Hermeneutischer Bildvergleich:Cezanne & Impress

Guten Tag,

ich schreibe balnd mein Examen im Fach Kunst und muss dabei ein Bild Cezannes mit einem impressionistischen Bild vergleichen und zwar mit der hermeneutischen Methode. Ich habe das noch nie gemacht und weiß nicht wirklich, wie ich da vor gehen muss. Bei Cezanne ist es so, dass der symbolische Charakter eine sehr geringe Rolle spielt. Solche Deutungen sollten also vermieden werden. Auch kann seine Malerei nicht biographisch oder sozialgeschichtlich hergeleitet werden. Was muss ich denn bei einer hermeneutischen Werbetrachtung analysieren?
Danke schonmal

Hallo,
es kann jetzt sein, daß ich falsch liege und Du mit „hermeneutischer Methode“ etwas anderes meinst, aber ich versuch es mal.
Also, wenn Du auf keine symbolischen, biographischen, o.ä. Deutungsebenen eingehen sollst, dann würde ich Deine Frage so verstehen, daß Du versuchen willst / sollst das Bild auf einer Ebene zu interpretieren, die möglichst weit vom subjektiven Status des Betrachters entfernt ist. (Ohne aber jemals eine reine Objektivität zu erreichen… :smile:).

Ein solches Vorgehen könnte sich dann in folgende Ebenen gliedern (vgl. hierzu v.a. BOHNSACK, Ralf; NENTWIG-GESEMANN, Iris; NOHL, Arnd-Michael (Hrg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis: Grundlagen qualitativer Sozialforschung; Leske und Budrich; Opladen; 2001 - dabei dann besonders Bohnsacks Aufsatz!):

–> Vorikonographische Ebene (d.h. „Was“ wird überhaupt dargestellt? „Was“ ist zu sehen?) Dies kann sich dann nochmal untergliedern bspw. in eine Betrachtung der A) planimetrischen Komposition des Bildes, d.h. wie ist das Gesamtbild konzipiert? Wie verlaufen zentrale Linie? Gibt es bestimmte Winkel, gibt es bestimmte Punkte (bei denen sich bspw. viele Linien kreuzen) usw. usf., B) szenische Choreographie des Bildes, d.h. wie stehen gewisse „Objekte“ des Bildes miteinander in Verbindung; wie wurden gewisse „Objekte“ in Szene gesetzt (viell. ist ein Objekt nur angeschnitten und ragt damit quasi in den Betrachterbereich hinein, oder es geht über das obere Bildende hinaus, usw.); C) perspektivische Projektion des Bildes, d.h. welche Perspektiven werden in dem Bild wie dargestellt? Wird eine weite Perspektive aufgemacht (ein weiter Talblick), oder ist es sehr begrenzt (eine verschlossene Tür), usw.

–> Danach kann es zur Ikonographischen Ebene kommen:
Ralf Bohnsack folgend soll die ikonograph. Interpretation nicht eine rein subjektive Interpretation sein, sondern sie soll sich auf kommunikativ vermittelte Wissensbestände stützen. Bohnsack hierzu:
„[Die] ikonographische Ebene [soll] lediglich insoweit einbezogen werden, als es sich um kommunikativ-generalisierte Wissensbestände handelt (…), also ein Wissen um gesellschaftliche Institutionen und Rollenbeziehungen“ (Bohnsack (2001): 326).
Frage, die sich dann also an bestimmte Ebenen, Objekte, Darstellungen,… im Bild stellen, sollten sich am allgemeinen Wissen orientieren bzw. an einem gruppenspezifischen Wissen.

Des Weiteren müsste auch bei Erwin Panosfky, auf den die oben genannten Autoren auch zurückgreifen, Hilfreiches zu finden sein.

So, ich hoffe ich lag / liege nicht total falsch…?

Viele Grüße,

Georg.

Hallo Georg,
vielen Dank für die ausführliche Antwort. Was du unter A B und C beschreibst, hört sich für mich ganz plausibel an. Das geht mir ja dann alles aus der Anschauung des Bildes hervor. Meinst du das würde für die Analyse ausreichen? Zum Bezug der Ikonographik und Panofsky weiß ich es nicht genau, aber ich meine das sollte man im Bezug zu Cezanne nicht betrachten, bin mir aber unsicher.
Ich beschreibe also das Bild nach den Punkten A B und ´C und glaubst du ich kann dann auch Dinge, die ich nicht umbedingt sehe, aber die ich über Cezanne weiß, mit einbringen? Bspw. wie er seinen Raum geschaffen hat, oder wenn ich bemerke, dass es unterschiedliche Perspektiven gibt, kann ich dann auch erklären, warum Cezanne das so dargestellt hat (das kann ich ja nicht unmittelbar aus der Anschauung ablesen)? Mein Prof meinte noch, dass ich mich auf die Auffassung von Boehm stützen soll. Werkimmanente Methode hatte er eher abgelehnt.
LG

Hallo und guten Abend!

…ich kam leider nicht eher zum Antworten.
Puh, also ich will da nichts Falsches sagen, aber eigene Schlussziehungen, die Du nicht unmittelbar aus dem Bild und dessen Komposition herauslesen kannst, solltest Du nicht in die vorikonographische Ebene miteinbringen. Das würde in den nächsten Schritt gehören. Meines Erachtens macht diese Trennung auch durchaus Sinn. Ich habe es selbst schon gemerkt, daß man sich sonst leicht verheddert und Schwierigkeiten hat darzustellen bzw. zu erklären was nun aus dem Bild herausgelesen wird und was vom Betrachter in das Bild hineingelesen wird.
Ich denke schon, daß man das, was man über einen bestimmten Künstler (hier: Cezanne) weiß mit in die Interpretation bzw. den Vergleich miteinbringen soll; aber eben nicht (!) in die vorikonographische Ebene, d.h. nicht in die Stufen A, B, C (wobei es da sicher auch noch andere Gliederungen gibt, diese waren nur exemplarisch von mir dargestellt anhand von dem erwähnten Bohnsack et al. Buch).
Du müsstest dann nur unterscheiden zwischen zwei Punkten: Zum einen kannst Du persönlich Sachen und Schlüsse in das Bild deuten („Ich denke, dass die Hand der Person nach rechts oben deutet, um dort auf die Erlösung zu verweisen“ oder irgendwas anderes). Dies sind Schlüsse, die primär - aber natürlich nicht nur - durch Deine Erfahrungen bedingt sind. Zum anderen kannst Du aber bspw. bei Cezanne kontextualisierend vorgehen, um somit gewisse Motive aus dem Bild anhand zeitgeschichtlicher Strömungen, Traditionen, Moden, u.a. zu deuten und zu erklären. Denke dabei z. B. an bestimmte Objekte, die immer wieder in Gemälde vorkommen (bestimmte Blumen, roter Umhang, Tiere, usw.). Diese kann man in einen Sinnzusammenhang bringen, der über das rein subjektive hinausgeht und damit dann eine stärkere Bedeutung und Überzeugung erlangt.
Ob Panofsky da helfen könnte weiß ich nicht mehr genau; meine aber, daß er - im Gegensatz eben zu der dokumentarischen Methode von Bohnsack et al. - gerade auch historisch vergleichend vorging. Also könnte es doch vielleicht in gewisser Weise nutzbringend sein - aber das wirst Du bestimmt besser wissen. :smile:

Viele Grüße,

Georg.

hallo,
okay ich versuche mich einfach an deine schritte zu halten, da ich wirklich nach langem suchen kein buch gefunden habe, dass mir verrät, wie ich bei einer hermeneutischen bildanalyse vorgehen soll. noch eine kurze frage: „cezannes malerei erfordert eine bild-und erkenntnisorientierte herangehensweise. diese richtungen vertreten imdahl und boehm.“ -->ich verstehe nicht so ganz was mit bild-und erkenntnisorientiert gemeint ist. man soll sich als grundlage nur das bild nehmen und keine anderen grundlagen? passt das in etwa zu dem, was du gesagt hattest, wie ich an das bild herangehen soll? ich muss nämlich auch begründen, warum ich die hermeneutische methode wähle, um seine bilder zu analysieren…

hallo nochmal,
habe grad noch was in einem buch gefunden, vielleicht hilft das noch irgendwie:

Boehm: Moderne Bilder sind nicht völlig unbeschreibbar. Sie favorisieren stattdessen einen anderen Typ sprachlicher Zuwendung. Wenn sich das Bild im visuellen Vollzug erschließt, sein künstlerisches sein sich erst im Akt der Wahrnehmung erfüllt, dann kann die Beschreibung in Worten kein stabiles Äquivalent, eine Art sprachliches Abbild zu schaffen. Sie ist jedoch imstande, das zu kennzeichnen, was sich für den Betrachter des Bildes ergibt. Beschreibbar ist, was das Bild ist und welche visuellen Dispositionen sich in ihm manifestieren. Beschreibbar ist auch der Effekt, der sich aus der Anordnung der Farbe und Form herausbildet.

und:

Cezanne entwickelte nie eine Ikonographie der modernen Welt.

Hallo!

noch eine kurze frage: "cezannes malerei

erfordert eine bild-und erkenntnisorientierte
herangehensweise. diese richtungen vertreten imdahl und
boehm." -->ich verstehe nicht so ganz was mit bild-und
erkenntnisorientiert gemeint ist.

–> Ich denke, daß das Verständnis davon stark abhängig ist vom Autor bzw. den Autoren. Also am Besten direkt an Imdahl und Noehm hierzu wenden, dann wirst Du sicher auf dem sicheren Weg sein.
Dazu nur noch ein Hinweis: Der erwähnte Ralf Bohnsack bezieht sich in seiner dokumentarischen Methode v.a. auch auf Max Imdahl.
Folgendes habe ich noch im Netz gefunden:
http://www.mediaculture-online.de/Wissenschaftliche-…
Hier kannst Du Dir einen Vortrag / Mitschnitt von Bohnsack u.a. anhören.
Man kann also eine Traditionslinie Panofsky --> Imdahl --> Bohnsack aufmachen. Ganz gut erklärt ist die Bildinterpretation dieser drei auch bei:
Ehrenspeck / Schäffer (Hrsg.): Film- und Fotoanalyse in der Erzeihungswissenschaft; Leske - Budrich (hier v.a. die Aufsätze wieder von Bohnsack, d.h. 87ff. und 109ff. - ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das dieselben sind, wie in dem Buch, daß ich am Anfang erwähnte, da ich das z.Zt. nicht hier habe…). Vor allem empfehlen kann ich Dir aber das Beispiel „Heidi“, da hier an einer Zigarettenwerbung exemplarisch und gut verständlich die dokumentarische Methode durchgeführt wird. Dies ist dann zwar das Vorgehen nach Bohnsack und nicht nach Imdahl, aber ggf. kann das trotzdem einiges verständlich machen.)
Ach so, das Buch gibt es auch bei googlebooks, wie ich gesehen habe!!!

man soll sich als grundlage

nur das bild nehmen und keine anderen grundlagen? passt das in
etwa zu dem, was du gesagt hattest, wie ich an das bild
herangehen soll? ich muss nämlich auch begründen, warum ich
die hermeneutische methode wähle, um seine bilder zu
analysieren…

–> An welchen anderen Grundlagen würdest Du denn noch denken? Denkst Du bspw. an Sekundärliteratur?
Also, stelle Dir vor Du hast Das letzte Abendmahl von da Vinci vor Dir:

  • vorikonographisch siehst Du 13 Personen, einen Tisch, Sachen, die auf dem Tisch liegen, usw. Du kannst bestimmte eine gewisse Linienführung,… erkennen; siehst, dass bestimmte Personen zu anderen Personen / Gegenständen in Szene gesetzt sind (sich zu- oder abwenden); kannst erkennen ob es eine gewisse Form von Perspektive gibt. Und das ist ja schon mal einiges! Das sind dann erst einmal die bildlichen Tatsachen, die reinen Formen in dem Bild, die Du da herausgearbeitet hast. Doch es geht ja noch weiter:
  • ikonographisch kannst Du erkennen, daß das kein wild zusammengewürfelter Freundeskreis, sondern, daß es eben Jesus mit seinen Jüngern ist. Du erkennst vielleicht noch einzelne Jünger an bestimmten Attributen, o.ä. Bei der ikonographischen Ebene kann man sich eigentlich ziemlich sicher sein, daß dies auch vom Künstler so gewollt ist; für dieses Bsp.: da Vinci wollte das Abendmahl mit Jesus und seinen Jüngern malen und wir haben es dann auch erkannt! Theoretisch kann man hier stoppen und sagen: „Na ja, wir haben jetzt erkannt was uns das Bild vermitteln will.“ Aber das ist ja wiederum nicht alles! :smile:
  • Auf der sog. ikonologischen Ebene kann man versuchen jene Antriebe / symbolichen Werte ausfindig zu machen, die implizit im Bild mitschwingen - dem Künstler oft unbewusst sind. Das sind dann die Werte, die über das Bild hinausgehen, die auf die Gesellschaft, Politik, Religion,…usw. usf. eingreifen und eine Interdisziplinarität herstellen. Dadurch kann man quasi zeitgeistige Strömungen versuchen darzustellen. Man kann sich z.B. vorstellen, dass gewisse Umbruchszeiten (Reformation, Industrialisierung,…) sich auch in der Kunst niederschlugen. Frage wäre dann z.B. Wie werden bestimmte allg.-gesellschaftliche Strömungen in der Kunst (auch und gerade unbewusst!) verarbeitet? Es sind dann gerade die als allgemein und „so oder so vorhanden“ angenommenen Aspekte, die von Interesse sind. Bspw., man kann sich vorstellen, dass man in harten Zeiten aufwächst und es nur strenge Erziehungsmethoden, da man eben eine gewisse Härte und Distanz gegenüber Kindern haben muss, gibt. Kann es dann nicht sein, daß sich solches auch in Bildern widerspiegelt, die sich von ihrem eigentlichen Bildsinn her (d.h. von der ikonographischen Ebene) gar nicht mit Erziehung bzw. dem Verhältnis Eltern - Kinder befassen? Könnte man diese Härte im Umgang mit Kindern bzw. die Distanz zu den Eltern nicht auch in einer Darstellung einer Gaststätte finden, in der Familien essen, o.ä.?
    Dies wäre dann - im gegensatz zur ikonograph. Ebene - vom Künstler nicht gewollt, aber er ist eben ein Kind seiner Zeit und damit den zeitgeistigen Strömungen unterworfen.
    Als Interpreten kann man sich diese Erkenntnis dahingehend zu Nutze machen, dass man versucht diese Strömungen aufzudecken. Und wie will man das machen ohne Hinweise aus der Sekundärliteratur? Ohne Quellen, ohne Literatur wird man eben nichts über das Leben im Paris des 19. Jhds. erfahren, man wird nichts darüber wissen können, was es bedeutete in Paris zu studieren, auf einem Anwesen zu wohnen, usw. usf. Ich denke also, daß man ohne solche Querverbindungen zu Quellen- und Hilfstexten nicht diesen Schritt zu den symbolischen Werten vollziehen kann, denn dies wäre ja dann nur eine (wirklich) rein subjektive Interpretation.
    Du wirst ja zwangsläufig Literatur benötigen, wenn Du bspw. das Bild Cezannes auch vom biograph. Standpunkt aus betrachten willst? Wann malte er es? Was bedeutete dies für seine Entwicklung, gab es ggf. einschneidende Erlebnisse? Gab es besondere gesellschaftliche Ereignisse (Kriege,…)? Usw. usf.

Aber eines muß ich noch loswerden. ich will keinesfalls, daß ich Dich auf eine falsche Bahn bringe. Du solltest vielleicht am Sichersten Dir ein Werk von Imdahl durchlesen, wenn Dir dieser schon als Vorgabe gegeben wurde. Dort wird dann meistens ja auch gessagt weshalb Imdahl diese Methode ausarbeitete und das kann man dann auch - natürlich abgeänderte, neu formuliert - als Begründung der eigenen Methodik der Bildinterpretation nehmen.

Gutes Gelingen schon mal und viele Grüße,

Georg.

Hallo okla,

die Hermeneutik setzt bei der alltäglichen Vertrautheit der Bildgegenstände an, benutzt dann nach Panofsky (dem wahren Urvater !) aber auch die Stilgeschichte als Korrektiv. (Mitte: http://www.uni-magdeburg.de/iew/web/Marotzki/04/Audi…)
In der ersten Stufe ist deshalb die präzise Benennung des Vorhandenen unter Berücksichtigung von Bildgeometrie, kompositorischer Gliederung, Perspektivlehre, Farbtheorien, Materialkunde, Maltechniken, Pinselduktus… erforderlich.
Also könnte es sinngemäß so klingen (von mir ausgedachte Formulierung, ich habe kein bestimmtes Bild im Hinterkopf):

„In bogenförmigen, einzeln erkennbaren, kurzen Pinselstrichen aus pastos aufgetragener Ölfarbe erzeugt der Maler ein großes, etwa ein Drittel der oberen Bildfläche bedeckendes Farbfeld aus dunklen Violett- und Schwarztönen, das stellenweise von kurzen, überwiegend waagerechten Strichen in hellem Kobalt- und dunklem Ultramarinblau durchsetzt ist.
Diese ausgedehnte Dunkelzone verleiht dem Bild einen bedrohlich wirkenden, den Betrachter irritierenden Ausdruck. Trotz der finster wirkenden Wolkenzone entsteht auf dem Boden des darunter liegenden Landschaftsausschnitts kein Schatten in Braun-, Grau- oder Schwarznuancen, sondern der Maler folgt hier dem Prinzip des Impressionismus, indem er Felder in reinen, nicht gemischten Gelb-, Orange- und sparsamen Rottönen als Komplementärkontrast einsetzt. Dieser Kontrast fördert eine intensive Spannung und steigert durch die Wechselwirkung die Leuchtkraft und Intensität der Farben …“

Zu jeder Kunstepoche gehören historische Stilmerkmale und Theorien, deren Gesamtheit du im Idealfall parat hast, um eine gründliche Analyse zu schreiben. Da nicht jeder alles wissen kann, bleibt eine Bildanalyse immer subjektiv geprägt und fragmentarisch.

Freundliche Grüße
rotmarder

hallo,
okay ich habe einmal versucht eure Ratschläge umzusetzen. Ich habe jedoch immernoch Probleme damit, was jetzt Deutung und was noch Beschreibung ist. Ich bin hier zwar auch etwas auf das Umfeld eingegangen, habe jedoch versucht alles „drumherum“ auszublenden und nur das autonome Bild zu betrachten, denn nach Imdahl und Boehm ist es das Bild selbst worum es geht und es ist nicht Symbol von etwas anderem. Ich poste einfach mal die Interpretation, die etwas sehr lang geworden ist, es reicht völlig wenn ihr nur einen Ausschnitt lest :smile:
Vielen lieben Dank

An Cezannes Serie „Montagne Sainte Victoire“ kann man den Gang seiner Entwicklung erkennen, die seine Einzelstellung bezüglich der Zeitgenossen aufweist.
Im Laufe der Zeit wird der Berg zu einer Art Dreieck, das sich über eine Ebene erhebt. Die Bildfläche wird zu einem Geflecht grober Striche in dichten und düsteren Tönen. Die Serie reiht sich in die Fülle der Landschaftsmotive ein, wie bspw. dem „Steinbruch von Bibémus“. Dennoch erscheint der Berg hier als etwas Beherrschendes und Unvergleichbares. Er verkörpert das Land des Künstlers. Die Metaphorik des Berges setzt sich in vielen neuzeitlichen Landschaftsbildern fort. Man denke nur an Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen. Aufragende Berge verkörpern Ferne, Unberührbarkeit, das Erhabene, die Dauer der Natur.
Das Bild zeigt uns eine weite, horizontal ausgebreitete Ebene und den aufsteigenden Berg in der Vertikale. Die Bildebene gleicht einem Teppich von Farbflecken, welche das Bild formen. An den einzelnen Farbtönen, bspw. dem giftigen Grün, kann man erkennen, dass Cezanne die Farben der Natur nicht täuschend nachempfindet. Sie verdeutlichen die Ambivalenz zwischen Bild und Wirklichkeit, denn nur in der Farbe können sich diese treffen. Die kontrastierenden Farbflecken verdeutlichen außerdem den Bildbau. Die Pinselstriche, die durch Cezanne Richtung und Form erhalten, ordnen sich zu Modulen an und geben dem Bild auf diese Weise Plastizität. Er „moduliert“ das Bild nicht aufgrund von Hell-Dunkel Kontrastierungen, sondern aufgrund von Farbkontrasten, denn jede Farbe kann einer Bildebenen zugesprochen werden. In der Farbe vereinigen sich die Ebenen. Die Pinselstriche sind mit bloßem Auge wahrzunehmen. Sie leiten durch ihre Festigkeit und Richtung unseren Blick. Die Mikro-Optik Monets hingegen ist nicht blickleitend. Sie schafft vielmehr durch ihre völlige Formlosigkeit einen fließenden Übergang der Farben und Formen ineinander. Die vom Auge kaum unterscheidbaren Farbsignale geben dem Motiv etwas Momentanes. Entsprechend begreift der Impressionist die Wirklichkeit als etwas Fließendes und Momentanes.
Bei Cezanne ist der Betrachter zunächst optischen Prozessen ausgesetzt. Die Elemente behalten ihre Deutlichkeit, sie tauchen nicht in einer Kontinuität der Bildfläche unter. So kann man sehen, dass Cezanne nicht mit Farbe und Form arbeitet. Er versteht vielmehr die Farbe als Form. Die Formen existieren nur durch benachbarte Formen.
Betrachtet man den Raum, den Cezanne in diesem Bild schafft, so ist zunächst festzustellen, das dem Betrachter ein Eintritt in das Bild verwährt bleibt. Das Bild türmt sich vor dem Betrachter auf wie eine Mauer. Für Cezanne sind weniger die Verkürzungen charakteristisch, als vielmehr eine Sicht ohne betretbare Nähe und ohne wirkliche Ferne. Da der gesamte Raum aus Modulen, die sich lediglich in ihrer Richtung unterscheiden, aufgebaut ist, gibt es auch kein räumliches Zurückweichen. Alles folgt der Optik des gleichen taches. Der Vordergrund und der Hintergrund nähern sich an, denn sie beinhalten die gleichen Farben. Auch erkennt man anhand der Konpositionslinien die Parallelität des Berges zu Bereichen aus dem Vordergrund. Auf diese Weise werden die Ebenen einander herangeführt und die Tiefe verringert. Cezanne entwickelt die Tiefe hauptsächlich aus der Vertikalen heraus. Das Bild erscheint wie eine Wand.
Unser erster Bildeindruck ist nun nicht mehr ein Wiedererkennenwollen des Motivs. Denn das Motiv ist vor allem ein Teppich aus Farbflecken. Dadurch entstehen Kontraste der Farbflächen, welche eine Spannung des Bildes erzeugen. Jedes einzelne Element des Bildes verweist auf nichts außerhalb des Bildes. Es verweist lediglich auf das Bild selbst. Erst die Abfolge der Flecken erzeugt Wiedererkennbares. Die Bildgegenstände können wir jedoch nur in ihrem Sachverhalt umschreiben. Wir können bspw. Ebene, Berg, Himmel erkennen. Cezannes Bilder stellen kein Abbild dar. Die Einsicht in den Zustand der Welt vermittelt das Bild vielmehr über die Arbeit der Struktur.
Cezanne übernahm von den Impressionisten die Rückkehr zur Natur, die Arbeit im plein air. Dies hatte zugleich auch einen zivilisationskritischen Akzent. Cezanne ging jedoch einen Schritt weiter als die Impressionisten. Für ihn hatte die Natur eine komplexere und tiefere Bedeutung. Mit jedem einzelnen Element setzt Cezanne auch immer eine Beziehung zu anderen Elementen. Für ihn bedeutete Malen ein Kontrastieren. Die Gemälde Cezannes entfalten ein System aus Elementen, das der Wirklichkeit nicht ähnelt, sie aber dennoch erfassen kann. Er bildet eine vor-gegenständliche Natur der taches. Die Montagne zeigt uns, dass die Natur nichts ist, was schon vorliegt, sondern etwas, das sich bildet.
Die Montagne erscheint uns in völliger Ruhe und Starrheit. Raum und Ding entstehen bei Cezanne aus dem gleichen Substrat: der Farbe. Wir nehmen eine andere Art Bewegung im Bilde wahr. Diese Bewegung entsteht aufgrund der Dynamik der Pinselstriche, welche sich in ihren Richtungen begegnen. Zeit und Bewegung vollziehen sich hier nicht im Raum, sondern bewirken den Raum erst. Die Montagne zeigt sich uns also nicht als fertiges Bild. Sie entsteht erst in unserer Erfahrung des Sehens. In der Cezanne-Diskussion wurde oft das Ende der wissenschaftlichen Perspektive erörtert. Cezanne repräsentiert den Raum mittels Farbe. Je nach ihrer Farbenergie erzeugen sie eine virtuelle Tiefe oder Nähe. Auch die Körper bilden sich auf diese Weise aus. Imdahl charakterisiert den Blick als eine Differenz und Einheit zwischen dem „sehenden Sehen“ und dem „wiedererkennenden Sehen“. Die Realität der Natur hat in jedem Falle eine prozesshafte Existenz. Sie ist Ausdruck einer Genese. Cezanne repräsentierte den Raum mittels der Eigenschaften der Farbe. Je nach der Farbenergie wird eine virtuelle optische Tiefe oder Nähe erzeugt. Der Übergang von dem Farbfleck in die räumlich-dingliche Natur liegt unserem Blick offen und ist zugleich rätselhaft. Imdahl beschreibt dies mit dem Ausdruck eines „sehenden Sehens“.
Die Dinge im Bild bieten sich in einer optischen Krümmung dar. „Die im Raum gesehenen Dinge sind alle konvex.“ Eine Oberfläche scheint uns in Farbton und Wert nur einheitlich, weil unser Auge sich bewegt, um sie gänzlich wahrzunehmen. Das starre Auge wird der eigenen Dynamik des Sichtbaren besser gerecht als das bewegliche. Bei Cezanne führt die Stillstellung des Auges zu einem beidäugigen Sehen. Die Montagne veranlasst uns zu einer Veränderung des Sehens. Cezanne hat nicht nur ein verändertes Raumkonzept entwickelt, er hat auch ein deutliches Bewusstsein von dessen Folgen für die Wahrnehmung.
Cezannes Farbsatz baut auf wenige unterschiedene Farbwerte. Er begreift Farbe als etwas Struktives. Man kann die Farben Blau, Grün, Ocker und ihre Abstufungen unterscheiden. Das Licht ist hier keine freie Kraft. Sie ist an Farbe gebunden. Der Rückgriff auf die unbunte Skala bleibt ausgeschlossen. Das Blau schafft in besonderem Maße Spannung, setzt sich der Schwere der Schatten und der Stofflichkeit des Lichtes entgegen.
Das Auge des Malers geht mit dem Gesehenen eine unauflösbare, dynamische Einheit ein. Ein distanzierendes Betrachten ist nicht mehr möglich. Das Sehen wird zu einer Beteiligung.
An der Montagne kann man deutlich das Ziel Cezannes erkennen: die Realisation von Landschaft. Er hat die Natur nicht einfach abgebildet, sondern zunächst in Farbwerte umgewandelt. Aufgrund der großen Kluft zwischen Wirklichkeit und Abbild, ist eine Übersetzung nötig, denn nur in der Farbe begegnen sich diese.

Hallo okla,

kleine Korrekturen:
verwährt => verwehrt
Konpositionslinien => Kompositionslinien
werden die Ebenen einander herangeführt => einander nähergeführt oder einander angenähert. …

Ich schlage vor, noch klarer den Text zu gliedern, z.B.:

  1. Komposition der Fläche, Geometrisches
  2. Raum und Fläche, Nähe und Ferne
  3. Farbauswahl, Kontraste, Farbauftrag, Pinselduktus
  4. Farbe im Bezug zum Gegenstand, Abbildungsfunktion oder Eigenwert der Farbe
  5. psychologische Wirkung auf den Betrachter, Wahrnehmungseffekte
  6. kunsthistorische Einordnung, was war vorher, was kam danach.

Oder als weitere Aufbauhilfe (mit entsprechendem Vokabular):
http://www.mugge-dinn.de/kunst_basics/Bildanalyse-ne…

Freundliche Grüße
rotmarder

Hallo,
vielen Dank für die Antwort. Ich habe mir den Link einmal angeguckt und ist das nicht genau diese werkimmanente Methode, die einem immer in der Schule gelehrt wurde? Davon soll ich ja gerade wegkommen. Oder ich betrachte einfach nur die Punkte 1-4 und nicht den Punkt 5 „Interpretation“. Denn ich verstehe nicht, was ich an einem Bild, wo es keinen symbolischen Gehalt oder irgendeinen biographischen Bezug gibt, interpretiren soll. Ich könnte höchstens die malerischen Absichten des Künstlers erläutern, diese würden aber auch eigentlich schon in die Punkte 1-4 mit einfließen.

Hallo okla,

ja, diese lange Liste von Fachbegriffen meinte ich besonders. Diese Begriffe sind nach meiner Meinung ein unverzichtbares Instrumentarium für eine gründliche formale Untersuchung des Bildes und liefern Anstöße für Aspekte bei einem Bildvergleich, da sie nicht epochengebunden sind, sondern aus vielen kunsthistorischen Stilen ein Extrakt bilden.

Freundliche Grüße
rotmarder