Hallo Nescio,
Mich würde jetzt nur noch interessieren, was Ben Hechenrieder,
…, dazu sagt.
nachdem Du mich persönlich angesprochen hast, schalte ich mich in einen Thread ein, den ich leider für ziemlich daneben geraten halte (nicht wegen seiner Ausgangsfrage!).
Zuerst ein kurzer Kommentar zu Brandens abschließender Aussage:
Freuds Bemerkung: Wir haben hier einen jungen
Kollegen, der allzusehr sein „Steckenpferd“ reitet, sagte
shließlich schon mehr als genug. Freud erkannte Reichs
wissenschaftliche Einseitigkeit, seine Neigung zum
Fanatischen, seine Neigung, wie viele andere Schüler sie
leider ebenfalls hatten, einige Details der Psychoanalyse
„aufzublasen“.
Ich bin der Überzeugung, dass Freud das tatsächlich so gesehen hat; (um diese von Oliver immer genannten „Machtspielchen“ aber geht es hier nicht; zweifellos sind in der Beziehung Freuds zu Reich Projektionen und Übertragungskonflikte zu finden, aber in welcher Schule denn nicht?).
Dazu kommt aber, dass Freud die Psychoanalyse sicher nicht als gesellschaftstheoretisches und -politisches Instrumentarium verstanden hat, was sie aber damals dezidiert war (und vielleicht noch ist);
er wollte also all die möglich Implikationen, die die Psychoanalyse für einen linken Befreiungsdiskurs lieferte, weder wahrnehmen noch gar akzentuieren;
stattdessen tritt bei ihm an diesen Stellen anthropologisierender Kulturpessimismus auf, wie z.B. im „Unbehagen der Kultur“:
„Mit der Aufhebung des Privateigentums entzieht man der menschlichen Aggressionslust eines ihrer Werkzeuge, gewiß ein starkes und gewiß nicht das stärkste. An den Unterschieden von Macht und Einfluss, welches die Aggression für ihre Absichten mißbraucht, daran hat man nichts geändert, auch an ihrem Wesen nicht. Sie ist nicht durch das Eigentum geschaffen worden, herrschte fast uneingeschränkt in Urzeiten, als das Eigentum noch sehr armselig war, zeigt sich bereits in der Kinderstube, kaum daß das Eigentum seine anale Urform aufgegeben hat […] Räumt man das persönliche Anrecht auf dingliche Güter weg, so bleibt noch das Vorrecht aus sexuellen Beziehungen, das die Quelle der stärksten Mißgunst und der heftigsten Feindseligkeit unter den sonst gleichgestellten Menschen werden muß. Hebt man auch dieses auf durch die völlige Befreiung des Sexuallebens, beseitigt also die Familie, die Keimzelle der Kultur, so lässt sich zwar nicht vorhersehen, welche neuen Wege die Kulturentwicklung einschlagen kann, aber eines darf man erwarten, daß der unzerstörbare Zug der menschlichen Kultur ihr auch dorthin folgen wird“.
Man sieht an Stellen wie der eben zitierten, warum Reich für Freud inhaltlich nicht tragbar war, dass Reichs „Revision“ aber aus meiner Sicht nicht ein bloßes „Aufblasen von Details“ war, sondern in gewisser Weise auch eine Ent-Ideologisierung der Freudschen Psychoanalyse (deren bürgerlich-kapitalistisch-patriarchalische Ideologie ja auch Fromm in den 30er herausgearbeitet hat);
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: ich persönlich akzeptiere Reichs Kritik an Freud; wertschätze, aber akzeptiere nicht dessen eigene Weiterentwicklung des Freudomarxismus, und bin ziemlich verwundert über dessen spätere Theorie (Orgontherapie, etc.).
HINZU kam dann Reichs Engagement in der KPD. Das war für
Freud, der seine ohnehin von der bürgerlichen Gesellschaft
allzu skeptisch aufgenommene Psychoanalyse als gefährdet
ansah, ein weiterer Gefahrenpool.
Auch das halte ich für faktisch richtig, füge allerdings noch hinzu, dass meines Wissens Reich 1929 aus der SPÖ und 1933 aus der KPD ausgeschlossen wurde, also auch dort bereits zu früheren Zeiten am Rande des Spektrums stand
Zu Oliver:
Gross war Anarchist und psychisch nicht gesund. Er war kokain-
und morphinabhängig, verbrachte Teile seines Lebens im
Gefängnis und in Irrenanstalten und zwar nicht nur als
Psychiater, sondern auch als mehrfach zwangseingewiesener
Patient. Ihm wurden die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.
Sein Sexualleben war - gelinde gesprochen - für die damalige
Zeit unkonventionell. Einer seiner vielen Frauen gab er Gift
und sie brachte sich damit um. Der Mann bestand auf dem
Ausleben seiner Triebe, feierte Orgien usw. Diese
Lebensführung galt ihm als beispielhaft für die zukünftige
Gesellschaftsform.
Es ist schlicht dumpf, die Validität der Gross’schen Thesen in so unvermittelter Weise mit dessen Biographie zu verbinden; das muss nicht weiter kommentiert werden.
Die Psychoanalyse wollte er als Mittel zum
Herbeiführen dieser vom ihm angestrebten Gesellschaftsform
benutzen. Darauf bekam er von Freud die Antwort: „Wir sind
Ärzte, und wir bleiben Ärzte.“
Das halte ich allerdings ebenfalls für den vordringlichsten Grund der Ablehnung Gross’ durch Freud, wobei zwei Dinge dazu festzuhalten sind:
-
Gross wollte auch „Arzt“ bleiben (für Oliver ist Gross’ politisches Engagement völlig von seiner Tätigkeit zu trennen, schlimmer noch: ist ein Produkt seiner psychischen -damit: zutiefst privaten- Störung; aus meiner Sicht ist aber Gross’ Engagement nicht privater und nicht pathologischer als Freuds Nicht-Engagement, also dessen positivistisch-gesellschaftsaffirmierende Haltung).
-
der entscheidende Punkt: diese Ausweitung dessen, was ein „Arzt“ ist, also der Wandel der Funktion von Medizin/Psychologie innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen, den Gross reklamiert, ist in Freuds psychoanalytischer Theorie selbst angelegt, ist meines Erachtens sogar deren Essenz;
aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass an dieser Stelle Gross mehr an der Psychoanalyse festhält als Freud selbst (wenngleich ich nicht verschweigen möchte, dass ich selbst auch mit Gross’ anderen Positionen, so sie mir bekannt sind, recht wenig anfangen kann)
Zu Deiner Ausgangsfrage bezüglich der genannten Pasage bei Adorno:
- Adorno steht sicherlich in einer Position der Nachfolge der freudomarxistischen Positionen Reichs und auch Fromms; bei beiden geht er allerdings nur den Grundgedanken einer von der Psychoanalyse inspirierten Gesellschaftstheorie mit;
er lehnt aber bei Reich dessen Position der gesellschaftlichen-Befreiung-durch-Freisetzung-des-Sexualtriebs (grob benannt) aus meiner Sicht dezidiert ab,
und lehnt bei Fromm im Grunde dessen ganze psychoanalytische Theorie, welche aus der Psychoanalyse aus seiner Sicht zu unmittelbar eine Soziologie macht („je mehr die Psychoanalyse soziologisiert wird, desto stumpfer wird ihr Organ für die Erkenntnis der sozial verursachten Konflikte“; „Die revidierte Psychoanalyse“, in: Soziologische Schriften I, Seite 28), radikal ab.
Der Grundgedanke bleibt aber, dass:
„die radikale Psychoanalyse, indem sie sich auf Libido als ein Vorgesellschaftliches richtet, … jene Punkte erreicht, wo das gesellschaftliche Prinzip der Herrschaft mit dem psychologischen der Triebunterdrückung koinzidiert“ (27), also Psychoanalyse einen situs analyticus bietet, an dem der Hebel von Gesellschaftskritik, in Deinen Worten: radikaler Aufklärung, angesetzt werden kann.
- dazu kommt, dass Adorno die eben diskutierte Position Freuds von den „Ärzten, die Ärzte bleiben sollen“ als ideologischen Ausdruck der Anpassung an die Gesellschaft erkennt, weil gilt:
"als Methode medizinischer Behandlung innerhalb gegebener sozialer Verhältnisse muß sie [die Psychoanalyse] die gesellschaftliche Anpassung der Patienten [an die gegebenen sozialen Verhältnisse] befördern (39);
„Im Namen des Realitätsprinzips rechtfertigt sie die seelischen Opfer des Individuums, ohne das Realititätsprinzip selber einer rationalen Prüfung auszusetzen“ (39); also auch hier: radikale Aufklärung.
Ganz kurz: Aus meiner Sicht meint Adorno mit „Freudscher Schule“ den Gegensatz zu dem, was er „Neo-Freudsche Schule“ nennt, nämlich die Neo-Analyse bei Horney, Fromm, etc. (gegen diese sind die gerade zitierten Stellen geschrieben).
Mit „heroischen Zeiten“ meint er meines Erachtens die Zeiten, in denen das eben Zitierte bzw. das diesen Gedanken zu Grunde liegende in den Freudschen Schriften per Interpretationsbewegung zu finden war, die Psychoanalyse noch den genannten aufklärerischen Stachel besaß;
ein gesellschaftskritischer Stachel, der paradoxerweise nach Adorno von denen gezogen worden ist, die ihn „seit etwa fünfundzwanzig Jahren“ (also hier eine „Zeiten“-Angabe Adornos; 20) ihrer eigenen Intention nach erst zum Stechen bringen wollten, von der Neo-Analyse mit ihrer „Soziologisierung der Psychoanalyse“ (20).
(Adornos Gedankenfigur: gerade durch die scheinbare Herausarbeitung des Stachels durch die Neo-Analyse, wird der Stachel in den Schrifen Freuds erst verborgen)
Viele Grüße
franz