Historisches Verdienst der Kirche?

Liebe www-ExpertInnen

Gibt es ein historisches Verdienst der christlichen Kirche?
Historisches Verdienst des Kommunismus: Die Verkündung der Botschaft: Der Arbeitnehmer hat die Macht, sobald er sich organisiert.
Historisches Verdienst der Sozialdemokratie: Bündelung der Arbeitnehmerinteressen
und die Aussöhnung mit dem Osten im Kalten Krieg.
Historisches Verdienst des Konservativismus: Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Historisches Verdienst der Philosophie: Selbsterkenntnis. Aufklärung. Und die Formulierung bleibender Fragen.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Sie soll kein Vergleich im Sinne einer Gleichstellung sein. Ich möchte damit nur umreißen, was gemeint sein kann. Sie soll dazu anregen, darüber nachzudenken, was die christliche Kirche originär, d. h. ohne Zuhilfenahme einer fremden Disziplin (Psychologie, Philosophie) an Gutem und Bleibendem zustande gebracht hat.

Noch einmal:
Gibt es ein historisches Verdienst der christlichen Kirche? Vielleicht sogar mehr als eins?

Viele Grüße
Voltaire

Guten Abend.
Also ich will mich da nich total verrennen, aber waren die Geistlichen im Mittelalter und auch früher nicht so ziemlich die Einzigen die Schreiben konnten?(Sicher es gibt ausnahmen!)
Also wären viele Erkenntnisse, oder Historische Ereignisse nicht gespeichert worden.
Fast alle neuen Erkentnisse bauen auf älteren auf, also hätte viele Grundgedanken nicht schriftlich weitergegeben werden können.
Die kirche hat die Schrift nicht erfunden, aber allein das die geistigen früher vieles niedergeschrieben haben alleine weil sie es konnten stellt schon ein Großen Verdienst dar.
Gruß
Basoon.Player

p.S.Noch ne Erkenntnis Viele in unseren Köpfen ethisch Festgelegte Grundsätze, stimmen mit den 10 Geboten überein.

p.p.S. Wenn durch meine Formulierungen noch einiges Unklar ist, bitte sagen, aber ich bin sooooooooooooooooo müde und kann mich deswegen nicht mehr richtig konzentrieren.

Gute nacht

Die kirche hat die Schrift nicht erfunden, aber allein das die
geistigen früher vieles niedergeschrieben haben alleine weil
sie es konnten stellt schon ein Großen Verdienst dar.

Hm, die vielen Handschriften durch die uns manch antike Bücher oder Autoren überhaupt überliefert sind, sind sicher ein großes kulturhistorischer Verdienst, das aber eher den Klöstern gebührt als der Kirche.

p.S.Noch ne Erkenntnis Viele in unseren Köpfen ethisch
Festgelegte Grundsätze, stimmen mit den 10 Geboten überein.

Die 10 Gebote stammen nicht von der Kirche, sondern von Gott oder Moses …oder?

Ich würde sagen: der größte Verdienst der Kirche als Instituition sind die Dombauten. Als Bauherr hat die Kirche die besten Architekten und Steinmetze ihrer Zeit zu Höchstleistungen angespornt.

Die Frage ist irgendwie schwer zu beantworten. Auch wenn du sagst deine Beispiele sollten keine Gleichsetzung bedeuten ist der von dir umrissene Rahmen ein wenig seltsam.
Du führst (i.w.S.) Ideologien an und stellst sie einer Organisation gegenüber, die dann

… ohne Zuhilfenahme einer fremden Disziplin

etwas geleistet haben soll.
Damit geht es doch implizit um die Leistung der „Disziplin“ Theologie der Kirche?!
Die Theologie hat aber durchaus etwas anderes bewirkt als die Kirche (im übrigen welche der vielen?).
Außerdem trifft die Forderung („ohne Zuhilfenahme …“) auf praktisch keines deiner Beispiele zu. Der Kommunismus ist ohne Aufklärung kaum denkbar, Sozialdemokratie ohne Kommunismus nicht usw. Das sind im übrigen alles auch irgendwie Philosophien und die haben sich immer gegenseitig mit der Theologie beeinflusst. Wenn du die Wirkung deiner Beispiele an den ihnen verpflichteten Organisationen (Gewerkschaften, Parteien) festmachen willst, dann haben auch die sich anderer Disziplinen, wie etwa Jura, Wirtschaftswissenschaften, „Militarismus“, Psychologie bedient, da kannst du nicht erwarten, dass nur die Kirche ganz aus sich heraus existiert.

Um aber doch noch auf das eigentliche Anliegen deiner Frage einzugehen:
Für viele Theologien und manche Kirchen lässt sich wohl feststellen, dass sie Staatengebilde gefestigt haben und auch weltliche Macht ausgeübt haben und darum an den Kulturleistungen dieser Staaten mit „schuld“ sind.

Gruß
Werner

PS: Das der Konservativismus den Wiederaufbau vollbrachte … das solltest du nie in einer Gewerkschaftsversammlung äußern.

Aber ‚Voltaire‘ !

Gibt es ein historisches Verdienst der christlichen Kirche?
Vielleicht sogar mehr als eins?

Viele Grüße
Voltaire

Fraaagen stellen kannst du… tststs
Warum forderte Voltaire wohl:
Écrasez l’infâme !

Nescio

Dombauten
Die Dombauten waren in der Tat der Motor für den Fortschritt. Weiterhin
war die Kirche ein unglaublicher Katalisator für viele Erfindung, Bider
und Skulpturen, Musik und Buchkunst(z.B. Book of Kels). Und die Musik!
Händes Messias, Vivaldis Gloria, Bach, Telemann, Mozart. Kürzlich war
ich auf einer Durchreise in Nürnberg. Was uns die Franken zu bieten
haben, das ist grandios. Nein, ein Leben ohne die sakralen Wunder, das
wäre wohl sehr karg.
Alexander

2 „Gefällt mir“

Hallo Alexander

Das klingt alles so, als wäre die Kirche so eine Art Immobilienfirma mit GU Kompetenz. Wenn man nur die Bauten und Bücher sieht, sagt der jungfräuliche Betrachter: Eine tolle Firma.
In hundert Jahren betrachten wir dann den Herrn Forster, der das neue Reichstagsgebäude entworfen hat als Messias? Oder wie?

Was wir Franken zu bieten haben ist natürlich grandios. Aber das bieten andere Gegenden auch.
Nur was hat das mit dem wirklichen Verdienst der Kirche zu tun ?

Grüß Gott in Franken

easy!man

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Hallo,

Das klingt alles so, als wäre die Kirche so eine Art
Immobilienfirma mit GU Kompetenz. Wenn man nur die Bauten und
Bücher sieht, sagt der jungfräuliche Betrachter: Eine tolle
Firma.

Die Kirche als „tolle Firma“ zu beschreiben, daran dachte ich
eigentlich nicht. Aber sie war wohl der Motor für vieles. Ich dachte
mehr an die „Spinnoffs“, die beim Kirchenbau anfielen. Auch die Rolle
in der Geisteswissenschaft sind mir klar. Nur ein starker Glaube
ermöglichte die Kunstwerke, die aus einer anderen Welt zu stammen
scheinen.

In hundert Jahren betrachten wir dann den Herrn Forster, der
das neue Reichstagsgebäude entworfen hat als Messias? Oder
wie?

Für wen wird er zu Messias werden? Gut ist Mr Foster durchaus, dass
er aber das Zeugs zum Heigen hat, dass wage ich zu bezweifeln.

Was wir Franken zu bieten haben ist natürlich grandios. Aber
das bieten andere Gegenden auch.

Richtig. Ich war vor einigen Jahren in Dresden. Das Blaue Gewölbe ist
auch eine Schatzkammer.

Nur was hat das mit dem wirklichen Verdienst der Kirche zu tun?

Habe ich das geschrieben? Ich sags noch mal: Die Kirche war immer
schon ein Katalysator für die Kunst. Natürlich kenne ich auch die
dunklen Seiten der Kirchenmacht. Aber das war wohl hier nicht das
Thema.
Alexander

Lieber Werner Willmann
Du stellst fest

Die Frage ist irgendwie schwer zu beantworten.

Wunderbar!

Auch wenn du
sagst deine Beispiele sollten keine Gleichsetzung bedeuten ist
der von dir umrissene Rahmen ein wenig seltsam.
Du führst (i.w.S.) Ideologien an und stellst sie einer
Organisation gegenüber, die dann

… ohne Zuhilfenahme einer fremden Disziplin

etwas geleistet haben soll.
Damit geht es doch implizit um die Leistung der „Disziplin“
Theologie der Kirche?!

Es geht um die christliche Kirche in ihrer Gesamtheit. Eine Trennung
von Theorie und Praxis möchte ich nicht so gern vornehmen; es geht
um die Kirche in der Gesamtheit ihrer Richtungen.

Die Theologie hat aber durchaus etwas anderes bewirkt als die
Kirche (im übrigen welche der vielen?).

Nehmen wir pauschal, wie im Ausgangsposting angedacht, die christliche. Sollten sich Unterschiede in den Richtungen ergeben, so können sie ja genannt werden.

Außerdem trifft die Forderung („ohne Zuhilfenahme …“) auf
praktisch keines deiner Beispiele zu.

Stimmt. Man kann inhaltlich zu diesen Thesen auch sehr geteilter Meinung sein. Mir ging es darum, ein Gedankenschema vorzugeben, das ich noch einmal am Beispiel skizzieren will:

Kommunismus
Ich lasse vor meinem inneren Auge die geistige Basis des Kommunismus’,
seine politischen Anfänge, seine Erfolge, seine Misserfolge, seine Verbrechen und seinen Niedergang Revue passieren. Aus der Verheißung der Befreiung von Willkür und Unterdrückung wurde ein System, dass ohne Willkür und Unterdrückung nicht existieren konnte. Diese Ära ist Geschichte (Ich sehe die wenigen kommunistischen Ländern auf dem absteigenden Ast. Auch China.).

Ich bilanziere:
Was bleibt zurück?
Was bleibt zurück von den Idealen des politischen Anfangs? So gut wie nichts.
Fast nichts. Es blieb, sozusagen als Erbe, dass die Klasse der Werktätigen weiß, dass die politische Macht in ihren Händen liegt (Ich rede nicht von der Umsetzung, sondern von der Erkenntnis)
Dieser Gedanke bleibt. Er bleibt auch, wenn es in Zukunft kein kommunistisches Land mehr geben sollte.
Dies bezeichne ich als historisches Verdienst des Kommunismus.

Wohlgemerkt: Man kann natürlich inhaltlich anderer Meinung sein und sagen, dies sei kein Verdienst des Kommunismus’, sondern von Marx und Engels.
Das mag stimmen, aber es ist im Moment irrelevant. Es geht um das
Beispiel an sich. Eine so große, mächtige Institution wie die christliche Kirche, die es sogar geschafft hat, diesem Planeten die Zeitrechung aufzudrücken, muss Spuren hinterlassen. Hat sie auch;
ich vermute, es werden sehr blutige Spuren sein. Aber: Haben sich die Jahrhunderte der Unterdrückung und Verfolgung gelohnt? Sind wir weitergekommen durch die Kirche?
Ich frage noch einmal: Was sind die Verdienste der Kirche?

Der Kommunismus ist ohne
Aufklärung kaum denkbar, Sozialdemokratie ohne Kommunismus
nicht usw. Das sind im übrigen alles auch irgendwie
Philosophien und die haben sich immer gegenseitig mit der
Theologie beeinflusst.

Da hast du recht. Auf den Wahrheitsgehalt der Beispiele
kam es mir nicht so an, sondern auf das dahinterstehende
Prinzip, die Spuren zu finden, die solche Bewegungen oder
Institutionen hinterlassen.

Wenn du die Wirkung deiner Beispiele an
den ihnen verpflichteten Organisationen (Gewerkschaften,
Parteien) festmachen willst, dann haben auch die sich anderer
Disziplinen, wie etwa Jura, Wirtschaftswissenschaften,
„Militarismus“, Psychologie bedient, da kannst du nicht
erwarten, dass nur die Kirche ganz aus sich heraus existiert.

Das mag sein. Verhindern wollte ich mit dieser Aussage, dass
Verdienste/Erkenntnisse der Psychologie, Soziologie, Philosophie,
Biologie und so weiter von kirchlicher Seite aus vereinnahmt
werden.

Um aber doch noch auf das eigentliche Anliegen deiner Frage
einzugehen:
Für viele Theologien und manche Kirchen lässt sich wohl
feststellen, dass sie Staatengebilde gefestigt haben und auch
weltliche Macht ausgeübt haben und darum an den
Kulturleistungen dieser Staaten mit „schuld“ sind.

Ich hoffe, es ist nicht vermessen, wenn ich feststelle, dass alle
wesentlichen „Kulturleistungen“ wie Allgemeine Schulpflicht, Trennung
von Kirche und Staat, Abschaffung der Leibeigenschaft, Abschaffung
der Todesstrafe etc. gegen die Kirche durchgesetzt werden musste.

Gruß
Werner

PS: Das der Konservativismus den Wiederaufbau vollbrachte …
das solltest du nie in einer Gewerkschaftsversammlung äußern.

Die Konservativen waren nur wegen einer gewissen Ausgewogen-
heit in der Liste geführt. Ich hab’ zum Thema Konservativismus
nichts Vernünftiges gefunden.
Aber vielleicht war da ja auch nichts.

Viele Grüße
Voltaire

Hallo Voltaire,

Gibt es ein historisches Verdienst der christlichen Kirche?

nachdem ja bisher außer der Baukunst nicht viel an Antwort kam, würde ich als „bleibendes Verdienst“ vielleicht -ob Fluch oder Segen bin ich nicht ganz sicher- die Pastoral in den Raum werfen, also die Sorge um die Seele, auch um die eigene.

Wie Du unten sagst, die Ausführung war schlecht, aber das Prinzip der Nach-Innen-Wendung ist ein bleibendes.

Ein anderer, aber ähnlicher, Vorschlag wäre die Sexualität; ohne die intensiven Bemühungen um und die konsequenten Befragungen der Sexualität, die ihr die Kirche gerade in der Beichtpraxis zukommen hat lassen, wäre heute weder Sexualforschung noch Fetish Club denkbar - würde ich mal meinen.

Viele Grüße
Franz

Tach,
vielleicht Krankenhäuser?
Gute Nacht
gargas

Lieber F. Ben Hechenrieder

Gibt es ein historisches Verdienst der christlichen Kirche?

Mit einem ironischen Unterton stellst du fest

nachdem ja bisher außer der Baukunst nicht viel an Antwort
kam, würde ich als „bleibendes Verdienst“ vielleicht -ob Fluch
oder Segen bin ich nicht ganz sicher- die Pastoral in den Raum
werfen, also die Sorge um die Seele, auch um die eigene.

Wie Du unten sagst, die Ausführung war schlecht, aber das
Prinzip der Nach-Innen-Wendung ist ein bleibendes.

Dein Punkt der Nach-Innen-Wendung ist interessant. Bahnt sich hier tatsächlich etwas Nennenswertes an?

Ein anderer, aber ähnlicher, Vorschlag wäre die Sexualität;
ohne die intensiven Bemühungen um und die konsequenten
Befragungen der Sexualität, die ihr die Kirche gerade in der
Beichtpraxis zukommen hat lassen, wäre heute weder
Sexualforschung noch Fetish Club denkbar - würde ich mal
meinen.

Nana, bleiben wir doch ernst; so schwer es manchmal auch fällt.;:smile:
Wenn deine Sex-These stimmt, dann sollte die Kirche auch als geistiger Vorläufer der Multiple-choice-shows à la „Wer wird Millionär“ gelten. Ich verweise in diesem Kontext auf die Inquisition. Die Parallelen sind unübersehbar: a)Antwortmöglichkeiten sind vorgegeben, b)nur eine ist richtig, c)eine falsche Antwort wird bestraft, nur d) hat sich weiterentwickelt: Es gibt nennenswerte Zahlen von Überlebenden.
Viele Grüße
Voltaire

Die Kirche hatte halt einfach das meiste Geld und Künstler mussten halt auch von etwas leben. Wäre das Geld nicht für die Kirche verschwendet worden, hätten andere Personen die Künstler gefördert.

Dann hätte Händel halt der Schönheit der Natur oder des Weltalls Lieder gewidmet.

Ich bin mir sicher, dass die Kirche Kunst und Wissenschaft viel mehr behindert als gefördert hätte und wir heute in einer viel besseren Zeit leben würde, wenn es die Christliche Kirche gar nicht gegeben hätte.

Und das Argument die Werte wären von ihr (bzw. Mose oder sonstwem) ist auch falsch. Werte entstehen im gesellschaftlichen Diskurs und werden so immer weiterentwickelt.
Und vom moralischen Aspekt ist die Bibel bestimmt kein gutes Buch, auch wenn sie einige wenige Stellen hat, die Ok sind, werden diese von den vielen moralisch furchbaren Stellen übertroffen (der Jainismus beispielsweise ist da weitaus moralischer und Menschen- und Naturlieber).

Michael

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Lieber Voltaire,

Mit einem ironischen Unterton
Nana, bleiben wir doch ernst

… Du tust mir ein wenig Unrecht.

Ich behaupte in der Tat und in vollem Ernst, dass das Sich-nach-Innen-Wenden, die eigentliche Kultivierung der Innenwelt, und die Produktion der Sexualität mit die wichtigsten „historischen Verdienste der christlichen Kirche“ sind.

Dass manch Gläubiger hier (bestimmt nicht jeder) letzteres als Provokation emfinden mag, schmälert meinen Ernst nicht, zumal auch Deine Frage nach einem „historischen Verdienst“ diesbezüglich nicht ohne Süffisanz ist … (die mir persönlich aber sehr gefällt)

Dein Punkt der Nach-Innen-Wendung ist interessant. Bahnt sich
hier tatsächlich etwas Nennenswertes an?

Ich denke, dass eine jahrhundertelange geübte Praktik der Selbst-Befragung, auch eine bestimmte Schulung in der Form unbarmherzigsten Fragens, ob nicht an den unscheinbarsten Handlungen, wie dem schlaftrunkenen Onanieren oder dem beiläufigen Blick nach des nächsten Weibe beim Wäschewaschen ein großer Sünder gegen Gott zu erkennen ist, nicht ohne Spuren bleiben kann.
Ein solcher Blick fällt nicht vom Himmel, er muss über Generationen geübt werden;
und ich halte ihn für die Vorgeschichte z.B. des psychoanalytischen (Sich-)Befragens.

Ein anderer, aber ähnlicher, Vorschlag wäre die Sexualität;
ohne die intensiven Bemühungen um und die konsequenten
Befragungen der Sexualität, die ihr die Kirche gerade in der
Beichtpraxis zukommen hat lassen, wäre heute weder
Sexualforschung noch Fetish Club denkbar - würde ich mal
meinen.

Wenn deine Sex-These stimmt, dann sollte die Kirche auch als
geistiger Vorläufer der Multiple-choice-shows à la „Wer wird
Millionär“ gelten.
Ich verweise in diesem Kontext auf die
Inquisition. Die Parallelen sind unübersehbar:
a)Antwortmöglichkeiten sind vorgegeben, b)nur eine ist
richtig, c)eine falsche Antwort wird bestraft, nur d) hat sich
weiterentwickelt: Es gibt nennenswerte Zahlen von
Überlebenden.

Nein, so trivial habe ich das weiß Gott nicht gemeint!

Die Langfassung der Erklärung muss ich mir hier leider sparen.

Die Kurzfassung, auch wenn die erstmal nicht sonderlich auf das passt was ich eigentlich sagen möchte, aber sie ist vergleichsweise kurz …

Bei Kasteiungen könnte man meinen, der Flagellant schlage sich die körperliche Lust aus dem Körper;
wie wir wissen lässt sich diese aber auf die gleiche Form auch in den Körper hineinschlagen;
und wie wir ebenfalls gerade auch von der Psychoanalyse wissen (aber genauso aus der Beobachtung des Sadomasochismus), funktioniert dieses Hineinschlagen vornehmlich nur in Begleitung mit einem Phantasma des Herausschlagens;
und wir wissen wiederum ebenfalls, dass man auch das gewollte Herausschlagen als eine nicht-eingestandene Form des Hineinschlagens verstehen kann.

Soweit dazu, eigentlich dachte ich mir das aber etwas anders, nämlich -abstrakt gesagt- so, dass (durchaus analog zum Flagellantismus) alle Formen der Untersagung der Sexualität (und dass diese ein „historisches Verdienst“ ist, dürfte unbestritten sein!) wiederum sexualisierbar sind, selbst zur Quelle sexueller Lust werden können.

Ich würde sagen, dass das es nicht zuletzt das starke Verbot der (Homo)Sexualität war, das die Kultivierung der Homosexualität über die Jahrhunderte in den Klöstern und Priesterseminaren zumindest in der sublimierten Form der Homoerotik bedingt hat.

Noch eigentlicher dachte ich, ob nicht die Mechanismen und Apparate der vielen SeelSorge, Unterdrückung, Umlenkung, Kategorisierung, etc. der Sexualität nicht schlichtweg die Prototypen dessen sind, was wir heute als Sexualforschung kennen.

Kürzestfassung vielleicht so:
http://www.amazon.de/Sexualit%C3%A4t-Wahrheit-Wille-…
(Kapitel I, II, III)
aber von der allein hätte hier wahrscheinlich niemand was gehabt.

Viele Grüße
Franz

Historisches Verdienst des Kommunismus: Die Verkündung der
Botschaft: Der Arbeitnehmer hat die Macht, sobald er sich
organisiert.
Historisches Verdienst der Sozialdemokratie: Bündelung der
Arbeitnehmerinteressen
und die Aussöhnung mit dem Osten im Kalten Krieg.
Historisches Verdienst des Konservativismus: Wiederaufbau nach
dem Zweiten Weltkrieg

Aha, ich verstehe schon, in welche Richtung die Frage zielt. Dombauten und die vatikanischen Museen sollen es wohl nicht sein (die hätte ich geantwortet), sondern eher geistige, politische Verdienste.

Als Verdienst des Christentums überhaupt sehe ich die geistige Einigung Europas unter einem einzigen ideologischen Dach. Zur Zeit ist uns das nicht bewußt, da organisierte Religion sowas von „out“ ist, daß sich Anhänger dafür rechtfertigen müssen. Es herrscht ein eher negatives Bild über Kirche und Chrstentum vor, während andere Kulturen eher überhöht und idealisiert werden. Esoterik und fernöstliche Lehren erfreuen sich großer Beliebtheit, jeder bedient sich reichlich.

In den nächsten Jahrzehnten wird sich das entweder radikal umkehren und eine neue Kreuzfahrermentalität wird in Europa aufkommen, oder aber das Ende des europäischen Christentums als dominante Ideoligie ist gekommen.

Gruß
d.

Lieber Ben F. Hechenrieder
Zu meinem Erstaunen bekennst du

Ich behaupte in der Tat und in vollem Ernst, dass das
Sich-nach-Innen-Wenden, die eigentliche Kultivierung der
Innenwelt, und die Produktion der Sexualität mit die
wichtigsten „historischen Verdienste der christlichen Kirche“
sind.

Das „Sich-nach-innen-wenden“ist eine dem Menschen vorbehaltene
Methode, Kenntnis der Wahrheit i. w. S. zu erlangen. Ich finde,
das ist ein wichtiger Punkt.
Zweifel anmelden möchte ich hinsichtlich seiner Urheberschaft.
Mit dem „Sich-nach-innen-wenden“ erschließt man das „ich“ sozusagen
als Informationsquelle. Nur: Ist das ein historisches Verdienst der
Kirche? Ist dieser von dir angeregte Punkt nicht eher die Grundhaltung
jedes Philosophen? Stammt diese Grundhaltung originär von der
christlichen Kirche? Ich hege Zweifel. Könnte man nachweisen, dass es das
„Sich-nach-innen-wenden“nie stattgefunden hätte, wenn es die Kirche
nie gegeben hätte, so müsste man dir recht geben.
Ich behaupte ohne weiteren Beleg, dass es die Rückbesinnung auf sich
selbst auch gegeben hätte, hätte Jesus nie gelebt (Anm.: Ich glaube, dass
er gelebt hat).
Als problematischer empfinde ich den zweiten Teil deiner Einleitung.
Du schreibst von

…Produktion der Sexualität…

Ich gebe zu, ich hatte diesen Satz unter Sarkasmus eingeordnet, daher
auch die sarkastische Antwort.
Jetzt schreibst du, dir sei ernst damit, nämlich mit der These

ohne die intensiven Bemühungen um und die konsequenten
Befragungen der Sexualität, die ihr die Kirche gerade in der
Beichtpraxis zukommen hat lassen, wäre heute weder
Sexualforschung noch Fetish Club denkbar…

Du berufst dich dabei auf im folgenden auf die Forschungsergebnisse
Michel Foucaults.
Ich berufe mich im folgenden auf deine Kurzfassung, die du uns vorstellst.

Dass manch Gläubiger hier (bestimmt nicht jeder) letzteres als
Provokation emfinden mag, schmälert meinen Ernst nicht, zumal
auch Deine Frage nach einem „historischen Verdienst“
diesbezüglich nicht ohne Süffisanz ist … (die mir persönlich
aber sehr gefällt)

Die Süffisanz wird sich zeigen, wenn das Ergebnis vorliegt.

Die Kurzfassung, auch wenn die erstmal nicht sonderlich auf
das passt was ich eigentlich sagen möchte, aber sie ist
vergleichsweise kurz …

Dann schauen wir uns deine kurze Kurzfassung mal an. :wink:

… wissen wiederum ebenfalls, dass man auch das gewollte
Herausschlagen als eine nicht-eingestandene Form des
Hineinschlagens verstehen kann.

OK, das kann man auch in der Kürze so nachvollziehen. Ich denke,
ich verstehe, was du meinst, obwohl ich’s schwer in Worte fassen
könnte.

…alle Formen der Untersagung der Sexualität
(und dass diese ein „historisches Verdienst“ ist, dürfte
unbestritten sein!) wiederum sexualisierbar sind, selbst zur
Quelle sexueller Lust werden können.

Die Untersagung, sich als voller Mensch erleben zu können,
ein historisches Verdienst? Oder vielmehr, die ungewollten
Folgen aus dieser Untersagung. Du führst dann weiter aus,
dass gerade diese Tabuisierung, diese massive Unterdrückung,
zur Quelle sexueller Lust geworden sei.
Ich kann’s relativ schlecht beurteilen, aber hat Foucault hier
Ursache und Wirkung verwechselt?

Noch eigentlicher dachte ich, ob nicht die Mechanismen und
Apparate der vielen SeelSorge, Unterdrückung, Umlenkung,
Kategorisierung, etc. der Sexualität nicht schlichtweg die
Prototypen dessen sind, was wir heute als Sexualforschung
kennen.

Da scheiden sich die Geister. Die körperfeindliche und sexualfeindliche
Haltung der Kirche hat - da sind wir einer Meinung - die Einstellung
des Menschen zu seiner Sexualität massiv beeinflusst.
Für mich stellt sich das Ergebnis dieser Einflussnahme aber
anders da:
Die Kirche dämonisierte die Geschlechtlichkeit des Menschen
und schuf seelische Probleme in einem Maße, das kaum
mehr erträglich war. Sie schuf damit viel Leid.
Anschließend trat sie seelsorgerisch auf und bot Lösungen an.
Sie gab sich sozusagen als Lösung aus.
Dabei war sie das Problem und nicht die Lösung.
Es fällt mir sehr schwer, lieber Ben F. Hechenrieder, darin ein
Verdienst zu sehen.

Viele Grüße
Voltaire

Lieber Voltaire,

vorab: allein auf Grund der Weite des Themas werden wir meinen Vorschlag hier bestimmt nicht ausdiskutieren können, zumal es dem MOD schon bald zu OT werden könnte …

Das „Sich-nach-innen-wenden“ist eine dem Menschen vorbehaltene
Methode, Kenntnis der Wahrheit i. w. S. zu erlangen. Ich
finde,
das ist ein wichtiger Punkt.
Zweifel anmelden möchte ich hinsichtlich seiner Urheberschaft.
Mit dem „Sich-nach-innen-wenden“ erschließt man das „ich“
sozusagen
als Informationsquelle.

ich würde dieses „Sich-nach-innen-Wenden“ nun nicht auf eine epistemologische Dimension reduzieren, wie Du es hier offensichtlich machst; mir geht es dabei auch weniger um das „Ich“ oder gar um ein „Cogito“ als vielmehr um das Selbst: die Selbst-Beobachtung, die Selbst-Disziplinierung, die Selbst-Bestrafung, die Selbst-Verdächtigung, etc., anders gesagt: die Wendung der äußeren Macht gegen sich selbst, wie es gerade im Protestantismus so sehr vollzogen wurde.

Ist dieser von dir angeregte Punkt nicht eher die
Grundhaltung
jedes Philosophen?

Ja und Nein;
auf der einen Seite würde ich diese genannten Selbst-Praktiken nicht zum Wesen des Philosophierens erklären, auf der anderen Seite mag eine bestimmte Verwandtschaft der Philosophie zu solcherlei Praktiken bestehen, vermittelt über den kontemplativen und asketischen Charakter eines jeden(tatsächlich?) Philosophen.

Stammt diese Grundhaltung originär von der
christlichen Kirche? Ich hege Zweifel.

Das habe ich auch nicht behauptet;
meine Behauptung war, dass die „christliche Kirche“ diese Haltung des „Sich-nach-Innen-Wendens“ kultiviert und verbreitet, unters Volk, zumindest unter einen Teil dessen, gebracht hat;
Originarität kann sie gewiss nicht beanspruchen, aber das empfinde ich auch nicht als notwendige Voraussetzung für die Aufnahme in die Kategorie „historisches Verdienst“;
notfalls würde ich dabei einen Sprung von quantitativem Mehr vom Gleichen zu qualitativem Anderem postulieren, und wohl gerade mit der Berufung auf die „Verbreitung“ nicht zu Unrecht.

Jetzt schreibst du, dir sei ernst damit, nämlich mit der These

ohne die intensiven Bemühungen um und die konsequenten
Befragungen der Sexualität, die ihr die Kirche gerade in der
Beichtpraxis zukommen hat lassen, wäre heute weder
Sexualforschung noch Fetish Club denkbar…

Du berufst dich dabei auf im folgenden auf die
Forschungsergebnisse
Michel Foucaults.

Wobei ich der Chronistenpflicht halber sagen muss, dass meine „Kurzfassung“ selbt nicht auf Schriften Foucaults beruht, wohl aber (wenn auch nicht vollständig) die Sichtweise.

… wissen wiederum ebenfalls, dass man auch das gewollte
Herausschlagen als eine nicht-eingestandene Form des
Hineinschlagens verstehen kann.

OK, das kann man auch in der Kürze so nachvollziehen.

Der Kerngedanke dabei ist nicht der Flagellantismus selbst (denn den gäbe es in anderen Erdteilen eher zu suchen), sondern diese radikale Untentknüpfbarkeit von Repression der Lüste und Produktion der Lüste durch Lust-Besetzung der Repressionsmaßnahmen.

…alle Formen der Untersagung der Sexualität
(und dass diese ein „historisches Verdienst“ ist, dürfte
unbestritten sein!) wiederum sexualisierbar sind, selbst zur
Quelle sexueller Lust werden können.

Die Untersagung, sich als voller Mensch erleben zu können,
ein historisches Verdienst?

  1. wir können uns wohl einigen auf „historische Bewirkung“, wenn denn das „Verdienst“ unbedingt „positiv“ verstanden werden soll.

  2. wenn man meinen Gedanken von der Unentknüpfbarkeit von Repression und Produktion der Sexualität folgt (und das muss ich voraussetzen), dann kann ich von meiner historischen Position aus, diese (repressiv-produktive) Vervielfältigung der Lüste, durchaus auch für gut heißen und mit einer gehörigen Dosis selbstironischem Pathos sagen: der Fetish Club ist eine zutiefst abendländische Kulturleistung, und er ist das Palimpsest der „christlichen Kirche“.

  3. vom „vollen Menschen“ zu sprechen ist überaus voraussetzungsreich; ich möchte mich dieses Sprechens lieber enthalten.

Du führst dann weiter aus,
dass gerade diese Tabuisierung, diese massive Unterdrückung,
zur Quelle sexueller Lust geworden sei.
Ich kann’s relativ schlecht beurteilen, aber hat Foucault hier
Ursache und Wirkung verwechselt?

Dieser Vorwurf wird in der Tat gerne gegen Foucault’sches Denken erhoben, und -wie ich meine- sehr zu Unrecht;
es geht hierbei um das Denken einer Unentküpfbarkeit von Ursache und Wirkung, damit also um den Verzicht, Ursache und Wirkung a priori zu setzen, z.B. durch die Annahme eines „vollen Menschens“, dessen angeblich immer-schon-vorhandene Sexualität reprimiert werden würde …

Ein Beispiel: Der Sadomasochismus braucht zu seinem Funktionieren die phantasmatischen Formen der Gewalt, der Unterdrückung, der Entsagung, der Unterwerfung, zusammengefasst: der Repression; wie könnte man hier die produktive Kraft der Repression übersehen, oder aber die eine Kraft von der anderen fein säuberlich trennen?

Und um dem möglichen Reflex vorzubeugen, den Sadomasochismus kurzerhand aus dem Reich einer vermeintlich „eigentlichen Sexualität“ zu verweisen, sei gesagt, dass uns die Psychoanalyse mit Ödipuskomplex und Inzesttabu (zumindest in gewisser Lesart) ebenfalls nahelegt, dass alle Sexualität auf einem unentknüpfbaren Komplex aus Repression und Produktion beruht.

Noch eigentlicher dachte ich, ob nicht die Mechanismen und
Apparate der vielen SeelSorge, Unterdrückung, Umlenkung,
Kategorisierung, etc. der Sexualität nicht schlichtweg die
Prototypen dessen sind, was wir heute als Sexualforschung
kennen.

Da scheiden sich die Geister. Die körperfeindliche und
sexualfeindliche
Haltung der Kirche hat - da sind wir einer Meinung - die
Einstellung
des Menschen zu seiner Sexualität massiv beeinflusst.
Für mich stellt sich das Ergebnis dieser Einflussnahme aber
anders da:
Die Kirche dämonisierte die Geschlechtlichkeit des Menschen
und schuf seelische Probleme in einem Maße, das kaum
mehr erträglich war. Sie schuf damit viel Leid.
Anschließend trat sie seelsorgerisch auf und bot Lösungen an.
Sie gab sich sozusagen als Lösung aus.
Dabei war sie das Problem und nicht die Lösung.

Hier missverstehst Du mich!

Ich leugne nicht das Leid, das die Unterdrückung der Sexualität geschaffen hat, sondern behaupte, dass die Instrumentarien und Analyseschemata dieser Unterdrückung durchaus die Prototypen moderner Sexualforschung/-therapie sind (das intensive Befragen, die Katalogisierung der Lüste, die enge Verknüfung der Lüste mit dem Seelenheil; die gigantische -wenn auch negative- Beschwörung des Sexes; die Aufstöberung der Lüste noch im letzten Winkel der Seele, anders gesagt: Pansexualismus).

Ich würde hierbei also mehr Kontinuität sehen als radikalen Bruch; einen Bruch sicherlich, aber eben einen, der die „Spur“ der „christlichen Kirche“ weiterträgt, und eben das würde ich als deren „historisches Verdienst“ ansehen.

Viele Grüße
Franz