Hieronymus Bosch: Jüngstes Gericht/Interpretation

Ich befasse mich gerade mit dem „Jüngsten Gericht“ von Hieronymus Bosch, und hoffe zu einer etwas differenzierteren Interpretation zu kommen.
(Da es noch ein anderes „Jüngstes Gericht“ von Bosch gibt: Ich meine das Bild, das man bei
http://www.artchive.com/artchive/B/bosch/judge_c.jpg…
sehen kann.)

Mich würde interessieren, ob jemand zu folgenden Ansätzen spontane Ergänzungen oder Berichtigungen hat (besonders bei den eingklammerten Fragezeichen):

Im oberen Viertel: der Weltenrichter (Gott?) mit einer Gruppe demütig betender und einer Gruppe offenbar argumentierender, sich verteidigender (?) Sünder. Darüber die Engel mit den Posaunen des Jüngsten Gerichts und die Jungfrau Maria (?). In dem auf die Ellbogen gestützten alten Mann hat sich Bosch möglicherweise selbst als Beobachter dargestellt (?) (Irgendwo gelesen).

Das darunter liegende Viertel stellt die brennende Erde (?) dar.

Können von den Szenen der unteren Hälfte einige besonders hervorgehoben werden? Gibt es unter den „diabolischen“ Figuren Besonderheiten zu bemerken?

Über Anregungen würde ich mich freuen.
Thomas

Gruess Gott,

Sehe es so wie Wilhelm Fraengers Beurteilungen:

Die ca. 40 authenthischen Werke handeln von den theologischen Problemen der damaligen Zeit,der Glaube an Hexen und Teufel,von Redewendungen und Gedichtausschnitten.

Erst im 20. Jarh. bemerkte man Boschs Botschaft seiner surrealistischen Bilder.

Er könnte z.B. durch einzelne Figuren bestimmte Personenkreise ansprechen.Aber viele Details seiner Bilder bergen immer noch Geheimnisse,da es scheinbar sich widersprechende Bereiche gibt ,und höchstens seine engsten Vertraute wußten,was er damit auszudrücken versuchte.

Seine fesselnde Darstellung von Misch- und Fabelwesen macht den Bildinhalt jedoch nebensächlich.

Wilhelm Fraengers deutete aus der Darstellungen und der Symbolik seiner Bilder,daß Hieronymus zu der „Gemeinschaft der Freien Geister“ angehörte.

Eine Sekte der Adamiten, bereits vor dem 14. Jh. verbreitet,mit heidnischen und volksreligiösen Ideen,die sich auf Adam berief.

Bosch hatte ein gespaltenes Verhältnis zu den irdischen Dingen und zu seinen Glauben.Einerseits heiratete er reich,so daß er unabhängig war,andererseits glaubte er an die unendliche Verdammung als Konsequens für den Besitz von Geld und Gut,oder für die Hingabe der Wollust.

Diese innerliche Spaltung erklärt Wilhelm Faengers durch die Deutung von Bosch Symbolik, der ich folgen kann.

Er sollte der „Gemeinschaft der Freien Geister“ angehören,einer Sekte,bereits vor dem 14. Jh. verbreitet,mit heidnischen und volksreligiösen Ansichten.

Adam war für sie eine sündenlose Gestalt.

Ihr Ziel war ein „irdischen Paradies“ ohne Sünden.

Diejenigen,die sündigen kommen in die Hölle und werden bitter bestraft:Z.B.,der Wollüsternde muß mit Drachen ins Bett;der Jähzornige wird mit einem Schwert zerfleischt.Oder:smiley:er Adept der Völlerei bekommt Kröten und Schlangen aufgetischt.

Kunstgeschichtlicher Stil:

Boschs Werke zeigen den Wandel der Kunst vom Mittelalter zur Neuzeit.

Er behandelte die theologischen Probleme seiner Zeit,wie den Aberglauben an den Teufel, denke ich.

Und wegen wegen seiner (angeblichen) Sektenangehörigkeit glaubte er,daß nur die Mitglieder der „Gemeinschaft der Freien Geister“ den Versuchungen des Teufels wiederstehen könnten.
-Aber durch die Surrealität seiner Bilder der Neuzeit zugehörig
-Das gestörte Verhältnis von den Menschen zu Gott
-Die gestörte gesellschaftliche Ordnung
-Es sollen Mahnungen an die Schurken und Betrüger der Unschuldigen sein
-Er stellte damalige Redewendungen und Gedichtausschnitte dar

Gehst Du damit einig?

gruss

zapriano

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Thomas!

Ich bin kein Bosch-Spezialist, da ich mich aber mit mittelalterlichen Visionen beschaeftige (und Bosch wurde vermutlich durch die „Visio Tnugdali“ inspiriert), kann ich erst mal aus dem Stand ein, zwei Sachen sagen. Ich schau mir das Bild aber noch mal genauer an, speziell des unteren Drittels wegen…

Also:

Oben in der Mitte throhnt Christus als Weltenrichter, das ist ein ziemlich gaengiges Sujet fuer die Zeit (ich habe irgendwo noch einen Artikel, der sich sehr ausfuehrlich mit diesem Motiv beschaeftigt, suche ich Dir gern ‚raus!). Die kleinen Gruppen von Leuten wuerde ich eher als Propheten, bedeutende Heilige oder Kirchenvaeter sehen. Das entspricht der Konvention der Weltgerichtsdarstellungen. Die Frau duerfte mit ziemlicher Sicherheit Maria sein, der nachdenkliche Herr: Ich weiss nicht, koennte Bosch sein, wobei es mir schon ganz schoen kuehn erscheint, sich selbst neben Jesus anzusiedeln…(immerhin ist zu Boschs Zeiten das Mittelalter noch nicht sooo lange vorbei).
Das untere Drittel koennte auch die Hoelle sein (in Verbindung mit der „brennenden Erde“ vielleicht ein Sinnbild fuer „die Hoelle auf Erden“, so wie „die Erde ist ein Jammertal“ [wohl wahr! *seufz*]). Ein Indiz dafuer ist der fette Mann ganz links: Den wuerde ich naemlich als einen ansehen, der fuer seine Suende, naemlich Gula (die Fresssucht) bestraft wird (die sieben Todsuenden sind Dir hoffentlich ein Begriff?). In sehr vielen Hoellenvisionen und -beschreibungen kommt naemlich das sog. „ius talionis“ (ups! koennte auch sein, dass man es „tallionis“ schreibt, muss ich nochmal nachschlagen…) zur Anwendung, d.h. man wird an dem Koerperteil gestraft, mit dem man gesuendigt hat. Also der Verfressene wird gemaestet bis zum geht-nicht-mehr, die Frauen, die abgetrieben haben, gebaeren Schlangen, die dann wieder in ihren Mund kriechen, um wieder neu geboren zu werden (und verheeren bei ihrem Durchgang durch den Leib die Innereien), die Zornigen (Suende „Ira“) muessen sich selber am ganzen Koerper zerbeissen usw usf. (ist Dir schlecht?! :wink:).
Das faellt mir jetzt so spontan ein, weiteres muss ich hier zu Haus in Ruhe nachschlagen, ich will Dir ja auch nix‘ falsches erzaehlen (ich habe auch noch ein, zwei, drei Buecher und Auffsaetze ueber Bosch, da werde ich bestimmt auch noch fuendig).

Viele Gruesse

Henriette

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo!

Kleiner Nachtrag, habe mich gestern nochmal schlau gemacht: Die beiden Gruppen von Personen unter Christus (2x 6) sind natuerlich die zwoelf Apostel! Der nachdenkliche Herr ist in der ikonographischen Tradition dieser Weltgerichtsdarstellungen immer Johannes der Taeufer. Also, wie gesagt, ob das Bosch selber ist…, ich weiss nicht.

Da der linke Fluegel dieses Triptychons eindeutig eine Hoellendarstellung ist, koennte das untere Drittel des Mittelteils natuerlich tatsaechlich die diesseitige Welt sein. In Verbindung mit den von mir angedeuteten Hoellenstrafen koennte man es gut als Warnung vor der Versuendigung im alltaeglichen Leben betrachten.
Und mal so als Tip: Schau Dir mal den „Tisch der sieben Todsuenden“ von Bosch an, da findest Du einige Motive abgewandelt in „Deinem“ Bild wieder. Viel Spass!

Henriette

1 „Gefällt mir“

Danke! Das nenne ich umfassend!
Hallo Henriette,
vielen Dank für diese ausführlichen und sehr informativen Antworten!
(Es geht nochmal eine Mail direkt an Dich.)

Thomas