Hallo Raoul!
Durch den schleichenden :Verlust des Wertes „Familie“ :geht unsere Gesellschaft :immer mehr den Bach runter.
Du betrauerst eine heile Welt, die es nie gegeben hat. Durch Abhängigkeiten entstandene Zweck- und Zwangsgemeinschaften sind seltener geworden. Seltener geworden ist die Bereitschaft, Ehen und Familien nur auf dem Papier aufrecht zu erhalten. Bis in die 60er Jahre waren Scheidungen gesellschaftlich geächtet und konnten sogar ernsthafte berufliche Folgen haben. Paare heirateten, um eine Wohnung zu bekommen. Kündigte sich Nachwuchs an, „mußte“ geheiratet werden. „Wilde Ehen“ und das „Leben in Sünde“ war ein dauernder Spießrutenlauf. Noch 1971 hatten Vermieter in einer Großstadt wie Hamburg moralische Bedenken, an ein unverheiratetes Paar zu vermieten. Das weiß ich noch so genau, weil ich damals wie zigtausende andere Wohnungssuchende Sonnabends spätestens ab 6 Uhr früh, wenn nämlich das Hamburger Abendblatt mit den Wohnungsinseraten an den Kiosken erschien, am Telefon hing. Am besten gleich in der nächsten Telefonzelle, weil es für den Weg nach Hause schon nicht mehr reichte. Dann waren die wenigen bezahlbaren Wohnungen nämlich schon weg. Ich wäre mit meiner Partnerin in schierer Verzweiflung beinahe über der „Roten Katze“, einem Strip- und Bordellschuppen in einer Nebenstraße der Reeperbahn, eingezogen. Der Vermieter gehörte zu den wenigen Leuten, die es nicht interessierte, ob jemand verheiratet ist oder nicht. Wir fanden letztlich eine Wohnung in einer sehr schönen Gegend, mußten aber der Vermieterin versprechen, daß wir nicht zu den hemmungslosen jungen Leuten gehören, von denen man immer in der Zeitung liest und daß wir bald heiraten. Solche Art unzüchtiges Leben zu unterstützen, hätte sie sonst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Daran erinnerte sie auch allmonatlich beim Zahlen der Miete. Die damals herrschenden Werte waren eine Mischung aus Verlogenheit und Bevormundung und die angeblich heilen Familien zum beträchtlichen Teil Abhängigkeitskatastrophen. Ich weine den ersten Jahrzehnten dieser Republik, der damaligen Mentalität und den damaligen Zuständen keine Träne nach.
Es zählt für immer mehr :Menschen nicht mehr die :Selbstverwirklichung in der :Familie, sondern nur noch die :im Beruf. Immer mehr Frauen :wollen lieber Karriere :machen…
Diese Frauen wählen einen Weg, den sie selbst wollen. Solche Wahl gab es früher nicht. Heiraten und Kinder kriegen war der vorgezeichnete Weg und wenn die Ehe nichts taugte, mußte man da eben durch. Man sollte sich hüten, die Zustände mit „Selbstverwirklichung in der Familie“ zu verbrämen. Das Fehlen jeglicher Alternative zwang ungezählte Menschen, das Unvermeidliche zu ertragen. Das Ganze stelle Dir vor einem gesellschaftlichen Hintergrund vor, bei dem Schlägerei und Trinkerei in breiten Schichten zum Mannsein gehörten. Die Schicht, in der es anders aussah, war dünn. Zudem bestimmte eine vom Krieg geprägte Generation die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik. Das ist eine ganz eigene Geschichte von Millionen in seltsamen Vorstellungen, Werten und Ehrbegriffen verhafteten Menschen, von seelischen Krüppeln und auf Unterordnung und Gehorsam pochenden Leuten. In dem maroden Gebälk krachte es an allen Ecken und es mündete letztlich in Unruhen, in zu Straßenschlachten ausufernden Demos und provokativ zur Schau gestellter Anarchie.
laut deiner Vika bist du :Mitte 50, Dich hat das nicht :mehr zu stören,
Ich hoffe, mindestens noch ein Vierteljahrhundert etwas gestalten zu können. Außerdem habe ich (bisher
) 3 Kinder und es ist mir keineswegs egal, wie die Zukunft aussieht.
meine Generation muss :allerdings immer mehr Alte :finanzieren, die Generation :meiner Kinder wird es kaum :noch schaffen können. Da muss :ein wirklicher Wandel zurück :zu den Werten geschehen, will :man diese Entwicklung :aufhalten.
Wir haben alte, unter anderen Bedingungen entstandene soz. Sicherungssysteme, die den Veränderungen von Bevölkerungswachstum und Altersstruktur nicht gerecht werden können. Wer mit klarem Verstand will zurück zu früheren Bedingungen? Wir müssen statt dessen die Sicherungssysteme reformieren. Der Generationenvertrag taugt absehbar nur noch zur Grundsicherung. Wir müssen uns geeignete Ergänzungen oder geeigneten Ersatz einfallen lassen. Das ist ein Aspekt des Reformstaus, der immer länger wird, je hartnäckiger wir mut- und kraftlos an alten Sachen hängen.
Und auch der Verlust des :Wertes Religion schadet der :Gesellschaft. Glaubte man :früher noch an Nächstenliebe, :soziales Engagement in der :Gemeinde und die 10 Gebote…
Lange Zeit erfüllten Religion und Kirchen als Monopolisten eine wertvermittelnde Funktion. Ethik, Rechts- und Werteordnung, die vom Grundgesetz bis zur Menschenrechtskonvention das frühere Vakuum ausfüllen, machen Religionen als Ordnungs- und Disziplinierungselemente überflüssig. Religiöses erfüllt Bedürfnisse nach Spiritualität und ist zur Privatsache geworden. Das ist auch gut so, wenn ich sehe, was ach so gläubige Menschen in der Vergangenheit an Bockmist zustande bekamen und bis heute vermeintlich ihrem Glauben folgend zustande bekommen.
…glaubt die Jugend (also :meine Generation) an
laystation, 3er BMW und die :neuste GZSZ-Folge.
In unterschiedlicher Gestalt tauchen solche Sachen in jeder Generation auf. Ich kann heute nur darüber lächeln, wenn ich daran denke, welcher Sch*** mir vor zig Jahren furchtbar wichtig erschien oder welcher Kram in der Generation meiner Eltern unbedingt sein mußte.
…erschreckt mich der :Verlust der „alten“ Werte :mitunter.
Du hättest allen Grund zum Erschrecken, würden manche alten Werte wieder modern. Mir fällt auf Anhieb keine einzige Stelle ein, an der ich mir frühere Zustände und Vorstellungen zurück wünsche.
Gruß
Wolfgang