Hat das deutschländische Deutsch mehr Wert?

Guten Tag,

ich würde gerne wissen, welches Deutsch ausserhalb von Deutschland gelernt und geschätzt wird. Deutsch ist ja eine plurizentrische Sprache, was theoretisch heissen sollte, dass es in mehreren _gleichberechtigten_ Standardvarietäten vorkommt. Darunter versteht man weder die Schweizerdeutschen, österreichischen oder anderen _Dialekte_, sondern die jeweiligen hochsprachlichen Varianten (vgl. Austriazismen, Helvetismen).
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Hierher gehören nicht nur die Wortschatzabweichungen (Velo, Karfiol, Tacker/Klammermaschine/Bostitsch), sondern auch Unterschiede in der Orthographie („ss“ vs. Eszett), in der Grammatik (IST gestanden, DAS E-Mail) und auch in der Aussprache.

Trotz der plurizentrischen Auffassung habe ich eher das Gefühl, dass die deutschländischen Formen bevorzugt und als ‚korrekt‘ bzw. als ‚einzig richtig‘ betrachtet werden, während die A/CH Formen als dialektal, altertümlich oder schlicht als falsch eingestuft werden.

Ich würde sagen, dass man in den nicht deutschsprachigen Ländern das „deutsche“ Deutsch unterrichtet, in Deutschland natürlich auch, aber wie ist das in Österreich und der Schweiz? (Mit Unterricht meine ich sowohl den „Deutsch als Fremd-/Zweitsprache Unterricht“ als auch das Deutsch an den Schulen für Kinder (Grammatik, Literatur.)

Was haben Sie für Erfahrungen? Und was ist Ihre Meinung zum Thema?

Vielen Dank für Ihre Beiträge!

Guten Tag,

ich denke mal, die Frage, welches Deutsch jemand lernen möchte, hängt davon ab, wo er es anwenden möchte. Darüber hinaus könnte man argumentieren, dass das österreichische und das Schweizerdeutsch Minderheitensprachen sind. Knapp 82 Millionen Bundesbürgern stehen knapp 8,5 Millionen Österreicher und rund 4,5 Millionen deutsch sprechende Schweizer gegenüber. Das ist keine Wertung der jeweiligen Sprache - nur eine Quantifizierung.

Ich habe mal meine Spanischlehrerin gefragt, ob das, was auf dem spanischen Festland gesprochen wird, das Hochspanisch ist. Sie war entrüstet. Natürlich nicht, sagte sie. Das Spanisch in Lateinamerika sei viel besser zu verstehen. „Außerdem sind wir 350 Millionen.“ Sagte sie. Und damit war das Thema für sie erledigt.

Adios, die Sara

Schweiz
Tag Frau Rea

… aber wie ist das in Österreich und der Schweiz?

Ich habe die Schulen in Basel durchlaufen – also unmittelbar an der Grenze zu D.
Doch die wenigen 100 Meter Distanz genügen, dass hier diskussionslos, zweifelsfrei und überall das Schweizer Hochdeutsch unterrichtet wird. Eine klar bundesdeutsche Aussprache (wie z. der berühmte «Könich») wird klar abgelehnt. Das wäre die Ausländer nachgeäfft.

Ein einziger Deutschlehrer wollte uns das rollende R (anstelle des kehligen Lautes) und eine abgedunkelte Aussprache des «au» (also näher zu «ao» hin) beibringen – vergeblich.

Ganz persönlich:
Mein ganzer Sprachapparat ist so sehr an das kehlige R gewohnt, dass ich nur ganz langsam reden kann, wenn ich das R rollen soll. Zumindest im Deutsch. In den romanischen Sprachen hingegen kriege ich das richtige, rollende R problemlos hin.

Gruss
scalpello

Hallo,
Was ich jetzt nicht so ganz verstanden habe, ist die Sache mit dem R. Du sagst, du hast in Basel die schweizerhochdeutsche Variante gelernt, also mit Wörtern wie „gross“ oder „parkieren“, „Velo“ und der Aussprache „Könik“ (das wird ja auch im Süddeutschen so gesprochen).

Aber wenn du sagst, dass du das kehlige R gelernt hattest und Mühe mit dem gerollten R, wundere ich mich. Ist es nicht so, dass man in der Schweiz meist das R rollt (also vorne: [r]), während man im „deutschländischen“ Standarddeutschen ja gerade das kehlige (also hinten: [ʁ]) in der Aussprache hat.
Also für mich klingt es so, als hättest du das R aus Deutschland gelernt. Oder hab ich das jetzt falsch verstanden? Damit dürftest du in Deutschland ja nicht weiter auffallen.

Grüße,

  • André

„Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen
durch die gemeinsame Sprache“, so brachte es Kabarettist Karl Farkas auf den Punkt.
http://www.das-oesterreichische-deutsch.at/presse.html

lg
J.

Hallo André

Du sagst, du hast in Basel die schweizerhochdeutsche
Variante gelernt, also mit Wörtern wie „gross“ oder
„parkieren“, „Velo“ und der Aussprache „Könik“ …

Ja, richtig verstanden.

Aber wenn du sagst, dass du das kehlige R gelernt hattest und
Mühe mit dem gerollten R, wundere ich mich. Ist es nicht so,
dass man in der Schweiz meist das R rollt (also vorne: [r]) …

Ah, du bringst mich drauf: da habe ich nicht zu Ende gedacht.
Der Basel_städtische_ Dialekt hat das kehlige R – aber schon in der nächsten Umgebung (Vororte, Kanton Basel-Landschaft) kommt das rollende R.
Und du hast recht: das kennzeichnet eigentlich die Schweizer Dialekte mehrheitlich.
(Ich müsste nachdenken, wo die Ausnahmen zu finden sind.)

Oder hab ich das jetzt falsch verstanden?

Nein, ich bin es, der zu sehr von mir selber und meiner Umgebung ausgegangen ist, sorry!

Auch der inzwischen sehr selten zu hörende «Bernburger» (Stadt-Berner) Dialekt spricht ein kehliges R.
Ich interpretiere die Gemeinsamkeit: die bürgerlichen Stadtbewohner zierten sich mit einer etwas gekünstelten Sprache, um sich vom gemeinen Volk abzuheben. Daher auch die vielen französischen Lehnwörter in diesen beiden Mundarten.

Grüße
scalpello

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durch die gemeinsame Sprache“, so brachte es Kabarettist Karl
Farkas auf den Punkt.
http://www.das-oesterreichische-deutsch.at/presse.html

Und hatte es von der analogen Aussage George Berhard Shaws über Großbritannien und Amerika geklaut. Auch Oscar Wilde pflegte so etwas öfter zu sagen, z.B. in „The Ghose of Canterville“.

xxx
T.

Auch Oscar Wilde pflegte so etwas öfter zu sagen, z.B. :in „The Ghose of Canterville“.

Servus T,

war das nicht „The Goose of Canterville“?
:wink:)

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Canterville_Ghost

Gruß

Kai Müller

war das nicht „The Goose of Canterville“?
:wink:)

No, it was „The Hose of Canterville“

Jo

Ah, alles klar!
Ich dachte immer, in der Schweiz spräche man in jeder Varietät und jedem Dialekt immer das R als vorne gerollt (alveolarer Trill) aus. Jetzt weiß ich’s besser und dadurch macht deine Aussage nun auch Sinn für mich. :smile:

Grrrrrüesse,

  • André

You are both wrong!
It was „The Grouse of Canterville“!
So there.

xxx
T.

Hallo

Gut, ich bin schon etwas älter. Als ich noch zur Schule ging, hiess es: Es muss korrekt geschrieben sein, braucht aber nicht deutsch zu tönen. Wir verwenden Hochdeutsch ja bloss zum Schreiben und Lesen, nicht zum Sprechen. In der hochindustrialisierten Gegend, in der ich aufgewachsen bin (Jura Südfuss), konnten wir schon im Vorschulalter etwas Italienisch und Französisch.

Ich glaube, ich war längst erwachsen, als ich zum ersten Mal einem Hochdeutsch sprechenden Menschen begegnete. Hingegen hörten wir oft deutsches Radio und sangen die deutschen Volkslieder, die wir ja auch als unsere betrachten.

Im Deutschunterricht mussten wir die wichtigsten deutschen und österreichischen Dialekte kennenlernen (nicht erlernen), um so eine Ahnung davon zu bekommen, was alles unter Deutsch zu verstehen ist. Mindestens ein Drittel meiner Schulkameraden hatte eine nicht-deutschsprachige Mutter und/oder Verwandte im übrigen Europa.

Trotz unserer starken Bindung zu Frankreich kam eigentlich unser kulturelles Leitbild stets aus Deutschland. Heute blicken die meisten Schweizer ratlos auf das Europa, zu dem wir uns bisher auch gezählt hatten. Was wir sehen, scheint uns nicht einladend. (Ich kann natürlich nicht für alle sprechen.)

Gruss: Maggie

Grüß Gott, guten Tag, Grüezi, Frau Rea!
Eine indirekte Antwort: Also, ich habe schon verschiedene Sprachkurse im Ausland besucht, z. B. für Irisch in Irland und für Ladinisch in den Dolomiten, und es dann immer begrüßt, wenn wir auch mit Varianten bekannt gemacht wurden. Das heißt: Es wäre wohl nicht schlecht, wenn, sage ich einmal, einem Tamilen im singapurischen Goethe-Institut z. B. die verschiedenen Grußformen im Deutschen nahegebracht würden, so dass er etwa ein Gefühl dafür entwickelt, wo man in München lieber „Grüß Gott“ oder „Servus“ oder „Hallo“ sagt, oder ob in Hamburg situationsbedingt eher ein „Guten Tag“, „Moin“ oder „Tach“ angebracht ist. Diese Leute bringen aus ihren Kulturkreisen ohnehin meist ein feines Gefühl für feinste regionale und gesellschaftliche Abstufungen mit. - Kurz: Ich hoffe, dass keiner Variante schon an sich mehr Wert zugebilligt wird!
Gruß
Sepp

Hi,
denk doch mal an die (auch mit 82 noch) charmante Lilo Pulver—da rollt nix :wink:

Jo