'Heroische Zeiten' der Psychoanalyse ?

Hallo,

Adorno schreibt in »Negative Dialektik« (1966), p. 269:

"In ihren heroischen Zeiten hat die Freudsche Schule, darin
eines Sinnes mit dem anderen, aufklärerischen Kant, die
rücksichtslose Kritik des Überichs als eines Ichfremden, wahrhaft
Heteronomen, gefordert."
Usw.

Diese Passage des Buches, m.E. die interessanteste (pp. 267-281),
lässt einige Fragen offen:

  1. Die Freudsche Schule - wer könnte konkret damit gemeint sein ?
  2. Adorno nennt nur einen Namen: Ferenczi - d.h. Freud ist nicht
    gemeint ?
  3. Wann waren jene heroischen Zeiten ? Nach der Entfremdung
    Ferenczis von Freud, also um 1930 ?
  4. Oder waren sie vorher, um 1908, als Ferenczi, der Freud
    gerade erst kennengelernt hatte, auf dem 1. Psa. Kongress einen
    Vortrag hielt, in dem er noch eine radikal-aufklärerische Position im
    Sinne des obigen Zitats vertrat ?
  5. Adorno, der aber Ferenczis Text von 1908 nicht kannte, kritisiert
    Ferenczi, den einzigen (?) „heroischen“ Vertreter der Freud-Schule,
    anhand von späteren Zitaten für seine Halbherzigkeit. Gab es also,
    genau genommen, jene heroischen Zeiten der Freudschen Schule gar
    nicht ?

Hat hier jemand dazu Antworten oder Ideen ?
fragt
Nescio

Hallo Nescio

Adorno schreibt in »Negative Dialektik« (1966), p. 269:

"In ihren heroischen Zeiten hat die Freudsche Schule,
darin
eines Sinnes mit dem anderen, aufklärerischen Kant, die
rücksichtslose Kritik des Überichs als eines Ichfremden,
wahrhaft
Heteronomen, gefordert."
Usw.

  1. Die Freudsche Schule - wer könnte konkret damit gemeint
    sein ?

Natürlich ist in erster Linie damit FREUD gemeint und nicht Schüler von ihm. Selbst Ferenczi, sein Lieblingsschüler der letzten 20-30 Jahre, wecht in gewissen Positionen von Freud ab. Aber es ging Adorno ja imho nicht um Feinabstimmungen in den Einzelbehandlungen; das alles interesierte ihn wohl herzlich wenig. Es ging Teddie Adorno wie den anderen Vertretern der Frankfurter Schule um das gesellschaftspolitische Moment der Psychoanalyse. Solche Sätze wie „Freud hatte recht, wo er unrecht hatte“, wie einst Adorno sagte, müssen entweder aphoristisch überspitzt (wie bei Nietzsche), dialektisch oder mindesens immer im Kontext gelesen werden.
Im übrigen ist man bei Adorno -ähnlich wie bei Nietzsche- mest gut beraten, wenn man ihn nicht wörtlich und nicht aus dem Zusammenhang gerissen interpretiert. Hinter der kühlen Fassade steckt ein extremer und leidenschaftlicher Chrakter, möchte ich meinen. :wink:

Wann waren jene heroischen Zeiten ? Nach der
Entfremdung
Ferenczis von Freud, also um 1930 ?

Nein, und schon garnicht jenseits von Freud - aus Adornos Sicht, möchte ich meinen. Nur theeapeutisch kann man da von Erneuerungen jenseits von Freud, also meinetwegen bei Ferenczi, sprechen.

  1. Adorno, der aber Ferenczis Text von 1908 nicht kannte,
    kritisiert
    Ferenczi, den einzigen (?) „heroischen“ Vertreter der
    Freud-Schule,
    anhand von späteren Zitaten für seine Halbherzigkeit. Gab es
    also,
    genau genommen, jene heroischen Zeiten der Freudschen Schule
    gar
    nicht ?

Wiegesagt, ich würde Adorno hier nicht als Kenner von psychoanalytischer Behandlungstechnik überschätzen wollen. Adorno hat gern jederzeit alles und jeden kritisch unter die Lupe genommen. Man könnte ihn als „kritiksüchtig“ bezeichnen. :wink:

meint
Branden,
der sowohl Adorno als auch Ferenczi schätzt, aber alles zu seiner Zeit :wink:

Hallo Nescio,

Antworten habe ich keine, Ideen vielleicht ein paar:

  1. Die Freudsche Schule - wer könnte konkret damit gemeint
    sein ?

Aus meiner Sicht meint Adorno damit keine konkreten Personen, sondern Programmatiken, Erkenntnisse, Aussagen, etc.

Ein Kernsatz der Adornoschen Überlegung scheint mir die zu sein: „Kritik des Überichs müßte Kritik der Gesellschaft sein, die es produziert; verstummt sie davor, so wird der herrschenden gesellschaftlichen Norm willfahrt“ (S. 270);

diese Gesellschaftskritik findet Adorno aus meiner Sicht noch am stärksten bei Freud, bei dessen initaler Bewegung, die Psychoanalyse nicht nur als Psychologie, als Psycho-Technik, zu verstehen, sondern als Gesellschafts- wie Erkenntnistheorie;

unterschiedliche Psychoanalytiker sind dieser Haltung unterschiedlich nahe, was es aus meiner Sicht dann durchaus sinnvoll macht, hier von der „Freudschen Schule“ zu sprechen.

  1. Adorno nennt nur einen Namen: Ferenczi - d.h. Freud ist
    nicht
    gemeint ?

Doch; ich glaube, Freud ist in erster Linie gemeint

Ferenczi führt er meines Erachtens deshalb an dieser Stelle ein, um dessen zitierte Überlegung: „… Nur diese Art Abbau des Über-Ichs überhaupt [was für Adorno eben auch heißt, die Kritik der gesellschaftlichen Normen, F.B.H.] kann eine radikale Heilung herbeiführen“ (S. 269);

um diese „radikale Heilung“ geht es Adorno zu allen Zeiten seines Überlegens in Bezug auf die Psychoanalyse;

eine nicht-radikale Heilung ist für ihn Anpassung an die Gesellschaft, also Anpassung an eine „kranke Gesellschaft“, damit gerade das Gegenteil einer radikalen Heilung, lediglich relative Heilung, was für Adorno heißt: Krankmachung.

Adorno zeigt aus meiner Sicht am Beispiel Ferenczis, wie die Psychoanalyse hinter ihrer eigenen Erkenntnis zurückbleibt, wenn dieser einerseits mit dem oben Zitierten „die Tür öffnet“, die er gleich danach wieder zuschlägt, wenn er schreibt: „Solange dieses Über-Ich in gemäßigter Weise dafür sorgt, daß man sich als gesitteter Bürger fühlt und als solcher handelt, ist es eine nützliche Einrichtung, an der nicht gerüttelt werden muß. Aber pathologische Übertreibungen der Über-Ich-Bildung…“ (S. 270);

damit kann Adorno natürlich nicht einverstanden sein. Meines Erachtens nimmt er in diesem Passus Ferenczi als bloßes, aber in der Ausprägung vielleicht extremstes, Beispiel wie die Psychoanalyse hinter ihren eigenen Erkenntnissen zurückbleibt, ihre Erkenntnisse (1. Ferenczi-Zitat) nicht dafür nutzt, die konformistische Anpassungs-Heilung-Haltung zu durchbrechen (2. Ferenczi-Zitat), im Gegenteil diese festschreibt.

  1. Wann waren jene heroischen Zeiten ? Nach der
    Entfremdung
    Ferenczis von Freud, also um 1930 ?

Wie ich dargelegt habe, würde ich weder „Schule“ auf konkrete Personen, noch „Zeiten“ auf konkrete Daten beziehen; dazu kommt, dass ich Adornos Bezug auf Ferenczi nicht an Ferenczis Haltung selbst festmachen würde; ich halte ihn an dieser Stelle der ND für eine Exemplifizierung;

wenn ich gezwungen wäre, hier Daten zu nennen, dann würde ich die Zeit nennen vor der breiten gesellschaftlichen Institutionalisierung der Psychoanalyse als Psychologie, als Heilungs-Anpassungs-Technik.

Bekanntlich lehnt Adorno jede Form von „Therapie“ ab, sieht in der Neurose den letzten Quell Widerstand g e g e n die Krankheit, gegen die kranke Gesellschaft; Therapie müsste für ihn also auf einer anderen Ebene ansetzen als auf der des Individuums;

Aus den angeführten Gründen würde ich also Deine beiden letzten Fragen so beantworten:

  1. Oder waren sie vorher, um 1908, als Ferenczi, der
    Freud
    gerade erst kennengelernt hatte, auf dem 1. Psa. Kongress
    einen
    Vortrag hielt, in dem er noch eine radikal-aufklärerische
    Position im
    Sinne des obigen Zitats vertrat ?

Jein, ich glaube tatsächlich, dass nach Adorno die Psychoanalyse mehr und mehr von ihrer „Heroizität“ abgefallen ist, dass aber Ferenczi daran nicht signifikant mehr Anteil hat als andere Psychoanalytiker.

  1. Adorno, der aber Ferenczis Text von 1908 nicht kannte,
    kritisiert
    Ferenczi, den einzigen (?) „heroischen“ Vertreter der
    Freud-Schule,
    anhand von späteren Zitaten für seine Halbherzigkeit. Gab es
    also,
    genau genommen, jene heroischen Zeiten der Freudschen Schule
    gar
    nicht ?

Dieses zweite „Jein“ brauche ich, glaube ich, nicht mehr zu erklären.

Hat hier jemand dazu Antworten oder Ideen ?

Wie gesagt, konnte ich nur ein paar Ideen bringen, weil ich in Anbetracht Deiner Fragestellungen schon gar nicht daran glauben kann, dass unsere beiden Adorno-Deutungen allzu kongruent sind.

Viele Grüße
franz

Hallo Branden und Ben,

  1. Die Freudsche Schule - wer könnte konkret damit gemeint
    sein ?

Aus meiner Sicht meint Adorno damit keine konkreten Personen,
sondern Programmatiken, Erkenntnisse, Aussagen, etc.

Das erscheint mir ziemlich änigmatisch: bei Adorno - und bei dir/
euch. Programmatiken etc. haben doch Autoren.

Ein Kernsatz der Adornoschen Überlegung scheint mir die zu
sein: „Kritik des Überichs müßte Kritik der Gesellschaft sein,
die es produziert; verstummt sie davor, so wird der
herrschenden gesellschaftlichen Norm willfahrt“ (S. 270);

Auch meine Sicht.
Es geht in dem Abschnitt klar um „Abbau des Überichs“, tendeziell
dessen Eliminierung. „Zustand rationaler Aktualität = kein Überich“.
Da nennt Adorno nur Ferenczi.
Denn bei Freud selbst fände er kaum passende Stellen,
eher schwammigere, vor allem: konträre.

diese Gesellschaftskritik findet Adorno aus meiner Sicht noch
am stärksten bei Freud, bei dessen initaler Bewegung, die
Psychoanalyse nicht nur als Psychologie, als Psycho-Technik,
zu verstehen, sondern als Gesellschafts- wie
Erkenntnistheorie;

Bei Freud findet er, dass PsA nicht wg therapeutischer Effizienz
unübertroffen sei, sondern wg. „Wahrheitsgehalt“.
Ferenczi wiederum arbeitete hauptsächlich im therapeutischen Bereich,
bis auf die wenigen Stellen, die Adorno herauspickt, aber auch mit
scharfem Blick als halbherzig erkennt.

Fazit:
Weder Freud noch Ferenczi genügen Adorno.
Warum spricht er trotzdem von heroischen Zeiten der PsA ?
Dachte er insgeheim an die Freudo-Marxisten der 30er Jahre ?
Aber von Reich und Fenichel, die für „Wo Überich war, soll Ich
werden“ stehen könnten, schweigt er und nennt den zaudernden
Ferenczi.

Und Freud ? Gerade da, insbesondere bei der Ächtung Reichs und der
Politik gegenüber dem NS, spielte Freud eine beschämende Rolle - das
Gegenteil von heroisch.

Adorno zeigt aus meiner Sicht am Beispiel Ferenczis,
wie die Psychoanalyse hinter ihrer eigenen Erkenntnis
zurückbleibt…

Gravierender ist das Beispiel Freud, der unangefochtenes Schulhaupt
war. Adorno scheut sich, das direkt zu sagen. Mit Ferenczi scheint er
aber doch den in seinem Sinne avanciertesten Vertreter der PsA zu
meinen. Und selbst der genügt ihm nicht.

  1. Wann waren jene heroischen Zeiten ? Nach der
    Entfremdung Ferenczis von Freud, also um 1930 ?

Wie ich dargelegt habe, würde ich weder „Schule“ auf konkrete
Personen, noch „Zeiten“ auf konkrete Daten beziehen

Worauf denn dann ? Doch irgendwie auf konkrete Texte. Und die
haben konkrete Personen zu bestimmten Zeiten publiziert.

… würde ich
die Zeit nennen vor der breiten gesellschaftlichen
Institutionalisierung der Psychoanalyse als Psychologie, als
Heilungs-Anpassungs-Technik.

Auch die müsste benennbar sein.
Dass Freud selbst schon in den Anfangszeiten der PsA gegen jede
Tendenz zum „Abbau des Überich“ taktisch klug, aber rigoros
vorgegangen ist, zeigt der Fall Otto Gross. Siehe z.B. hier:
http://www.lsr-projekt.de/gross.html#k4.1.1

…ich glaube tatsächlich, dass nach Adorno die
Psychoanalyse mehr und mehr von ihrer „Heroizität“ abgefallen
ist, dass aber Ferenczi daran nicht signifikant mehr Anteil
hat als andere Psychoanalytiker.

Im Gegenteil: der junge Ferenczi, um 1908, vertrat ähnlich radikal-
aufklärerische Ansichten wie Gross. Er wurde aber von Freud
nicht geächtet, sondern zum engsten Mitarbeiter gemacht. Im Alter
kamen dann die frühen Tendenzen wieder hoch. Das war das
„Heroischste“, was Adorno in den psa. Texten gefunden hat bzw.
gefunden zu haben vorgab (Reich und Fenichel ignorierend).

Wie gesagt, konnte ich nur ein paar Ideen bringen, weil ich in
Anbetracht Deiner Fragestellungen schon gar nicht daran
glauben kann, dass unsere beiden Adorno-Deutungen allzu
kongruent sind.

Ersten Teil verstehe ich zwar nicht, der letzte mag wohl stimmen.
Aber das Thema wird ohnehin den meisten hier zu speziell sein,
gar „off topic“ erscheinen.

Gruss
Nescio

Hallo Nescio

Gravierender ist das Beispiel Freud, der unangefochtenes
Schulhaupt
war.

Freud war zwar alles andere als unangefochten, aber er blieb trotzdem „Schulhaupt“, das ist richtig. Und warum wohl?
Weil er schlicht und ergreifend die wesentlichen TZusammenhänge erkannt und erstellt hat.
Selbst wenn Leute wie Gross, W.Reich und Ferenczi in einzelnen Aspekten vielleicht besser lagen und Gutes zur Psychoanalyse beigetragen haben, so ist ihr Beitrag doch im Vergelich zu dem Freuds minimal. Es geht nicht in erster Linie darum (auch Adorno gehts wohl nicht darum), ob einer wie Freud charakterlich ungetrübt sein muss, sondern um seine intellektuelle revolutionäre wissenschaftliche Leistung.
Gruß,
Branden

Lieber Branden,

Gravierender ist das Beispiel Freud, der unangefochtenes
Schulhaupt war.

Freud war zwar alles andere als unangefochten, aber er blieb
trotzdem „Schulhaupt“, das ist richtig. Und warum wohl?
Weil er schlicht und ergreifend die wesentlichen
TZusammenhänge erkannt und erstellt hat.
Selbst wenn Leute wie Gross, W.Reich und Ferenczi in einzelnen
Aspekten vielleicht besser lagen und Gutes zur Psychoanalyse
beigetragen haben, so ist ihr Beitrag doch im Vergelich zu dem
Freuds minimal.

Habe ich etwa einen wunden Punkt bei dir getroffen ?
Aus meinem langen Beitrag reagierst du gereizt auf einen
(Halb)satz (den ich wohl nicht ernstlich zu verteidigen brauche).

Es ging doch darum, ob und ggf. wann es in der Geschichte der
Psychoanalyse die von Adorno apostrophierten heroischen Zeiten
gab, die er in einem Text, der zwar viele Fragen aufwirft (s. meinen
Startbeitrag), doch klar mit (dem späten) Sándor Ferenczi und
dessen Rede vom Abbau des Überich verknüpfte.

Wenn du, wie es Ben offenbar getan hat, die entsprechende Passage bei
Adorno liest, wird dir sicher einleuchten, dass es ihm dabei nicht um
einen „Aspekt“ der Psychoanalyse geht, sondern um deren Essenz,
sofern sie als Doktrin mit aufklärerischem Potential genommen wird.

Um die (Gegen-)Positionen plakativ zu kennzeichnen:
Freud (und sein grosser Tross) -> Wo Es war, soll Ich werden.
Gross, Reich, Ferenczi, Fenichel, Adorno -> Wo Überich war, soll
Ich werden.

Es geht nicht in erster Linie darum (auch
Adorno gehts wohl nicht darum), ob einer wie Freud
charakterlich ungetrübt sein muss, sondern um seine
intellektuelle revolutionäre wissenschaftliche Leistung.

Es geht nicht um Freuds Charakter, sondern darum, dass er denjenigen
seiner Schüler, die die oben angedeutete, anthropologisch
grundsätzliche Problematik angegangen sind, strikt die Diskussion
verweigerte und sie, falls sie nicht zurücksteckten, kaltstellte
und diskussionslos zu Unpersonen der PsA machte.
Das waren nicht Glanzstücke eines Wissenschaftlers, sondern eines
gewieften Politikers (insofern doch auch eine Charakterfrage).
Es wirft zudem ein Licht auf seine Anhängerschaft, die dies geschehen
liess und schwieg.

Die von Adorno gemeinten „heroischen Zeiten“ der PsA scheint es
demnach nur in Form eines kurzen Aufflackerns jener Idee („Abbau des
Überichs“) gegeben zu haben, die jedoch durch sofortiges Ersticken
wieder zunichte gemacht wurden.
Vielleicht schrieb Adorno deshalb so kryptisch darüber…

Gruss
Nescio

1 Like

Lieber Nescio

Um die (Gegen-)Positionen plakativ zu kennzeichnen:
Freud (und sein grosser Tross) -> Wo Es war, soll Ich
werden.

Gross, Reich, Ferenczi, Fenichel, Adorno -> Wo Überich
war, soll
Ich werden.

Lieber Branden,

Um die (Gegen-)Positionen plakativ zu kennzeichnen:
Freud (und sein grosser Tross) -> Wo Es war, soll Ich
werden.

Gross, Reich, Ferenczi, Fenichel, Adorno -> Wo Überich
war, soll Ich werden.

Ich würde beide als richtig bezeichnen: Wo
es und Über-Ich (anteilig zu groß) waren, soll nun (mehr) Ich
werden.
Dieser Standpunkt verträgt sich bestens mit den
aufklärerischen Positionen der Linken. Will sagen: Du machst
hier einen Nebenkriegsschauplatz auf, wo keiner ist.

Zuviel der „Diplomatie“.
(Wobei es mir gar nicht um die damaligen Konflikte geht, sondern
um deren Erstickung, massgeblich durch Freud, und deren Folgen für
den späteren bis heutigen Zustand der Psychoanalyse)

Nein, ich wollte nicht auf einen, sondern sogar auf den
(Haupt-)Kriegsschauplatz hinweisen,
insofern man der Psychoanalyse aufklärerische Ambition unterstellt.
(siehe bei Gross oder Ferenczis Kongressvortrag 1908)
Der Platz ist aber totenstill, seit die Psychoanalyse (incl. Freud)
diese Ambition und Kompetenz aufgegeben hat.
Adornos Kapitel über heroische Zeiten und Überich-Abbau erscheint mir
als eine Reminiszenz, die deshalb so verworren ist, weil er selbst
schon 20 Jahre vorher (»Dialektik der Aufklärung«) resigniert hatte.

Außerdem halte ich es für ungewollt komisch, Freud die innere
Haltung eines machtlüsternen Politikers anzudichten.

Komisch ???
Freud war insgesamt wohl ein sehr ehrenwerter Herr. Er ging sogar mit
Abtrünnigen in der Regel recht fair um, bezog auch argumentativ
Stellung. Um so interessanter ist doch, dass er in den hier genannten
Fällen (am besten dokumentiert: bei Reich) sich als übler (nicht
„machtlüsterner“) Politikant zeigte, richtiger: verbarg.

Gruss
Nescio

Hallo,

Nein, ich wollte nicht auf einen, sondern sogar auf den
(Haupt-)Kriegsschauplatz hinweisen,
insofern man der Psychoanalyse aufklärerische Ambition
unterstellt.

ich meine mich zu erinnern, daß Du einmal anderer Meinung warst, indem Du der Psychoanalyse tatsächlich eine aufklärerische Leistung zugeschrieben hast:

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Komisch ???
Freud war insgesamt wohl ein sehr ehrenwerter Herr. Er ging
sogar mit Abtrünnigen in der Regel recht fair um,

Das sehe ich aufgrund meiner Lektüre der Literatur anders. Freud war schnell dabei, das Verhalten Andersdenker zu pathologisieren und/ oder moralisch zu diskreditieren: Das war so bei Adler und seiner „Bande“, wie Freud sich auszudrücken pflegte, bei Jung, bei Stekel, bei Rank.

Gruß,

Oliver Walter

2 Like

Lieber Nescio

Der Platz ist aber totenstill, seit die Psychoanalyse (incl.
Freud)
diese Ambition und Kompetenz aufgegeben hat.

Wie bei fast allen wissenschaftlichen und fast allen revolutionären Przessen und Entwicklungen MUSSTE die heroische und die Konquistadoren-Zeit der Psychoanalyse irgendwann zu Ende gehen. Die letten sozialistischen Länder (DDR,KUBA,CHINA) waren bzw. sind ja auch nicht mehr auf dem Stand der Pariser Commune. :wink:

Adornos Kapitel über heroische Zeiten und Überich-Abbau
erscheint mir
als eine Reminiszenz, die deshalb so verworren ist, weil er
selbst
schon 20 Jahre vorher (»Dialektik der Aufklärung«) resigniert
hatte.

Was Du bei Adorno auf „Resignation“ reduziert, scheint mir eher ein sehr individueller und komplexer Vorgang zu sein, der letztlich auch mit der Beschaffenheit seines „Genius“ zu tun hat. Wie alle großen Denker, ob sie nun Freud, Walter Benjamin oder Marx oder Nietzsche heißen mögen (um jetzt einmal mehr mir sympathische aufzulisrten), ist auch Adorno ein „tiefer Ozean“, den man nicht einfach auf Resignation reduzieren kann in deser genannten Phase.
Gruß,
Branden

Hallo, Oliver,

Nein, ich wollte nicht auf einen, sondern sogar auf den
(Haupt-)Kriegsschauplatz hinweisen,
insofern man der Psychoanalyse aufklärerische Ambition
unterstellt.

ich meine mich zu erinnern, daß Du einmal anderer Meinung
warst, indem Du der Psychoanalyse tatsächlich eine
aufklärerische Leistung zugeschrieben hast:

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/
showarchive.fpl?ArtikelID=2050704&archived=1&searchtext=Methoden%20d
e
r%20Psychoanalyse&type=beginnings&bool=or&database=Archiv#2050704

Mein obiger Satz widerspricht dem doch nicht.
Er sollte ausdrücken: wenn man der Psychoanalyse aufklärerische
Ambitionen unterstellt (oder abgewinnen will), dann sollte man jenen
„Kriegsschauplatz“ (Wort Brandens) suchen, auf dem Freud diejenigen
unter seinen Schülern, die solche Ambitionen in stärkerem Masse als
er selbst hatten, besiegte,
und man sollte sich darüber Gedanken machen, mit welchen Mitteln,
nämlich der anti-aufklärerischen Diskussionsverweigerung und der
vereinspolitischen Ächtung, er sie besiegte bzw. vernichtete.
Warum griff er hier zu solchen Mitteln ?
Denn:

Freud war insgesamt wohl ein sehr ehrenwerter Herr. Er ging
sogar mit Abtrünnigen in der Regel recht fair um,

Das sehe ich aufgrund meiner Lektüre der Literatur anders.
Freud war schnell dabei, das Verhalten Andersdenker zu
pathologisieren und/ oder moralisch zu diskreditieren: Das war
so bei Adler und seiner „Bande“, wie Freud sich auszudrücken
pflegte, bei Jung, bei Stekel, bei Rank.

Richtig, nachdem sie ihn verlassen hatten, und nicht öffentlich.
Mit fair meinte ich, dass er zunächst argumentierte.
Wenn du ins Register seiner GW schaust, findest du die von dir
Genannten häufig erwähnt, Gross und Reich aber gar nicht. Sie wurden
sogar aus den Annalen der PsA getilgt – bis Fachfremde sie „1968“
entdeckten, aber auch nicht mehr leisteten als ihnen eine letztlich
doch fragwürdige Popularität zu verschaffen.

Das Thema ist natürlich viel zu komplex, um hier mit Belegen und
Argumenten tiefer einzusteigen und evtl. gar jemanden, der anderer
Meinung ist, zu überzeugen. Mehr als Gedanken, Hinweise und
„Denkanstösse“ zu Adornos seltsamer Rede von den heroischen Zeiten
der PsA kann man da kaum äussern.

Gruss
Nescio

Hallo, Nescio,

Mein obiger Satz widerspricht dem doch nicht.

das ist richtig. Ich bezog mich ja auf meine Erinnerungen an unsere damalige Diskussion. Aber da ich diese Diskussion nicht noch einmal durchgelesen habe, obwohl ich auf sie verlinkte, kann ich mich täuschen.

Er sollte ausdrücken: wenn man der Psychoanalyse
aufklärerische Ambitionen unterstellt (oder abgewinnen will), dann
sollte man jenen „Kriegsschauplatz“ (Wort Brandens) suchen, auf dem
Freud diejenigen unter seinen Schülern, die solche Ambitionen in
stärkerem Masse als er selbst hatten, besiegte,
und man sollte sich darüber Gedanken machen, mit welchen
Mitteln, nämlich der anti-aufklärerischen Diskussionsverweigerung und
der vereinspolitischen Ächtung, er sie besiegte bzw. vernichtete.

Ja, mir leuchtet völlig ein, daß man Freud nicht nur an seinen inhaltlichen Aussagen, sondern auch an seinem Umgang mit seinen psychoanalytischen wie nichtpsychoanalytischen Kollegen messen kann. Ich finde, daß er auf beiden Gebieten nicht gut aussieht.

Warum griff er hier zu solchen Mitteln ?

Weil Freud die Psychoanalyse als sein Eigentum und sich als den Führer einer Bewegung, wie er die Psychoanalyse nannte, ansah. Die Psychoanalyse war für ihn kein Theorienkomplex, über den alle Interessierten diskutieren und ihn verändern oder weiterentwickeln können, wie es eigentlich in der Wissenschaft üblich ist. Nein, Kritiker und Veränderer wurden, wenn sie zu weit gingen, kaltgestellt, weil sie sein Lebenswerk, seine letzte Chance auf Ruhm, bedrohten.

Oder anders: Welcher Wissenschaftler hält sich schon ein Geheimkomitee von ihm nahestehenden Schülern, die darüber wachen sollten, daß der Meister keine weiteren Enttäuschungen wie mit einer Reihe seiner prominentesten, aber „abtrünnigen“ Schüler erlebt? Das erinnert mehr an eine Sekte mit Oberguru als an eine Vereinigung von Wissenschaftlern.

Mit fair meinte ich, dass er zunächst argumentierte.

Ja, das tat er allerdings. Äußerlich sieht´s auch fair aus. Ich müßte mich genauer dahinter klemmen, um zu einem Urteil zu kommen, ob es auch tatsächlich fair war.

Das Thema ist natürlich viel zu komplex, um hier mit Belegen
und Argumenten tiefer einzusteigen

Dem stimme ich auch zu, finde es aber erfreulich, hier mehrere Meinungen über Freud zu lesen, als nur die bekannten Pro- und Contra-Diskussionen. Deshalb lese ich in diesem Thread gern mit.

Grüße,

Oliver

2 Like

Hallo, Oliver,

Mein obiger Satz…
[…]
Er sollte ausdrücken: wenn man der Psychoanalyse
aufklärerische Ambitionen unterstellt (oder abgewinnen will), dann
sollte man jenen „Kriegsschauplatz“ (Wort Brandens) suchen, auf dem
Freud diejenigen unter seinen Schülern, die solche Ambitionen in
stärkerem Masse als er selbst hatten, besiegte,
und man sollte sich darüber Gedanken machen, mit welchen
Mitteln, nämlich der anti-aufklärerischen Diskussionsverweigerung
und der vereinspolitischen Ächtung, er sie besiegte bzw.
vernichtete.

Ja, mir leuchtet völlig ein, daß man Freud nicht nur an seinen
inhaltlichen Aussagen, sondern auch an seinem Umgang mit
seinen psychoanalytischen wie nichtpsychoanalytischen Kollegen
messen kann.

Nun gut, das kann man auf Jeden anwenden.
Mir ging es aber um das spezifische Junktim:
Freud liess sich auf viele Kritiker argumentativ ein, speziell aus
den Reihen der PsA; Gross und Reich aber, die ihn im übrigen hoch
schätzten und sich sehr für die PsA eingesetzt haben, verweigerte er,
als sie das Thema „Abbau des Überich“ angingen, jede Stellungnahme
und liess sie, wie gesagt, auf politikante Weise vernichten.
(Dass dies vereinspolitisch glatt funktionierte, wirft natürlich
weitere Fragen über die Natur dieses Vereins auf)

Warum griff er [Freud] hier zu solchen Mitteln ?

Weil Freud die Psychoanalyse als sein Eigentum und sich als
den Führer einer Bewegung, wie er die Psychoanalyse nannte,
ansah. Die Psychoanalyse war für ihn kein Theorienkomplex,
über den alle Interessierten diskutieren und ihn verändern
oder weiterentwickeln können, wie es eigentlich in der
Wissenschaft üblich ist. Nein, Kritiker und Veränderer wurden,
wenn sie zu weit gingen, kaltgestellt, weil sie sein
Lebenswerk, seine letzte Chance auf Ruhm, bedrohten.

Würde ich differenzierter sehen, im oben genannten Sinn.
Jung, Adler, Stekel, Rank hat er nicht auf diese Weise
erledigt.
Ein besonderer Fall war Ferenczi, der 1908, als der Begriff des
Überich noch nicht geprägt war, von dessen „Abbau“ sich die „erste
Revolution, die der Menschheit eine wirkliche Erleichterung schüfe“
erhoffte; der sich dann von Freud quasi „adoptieren“ liess; dessen
ursprünglicher Impuls dann in seinen „Verfallsjahren“ wieder, wenn
auch gedämpft, hervorbrach (aus der Zeit stammen Adornos Ferenczi-
Zitate).

Gruss
Nescio

Hallo Nescio,

ich denke, wir reden ein wenig aneinander vorbei. Deshalb möchte ich kurz zusammenfassen, was ich hier beitragen möchte: Die Fälle Gross und Reich haben ihre Besonderheiten, das sehe ich auch. Ich kann aber Deiner These, Freud sei bei anderen stets auf ehrenhafte Weise vorgegangen, mit der Du die Besonderheit der Fälle Gross und Reich hervorzuheben beabsichtigst, nicht zustimmen. In anderen Fällen - Adler, Jung, Stekel, Rank - hat Freud auch vereinspolitisch, wie Du es nennst, die Gegner erledigt. Dabei griff er auch auf unwahre Behauptungen, auf üble Nachrede und auf Pathologisierung seiner früheren Weggefährten zurück.

Worauf das Besondere der Fälle Gross und Reich zurückzuführen ist, hat vermutlich etwas damit zu tun, daß diese beiden Positionen vertreten haben, die für Freud völlig inakzeptabel waren: die Kombination psychoanalytischer Ideen mit politisch-revolutionären Ambitionen. Gross war Anarchist, Reich liebäugelte mit den Kommunisten. Freud wollte das Ich gegenüber dem Es stärken, Gross die Zerstörung der in die Psyche introjizierten gesellschaftlichen Normen durch die Entfesselung von Trieben aus dem Es.

Grüße,

Oliver

2 Like

Hallo Oliver,

Die Fälle Gross und Reich haben ihre Besonderheiten, das sehe
ich auch. Ich kann aber Deiner These, Freud sei bei anderen
stets auf ehrenhafte Weise vorgegangen, mit der Du die
Besonderheit der Fälle Gross und Reich hervorzuheben
beabsichtigst, nicht zustimmen. In anderen Fällen - Adler,
Jung, Stekel, Rank - hat Freud auch vereinspolitisch, wie Du
es nennst, die Gegner erledigt.

Das wäre nur durch Ausbreitung von Belegen, deren Interpretation,
Gewichtung und Wertung im Zusammenhang zu klären. (Einen ersten
Anhaltspunkt nannte ich schon: die Erwähnung der jeweiligen Personen
in den GW Freuds)

Worauf das Besondere der Fälle Gross und Reich zurückzuführen
ist, hat vermutlich etwas damit zu tun, daß diese beiden
Positionen vertreten haben, die für Freud völlig inakzeptabel
waren: die Kombination psychoanalytischer Ideen mit
politisch-revolutionären Ambitionen.

Auch Freud meinte, er habe im Grunde „die Menschheit zum Patienten“.
Frage wäre dann, wie sie zu „therapieren“ sei bzw. unter welchen
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das am ehesten möglich sei usw.

Gross war Anarchist,

Was heisst das schon ? Geborener Anarchist ? Nannte er sich so ?
Zum Zeitpunkt der Abweisung durch Freud war er Arzt und Psychiater,
hatte zwar Kontakte zur Bohème/Avantgarde (z.B. Mühsam), war aber
weder theoretisch noch praktisch als „Anarchist“ aktiv.
Das war nicht der Grund, weshalb Freud ihn verstiess.

Reich liebäugelte mit den Kommunisten.

Liebäugelte ? Er war Mitglied der KPD.
Das aber war es nicht, was Freud gegen ihn einnahm.

Beide Fälle sind aber durch diese Vorgaben (Anarchist, Kommunist)
nur vordergründig „erklärbar“, werden auch meist, wenn überhaupt,
so gesehen – und damit ad acta gelegt.
Ihr Kern, das, was Adorno 1966 in diffuser Sprache vorbrachte,
bleibt so unangetastet. Das wäre an sich egal, wenn nicht zu
vermuten wäre, dass durch eine genauere Analyse der „Überich-
Problematik“ und ihrer Abblockung durch eine so einflussreiche Figur
wie Freud auch heute noch etwas zu lernen wäre, und zwar über die
doch ganz grundsätzliche Frage, wie das Schicksal/Verenden der
Aufklärung zu verstehen sei.
Das ist eine Frage, die wesentlich unabhängig davon ist, welchen
wissenschaftlichen Status man der Psychoanalyse bzw. den
hundert Abkömmlingen derselben heute beimisst.

Gruss
Nescio

Hallo, Nescio,

Das wäre nur durch Ausbreitung von Belegen, deren
Interpretation, Gewichtung und Wertung im Zusammenhang zu klären.

das brauchen wir hier nicht zu tun, weil es in der Sekundärliteratur zu genüge getan wurde.

(Einen ersten Anhaltspunkt nannte ich schon: die Erwähnung der
jeweiligen Personenin den GW Freuds)

Ganz nachvollziehen läßt sich Deine Behauptung nicht, Reich sei totgeschwiegen worden, da sein Name und seine Arbeit über die Charakteranalyse zwei Jahre nach seinem Ausscheiden / Ausschluß aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Anna Freuds „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ im Abschnitt über permanente Abwehrmechanismen auftaucht.

Auch Freud meinte, er habe im Grunde „die Menschheit zum
Patienten“.

Aber auf eine ganz andere Weise als diese Phantasten Gross und Reich.

Frage wäre dann, wie sie zu „therapieren“ sei bzw. unter
welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das am ehesten möglich
sei usw.

Mit klaren Worten: Es ging um die linke Revolution. Für Gross war die „Psychologie des Unbewußten“ sowohl individuelle Voraussetzung als auch Philosophie der Revolution. Reich sympathisierte mit dem Kommunismus.

Gross war Anarchist,

Was heisst das schon ? Geborener Anarchist ? Nannte er sich so
?

Gross war Anarchist und psychisch nicht gesund. Er war kokain- und morphinabhängig, verbrachte Teile seines Lebens im Gefängnis und in Irrenanstalten und zwar nicht nur als Psychiater, sondern auch als mehrfach zwangseingewiesener Patient. Ihm wurden die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Sein Sexualleben war - gelinde gesprochen - für die damalige Zeit unkonventionell. Einer seiner vielen Frauen gab er Gift und sie brachte sich damit um. Der Mann bestand auf dem Ausleben seiner Triebe, feierte Orgien usw. Diese Lebensführung galt ihm als beispielhaft für die zukünftige Gesellschaftsform. Die Psychoanalyse wollte er als Mittel zum Herbeiführen dieser vom ihm angestrebten Gesellschaftsform benutzen. Darauf bekam er von Freud die Antwort: „Wir sind Ärzte, und wir bleiben Ärzte.“

hatte zwar Kontakte zur Bohème/Avantgarde (z.B. Mühsam), war
aber weder theoretisch noch praktisch als „Anarchist“ aktiv.

„Im Jahre 1911 wurde Gross gegen seinen Willen in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Wenig später wollte er in Ascona eine Schule für Anarchisten gründen und schrieb dem Schweizer Arzt und Anarchisten Fritz Brupbacher, dass er die Herausgabe einer Zeitschrift für Probleme des Anarchismus plane. […] Sein Vater ließ Gross als gefährlichen Anarchisten verhaften und in verschiedene österreichische Heilanstalten einweisen. […] Zusammen mit Franz Jung, dem Maler Georg Schrimpf und anderen gab Otto Gross 1916 die Zeitschrift Die freie Strasse heraus - als „Vorarbeit der Revolution“ (Gross 1913, Sp. 384).“ (aus der Biographie von Otto Gross der Internationalen Otto-Gross-Gesellschaft: http://www.ottogross.org/deutsch/Dokumente/Biographi…)

Das war nicht der Grund, weshalb Freud ihn verstiess.

Genau das war der Grund, warum Freud die Grosschen Ideen verwarf. Freud war beileibe kein anarchistischer Revolutionär.

Ihr Kern, das, was Adorno 1966 in diffuser Sprache vorbrachte,
bleibt so unangetastet. Das wäre an sich egal, wenn nicht zu
vermuten wäre, dass durch eine genauere Analyse der „Überich-
Problematik“

Das, was Du „Über-Ich-Problematik“ oder „Wo Über-Ich ist, soll Ich werden“ nennst, zielt auf den Abbau der bestehenden Gesellschaftsordnung. Im Klartext: Revolution. Daß das von Adorno und der Frankfurter Schule positiv empfunden wurde, ist verständlich, wurden sie doch selbst vom Marxismus beeinflußt.

Grüße,

Oliver Walter

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Hallo Nescio

Liebäugelte ? Er war Mitglied der KPD.
Das aber war es nicht, was Freud gegen ihn einnahm.

Freud war anfangs angenehm überrascht von dem intelligenten, sehr motivierten jungen Mann, der Wilhlem Reich hieß und sich schon so gut analytisch einfühlen konnte. Als Reich dann aber Freuds eh schon zugespitzte Sexualtheorie ins schier Unermassliche ausweitete, erkannte Freud, dass Reich sehr auf dieses Detail fixiert war und schwer über diesen Tellerand schauen konnte. Freuds Bemerkung: Wir haben hier einen jungen Kollegen, der allzusehr sein „Steckenpferd“ reitet, sagte shließlich schon mehr als genug. Freud erkannte Reichs wissenschaftliche Einseitigkeit, seine Neigung zum Fanatischen, seine Neigung, wie viele andere Schüler sie leider ebenfalls hatten, einige Details der Psychoanalyse „aufzublasen“.
HINZU kam dann Reichs Engagement in der KPD. Das war für Freud, der seine ohnehin von der bürgerlichen Gesellschaft allzu skeptisch aufgenommene Psychoanalyse als gefährdet ansah, ein weiterer Gefahrenpool.
Gruß,
Branden

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Genau, Branden. Du hast die beiden Punkte, die Freud an Reich - berechtigterweise - störten, kurz und prägnant beschrieben. Dafür mein erstes (?) Sternchen für Dich.

Grüße,

Oliver Walter

Merci!
dA DANKE ICH dIR DANN AUCH SCHÖN HIERMIT; oLIVER!
eS GRÜßT dICH
bRANDEN

…habe ich da gestiftet. :wink:
Oliver, der hier über Freud viel Schlimmes gesagt hat, gibt Branden,
der über Freud hier stets fast nur Gutes sagt, ein Sternchen, seit
Jahren das erste (?). Gebührte mir nicht dafür auch eins (nur wo?) ?

Ich kann allerdings keinem von euch ein Sternchen geben, denn eure
Argumente und „Argumente“, die mir nur allzu bekannt waren,
erscheinen mir nicht sachdienlich.

Ihr habt euch vereint in der Abwehr von Gross und Reich,
habt allerlei Abträgliches über beide Personen von euch gegeben,
aber auch die Sache, wofür die beiden Namen hier stehen sollten
(Adornos „Heroische Zeiten der Psychoanalyse“; „Abbau des Überich“)
entschieden abgelehnt.

Mich würde jetzt nur noch interessieren, was Ben Hechenrieder,
der meinem Eindruck nach immerhin radikale Gesellschaftskritik heute
noch für nötig und möglich zu halten scheint, dazu sagt.

Grüsse
Nescio