Guter chor, schlechter chor

hallo!

damit ich mich besser auskenne, und auch, damit ich mehr spaß an dieser musik habe:

Welche voraussetzungen muss ein chor erfüllen, um als super, exzellent und perfekt zu gelten?

ich habe in einer kritik z.b. gelesen, dass ein bestimmter chor ganz passabel war. wie versteht man das?

danke!

Hallo,

damit ich mich besser auskenne, und auch, damit ich mehr spaß
an dieser musik habe:

Welche voraussetzungen muss ein chor erfüllen, um als super,
exzellent und perfekt zu gelten?

Also - das ist erstens sehr unterschiedlich. Je nachdem, was man mag, finde man unterschiedliche Chöre gut.

Zweitens gibt es Standards, die auch bei Orchestern erstes Kriterium sind:
Singen die Sänger sauber? Da gibt es das Phänomen, dass ein Chor „sinkt“ während eines Konzerts. Er fällt im Ton ab: Das a vom Anfang ist höher als das am Ende.
Stimmt der Rhytmus, der Ablauf? Haben vlt. einige ihren Einsatz verpatzt oder passen die Stimmen nicht so aufeinander, wie sie sollten?
Wie exakt ist das Stück ausgeführt? Wird geschludert oder ordentlich ausgesungen?
Mit diesen Punkten ist also die Notentreue gemeint, so nenn ich das jetzt mal.

Ein Punkt, der da mit reinspielt, ist „die Schwierigkeit, die am Ende rauskommt.“ Man kann ja auch ein z.B. schnelles Stück mit einem eher mittelmäßigen Chor aufführen, der dem Tempo eigentlich nicht gewachsen ist. Das ist natürlich schlechter als ein Chor, bei dem es beim selben Stück richtig abgeht (wenn das vom Komponisten so gewollt ist!)
Außerdem ist da noch die Sache der Musikalität, die aber kaum messbar oder erklärbar ist. Ein Chor trifft den beabsichtigten Ausdruck - ein anderer nicht.

Am besten vergleichst du mal ein paar Chöre und liest weiter Kritiken. Dann wirst du schnell ein Gefühl dafür bekommen, was ein „Muss“ ist und was dir persönlich ein toller Chor geben muss.

Ich hoffe, ich hab dir jetzt nichts erzählt, was du schon wusstest…

Viele Grüße,

Lena

zusätzlich zur antwort von lena:

musik verschiedener epochen singt man auch verschieden. bei einem romantischen chorwerk ist die tongebung ganz anders als bei einem stück aus der renaissance. bei einem guten chor erkennt man den stil an einem einzigen ton oder akkord eben an der richtigen tongebung.

natürlich gibt es viele spezialistenchöre, die dann hauptsächlich oder ausschließlich zb. alte musik singen, aber viele chöre versuchen den spagat zwischen den stilen und epochen und kriegen das nur mittelmäßig hin.

hi!

wenn ich diese ganzen sachen wüsste, dann würde ich ja nicht fragen!

sehr interessant das ganze. ich glaube das muss man tatsächlich hören. kannst du mir vielleicht einen musik tipp geben, wo das gleiche stück gesungen wird, einmal totaler mist, und einmal richtig toll?
zum vergleich?

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Eric,

was unterscheidet wohl einen wirklich großen von einem nur passablen Pianisten, Geiger, Orchester, Dirigenten … ?

Wohl zwei Punkte:

  1. hohes technisches Können (fehlerfreies Spiel)
  2. hohe musikalische Gestaltungskraft
    Wobei man den zweiten Punkt letztlich höher bewerten sollte. Bei einem Pianisten verzeihe ich eher mal kleine Fehler im Spiel, wenn mich das Spiel wirklich „packt“ weil ich das Gefühl habe, dass der Interpret das Stück wirklich in seinem innersten erfasst hat und es dem Zuhörer auch vermitteln kann, als umgekehrt ein technisch perfektes und fehlerfreies Spiel, das aber seelenlos heruntergeklimpert ist und mich letztlich nur langweilt.

Bei Chören habe ich eigentlich keine anderen Maßstäbe als bei allen anderen Musikern. Natürlich lassen sich die Kriterien im Detail schon noch etwas genauer formulieren.

  1. Technisches Können
  • Erstmal die Stimmgebung selbst: hat ein Chor einen natürlichen, gesunden Stimmklang, oder strengen sich die Sänger die ganze Zeit über Gebühr an? Natürlich muss sich ein Chor bei forte-Stellen auch mal anstrengen. Aber wenn sich ein Chor überanstrengt, spürt man das auch körperlich. Wenn man einem heiseren Redner zu lange zuhört, merkt man, dass man nur vom Zuhören selber heiser wird, und wenn man Sänger hört die sich überanstrengen, spürt man es irgendwann in seiner eigenen Kehle.
  • Kommt ein homogener Chorklang zustande? Oder stechen einzelne Stimmen unangenehm heraus?
  • Hält der Chor die Intonation? Viele Chöre neigen beim A-Cappella-Gesang zum „detonieren“, also tiefer zu werden. Das ist musikalisch unsauber, und es ist oft ein Zeichen von mangelnder Spannung beim Singen, und manchmal auch von schlechter Tonvorstellung.
  • Das Problem stellt sich beim Singen mit Instrumenten bzw. Orchester natürlich ganz anders dar. Detonieren ist hier selten ein Problem, weil die Instrumente die Intonation stützen. Aber: harmoniert der Chor gut mit den Instrumenten? Stimmt die Balance kräftemäßig? Sind Chor und Instrumente rhythmisch zusammen? Mit einem Wort: hören Chor und Instrumentalisten aufeinander?
  • Artikulation: bringt der Chor den Text verständlich rüber? Werden die Silben gemeinsam und präzise abgesprochen? Sind auch Texte in fremden Sprachen gut vorbereitet?

Zur Klarstellung: technisches Können ist nicht gleichbedeutend mit „Brillanz“. Ein Chor, der seine aktuellen technischen Fähigkeiten realistisch einschätzt, und Stücke, die seinem Niveau angemessen sind, bestmöglichst vorbereitet darbietet, tut sich damit eher einen Gefallen, als wenn er sich an zu anspruchsvollen Stücken abarbeitet und letztlich überfordert. Auch das Publikum wird das honorieren.

Das leitet schon über zum anderen Gesichtspunkt:

  1. Musikalische Gestaltung
  • Wird der Chor dem Charakter des Stücks gerecht? Dem Stil der Epoche, des Komponisten? Passen Tempo, Agogik, Dynamik?
  • Textgestaltung: bringt der Chor den Inhalt des Textes überzeugend rüber? Ist der Charakter des Textes richtig erfasst worden, z.B. auch jeder einzelnen Strophe? Oder werden alle Strophen alle in der gleichen Art runtergespult?
  • Programmgestaltung: sind die ausgewählten Stücke abwechslungsreich und interessant zusammengestellt? Ergibt sich ein durchgehender Spannungsbogen im Programm, ein innerer Zusammenhang zwischen den Stücken? Na gut, diese Punkte werfen zunächst mal ein Licht auf denjenigen, der das Programm zusammenstellt, also meist den Chorleiter. Aber: schafft es der Chor auch, beweglich und flexibel „umzuschalten“, sich auf den Charakter jedes einzelnen Stückes einzustellen?

Eine ganze Menge, was so ein armer Chor können muss, wenn er ein richtig guter Chor werden will … :wink:

Grüße
Wolfgang

Klasse Analyse *
Moin

danke und *

Ich möchte ergänzen, dass man vor der „Beurteilung“ des Chores dessen Anspruch kennen sollte, auf Deutsch: möchte der Chor in der Kreisklasse oder in der Bundesliga spielen ?
Bei einem Sängerfestchen oder Dorfvereinsauftritt, verzeihe ich manches, wenn die Sänger/innen mit Eifer und Freude bei der Sache sind.
In der Philharmonie oder besonders bei CD-Einspielungen verzeihe ich es nicht.

Du hattes es schon erwähnt: Ein Chor sollte sich realistisch einschätzen usw.

Gruß
Herm

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Hallo Eric,

sehr interessant das ganze. ich glaube das muss man
tatsächlich hören. kannst du mir vielleicht einen musik tipp
geben, wo das gleiche stück gesungen wird, einmal totaler
mist, und einmal richtig toll?
zum vergleich?

Bei den meisten CDs von Chorstücken handelt es sich um Profichöre - solche Dinge wie unsauberes Singen sollte es also eigentlich nicht geben. Dennoch gibt es grundverschiedene Chorklänge.

Hör dir doch mal das Requiem von Mozart an und vergleiche selbst:

einmal die Version von Sir Neville Mariner (Chor: Academy of St. Martin in the Fields) oder John Eliot Gardiner (Chor: Monteverdi Choir)

und zum Vergleich eine Aufnahme von Karl Richter und dem Münchner Bachchor.

Ich habe außerdem den Eindruck, dass früher (zur Zeit von Karl Richter etc.) die Chorstücke alle viel langsamer aufgeführt wurden. Außerdem hatten viele Chöre besonders in den Frauenstimmen deutlich mehr Vibrato (wenn dir der Begriff nix sagt: das „Gejodel“ einer Opernsängerin - mal völlig respektlos ausgedrückt :smile: - bzw. das „leichte Zittern oder Vibrieren eines Tons“ (Wikipedia) ) als heute. Mir gefällt weniger Vibrato (bei Chören) besser, aber das ist vielleicht auch Geschmackssache.

Viele Grüße,
Annegret

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aufführungspraxis

Ich habe außerdem den Eindruck, dass früher (zur Zeit von Karl
Richter etc.) die Chorstücke alle viel langsamer aufgeführt
wurden. Außerdem hatten viele Chöre besonders in den
Frauenstimmen deutlich mehr Vibrato (wenn dir der Begriff nix
sagt: das „Gejodel“ einer Opernsängerin - mal völlig
respektlos ausgedrückt :smile: - bzw. das „leichte Zittern oder
Vibrieren eines Tons“ (Wikipedia) ) als heute. Mir gefällt
weniger Vibrato (bei Chören) besser, aber das ist vielleicht
auch Geschmackssache.

das ist eine frage der aufführungspraxis.

es war lange üblich, musik grundsätzlich romantisierend aufzuführen, also möglichst vollklingend, dramatisch, jeden ton und akkord auskostend.

die historische aufführungspraxis geht dahin, die originalbedingungen (besetzung und verwendung von historischen instrumenten) wiederherzustellen und natürlich auch die praxis von damals zu übernehmen. sprich: bei renaissance-chören haben heldentenöre und koloratursopräne nichts zu suchen, für den messias braucht man keinen chor von 200 leuten, und das mozart-requiem wird nicht schöner, wenn man es unerträglich langsam singt.

so gesehen ist es keine geschmacksache, sondern eine frage von richtig (jede musik so, wie sie es verdient) oder falsch (jede musik so wie bruckner). keine frage, es gibt auch menschen, denen die romantisierende fassung besser gefällt, aber es gibt ja auch leute, die sich den musikantenstadl reinziehen. grundsätzlich gibt aber musik, die historisch zumindest ansatzweise richtig angefaßt wird, wesentlich mehr her, als wenn man sie durch den fleischwolf des späten 19. jahrhunderts dreht.

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