hallo,
okay ich habe einmal versucht eure Ratschläge umzusetzen. Ich habe jedoch immernoch Probleme damit, was jetzt Deutung und was noch Beschreibung ist. Ich bin hier zwar auch etwas auf das Umfeld eingegangen, habe jedoch versucht alles „drumherum“ auszublenden und nur das autonome Bild zu betrachten, denn nach Imdahl und Boehm ist es das Bild selbst worum es geht und es ist nicht Symbol von etwas anderem. Ich poste einfach mal die Interpretation, die etwas sehr lang geworden ist, es reicht völlig wenn ihr nur einen Ausschnitt lest 
Vielen lieben Dank
An Cezannes Serie „Montagne Sainte Victoire“ kann man den Gang seiner Entwicklung erkennen, die seine Einzelstellung bezüglich der Zeitgenossen aufweist.
Im Laufe der Zeit wird der Berg zu einer Art Dreieck, das sich über eine Ebene erhebt. Die Bildfläche wird zu einem Geflecht grober Striche in dichten und düsteren Tönen. Die Serie reiht sich in die Fülle der Landschaftsmotive ein, wie bspw. dem „Steinbruch von Bibémus“. Dennoch erscheint der Berg hier als etwas Beherrschendes und Unvergleichbares. Er verkörpert das Land des Künstlers. Die Metaphorik des Berges setzt sich in vielen neuzeitlichen Landschaftsbildern fort. Man denke nur an Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen. Aufragende Berge verkörpern Ferne, Unberührbarkeit, das Erhabene, die Dauer der Natur.
Das Bild zeigt uns eine weite, horizontal ausgebreitete Ebene und den aufsteigenden Berg in der Vertikale. Die Bildebene gleicht einem Teppich von Farbflecken, welche das Bild formen. An den einzelnen Farbtönen, bspw. dem giftigen Grün, kann man erkennen, dass Cezanne die Farben der Natur nicht täuschend nachempfindet. Sie verdeutlichen die Ambivalenz zwischen Bild und Wirklichkeit, denn nur in der Farbe können sich diese treffen. Die kontrastierenden Farbflecken verdeutlichen außerdem den Bildbau. Die Pinselstriche, die durch Cezanne Richtung und Form erhalten, ordnen sich zu Modulen an und geben dem Bild auf diese Weise Plastizität. Er „moduliert“ das Bild nicht aufgrund von Hell-Dunkel Kontrastierungen, sondern aufgrund von Farbkontrasten, denn jede Farbe kann einer Bildebenen zugesprochen werden. In der Farbe vereinigen sich die Ebenen. Die Pinselstriche sind mit bloßem Auge wahrzunehmen. Sie leiten durch ihre Festigkeit und Richtung unseren Blick. Die Mikro-Optik Monets hingegen ist nicht blickleitend. Sie schafft vielmehr durch ihre völlige Formlosigkeit einen fließenden Übergang der Farben und Formen ineinander. Die vom Auge kaum unterscheidbaren Farbsignale geben dem Motiv etwas Momentanes. Entsprechend begreift der Impressionist die Wirklichkeit als etwas Fließendes und Momentanes.
Bei Cezanne ist der Betrachter zunächst optischen Prozessen ausgesetzt. Die Elemente behalten ihre Deutlichkeit, sie tauchen nicht in einer Kontinuität der Bildfläche unter. So kann man sehen, dass Cezanne nicht mit Farbe und Form arbeitet. Er versteht vielmehr die Farbe als Form. Die Formen existieren nur durch benachbarte Formen.
Betrachtet man den Raum, den Cezanne in diesem Bild schafft, so ist zunächst festzustellen, das dem Betrachter ein Eintritt in das Bild verwährt bleibt. Das Bild türmt sich vor dem Betrachter auf wie eine Mauer. Für Cezanne sind weniger die Verkürzungen charakteristisch, als vielmehr eine Sicht ohne betretbare Nähe und ohne wirkliche Ferne. Da der gesamte Raum aus Modulen, die sich lediglich in ihrer Richtung unterscheiden, aufgebaut ist, gibt es auch kein räumliches Zurückweichen. Alles folgt der Optik des gleichen taches. Der Vordergrund und der Hintergrund nähern sich an, denn sie beinhalten die gleichen Farben. Auch erkennt man anhand der Konpositionslinien die Parallelität des Berges zu Bereichen aus dem Vordergrund. Auf diese Weise werden die Ebenen einander herangeführt und die Tiefe verringert. Cezanne entwickelt die Tiefe hauptsächlich aus der Vertikalen heraus. Das Bild erscheint wie eine Wand.
Unser erster Bildeindruck ist nun nicht mehr ein Wiedererkennenwollen des Motivs. Denn das Motiv ist vor allem ein Teppich aus Farbflecken. Dadurch entstehen Kontraste der Farbflächen, welche eine Spannung des Bildes erzeugen. Jedes einzelne Element des Bildes verweist auf nichts außerhalb des Bildes. Es verweist lediglich auf das Bild selbst. Erst die Abfolge der Flecken erzeugt Wiedererkennbares. Die Bildgegenstände können wir jedoch nur in ihrem Sachverhalt umschreiben. Wir können bspw. Ebene, Berg, Himmel erkennen. Cezannes Bilder stellen kein Abbild dar. Die Einsicht in den Zustand der Welt vermittelt das Bild vielmehr über die Arbeit der Struktur.
Cezanne übernahm von den Impressionisten die Rückkehr zur Natur, die Arbeit im plein air. Dies hatte zugleich auch einen zivilisationskritischen Akzent. Cezanne ging jedoch einen Schritt weiter als die Impressionisten. Für ihn hatte die Natur eine komplexere und tiefere Bedeutung. Mit jedem einzelnen Element setzt Cezanne auch immer eine Beziehung zu anderen Elementen. Für ihn bedeutete Malen ein Kontrastieren. Die Gemälde Cezannes entfalten ein System aus Elementen, das der Wirklichkeit nicht ähnelt, sie aber dennoch erfassen kann. Er bildet eine vor-gegenständliche Natur der taches. Die Montagne zeigt uns, dass die Natur nichts ist, was schon vorliegt, sondern etwas, das sich bildet.
Die Montagne erscheint uns in völliger Ruhe und Starrheit. Raum und Ding entstehen bei Cezanne aus dem gleichen Substrat: der Farbe. Wir nehmen eine andere Art Bewegung im Bilde wahr. Diese Bewegung entsteht aufgrund der Dynamik der Pinselstriche, welche sich in ihren Richtungen begegnen. Zeit und Bewegung vollziehen sich hier nicht im Raum, sondern bewirken den Raum erst. Die Montagne zeigt sich uns also nicht als fertiges Bild. Sie entsteht erst in unserer Erfahrung des Sehens. In der Cezanne-Diskussion wurde oft das Ende der wissenschaftlichen Perspektive erörtert. Cezanne repräsentiert den Raum mittels Farbe. Je nach ihrer Farbenergie erzeugen sie eine virtuelle Tiefe oder Nähe. Auch die Körper bilden sich auf diese Weise aus. Imdahl charakterisiert den Blick als eine Differenz und Einheit zwischen dem „sehenden Sehen“ und dem „wiedererkennenden Sehen“. Die Realität der Natur hat in jedem Falle eine prozesshafte Existenz. Sie ist Ausdruck einer Genese. Cezanne repräsentierte den Raum mittels der Eigenschaften der Farbe. Je nach der Farbenergie wird eine virtuelle optische Tiefe oder Nähe erzeugt. Der Übergang von dem Farbfleck in die räumlich-dingliche Natur liegt unserem Blick offen und ist zugleich rätselhaft. Imdahl beschreibt dies mit dem Ausdruck eines „sehenden Sehens“.
Die Dinge im Bild bieten sich in einer optischen Krümmung dar. „Die im Raum gesehenen Dinge sind alle konvex.“ Eine Oberfläche scheint uns in Farbton und Wert nur einheitlich, weil unser Auge sich bewegt, um sie gänzlich wahrzunehmen. Das starre Auge wird der eigenen Dynamik des Sichtbaren besser gerecht als das bewegliche. Bei Cezanne führt die Stillstellung des Auges zu einem beidäugigen Sehen. Die Montagne veranlasst uns zu einer Veränderung des Sehens. Cezanne hat nicht nur ein verändertes Raumkonzept entwickelt, er hat auch ein deutliches Bewusstsein von dessen Folgen für die Wahrnehmung.
Cezannes Farbsatz baut auf wenige unterschiedene Farbwerte. Er begreift Farbe als etwas Struktives. Man kann die Farben Blau, Grün, Ocker und ihre Abstufungen unterscheiden. Das Licht ist hier keine freie Kraft. Sie ist an Farbe gebunden. Der Rückgriff auf die unbunte Skala bleibt ausgeschlossen. Das Blau schafft in besonderem Maße Spannung, setzt sich der Schwere der Schatten und der Stofflichkeit des Lichtes entgegen.
Das Auge des Malers geht mit dem Gesehenen eine unauflösbare, dynamische Einheit ein. Ein distanzierendes Betrachten ist nicht mehr möglich. Das Sehen wird zu einer Beteiligung.
An der Montagne kann man deutlich das Ziel Cezannes erkennen: die Realisation von Landschaft. Er hat die Natur nicht einfach abgebildet, sondern zunächst in Farbwerte umgewandelt. Aufgrund der großen Kluft zwischen Wirklichkeit und Abbild, ist eine Übersetzung nötig, denn nur in der Farbe begegnen sich diese.