Heute ist ein schrecklicher Tag

Heute ist ein schrecklicher Tag.

Heute werde ich 50 Jahre alt. Alt? Ich fühle mich aber jung.
Aber was habe ich aus meinem Leben gemacht? Ja, ich war und bin wer. Da habe ich die Personalabteilungen von weltführenden Unternehmen geleitet. Da habe ich mächtig Macht und Kohle gehabt. Da habe ich Vermögen erworben und sie wieder in den Sand gesetzt.
Da habe ich kein Kapital angehäuft, wohl aber Wissen und Verständnis. Da habe ich gelernt, daß Macht und Geld nur Blendwerk sind, da habe ich gelernt, demütig zu sein.

Da lachen Jünglinge von 25 über meine Bewerbung, und ich darf mein Wissen und meine Erfahrung nicht einbringen. Sei es drum. Auch die lernen es (vielleicht noch).

Da habe ich die Liebe einer Frau verloren, die mir so selbstverständlich und verfügbar schien, wie auch ich meinte, selbst selbstverständlich und verfügbar zu sein.
Da habe ich den Kleinigkeiten des Lebens nicht die Wertschätzung gegeben, auf die sie Anspruch haben.

Haltet es, wie Ihr wollt. Ehrlicher kann ich es nicht schreiben, und ich wüßte auch nicht, wem gegenüber als Euch ich ehrlicher sein könnte.

Ich bin allein.

Einige Geschäftspartner haben angerufen, um zu gratulieren. Nun sitze ich da vor dem Bildschirm und erhoffe, wenigstens jemanden mit Worten zu erreichen.

Ich weine.

Ich denke an meine Mutter, die so sterben durfte, wie sie darum betete: Sanft und unaffällig. Ich konnte ihr Wesen erst schätzen, als ich sie verlor. Vorher habe ich sie nur als Mutter geliebt, was aber eine Mutter ist, habe ich erst verstanden, als es sie nicht länger gab.
Ich vermisse sie sehr. Das ist übrigens eine Untertreibung. Mir fallen aber keine besseren Worte ein.

Ich denke an meine Schwester. Sie starb nach 2 Wochen Koma. Ich habe ihr Sterben hautnah miterlebt. Die Ärzte taten, was dem Menschen möglich ist. Es war schlimm.
Noch heute höre ich ihre Stimme, wenn ich in meiner Wohnung alleine bin und sie mich ruft.

Ich denke an meinen Bruder, 20 Jahre älter als ich, fast ein Vater. Er fühlte sich von unserer Schwester gerufen, meinte aber, noch seine Bilder machen zu müssen. Er hat seine Bilder gemacht, indem er an den Ort seiner Jugend zurückkehrte und dort so gut wie alle Verwandten und Bekannten traf.
Er starb genau ein Jahr später, am selben Tag, zur selben Zeit.

Ich weine noch immer.

Ich meine nicht, daß dieses Brett morbide sei und möchte auch keinen morbiden Beitrag liefern.

Aber ich bin so allein. Ich schreie um Hilfe und Kenntnisnahme meiner Person. Das waren so die Gedanken, die mir in den Kopf kamen.

Ich hoffe, ich habe niemanden von Euch dadurch verletzt

Meine Grüße

Otto

Herzlichen Glückwunsch
hallo otto!
die allerherzlichsten glückwünsche zu deinem 50. geburtstag.
ich will hier gar nicht von „kopf hoch“ und so was anfangen, denn das hilft niemandem.
der 50. geburtstag ist sicher für jeden anlass, über sein bisheriges leben nachzudenken (ich bin noch zwar noch nicht ganz soweit, aber das wird bei mir wohl nicht anders sein).
du zählst allerdings überwiegend die dinge auf, die in deinem leben nicht positiv verlaufen sind.
du bist arbeitslos (habe ich das richtig aus deinem text gelesen?), aber du hast auch, so lese ich jedenfalls zwischen den zeilen, eine lange erfolgreiche phase in deinem beruf gehabt. das kann nicht jeder von sich sagen.
du hast ein vermögen gehabt und wieder verloren. also weißt du jetzt, wie vergänlich und, meiner meinung nach, auch wie unwichtig reichtum ist (ich kann gut reden, bin nie reich gewesen *g*).
warst du glücklicher als du noch viel geld hattest? wenn ja, warum?
du hast eine große liebe verloren.
das ist sicher ein schlimmer verlust. aber, und hier spreche ich aus eigener erfahrung, es gibt nicht nur eine große liebe, sondern evtl. wartet auf dich sogar noch eine größere, tiefere liebe. leider kann ich dir nicht sagen, wo du sie findest, aber du wirst sie finden.
du hast deine mutter und deine geschwister durch tod verloren. aber du lebst! und das leben ist es verdammt noch mal wert, gelebt zu werden.
es warten noch so viele spannende erfahrungen auf dich!
und da sind garantiert auch eine menge positive dabei!
ich trinke jetzt einen schluck apfelschorle auf dein wohl (sekt schmeckt mir leider nicht…). also: hoch soll er leben!
alles gute
gruß
saskia

ps: ich erhebe nicht den anspruch, jetzt irgendwie psychologisch wertvoll geantwortet zu haben. aber es war halt das, was ich dir spontan sagen wollte.

Zuerst einmal, trotz Deiner Stimmung, herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag.

Du schreibst: >Ich hoffe, ich habe niemanden von Euch dadurch verletzt

Wie denn. Es erscheint mir vielmehr so, als seiest Du verletzt worden. Ähnliches ist mir, wie jedem von uns, schon wiederholt geschehen. Erst vor einer Woche wurde ich zutieftst gedemütigt. Doch konnte ich dies relativ leicht ertragen, weil ich nicht alleine bin.
Dein Problem ist, daß Du Dich alleine fühlst. Ich schreibe bewußt „fühlst“, denn Du bist es nicht.
Ich sehe in Deiner Vita viele Parallelen zu meinem Leben und dem Leben vieler Menschen, die ich kenne. Ich gehe davon aus, daß Du heute noch einige Resonanz auf Deinen Artikel erhalten wirst.
Es gibt Wege aus der Resignation, sie liegen in Dir und Deinen Fähigkeiten.
Wenn Du willst, melde Dich per mail bei mir.

Herzlichen Gruß, Jürgen

…für Deine sich so endgültig anhörende Bilanz.

Heute werde ich 50 Jahre alt. Alt? Ich fühle mich aber jung.

Erstmal herzlichen Glückwunsch, Otto!
Auch zur Aufnahme in den Club der 50+. Uns trennt nur wenig mehr als ein Jahr und so kann ich Deine Gefühle verdammt gut nachvollziehen. Aber nur wer viel macht, macht auch viele Fehler. Und lernt dabei, häuft Erfahrung an, läßt sich nicht mehr so leicht blenden, kann zwischen wichtigen Dingen und Nebensächlichkeiten unterscheiden, kann die eigenen Schwächen einschätzen, kann sich an kleinen Dingen freuen, die Lebensqualität geben und erkennt viele Statussymbole als belastenden Tand, erkennt die falschen Freunde und hält sich diese vom Hals. Der Tod naher Angehöriger hat geprägt und mancher Verlust hat das Gespür für menschliche Werte hellwach werden lassen.

Du weißt selbst am besten, wie Du aus dem Seelentief wieder heraus kommst. Dann nimm die Vergangenheit jetzt als Erfahrungsschatz, den Du jedem Jüngeren voraus hast. Es ist noch keine Zeit, um Dich zur Ruhe zu setzen. Du fühlst Dich jung. Gut, dann fange von vorne an. Du machst aber keinen Anfängerfehler mehr, Du stolperst nicht mehr in jedes bereit stehende Fettnäpfchen. Du hast Berufserfahrung ohne Ende und hast es nicht nötig, wie ein junger BWLer nur aufgeregt mit dem Handy am Ohr über den Flur zu hetzen. Schreibe Deine Fähigkeiten auf - erstmal nur für Dich selbst, setze Dir Ziele, nimm den nächsten Stellenmarkt einer überregionalen Tageszeitung, versuche Scheuklappen loszuwerden. Mache Dir klar, daß die meisten Barrieren nur in Deinem Kopf existieren. Du selbst kannst sie deshalb beseitigen. Mit ein bißchen Pfeffer im Hintern hast Du eine Menge positiver Perspektiven.

Das Alleinsein ist bitter. Auch der Gedanke daran, was man schon alles verloren hat, weil man den Wert von Zuneigung nicht richtig und rechtzeitig erkannte. Auch das ist mehr ein Erfahrungsschatz als eine Hypothek. Nicht unbedingt krampfhaft suchend, aber auf Menschen zugehend wirst Du Dich auf das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch schon jetzt freuen können. Da nützt Dir dann die ganze Erfahrung rein nichts, da biste dann vom Gefühl her wieder ein innerlich bebender Jungspund. Es wird so kommen, sie läuft schon irgendwo umher.

Viel Spaß dabei!

Gruß
Wolfgang

Hallo Otto,
du schreibst, dass du heute, an deinem 50. Geburtstag allein bist.Allein sein bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass man auch einsam ist. Was also meinst du genau? Ich bin viel älter als du, vorzeitig wegen Krankheit in den Ruhestand versetzt, sehr oft allein und dazu noch mit einer absolut hilflosen 86jährigen alten Dame, die leider überhaupt keine Dame ist. Aber einsam fühle ich mich vor allen Dingen in großen Menschenansammlungen.
Ich versuche jeden Tag, genau all die kleinen und mir lästigen Arbeiten zu erledigen, die mir der Tag abverlangt; ich versuche, mit der Welle meiner Aufgaben zu gleiten und habe aufgehört, mich dagegen zu stemmen. Seither geht es mir besser. Beim 'Poabputzen´ und Windeln wegtragen versuche ich, wichtige Gedichte in meinem Inneren zu deklarieren.
Kennst du den Panther? Ich meine das Gedicht von Rilke. „Ein zu Großem geborener Mensch wird durch die Enge der Umwelt betäubt.“
Das sind die Randnotizen, die ich als Schülerin daneben geschrieben hatte vor über 40 Jahren. Du erinnerst mich heute an den Panther und ich wünsche dir, dass sich die Stäbe lösen und dich frei geben.
Hier das Gedicht:

Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
So müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
Der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
Ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
In der betäubt ein starker Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
Geht durch der Glieder angespannte Stille -
Und hört im Herzen auf zu sein.

Rilke lebte von 1875 bis 1926. Er hat mit Sicherheit nur das aufgeschrieben, was er selbst durchlitten hatte.

Nimm das Leben an, so wie es gerade ist. Das könnte dich heilen.
Renate

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Danke dir,
Otto, für deinen Beitrag, es ist ein mutiger und ermahnender Text. Es trifft sehr hart, was du da schreibst. Ich hoffe, es wurde dir schon deswegen besser, daß du es hier posten konntest und jetzt Stimmen hörst, die dir zuhören.

Vielleicht kannst du etwas schönes für dich machen, wie ein Kuchen für dich backen oder eine Blume dir schenken, wenn keiner es für dich tut.
Ich erzähle dir hier nur eine kleine Geschichte, die mich schon seit vielen Jahren tröstet:
Meine Cousine brach in Tränen an ihrem Geburtstag aus als sie 16 wurde. Plötzlich und bitterlich, und keiner wußte, warum. Wir sammelten uns um sie herum und fragten sie nach dem Grund. Sie schluchzte lange und dann sagte: „Ich bin so alt geworden!“

Vielleicht kannst du darüber lächeln oder grinsen.

Herzlichen Glückwunsch!

Stufen
Hallo Otto,

wenn ich traurig oder wütend oder frustriert bin, dann lese ich immer dieses Gedicht:

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln und uns engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Hermann Hesse)

…das gibt mir immer wieder Kraft. Ich „schenke“ es dir zum Geburtstag :smile:

Liebe Grüße
Uschi

Ist das Glas halb leer oder halb voll?
Hallo, Otto,
auch von mir herzliche Glück-, Gesundheits- usw. -Wünsche!
Ich hab Dir ja mal grade eben 10 Jahre voraus :smile:

Nun hast Du uns alles erzählt (und es hat mich auch bewegt!) was Dir alles danebengegangen ist, was Dich belastet und verletzt hat.

Aber das ist ja nur die eine Hälfte der Geschichte - oder?

Erinnere Dich bitte auch und mit gleicher Intensität an die Momente Deines Lebens, in denen Dir plötzlich die Sonne schien, die Stunden von denen Du hofftest, sie mögen verweilen, den Dank, den man Dir unvermutet ausgesprochen hat, das freundliche Lächeln, das Dir ein Wildfremder geschenkt hat, … Du wirst Dich selbst noch an viele Gelegenheiten des Glücks und der Freude erinnern.

Es ist halt so, dass wir als Normalmenschen das „große Glück“ nur aus Romanen erfahren. Aber wenn wir die vielen kleinen Glückchen, die uns täglich widerfahren zusammensetzen, dann gibt das auch ein ganz ansehnliche Menge!

Alles Gute Dir und auch diesseits der 50 gibt es noch viel Sonnenschein!
Eckard.

Ja, darüber konnte ich lachen. Herzlichen Dank
Danke. Das schiebt die Dinge wieder zurecht.

Empfange meine Grüße

Otto