'Heroische Zeiten' der Psychoanalyse ?

Machs Dir nicht allzu einfach
Hallo Nescio

Ihr habt euch vereint in der Abwehr von Gross und Reich,
habt allerlei Abträgliches über beide Personen von euch
gegeben,
aber auch die Sache, wofür die beiden Namen hier stehen
sollten
(Adornos „Heroische Zeiten der Psychoanalyse“; „Abbau des
Überich“)
entschieden abgelehnt.

Das nenne ich „das Kind mit dem Bade ausschütten“.
Und ziehe mir nicht das Hemd des Reaktionärs an, welches Du mir da ausbreitest.
Dir ist ja sicherlich klar, bei aller Reich- und Gross-Verehrung, dass beide nicht geringe psychische Probleme hatten und dass man dem späten Reich (auch von Freundesseite, A.S.Neill um Beispiel) nun einmal eine gewisse Paranoika nicht absprechen konnte.
Ich hoffe, Deine Verehrung dieser beiden geht nicht so weit, dass auch Du irgendwelche derartigen Züge entwickelst, sondern nach wie vor Sachliches & Sachdienliches von Einäugigem und Fanatischen unterscheiden kannst.
Im brigen sind -soweit ich dies bisher gemerkt habe- Ben und ich politisch da nicht weit auseinander.
Gruß,
Branden

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Hallo, Nescio,

leider muß ich Dich wieder enttäuschen. Du hast gar nichts gestiftet und hier hat sich niemand vereint. Branden hat bloß Recht, mit dem was er sagt. Deshalb stimme ich ihm zu.

Tschüß sagt

Oliver Walter

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Hallo Nescio,

Mich würde jetzt nur noch interessieren, was Ben Hechenrieder,
…, dazu sagt.

nachdem Du mich persönlich angesprochen hast, schalte ich mich in einen Thread ein, den ich leider für ziemlich daneben geraten halte (nicht wegen seiner Ausgangsfrage!).

Zuerst ein kurzer Kommentar zu Brandens abschließender Aussage:

Freuds Bemerkung: Wir haben hier einen jungen
Kollegen, der allzusehr sein „Steckenpferd“ reitet, sagte
shließlich schon mehr als genug. Freud erkannte Reichs
wissenschaftliche Einseitigkeit, seine Neigung zum
Fanatischen, seine Neigung, wie viele andere Schüler sie
leider ebenfalls hatten, einige Details der Psychoanalyse
„aufzublasen“.

Ich bin der Überzeugung, dass Freud das tatsächlich so gesehen hat; (um diese von Oliver immer genannten „Machtspielchen“ aber geht es hier nicht; zweifellos sind in der Beziehung Freuds zu Reich Projektionen und Übertragungskonflikte zu finden, aber in welcher Schule denn nicht?).

Dazu kommt aber, dass Freud die Psychoanalyse sicher nicht als gesellschaftstheoretisches und -politisches Instrumentarium verstanden hat, was sie aber damals dezidiert war (und vielleicht noch ist);

er wollte also all die möglich Implikationen, die die Psychoanalyse für einen linken Befreiungsdiskurs lieferte, weder wahrnehmen noch gar akzentuieren;

stattdessen tritt bei ihm an diesen Stellen anthropologisierender Kulturpessimismus auf, wie z.B. im „Unbehagen der Kultur“:

„Mit der Aufhebung des Privateigentums entzieht man der menschlichen Aggressionslust eines ihrer Werkzeuge, gewiß ein starkes und gewiß nicht das stärkste. An den Unterschieden von Macht und Einfluss, welches die Aggression für ihre Absichten mißbraucht, daran hat man nichts geändert, auch an ihrem Wesen nicht. Sie ist nicht durch das Eigentum geschaffen worden, herrschte fast uneingeschränkt in Urzeiten, als das Eigentum noch sehr armselig war, zeigt sich bereits in der Kinderstube, kaum daß das Eigentum seine anale Urform aufgegeben hat […] Räumt man das persönliche Anrecht auf dingliche Güter weg, so bleibt noch das Vorrecht aus sexuellen Beziehungen, das die Quelle der stärksten Mißgunst und der heftigsten Feindseligkeit unter den sonst gleichgestellten Menschen werden muß. Hebt man auch dieses auf durch die völlige Befreiung des Sexuallebens, beseitigt also die Familie, die Keimzelle der Kultur, so lässt sich zwar nicht vorhersehen, welche neuen Wege die Kulturentwicklung einschlagen kann, aber eines darf man erwarten, daß der unzerstörbare Zug der menschlichen Kultur ihr auch dorthin folgen wird“.

Man sieht an Stellen wie der eben zitierten, warum Reich für Freud inhaltlich nicht tragbar war, dass Reichs „Revision“ aber aus meiner Sicht nicht ein bloßes „Aufblasen von Details“ war, sondern in gewisser Weise auch eine Ent-Ideologisierung der Freudschen Psychoanalyse (deren bürgerlich-kapitalistisch-patriarchalische Ideologie ja auch Fromm in den 30er herausgearbeitet hat);

Nur um Missverständnissen vorzubeugen: ich persönlich akzeptiere Reichs Kritik an Freud; wertschätze, aber akzeptiere nicht dessen eigene Weiterentwicklung des Freudomarxismus, und bin ziemlich verwundert über dessen spätere Theorie (Orgontherapie, etc.).

HINZU kam dann Reichs Engagement in der KPD. Das war für
Freud, der seine ohnehin von der bürgerlichen Gesellschaft
allzu skeptisch aufgenommene Psychoanalyse als gefährdet
ansah, ein weiterer Gefahrenpool.

Auch das halte ich für faktisch richtig, füge allerdings noch hinzu, dass meines Wissens Reich 1929 aus der SPÖ und 1933 aus der KPD ausgeschlossen wurde, also auch dort bereits zu früheren Zeiten am Rande des Spektrums stand

Zu Oliver:

Gross war Anarchist und psychisch nicht gesund. Er war kokain-
und morphinabhängig, verbrachte Teile seines Lebens im
Gefängnis und in Irrenanstalten und zwar nicht nur als
Psychiater, sondern auch als mehrfach zwangseingewiesener
Patient. Ihm wurden die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.
Sein Sexualleben war - gelinde gesprochen - für die damalige
Zeit unkonventionell. Einer seiner vielen Frauen gab er Gift
und sie brachte sich damit um. Der Mann bestand auf dem
Ausleben seiner Triebe, feierte Orgien usw. Diese
Lebensführung galt ihm als beispielhaft für die zukünftige
Gesellschaftsform.

Es ist schlicht dumpf, die Validität der Gross’schen Thesen in so unvermittelter Weise mit dessen Biographie zu verbinden; das muss nicht weiter kommentiert werden.

Die Psychoanalyse wollte er als Mittel zum
Herbeiführen dieser vom ihm angestrebten Gesellschaftsform
benutzen. Darauf bekam er von Freud die Antwort: „Wir sind
Ärzte, und wir bleiben Ärzte.“

Das halte ich allerdings ebenfalls für den vordringlichsten Grund der Ablehnung Gross’ durch Freud, wobei zwei Dinge dazu festzuhalten sind:

  1. Gross wollte auch „Arzt“ bleiben (für Oliver ist Gross’ politisches Engagement völlig von seiner Tätigkeit zu trennen, schlimmer noch: ist ein Produkt seiner psychischen -damit: zutiefst privaten- Störung; aus meiner Sicht ist aber Gross’ Engagement nicht privater und nicht pathologischer als Freuds Nicht-Engagement, also dessen positivistisch-gesellschaftsaffirmierende Haltung).

  2. der entscheidende Punkt: diese Ausweitung dessen, was ein „Arzt“ ist, also der Wandel der Funktion von Medizin/Psychologie innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen, den Gross reklamiert, ist in Freuds psychoanalytischer Theorie selbst angelegt, ist meines Erachtens sogar deren Essenz;

aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass an dieser Stelle Gross mehr an der Psychoanalyse festhält als Freud selbst (wenngleich ich nicht verschweigen möchte, dass ich selbst auch mit Gross’ anderen Positionen, so sie mir bekannt sind, recht wenig anfangen kann)

Zu Deiner Ausgangsfrage bezüglich der genannten Pasage bei Adorno:

  1. Adorno steht sicherlich in einer Position der Nachfolge der freudomarxistischen Positionen Reichs und auch Fromms; bei beiden geht er allerdings nur den Grundgedanken einer von der Psychoanalyse inspirierten Gesellschaftstheorie mit;

er lehnt aber bei Reich dessen Position der gesellschaftlichen-Befreiung-durch-Freisetzung-des-Sexualtriebs (grob benannt) aus meiner Sicht dezidiert ab,

und lehnt bei Fromm im Grunde dessen ganze psychoanalytische Theorie, welche aus der Psychoanalyse aus seiner Sicht zu unmittelbar eine Soziologie macht („je mehr die Psychoanalyse soziologisiert wird, desto stumpfer wird ihr Organ für die Erkenntnis der sozial verursachten Konflikte“; „Die revidierte Psychoanalyse“, in: Soziologische Schriften I, Seite 28), radikal ab.

Der Grundgedanke bleibt aber, dass:
„die radikale Psychoanalyse, indem sie sich auf Libido als ein Vorgesellschaftliches richtet, … jene Punkte erreicht, wo das gesellschaftliche Prinzip der Herrschaft mit dem psychologischen der Triebunterdrückung koinzidiert“ (27), also Psychoanalyse einen situs analyticus bietet, an dem der Hebel von Gesellschaftskritik, in Deinen Worten: radikaler Aufklärung, angesetzt werden kann.

  1. dazu kommt, dass Adorno die eben diskutierte Position Freuds von den „Ärzten, die Ärzte bleiben sollen“ als ideologischen Ausdruck der Anpassung an die Gesellschaft erkennt, weil gilt:
    "als Methode medizinischer Behandlung innerhalb gegebener sozialer Verhältnisse muß sie [die Psychoanalyse] die gesellschaftliche Anpassung der Patienten [an die gegebenen sozialen Verhältnisse] befördern (39);
    „Im Namen des Realitätsprinzips rechtfertigt sie die seelischen Opfer des Individuums, ohne das Realititätsprinzip selber einer rationalen Prüfung auszusetzen“ (39); also auch hier: radikale Aufklärung.

Ganz kurz: Aus meiner Sicht meint Adorno mit „Freudscher Schule“ den Gegensatz zu dem, was er „Neo-Freudsche Schule“ nennt, nämlich die Neo-Analyse bei Horney, Fromm, etc. (gegen diese sind die gerade zitierten Stellen geschrieben).

Mit „heroischen Zeiten“ meint er meines Erachtens die Zeiten, in denen das eben Zitierte bzw. das diesen Gedanken zu Grunde liegende in den Freudschen Schriften per Interpretationsbewegung zu finden war, die Psychoanalyse noch den genannten aufklärerischen Stachel besaß;
ein gesellschaftskritischer Stachel, der paradoxerweise nach Adorno von denen gezogen worden ist, die ihn „seit etwa fünfundzwanzig Jahren“ (also hier eine „Zeiten“-Angabe Adornos; 20) ihrer eigenen Intention nach erst zum Stechen bringen wollten, von der Neo-Analyse mit ihrer „Soziologisierung der Psychoanalyse“ (20).

(Adornos Gedankenfigur: gerade durch die scheinbare Herausarbeitung des Stachels durch die Neo-Analyse, wird der Stachel in den Schrifen Freuds erst verborgen)

Viele Grüße
franz

Hallo Franz,

vielen Dank für deine ausführliche Stellungnahme.
Darin gibt es etliche Stellen, an denen es mich juckt, einzuhaken;
aber ich denke, dass dies dann ein viel zu spezieller Dialog
würde, dem ausser uns niemand mehr folgen wollte.

Jedenfalls stimmen wir darin überein, dass

…Reichs „Revision“ … nicht ein bloßes „Aufblasen von Details“
[wie Branden sagte] war, sondern in gewisser Weise auch eine
Ent-Ideologisierung der Freudschen Psychoanalyse

…an dieser Stelle [gesellschaftliche Funktion des „Arztes“]
Gross mehr an der Psychoanalyse festhält als Freud selbst

Ich finde darüber hinaus die Methode sehr erhellend, wie Freud
ausgerechnet mit diesen beiden verfahren ist - und, nicht zu
vergessen, dass dies von der gesamten „Freudschule“ entweder nicht
bemerkt oder stillschweigend gutgeheissen wurde.

Zu Deiner Ausgangsfrage bezüglich der genannten Pasage bei Adorno:
[…]
Ganz kurz: Aus meiner Sicht meint Adorno mit „Freudscher
Schule“ den Gegensatz zu dem, was er „Neo-Freudsche Schule“
nennt, nämlich die Neo-Analyse bei Horney, Fromm, etc. (gegen
diese sind die gerade zitierten Stellen geschrieben).

Gut, das auf jeden Fall.
Damit ist aber Adornos Herumschreiben um und Kritisieren an
Ferenczis zaghaften Reden vom Abbau des Überich etc. in der genannten
Passage der ND, dazu das unzutreffende Benennen als Freudschule und
das Raunen von deren heroischen Zeiten nicht in plausiblen
Zusammenhang gebracht.

Mit „heroischen Zeiten“ meint er meines Erachtens die Zeiten,
in denen das eben Zitierte bzw. das diesen Gedanken zu Grunde
liegende in den Freudschen Schriften per
Interpretationsbewegung zu finden war, die Psychoanalyse noch
den genannten aufklärerischen Stachel besaß;

Indem er sich auf Kritik der Neo-Analyse kaprizierte, wählte er sich
einen theoretisch schwachen Gegner. Das mag aufgrund von dessen
Popularität gerechtfertigt gewesen sein. Aber es führte nicht weiter.
Was ich interessant und nach wie vor erhellungsbedürftig finde, ist
sein Umgehen von Figuren wie Reich und Fenichel (Gross wird er nicht
gekannt haben), die das, was er an dem späten Ferenczi erst hervorhob
und dann als halbherzig bemängelte, weitergeführt hatten. Er raunt,
die PsA habe einmal „heroische Zeiten“ gehabt, weicht dann aber ins
Diffuse aus. Ich erkläre mir das provisorisch so, dass er nach seiner
und Horkheimers Hitler-imprimierten, Sade-inspirierten,
defaitistischen Sicht von „Aufklärung“ eben keinen Mumm mehr hatte.
Aber genug davon !

Es grüsst
Nescio

Hallo Branden,

Ihr habt euch vereint in der Abwehr von Gross und Reich,
habt allerlei Abträgliches über beide Personen von euch
gegeben,
aber auch die Sache, wofür die beiden Namen hier stehen
sollten
(Adornos „Heroische Zeiten der Psychoanalyse“; „Abbau des
Überich“)
entschieden abgelehnt.

Das nenne ich „das Kind mit dem Bade ausschütten“.

hierin pflichte ich Dir ungefragt bei.

Dir ist ja sicherlich klar, bei aller Reich- und
Gross-Verehrung, dass beide nicht geringe psychische Probleme
hatten und dass man dem späten Reich (auch von Freundesseite,
A.S.Neill um Beispiel) nun einmal eine gewisse Paranoika nicht
absprechen konnte.

Meine Frage ist: was besagt das?

Nach Adorno ist ja genau der „Kranke“, der Neurotiker, der Unangepasste derjenige, der den herrschenden Verhältnissen noch Widerstand entgegensetzen kann, womit -so paradox es klingt- dem Paranoiker vielleicht sogar mehr Gehör zu schenken wäre als dem vorgeblich Gesunden (übrigens fällt ja auch Adorno selbst in die Kategorie „psychische Probleme“)

Das entscheidende Potential der Psychoanalyse scheint mir in der Tat das zu sein, die bei Kant begonnene Erkenntniskritik zu radikalisieren, schlicht gesagt: zu zeigen, wie bestimmte Erkenntnisse nur von bestimmten Subjektpositionen (ein Ausdruck Lacans) erlangt werden können;

inwiefern soll also a priori die Subjektposition des Paranoikers einer anderen Positionen unterlegen sein, z.B. der Subjektposition des Hysterikers (welche nach Lacan Freud innehat)?

Diese erkenntnistheoretische Implikation der Psychoanalyse hat ja auch Freud zurecht stets betont, hat sich sehr wohl in eine Reihe Kant-Schopenhauer-Nietzsche verortet; (für Lacan gilt dies a fortiori)

BTW: Mit diesem Hinweis wollte ich auch viel weniger Dir widersprechen, als meine Meinung zu äußern, dass Dir von anderer Seite -welche diese Inferiorität gedankenlos voraussetzt- allzu schnell, vorschnell, beigepflichtet worden ist, Dich in gewisser Weise -um Dein Bild aufzunehmen- in jene Babybadewanne gepresst hat, aus der Dich Nescio dann (unangenehmerweise) ausgeschüttet hat.

Einäugigem und
Fanatischen unterscheiden kannst.

Hier (klar was gemeint ist) kommen wir zu einer anderen Subjektposition: aus meiner Sicht der des Narzissten, der Dir zustimmen muss um damit projizierend Deine so ersehnte Zustimmung imaginieren zu können

Im brigen sind -soweit ich dies bisher gemerkt habe- Ben und
ich politisch da nicht weit auseinander.

Könnte ich mir auch vorstellen, solange man nicht zu weit in den Feinheiten sucht

Viele Grüße
franz

Hallo Nescio,

Dir ist ja sicherlich klar, bei aller Reich- und
Gross-Verehrung, dass beide nicht geringe psychische Probleme
hatten und dass man dem späten Reich (auch von Freundesseite,
A.S.Neill um Beispiel) nun einmal eine gewisse Paranoika nicht
absprechen konnte.
Ich hoffe, Deine Verehrung dieser beiden geht nicht so weit,
dass auch Du irgendwelche derartigen Züge entwickelst…

Aber, aber…
Wie nennt so etwas, was du da machst, der Psychiater oder
Psychoanalytiker ?

Gruss
Nescio

Hallo Nescio

vielen Dank für deine ausführliche Stellungnahme.
Darin gibt es etliche Stellen, an denen es mich juckt,
einzuhaken;
aber ich denke, dass dies dann ein viel zu spezieller Dialog
würde, dem ausser uns niemand mehr folgen wollte.

Stimmt!

Jedenfalls stimmen wir darin überein, dass

…Reichs „Revision“ … nicht ein bloßes „Aufblasen von Details“
[wie Branden [Freud korrekt referierend] sagte] war, sondern in gewisser Weise auch eine
Ent-Ideologisierung der Freudschen Psychoanalyse

…an dieser Stelle [gesellschaftliche Funktion des „Arztes“]
Gross mehr an der Psychoanalyse festhält als Freud selbst

Ja

Zu Deiner Ausgangsfrage bezüglich der genannten Pasage bei Adorno:
[…]
Ganz kurz: Aus meiner Sicht meint Adorno mit „Freudscher
Schule“ den Gegensatz zu dem, was er „Neo-Freudsche Schule“
nennt, nämlich die Neo-Analyse bei Horney, Fromm, etc. (gegen
diese sind die gerade zitierten Stellen geschrieben).

Gut, das auf jeden Fall.

OK

Damit ist aber Adornos Herumschreiben um und Kritisieren an
Ferenczis zaghaften Reden vom Abbau des Überich etc. in der
genannten
Passage der ND, dazu das unzutreffende Benennen als
Freudschule und
das Raunen von deren heroischen Zeiten nicht in plausiblen
Zusammenhang gebracht.

Stimmt auch; wie schon im ersten Posting gesagt, kann ich mir auf diese Passage keinen Reim machen; Deinen „Reim“ (der auf jeden Fall interessant ist) würde ich allerdings ebenfalls nicht akzeptieren, weil meines Erachtes nicht viel in Adornos Gesamtwerk dafür spricht, aber seis drum.

Mit „heroischen Zeiten“ meint er meines Erachtens die Zeiten,
in denen das eben Zitierte bzw. das diesen Gedanken zu Grunde
liegende in den Freudschen Schriften per
Interpretationsbewegung zu finden war, die Psychoanalyse noch
den genannten aufklärerischen Stachel besaß;

Er
raunt,
die PsA habe einmal „heroische Zeiten“ gehabt, weicht dann
aber ins
Diffuse aus. Ich erkläre mir das provisorisch so, dass er nach
seiner
und Horkheimers Hitler-imprimierten, Sade-inspirierten,
defaitistischen Sicht von „Aufklärung“ eben keinen Mumm mehr
hatte.
Aber genug davon !

Die „Dialektik der Aufklärung“ sehe ich etwas anders als Du, nicht als Verzagung oder Verzweiflung (ich weiß Deinen Wortlaut nicht auswendig, den Du an anderer Stelle dafür gebraucht hast), sondern als einen grundlegenden „Bruch“ Adornos mit bestimmten theoretischen Voraussetzungen (den er später teilweise wieder zurücknimmt), in erster Linie mit dem Hegelianismus.

Viele abschließende Grüße
franz

Hallo Nescio

Aber, aber…
Wie nennt so etwas, was du da machst, der Psychiater oder
Psychoanalytiker ?

Geht in die Richtung strukturelle Deutung, womit natürlich Charakterstruktur-Deutung a la Reich gemeint ist :wink:.
Gruß,
Branden

Hallo Ben

Dir ist ja sicherlich klar, bei aller Reich- und
Gross-Verehrung, dass beide nicht geringe psychische Probleme
hatten und dass man dem späten Reich (auch von Freundesseite,
A.S.Neill um Beispiel) nun einmal eine gewisse Paranoika nicht
absprechen konnte.

Meine Frage ist: was besagt das?

Das besagt unter anderem, dass beim „langen Mitgehen“ durch Identifikation mit dem „Helden“ (Reich, Gross) das reflektierende Denken über dessen Gesamtsituation leider häufig nachlässt und dessen Fehler nicht mehr erkannt werden.

Nach Adorno ist ja genau der „Kranke“, der Neurotiker, der
Unangepasste derjenige, der den herrschenden Verhältnissen
noch Widerstand entgegensetzen kann, womit -so paradox es
klingt- dem Paranoiker vielleicht sogar mehr Gehör zu schenken
wäre als dem vorgeblich Gesunden (übrigens fällt ja auch
Adorno selbst in die Kategorie „psychische Probleme“)

Ich stimme Dir hier zu großem Teil zu; mir geht es bei einigen rechrt neurotischen, aber genialen „Helden“ auch so, dass ich ein Stück weit in ihren Bannkreis gezogen werde. Zur Zeit fasziniert mich Walter Benjamin z.B. immens. Trotzdem ist es notwendig, die Identifikationen immer wieder mal zu unterbrechen und zu hinterfragen, sonst ist -auch laut Adorno- eine intellektuelle Schau kontinuierlich nicht möglich.

inwiefern soll also a priori die Subjektposition des
Paranoikers einer anderen Positionen unterlegen sein, z.B. der
Subjektposition des Hysterikers (welche nach Lacan Freud
innehat)?

Abgesehen davon, dass Freud recht wenig Hysterie in sich trug -weit weniger als z.B. Jung, würde ich sagen - und abgesehen davon, dass eine „gesunde Mixtur“ in fast allen von uns ihr „Unwesen“ treibt, kann und muss man -wenigstens in der praktischen Medizin und Psychoanalyse- den Stellenwert von psychischer Krankheit auch schon quantitativ berücksichtigen, meine ich. Vielleicht sitzt mir da der Arzt näher als der Philosoph, das mag sein, das halte ich aber im großen und ganzen für keinen Nachteil, denn es hilft, auf dem Teppich zu bleiben. :wink:

Gruß,
Branden

Hallo Branden,

Meine Frage ist: was besagt das?

Das besagt unter anderem, dass beim „langen Mitgehen“ durch
Identifikation mit dem „Helden“ (Reich, Gross) das
reflektierende Denken über dessen Gesamtsituation leider
häufig nachlässt und dessen Fehler nicht mehr erkannt werden.

So verstanden stimme ich natürlich zu;

ich hatte zwischenzeitlich den Eindruck, Du würdest Oliver darin beipflichten, dass man die Thesen Reichs oder Gross’ schon einfach damit erledigen könnte, dass sie „psychisch gestört“ waren (diese „Allianz“ war ja auch Nescios Eindruck);

nur einer solchen Position würde ich widersprechen, weil das allzu „orthomanisch“ wäre; aber das hast Du ja hier klargestellt

inwiefern soll also a priori die Subjektposition des
Paranoikers einer anderen Positionen unterlegen sein, z.B. der
Subjektposition des Hysterikers (welche nach Lacan Freud
innehat)?

Abgesehen davon, dass Freud recht wenig Hysterie

nach Lacan brauchte er diese hysterischen Anteile sogar um das Projekt der Psychoanalyse auf die Beine stellen zu können; wenn ich das also erwähnt habe, dann nicht als „schmälernde Einschränkung“!

und abgesehen
davon, dass eine „gesunde Mixtur“ in fast allen von uns ihr
„Unwesen“ treibt

richtig, das ist ja eben der Punkt auf den ich hinweisen wollte und der mir die entscheidende „erkenntnistheoretische“ Neuerung (aber auch medeizinisch-psychologische!) durch die Psychoanalyse ist.

, kann und muss man -wenigstens in der
praktischen Medizin und Psychoanalyse- den Stellenwert von
psychischer Krankheit auch schon quantitativ berücksichtigen,
meine ich. Vielleicht sitzt mir da der Arzt näher als der
Philosoph

das ist schon in Ordnung, solange eben das Bezugssystem, die Position von der aus man eine Aussage trifft, mit berücksichtigt wird; macht man das nicht, dann betreibt man Philosophie auf dem Niveau von Psychotherapie - und erst dann wird das ein Fehler.

, das mag sein, das halte ich aber im großen und
ganzen für keinen Nachteil, denn es hilft, auf dem Teppich zu
bleiben. :wink:

Völlig richtig; wobei man ja beispielsweise nicht mit seinem praktisch-medizinischen Wissen auf dem „medizinischen“ Teppich bleiben soll, sondern lediglich durch den „Teppichwechsel“ das entsprechende Wissen mit-gewechselt werden muss.

Viele Grüße
franz