Oder die Vergangenheitsform von „niesen“…ich sage „geniest“
- ist „genossen“ da etwa auch legitim?
Was ich mich schon seit ewiger Zeit frage: Heißt es „gewinkt“
oder „gewunken“?!
Frägt und frug
Eine Schande ist es - nicht für die Sprache, die ja nichts dafür kann, wohl aber für die Schule, die das recht gut hätte verhindern können und doch nicht verhütet hat -, mit welcher Schnelligkeit in ganz kurzer Zeit die falschen Formen frägt und frug um sich gegriffen haben, auch in Kreisen, die für gebildet gelten wollen und den Anspruch erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen. Der Fehler wird deshalb so ganz besonders widerwärtig, weil sichs dabei um ein Zeitwort handelt, das hundertmal des Tags gebraucht wird. Das immer immer falsch hören und - lesen zu müssen, ist doch gar zu greulich.
Die Zeitwörter mit ag im Stamme teilen sich in zwei Gruppen; die eine Gruppe gehört dem starken Verbum, die andre dem schwachen an. Die erste Gruppe bilden die beiden Verba: ich trage - ich trug - ich habe getragen, ich schlage, du schlägst - ich schlug - ich habe geschlagen; sie haben dieselbe Ablautsreihe wie fahre, fuhr, gefahren - grabe, grub, gegraben - wachse, wuchs, gewachsen u. a. Zur zweiten Gruppe gehören: ich sage, du sagst - ich sagte - ich habe gesagt, ich jage, du jagst - ich jagte - ich habe gejagt; ebenso klagen, nagen, plagen, ragen, wagen, zagen. Fragen hat nun seit Jahrhunderten unbezweifelt zur zweiten Gruppe gehört: ich frage, du fragst - ich fragte - ich habe gefragt. Unsre Klassiker kennen keine andre Form. Zwei der besten deutschen Prosaiker, Gellert und Lessing, wissen von frägt und frug gar nichts. Nur ganz vereinzelt findet sich in Versen, also unter dem beengenden Einflusse des Rhythmnus, frug: so bei Goethe in den [Seite 55] Venezianischen Epigrammen: niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König um mich bekümmert - bei Schiller im Wallenstein: jawohl, der Schwed frug nach der Jahreszeit nichts. Auch Bürger hat es (Lenore: sie frug den Zug wohl auf und ab, und frug nach allen Namen), und da haben wir denn auch die Quelle: es stammt aus dem Niederdeutschen. Bürger war 1747 in Molmerswende bei Halberstadt geboren: wahrscheinlich sagte man dort schon zu seiner Zeit allgemein frug. *) Aber noch in den fünfziger und sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hörte man die Dialektform in der gebildeten Umgangssprache so gut wie gar nicht. Auf einmal tauchte sie auf. Und nun ging es ganz wie mit einer neuen Kleidermode, sie verbreitete sich anfangs langsam, dann schneller und immer schneller, **) und huete schwatzen nihct bloß die Ladendiener und die Ladenmädchen in der Unterhaltung unaufhörlich: ich frug ihn, er frug mich, wir frugen sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Professor, alle schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane schreibens, das richtige bekommt man kaum noch zu hören oder zu lesen. Es fehlte nur, daß auch noch gesagt und geschrieben würde: ich habe gefragen, er hat mich gefragen usw.***) Wie lange wird die alberne Mode
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*) Das Niederdeutsche hat auch jug gebildet von jagen. Doch wird ein Unterschied gemacht. Bismarcks Vater brauchte jagte von der Jagd, jug von schneller Bewegung, z. B. schnellem Fahren. In Hannover sagt der gemeine Mann: ehe der Plozist die Nummer merken konnte, jug der Bengel um die Ecke.
**) Viel zur Verbreitung haben wohl Scheffel und Freytag beigetragen, die sie beide sehr lieben.
***) Die Grenzboten veröffentlichten 1882 ein hübsches Sonett aus Süddeutschland, das sich über das Vordringen der falschen Formen lustig machte. Es begann mit der Strophe:
Ich frug mich manchmal in den letzten Tagen:
Woher stammt wohl die edle Form: er frug?
Wer war der Kühne, der zuerst sie wug?
So frug ich mich, so hab ich mich gefragen.
Eine Anzahl von Zeitungen brachte dann elende Gegensonette, aus denen nichts weiter hervorging, als daß die Verfasser keine Ahnung von den Anfangsgründen der deutschen Grammatik hatten, und daß ihnen die falschen Formen schon so in Fleisch und Blut übergegangen waren, daß sie für das Richtige alles Gefühl verloren hatten.
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[Seite 56] dauern? wird sie nicht endlich dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen? Alle guten Schriftsteller und alle anständigen Zeitschriften und Zeitungen brauchten nur die falschen Formen beharrlich zu meiden, so würden wir sie bald ebenso schnell wieder lossein, wie sie sich eingedrängt haben.*)
Merkwürdig ist es, daß in diesem Falle die Sprache einmal aus der schwachen in die starke Konjugation abgeirrt ist. Gewöhnlich verläuft sie sich in umgekehrter Richtung. Wie kleine Kinder, die erst reden lernen, anfangs starke Verba gern nach der schwachen Konjugation bilden: ich schreibte, der Käfer fliegte, der Mann, der da reinkamte, so haben es auch immer die großen Kinder gemacht, die nicht ordentlich hatten reden lernen. So werden falten und spalten, sie ursprünglich stark flektiert wurden (falte, fielt, gefalten), jetzt schwach flektiert: mit gefaltenen Händen; von spalten hat sich nur das starke Partizip erhalten: gespaltnes Holz. Aber einzelne Zeitwörter sind schon in alter Zeit auch den umgekehrten Weg gegangen; so ist das ursprüngliche geweist und gepreist schon längst durch gewiesen und gepriesen verdrängt worden, und in Mitteldeutschland kann man im Volksmunde hören: es wurde mit der großen Glocke gelauten, ich habe den ganzen Winter kalt gebaden. **)
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*) Wenn freilich Kindern, die im Elternhause noch richtig fragt und fragte gelernt haben, in der Schule das dumme frug in die Arbeiten hinein „korrigiert“ wird, dann ist nichts zu hoffen.
**) Als eine Merkwürdigkeit mag erwähnt sein, daß die Leipziger Buchbinder sagen: das Buch wird bloß geheftet, dagegen die Leipziger Schneider: der Ärmel ist erst gehoften.
Aus:
Allerhand
Sprachdummheiten
Kleine deutsche Grammatik
des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Ein Hilfsbuch für alle
die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen
von
Gustav Wustmann
Gewohnheit macht den Fehler schön
Den wir von Jugend auf gesehn
Gellert
Fünfte Auflage
Straßburg
Verlag von Karl J. Trübner
1911
So nun endlich ein herzliches Hallo,
Wie Du siehst, bist Du nicht der erste, der sich solche Fragen stellt. Ich hoffe, dass dieser Ausschnitt ein bißchen mehr Verständnis erweckt für regelwidrige Sprache. Schließlich war die Sprache eher da als ihre Regeln.
Ich habe mich bemüht, möglichst genau abzutippen, nur war es mir hier nicht möglich, zwischen langem und rundem s zu unterscheiden. Auch mögen sich einige Tippfehler eingeschlichen haben.
Viele Grüße
Stefan
P.S.: Einen hab ich noch:
Der Unverbesserliche
Man fragte mich: „Heißt’s fragte oder frug?“
Ich sagte drauf: „Ich wähle immer fragte,
da man ja auch statt sagte nicht spräch sug,
was schlecht dem Ohr und Sprachgebrauch behagte.“
Der andre sprach: „Ich werde draus nicht klug,
man sagt doch auch nicht schlagte oder tragte?“
Ich sprach: "Ausnahmen sind nur schlug und trug;
doch tug, rug, zug und wug noch keiner wagte.
Nun, wird der Zweifel, der bisher Sie nagte
und plagte - und nicht etwa gar nug und plug -
behoben sein, ob richtig frug, ob fragte?"
Der andre sprach: „Sie haben recht“, und schlug
sich an die Stirn, als ob ihm Licht nun tagte,
„verzeihen Sie, daß ich so töricht frug.“
Unbekannter Verfasser
(um 1900)
aus: Alles Unsinn, Deutsche Ulk- und Scherzdichtung von ehedem bis momentan. Gesammelt und herausgegeben von Heinz Seydel, Eulenspiegel Verlag Berlin, 1974.