Hirnfunktionen

Hallo.

Ich bin gerade auf eine Frage gestoßen, die für mich gerade eine gewisse Faszination beinhaltet. Ich stelle die Frage im Bezug auf Menschen, aber trotzdem nicht im Bereich Medizin, da ich denke, es gehört eher zur Biologie und sollte auch zumindest bei den Säugetieren ziemlich gleich ablaufen. Nun zur Frage:

Während der Schwangerschaft bildet sich ja das Gehirn usw. ziemlich schnell. Ich schätze, der erste Teil der fertig gestellt ist, ist das zentrale Nervensystem mitsamt der vegetativen Funktionen usw… Das ZNS dürfte auch relativ schnell, nachdem es Einsatzbereit ist (also es muss noch nicht fertig sein. Ich stelle mir das wie ein Bürogebäude vor. In den unteren Stockwerken wird schon gearbeitet, während das Gebäude oben noch gebaut wird), seine zugedachten Funktionen übernehmen. Mit Fertigstellung der einzelnen Zellen gehen diese also „in Betrieb“, während die anderen Zellen erst noch gebildet werden. Wie sieht das aber beim Gehirn aus? Fangen die Neuronen im Hirn sofort an zu arbeiten, sobald sie gebildet sind, oder ist es eher wie bei einem Motor? Ich meine damit, ob das Gehirn erst zu einem größeren Teil „fertiggestellt“ ist und dann auf ein Signal hin quasi „anspringt“ wie der Motor eines Autos? Gibt es darüber überhaupt schon Erkenntnisse in der Wissenschaft?

Ich könnte mir vorstellen, dass wenn es die Motorvariante wäre (ich nenne das jetzt mal so), das ein riesiges Argument für PID und Abtreibungsbfürworter wäre, da bis zum Zeitpunkt des Zündens ja keine höheren Hirnfunktionen (und somit auch kein Bewusstsein oder Seele oder wie man es auch nennt) vorhanden wären.

MfG,
TheSedated

Moin,

die Funktion des Hirns beruht zu einem guten Teil auf der Ausbildung von Neuronenverbindungen. Das Hirn eines Neugeborenen ist erst mal relativ chaotisch 'verdrahtet. Sobald Sinneseindrücke verarbeitet werden, das passiert schon im Mutterleib, verstärken sich diese Verbindungen, oder bauen sich ab, wenn sie nicht gebraucht werden.

In den ersten Lebensjahren wird das Hirn permanent umgebaut, in der Pubertät noch mal so richtig, weshalb viele Jugendliche in dieser Zeit schon mal seltsam ticken.

Gandalf

Servus,

also man muss sich den Prozess ein wenig anders vorstellen.

Anfangs gibt es Embryonale Stammzellen, also Zellen, welche sich zu jedem erdenklichen Zelltyp weiterentwickeln können.

Dies wird in der Embryonalentwicklung hauptsächlich mit Hilfe von Signalstoffen erreicht, die die Zellen selbst produzieren. Durch Produktion und Halbwertszeit dieser Stoffe entstehen so genannte „Gradienten“, anhand denen sich dann die Zellen unterschiedlich weiterentwickeln.

Wenn z.B. ein Signalstoff in einem Gebiet sehr hoch ist, dann entwickelt sich die Zelle z.B. zu einer Hautzelle. An einer anderen Stelle ist dieser Signalstoff niedriger und die Zelle entwickelt sich z.B. zu einer Nervenzelle.

Natürlich gibt es nicht nur einen Signalstoff, sondern hunderte, die ein immer komplexer werdendes „Gradientenmuster“ im Embryo schaffen und somit für die Anlage von Gewebeschichten und später einzelnen Organen verantwortlich sind.

So entstehen also die ersten Nervenzellen und z.B. die ersten Muskeln.

Nervenzellen fangen dann irgendwann unkoordiniert zu feuern an, und zwar sobald ihre ATPasen und Transmembranproteine ein Ionen-Konzentrationsgefälle zwischen Zellinnerem und Zelläußerem hergestellt haben. Dieses Konzentrationsgefälle ist für das so genannte Aktionspotential, also elektisches „Feuern“, notwendig. Zu diesem Zeitpunkt sind die Neuronen jedoch nicht bzw. nur unzureichend miteinander verschaltet.

Je nachdem, ob schon eine solche Nervenzelle mit einem Muskel verbunden ist kann es lokal schon relativ früh zu Zuckungen kommen, gesteuerte, koordinierte Bewegung oder sensorische Reizweiterleitung tritt jedoch erst viel später ein.

Diese frühen elektrischen Entladungen sind jedoch für die weitere Entwicklung und Verknüpfung der Nervenzellen notwendig und sorgt wiederum für eine Weiterentwicklung der Nervenzellen selbst.

Daher sollte man auch beachten, dass die Entwicklung der Nervenzellen ein dynamischer Rückkopplungsprozess ist, der sich selbst nach der Geburt bis zur Pubertät hinzieht.

Der Prozess ist daher nicht mit einem Motor vergleichbar, der erst zusammengebaut und dann angeworfen wird, sondern ansatzweise mit der Beziehung zwischen Einzelcomputern, die schon arbeiten, dabei jedoch weiterhin ständig umgebaut werden und dann später zu einem Netzwerk zusammengeschlossen werden, wobei sie auch danach immer noch weiter umgebaut werden.

Man könnte auch das Bild eines Menschen bemühen, der in einen Sumpf geraten ist und nun versuchen muss, sich selbst ohne Hilfe von außen Schritt für Schritt daraus zu befreien.

Im Detail ist die Sache allerding noch ein wenig komplizierter. Hier ist ein guter Einstiegsartikel zu dem Thema:
http://www.braincampaign.org/Common/Docs/Files/4500/…
http://www.uni-duesseldorf.de/MedFak/mai/teaching/co…

Zu den Zeiten zu denen PID durchgeführt wird sind noch keine Nervenzellen ausdifferenziert. Also keinerlei neuronale Reizweiterleitung findet statt. Höhere Hirnfunktionen gibt es hier schon gar nicht.

In dem Stadium in dem PID gemacht wird, ist der „Embryo“ lediglich ein Häufchen Zellen, welches weder Schmerz empfinden noch in irgendeiner anderen Form Reize wahrnehmen kann.

Daher wurde dieses Argument auch nur am Rande bei der PID-Diskussion erwähnt, da die eigentliche Frage die ethische Frage der Zulässigkeit der Vernichtung von potentiellem Leben ist.

Gruß,
Sax

Erstmal danke für die schnelle und ausführliche, dennoch gut verstädnliche Antwort. Die Links werde ich mir später dann mal zu Gemüte führen.

Je nachdem, ob schon eine solche Nervenzelle mit einem Muskel
verbunden ist kann es lokal schon relativ früh zu Zuckungen
kommen, gesteuerte, koordinierte Bewegung oder sensorische
Reizweiterleitung tritt jedoch erst viel später ein.

Diese frühen elektrischen Entladungen sind jedoch für die
weitere Entwicklung und Verknüpfung der Nervenzellen notwendig
und sorgt wiederum für eine Weiterentwicklung der Nervenzellen
selbst.

Also mehr oder weniger „denken“ sich die einzelnen Zellen: „Ja, ich kann elektrische Impulse schießen, was mach’ ich denn jetzt damit? Ach, ich baller’ einfach mal in der Gegend rum…“ und kurz darauf, nachdem vielleicht ein Muskel gezuckt hat oder eine Rückmeldung einer anderen Zelle kam: „Oh, cool! Da ist was passiert! Das mach’ ich jetzt öfter!“ und die Weiterentwicklung folgt dann so dem Prinzip „Training macht stark“, wenn ich dich da jetzt richtig verstanden habe.

Daher sollte man auch beachten, dass die Entwicklung der
Nervenzellen ein dynamischer Rückkopplungsprozess ist, der
sich selbst nach der Geburt bis zur Pubertät hinzieht.

Der Prozess ist daher nicht mit einem Motor vergleichbar, der
erst zusammengebaut und dann angeworfen wird, sondern
ansatzweise mit der Beziehung zwischen Einzelcomputern, die
schon arbeiten, dabei jedoch weiterhin ständig umgebaut werden
und dann später zu einem Netzwerk zusammengeschlossen werden,
wobei sie auch danach immer noch weiter umgebaut werden.

Also bin ich dann doch mehr an meinem Haus dran, die fertigen Büros werden bereits genutzt, woanders wird noch gebaut und die Mitarbeiter tun erstmal irgendwas, um überhaupt irgendwas zu tun bis das Ganze dann koordiniert wird. Die Motor-Theorie hätte mich auch irgendwie gewundert. Das wäre ja dann so ein Zeitpunkt gewesen, an dem man festmachen könnte ob noch tot oder bereits am leben.

Servus,

Also mehr oder weniger „denken“ sich die einzelnen Zellen:
„Ja, ich kann elektrische Impulse schießen, was mach’ ich denn
jetzt damit? Ach, ich baller’ einfach mal in der Gegend
rum…“ und kurz darauf, nachdem vielleicht ein Muskel gezuckt
hat oder eine Rückmeldung einer anderen Zelle kam: „Oh, cool!
Da ist was passiert! Das mach’ ich jetzt öfter!“ und die
Weiterentwicklung folgt dann so dem Prinzip „Training macht
stark“, wenn ich dich da jetzt richtig verstanden habe.

Vereinfacht gesagt ja. Übrigens ist auch jeder Lernprozess so in der Art aufgebaut. Der Fachbegriff hierzu ist „Bahnung“.

Also bin ich dann doch mehr an meinem Haus dran, die fertigen
Büros werden bereits genutzt, woanders wird noch gebaut und
die Mitarbeiter tun erstmal irgendwas, um überhaupt irgendwas
zu tun bis das Ganze dann koordiniert wird.

Im Grunde ja, nur dass sich während des Hausbaus die Mitarbeiter sich auhc noch vom Maurer zum Elektriker zum z.B. EDV-Spezialisten „fortbilden“.

Die Motor-Theorie
hätte mich auch irgendwie gewundert. Das wäre ja dann so ein
Zeitpunkt gewesen, an dem man festmachen könnte ob noch tot
oder bereits am leben.

Das macht es ja so schwierig den Beginn des Lebens festzulegen. Manche sehen es wie die olympische Flamme, die vom Anbeginn der Zeit weitergereicht wird, andere erst wenn Ei und Samen verschmelzen, andere erst wenn Gefühle wahrgenommen werden und zuletzt andere, wenn echte Gehirnfunktionen da sind.

Gruß,
Sax

Zwar bilden sich Gehirnareale und -abschnitte, aber der Schmerz z.B. ist physiologisch gesehen nicht fühlbar. Erst ab der 24. - 30.SSW beim Menschen sind der sensorische Cortex und die Neurone so ausgereift, sodass diese Schmerz überhaupt wahrnehmen können.
Die Bildung eines Hinbläschens oder die Neurulation ist kein Argument für Schmerz, wenn man es auf den Schmerz an sich bezieht.
Das Bewusstsein wird durch mehrere Fakoren und Hinrteile bestimmt, ich kann mir vorstellen, dass dieses erst relativ spät in den Vordergrund tritt.