Pronomen - Sprachästhetik und Zivilisationsniveau
Ist das nicht schön:
"Die Fürwörter drücken auch Unterschiede an den Dingen aus; aber dies sind nicht die bleibenden, innerlichen Bestimmtheiten der Dinge, durch welche sie selbst sich von einander unterscheiden, sondern äußere, meist zufällige Merkmale oder Umstände, an denen wir sie unterscheiden können.
Diese Umstände, welche das Fürwort bezeichnen kann, sind: das Verhältniss des Gegenstandes zu der Rede, seine Beziehung auf etwas Andres und seine örtliche Stellung in Hinsicht des Sprechenden. Die Bezeichnung der letzteren pflegt von einer Hinweisung begleitet und dadurch erst deutlich gemacht zu werden, welches zeigt, dass die Fürwörter für sich allein, ohne die belebende Rede, keine wahrhafte Bestimmtheit geben. Abgesehen von ihrer wesentlichen Bedeutung, welche das Substantiv selbst nicht auszudrücken vermag, befördern die Fürwörter zugleich als Stellvertreter der Hauptwörter Kürze, Deutlichkeit und Wohlklang der Sprache. Wie äußerst schleppend und widrig würde ohne Fürwörter z. B. folgender Satz klingen:
Der Vater befiehlt des Vaters Kindern, dass die Kinder den Befehlen gehorchen sollen, die der Vater den Kindern giebt; denn der Vater weiß, dass die Befehle den Kindern zum Besten gereichen und der Kinder Glück befördern, und das Glück der Kinder liegt dem Vater am Herzen.
Wie weit kürzer, deutlicher und wohlklingender wird derselbe Satz, wenn man statt der Hauptwörter Fürwörter setzt und sagt:
Der Vater befiehlt seinen Kindern, dass sie den Befehlen gehorchen sollen, die er ihnen giebt, denn er weiß, dass dieselben ihnen zum Besten gereichen und ihr Glück befördern, und dieses liegt ihm am Herzen.
Je roher und ungebildeter eine Sprache ist, desto weniger Fürwörter finden sich in derselben. Dies ist der Fall bei der Sprache der Wilden1 und kleinen Kinder. Daher hört man z.B. den kleinen zwei- oder dreijährigen Karl zu seiner Mutter sagen: Karl ist hungrig; Karl bittet Mutter, dass Mutter Karl Butterbrod giebt, anstatt: ich bin hungrig; ich bitte Dich, dass Du mir Butterbrod giebst."
S. 301 aus:
Theoretisch-praktische deutsche Grammatik, oder Lehrbuch zum reinen und richtigen Sprechen, Lesen und Schreiben der deutschen Sprache, nebst einer kurzen Geschichte und Verslehre derselben.
Zunächst zum Gebrauch für Lehrer und zum Selbstunterricht
von Dr. Joh. Christ. Aug. Heyse, Schuldirector zu Magdeburg und Mitglied der Gelehrten: Vereine für deutsche Sprache zu Berlin und Frankfurt am Main.
Vierte, sehr vermehrte und verbesserte Ausgabe.
Hannover, 1827. Im Verlage der Hahn’schen Hofbuchhandlung. (Ladenpreis 2Rthlr. ggr.)
zitiert nach:
http://books.google.de/books?pg=PA301&dq=%22Sprache+…
1Sprache der Wilden - diese politische Inkorrektheit dürfte sich heute kein Linguist mehr erlauben. Vielmehr müsste er sich um sprachliche Klimmzüge bemühen, etwa so:
- naturbelassen lebende Mitbürger unseres Planeten
- Menschen mit Freiland-Lebeweise (oder Freiland-Haltung, wenn sie in Reservaten leben)
- indigene Gruppen ohne Kontakt zur Sprachkultur der globalisierten Gesellschaft