Probleme mit Marx
Hallo,
ich denke, man muss das schon differenzierter sehen.
Ihr argumentiert nach Ideologien. Es unterscheidet die
Ideologie von der Philosophgie, dass die Philosophie nach der
Weisheit sucht, während jede Ideologie glaubt, sie hätte die
Weisheit längst längst gefunden, und müsse sie nur noch unters
Volk bringen.
Hier stimme ich dir zu, weil ich denke, dass man seine eigene Auffassung immer kritisch beäugen sollte.
Alle Marxisten dürften eigentlich keine Zeit haben hier zu
schreiben:
„Die Philosophie hat die Welt nur verschieden Interpretiert,
es kömmt aber darauf sie zu verändern.“ [Marx, Frühschriften,
Thesen über Feuerbach]
Hier offenbarst du allerdings, dass du die 11. These nur aus der verstümmelten Version von Engels (das „aber“ stammt von ihm und nicht von Marx!) kennst. Du attackierst also nur einen Teil der Marxisten. Ich selbst bin kein Marxist und auch nie einer gewesen, und ich fühle mich etwas seltsam, hier verteidigen zu müssen. Aber so ganz unkritisch kann man die Schriften eben doch nicht lesen, vor allem nicht, wenn sie - wie hier - aus dem Nachlass herausgegeben sind.
Darum geht und verändert die Welt und erzählt mir nicht wie
schlimm sie ist, und wie ihr sie gerne hättet.
Auch dieser Vorwurf trifft es nur bedingt, denn natürlich ändern wir die Welt nicht etwa durch bloßes Handeln richtig, sondern dieses Handeln ist natürlich auch durch Einsichten bestimmt, die theoretisch vermittelt werden. Freilich wäre eine Diskussion über den Praxisbegriff bei Marx für dieses Forum zu umfangreich, um auch nur ansatzweise Ergebnisse zu zeitigen. Aber beschäftigen würde ich mich mit Marx schon, wobei ich aus meiner Sicht die frühen Schriften für interessanter halte, weil sie noch im Rahmen der Tradition unbedenklich als philosophische Schriften im engeren Sinn angesehen werden können.
Wenn du also die Feuerbachthesen verstehen und kritisieren willst (was ich für richtig und wichtig halte), dann ist es unumgänglich, auch die wichtigsten frühen Marxschriften zu kennen, sonst nimmt man die Sache zu einfach.
1843 Zur Kritik des Hegelschen Staatsrechts (nachgelassen)
1844 Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie
1844 Ökonomisch-philosophische Manuskripte (anschließend die Feuerbachthesen)
1845 Die heilige Familie (zusammen mit Engels)
1846 Die deutsche Ideologie (zusammen mit Engels)
1847 Das Elend der Philosophie (franz.)
Nur auf dieser Grundlage, mithin also auf der Kenntnis des Hegelianismus (Ruge, Bruno Bauer, Proudhon, Stirner u. a.), sind die Thesen verständlich. Die spätere marxistische (nicht marx’sche) Interpretation, die - wie ich von Peet gelernt habe, nicht von Lenin stammt, sondern schon vor ihm angezettelt worden sein muss), verabsolutiert Teilaspekte und verdreht damit den Satz (ich bin nicht sicher, ob Peet das jetzt unterschreiben würde *g*). Deine Interpretation aber verdreht ihn auch, vielleicht nicht aus Ideologie, mit Sicherheit aber aus Unkenntnis.
Es liegt mir fern, Marxsche Thesen zu verteidigen oder gar zu vertreten, aber es kann nicht richtig sein, marxistische Polemik mit einer anderen Art von Polemik anzugreifen. In diesem Fall würde man nämlich dieselben Mittel einsetzen, die man zuvor verurteilt hätte.
Herzliche Grüße
Thomas Miller