines Zitats wenig sagen.

Es passt jedenfalls auch nicht zum Luhmann der 60er Jahre, als dieser noch so sehr Parsonianer war, dass man in dem Sinne, den Oranier hier vorgebracht hat, das eine „gut“ als „dysfunktional“ übersetzen müsste, nämlich als „gut“ für das Funktionieren der gesellschaftlichen Gemeinschaft, also für die Integration der Gesellschaft…

das verstehe ich noch nicht:

Da nach den Axiomen der Formanalyse bei Spencer Brown die
Unterscheidung eine Einheit bildet mit den beiden
unterschiedenen Seiten, und das Moralsystem die Unterscheidung
gut/böse auf der Ebene erster Ordnung als „gut“ beobachtet,
gilt dies dann eben auch für die beiden Seiten der
Unterscheidung, für „gut“ und für „böse“.

warum betrachtet das System Moral die Unterscheidung gut/böse
auf der 1. Beobachtungsebene als „gut“? Was ist damit gemeint?
beobachtet sozusagen das System aus einer höheren Ebene heraus
die eigene Unterscheidung von gut und böse und nennt dies dann
„gut“? dann könnte diese Unterscheidung doch genauso „böse“
sein.

Das was Du richtigerweise ansprichst, wäre die Differenz zwischen Beobachtung 1. und Beobachtung 2. Ordnung;

so etwas kann das Moralsystem (ich bleibe der Anschaulichkeit halber bei diesem Ausdruck) nicht leisten, weil seine Leitdifferenz, damit die „Grenzen des Systems“ gut/böse ist;

das heißt, dass ein einzelnes moralisches Programm (Standpunkt) sehr wohl die konkrete Unterscheidung von gut und böse, die ein anderes moralisches Programm vornimmt, durchaus für böse halten kann, nicht aber die Differenz gut/böse als solche (denn wenn es etwas für böse hält, dann „denkt“ es ja bereits nach dem binären Code gut/böse).

Lediglich ein externes System der Gesellschaft wie das politische System könnte gut/böse auf der Ordnung 2. Beobachtung beobachten, es aber dann nicht für böse halten, sondern für „machtlos“ (gemäß dem Code der Politik überlegene/unterlegene Macht bzw. Amtsinhabe/Amtslosigkeit).

Ich habe die Beobachtung 0. Ordnung direkt Spencer Browns Laws of Form entnommen (bekanntlich ja auch Luhmanns „Logik“; Luhmann unterscheidet meines Wissens nicht zwischen 0. und 1. Ordnung), was aber in unserem Zusammenhang auch gar nicht wichtig ist.

warum betrachtet das System Moral die Unterscheidung gut/böse
auf der 1. Beobachtungsebene als „gut“? Was ist damit gemeint?
beobachtet sozusagen das System aus einer höheren Ebene heraus
die eigene Unterscheidung von gut und böse und nennt dies dann
„gut“?

Das Moralsystem (wie jedes andere System auch) kann sich nicht von „höheren Ebenen“ aus betrachten, weil es immer nur nach gut/böse beobachten kann.
Es hält nicht die Leitdifferenz gut/böse für „gut“, sondern die Differenziertheit zwischen Gut und Böse selbst für „gut“, also die Tatsache, dass nicht Gut und Böse gleichgültig sind;
wie dies in den einzelnen Programmen des Moralsystems dann gehandhabt wird, ist wieder variabel: als Offenbarung, d.h. göttliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse, als Naturrecht, als gesellschaftlicher Konsens, etc.

Nur zur Verdeutlichung: das von mir eben Gesagte ist bloß ein Als-Ob die Moral ein autopoietisches System wäre; meines Wissens haben andere Theoretiker der Luhmannschen Systemtheorie dies propagiert, Luhmann selbst aber nicht.

ich verwende das wort „gemeinplatz“ nicht und möchte im Sinne
der Kommunikationsbegünstigung doch ganz gerne verstehen, was
du damit meinst :wink:

Naja, ich habe dafür kein besseres Wort gefunden; ich denke, dass man die Einheit der Poststrukturalismen in der gemeinsamen Ablehnung des mythe d’origine bzw. des mythe d’fondation sehen kann, damit also in der Haltung, dass das Differente immer einer Differenzierung entspringt, also ein Primat der Differenz über das Differente besteht (Althusser z.B. spricht vom Primat des Klassenkampfes über die Klassen).

Wenn man bedenkt, dass die Metapher des Ortes bzw. Platzes (lieu) im Poststrukturalismus große Bedeutung hat („Primat des Ortes über den Ortsinhaber“ in Deleuze, „Was ist Strukturalismus?“) dann findet mein unbedachtes Wort vom „Gemeinplatz“ nachträglich seinen Sinn :wink:

Viele Grüße
franz

Hallo Vasti

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist
das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht
existieren würde.“ (aus: Soziologie der Moral 1978, erschienen
im GLU S.120)

Komme gerade aus dem Urlaub zurück, der so verregnet war, dass ich massenhaft Philosophie lesen konnte. :wink:
Der oben zitierte Satz zeigt mir u.a. die Begrenztheit der Dialektik. :wink:
Oder vulgär ausgedrückt:
Ab einem bestimmten Abstraktionsgrad gibt es einen unmerklichen Übergang in Hrnwixerei.
(Wahrscheinlich ziehe ich deshalb die Hermeneutiker den Dialektikern vor.)
Gruß,
Branden

Hermeneutik

Komme gerade aus dem Urlaub zurück, der so verregnet war, dass
ich massenhaft Philosophie lesen konnte. :wink:
Der oben zitierte Satz zeigt mir u.a. die Begrenztheit der
Dialektik. :wink:
Oder vulgär ausgedrückt:
Ab einem bestimmten Abstraktionsgrad gibt es einen
unmerklichen Übergang in Hrnwixerei.
(Wahrscheinlich ziehe ich deshalb die Hermeneutiker den
Dialektikern vor.)

Hach Branden … da bedarf dann ja nur noch ein paar veregneter Sommer mehr, bis Du dann über die Hermeneutik zur objektiven Hermeneutik vorstoßend … endgültig zum Popperfan mutierst.

Gruss Jacobias.

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Hach Branden … da bedarf dann ja nur noch ein paar
veregneter Sommer mehr, bis Du dann über die
Hermeneutik zur objektiven Hermeneutik
vorstoßend … endgültig zum Popperfan mutierst.

Da bedarf es weit mehr, Jacobias. Ich fürchte, meine sieben Leben reichen da nicht ganz aus. Ehe ich zum Popper-Fan mutiere, gehe ich mit Angie Merkel Essen. :wink:
Gruß,
Branden

„… wenn es gut ist, gut und böse zu unterscheiden, dann ist
das Böse auch gut, weil es ohne die Unterscheidung gar nicht
existieren würde.“

Also ist das Böse sowohl gut als auch böse, während noch eine Aussage dazu fehlt, ob das Gute auch böse ist, oder nicht.
Für eine Paradoxon also zu dünne.

Ich finde den Satz aber sowieso nicht doll, denn es gibt m.E. ganz konkrete Beispiele, wo ich finde, dass es Sch**** ist, gut und böse zu unterscheiden, und kein einziges Beispiel, wo diese Unterscheidung die Menschheit in irgendeiner Form weiterbringt, außer beim Spielen und Träumen.

Gruß,
Peter