Honderich

Da niemand sonst es tut, obwohl es sich ja anbietet (wann ist Philosophie schonmal in den allgemeinen Schlagzeilen) möchte ich es tun: Nämlich Honderichs Thesen, die unter beträchtlichem geräusch zurükgezogen wurden, hier zur Debatte zu stellen. Die deutsche Ausgabe (nicht die amerikanische) ist zwar vom markt, man kann den kern aber nach wie vor hier nachlesen:

http://www.ucl.ac.uk/~uctytho/ATT&furtherthoughts.html

Ich habe dazu eine dezidierte Auffassung: Der Antisemitismusvorwurf stimmt nicht, aber Honderich scheint vom Nah-Ost-Konflikt nicht allzu viel zu verstehen. So kommt er – im Verbund mit zumindest streitigen Annahmen (ein eigenes (woran gemessen? Ethnisch? Kulturell?)“homeland“ als unstreitig großes Gut???) - zu indiskutablen Schlüssen, etwa eben dem, dass die Hamas moralisch legitimiert sei.

Nicht unterschlagen indessen sollte man m.E., dass sein Ansatz richtig ist – nämlich den desaströse Ungerechtigkeit in der Welt wahrzunehmen – und seine Absage an den Liberalismus Nozickscher Prägung m.E. ebenfalls Zustimmung verdient.

einige Internet-ressourcen zum Steit
Einige Internet-ressourcen zu diesem streit:

http://www.zeit.de/2003/34/Tagung

Der bericht gefällt mir nicht, weil Jessen die (zumindest moralisch inzwischen unstreitig nachgewiesene) Mittäterschaft Atatürks beim Armenier-Genozid verschweigt und ihn allein als ´Westler´ lobpreist.

http://www.zeit.de/2003/34/Glosse-Lit-34

Gegen Honderich.

Den wichtigen Arzikel von Berkewizc – ebenfalls gegen Honderich bei Akzeptanz seiner These, dass massive Verantwortlichkeit ´des´ Westens gegenüber der „3ten“ Welt vorliegt – bekomme ich jetzt nicht verlinkt, weil erst in zeit/36/2003 erschienen.

Die Essays von Seligman und Bodemann in der taz kann man leider nur bei kostenpflichtigem Zugang zum taz – archiv bekommen. Bodemann argumentiert pro Honderich (resp zumindest dagegen, ihm Antisemitismus vorzuwerfen): Hochinteressant für die derzeitigen häufigen Antisemitismus-Debatten: mal eine andere Position, und einiges ist m.E. drann an dem, was er schreibt.

Ferner:

www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,260727,00.html

http://erhard-arendt.de/deutsch/palestina/texte/hond…

mit Vorsicht hier verlinkt!

http://www.netzeitung.de/voiceofgermany/kulturnews/2…

eine Entgegnung Honderichs.

http://www.fr-aktuell.de/uebersicht/alle_dossiers/ku…

Und hier einige Leserbriefe, denen ich mich vollinhaltlich anschliessen möchte - ohne damit auf eine Diskussion der Honderich-Thesen verzichten zu wollen:

http://www.fr-aktuell.de/uebersicht/alle_dossiers/ku…

Honderichs Thesen stehen selbstverständlich für sich und haben, wie es sich für einen rationalen Diskurs gehört, kühl und sachlich diskutiert zu werden. Honderichs Antwort an Brumliks (m.E. allerdings auch unbrauchbare) Antwort indessen schlägt dem Faß den Boden aus…

Hallo Hartmut,

Da niemand sonst es tut, obwohl es sich ja anbietet (wann ist
Philosophie schonmal in den allgemeinen Schlagzeilen) möchte
ich es tun:

da bisher niemand geantwortet hat, möchte ich - obwohl ich mich erst ein wenig in die Debatte eingelesen habe - wenigstens kurz Stellung nehmen.

Soweit ich es in der Kürze verstanden habe, wirft Honderich dem Staat Israel vor, seine Existenz durch Terror erlangt zu haben und auch zu verteidigen.

Aus meiner Sicht scheitert eine solche Argumentation nicht erst am Begriff des Antisemitismuss, sondern schon am Terrorbegriff als solchem. Es wird gar nicht die Frage gestellt, ob legitimierte Gewalt einen anderen Status erhalten soll als andere Gewalt, sondern der Gewaltbegriff wird hier eigentlich an gar nichts festgemacht, sondern gefühlsbetont eingesetzt, um eine reißerische Meinung zu vertreten (im besten Fall; im schlechtesten Fall ist es einfaches Unvermögen).

Ich habe große Bedenken, diese Debatte als „philosophisch“ gelten zu lassen (das sage ich jetzt nicht als MOD, sondern als User), denn mir scheint es in der gesamten Debatte höchst plakativ zuzugehen. Den Vorwurf des Antisemitismus trifft dies genauso wie die anderen Dinge.

Ich kann es nicht ändern: Von meinem jetztigen Wissensstandpunkt aus betrachtet ist die Debatte eine Schein-Debatte, die lediglich für die Presse interessant ist, aber zur Schlichtung des Konflikts oder gar zur Klärung von Problemen überhaupt nichts beiträgt.

Herzliche Grüße

Thomas

Hallo Hartmut,

Da niemand sonst es tut, obwohl es sich ja anbietet (wann ist
Philosophie schonmal in den allgemeinen Schlagzeilen) möchte
ich es tun:

da bisher niemand geantwortet hat, möchte ich - obwohl ich
mich erst ein wenig in die Debatte eingelesen habe -
wenigstens kurz Stellung nehmen.

Soweit ich es in der Kürze verstanden habe, wirft Honderich
dem Staat Israel vor, seine Existenz durch Terror erlangt zu
haben und auch zu verteidigen.

Aus meiner Sicht scheitert eine solche Argumentation nicht
erst am Begriff des Antisemitismuss, sondern schon am
Terrorbegriff als solchem. Es wird gar nicht die Frage
gestellt, ob legitimierte Gewalt einen anderen Status erhalten
soll als andere Gewalt, sondern der Gewaltbegriff wird hier
eigentlich an gar nichts festgemacht, sondern gefühlsbetont
eingesetzt, um eine reißerische Meinung zu vertreten (im
besten Fall; im schlechtesten Fall ist es einfaches
Unvermögen).

Zustimmung (was „Unvermögen“ betrifft - Honderich hat offenbar keine Ahnung, was 1937 in Pal.passiert ist - arab.Terrorangriffe auf die Juden - und wer diesen arab. Terrorismus damals finanziert hat (natürlich die nazis!) Meine lieben linken Freunde mit ihren uninformierten Palästina-Soli-Kommitees wissen es auch nicht…).

Indessen: Honderich legitimiert ja gerade Gewalt…mit romatizistisch-ästhetizistischen Überlegungen ähnlich denen der Linken in den 70ern. Nämlich: Dort, wo es um „great goods“ gehe, sei sie legitim.

Interessant hätte ich gefunden, einmal stringent zu untersuchen, was an Honderichs Thesen akzeptabel genannt werden kann. Ferner: Wenn Philosophie sich auf den markt begibt, und das sollte sie m.E. - wie dann, wenn nicht so? (So ja nun offenkundig nicht…)

auch herzliche Grüße

Hartmut

Hallo Hartmut,

Nämlich: Dort, wo es um „great goods“ gehe, sei sie legitim.

ja, das wird seit Proudhon und auch von Sorel behauptet, aber es wird immer vergessen, dass es - wenn überhaupt - die ultima ratio sein muss.

Der Grundfehler bei Honderichs Übertragung der These auf den Nah-Ost-Konflikt liegt m. E. in der Vorstellung, Gewalt sei kompatibel. Weiterhin würde ich als Fehler ansehen, dass Gewalt hier nicht als Rechtsfolge, sondern als Rechtsgrund interpretiert wird. Bereffend die Entstehung von Staaten hat das schon Hegel gewusst:

„Die Gewalt, welche in dieser Erscheinung Grund ist, ist darum nicht Grund des Rechts, obgleich das notwendige und berechtigte Moment im Übergange des Zustandes des in die Begierde und Einzelheit versenkten Selbstbewusstseins in den Zustand des allgemeinen Selbstbewusstseins. Es ist der äußerliche und erscheinende Anfang der STaaten, nicht ihr substantielles Prinzip.“ (Enz., § 433)

Ferner: Wenn Philosophie sich auf den markt begibt, und das sollte sie m.E. - wie dann, wenn nicht so? (So ja nun offenkundig nicht…)

Es ist offenkundig, dass das, was Israel als „Selbstverteidigung“ bezeichnet, keine Selbstverteidigung ist. Aus der Verletzung dieses Rechtfertigungsgrundes aber zu schließen, selbst echte Rechtfertigungsgründe verletzen zu dürfen, ist ein Trugschluss - eben weil Gewalt nicht verglichen werden kann und darf.

Die Verteidigung der „great goods“ darf nicht mit der Aufgabe anderer „great goods“ erkauft werden.

Herzliche Grüße

Thomas

Hallo Hartmut,

Nämlich: Dort, wo es um „great goods“ gehe, sei sie legitim.

ja, das wird seit Proudhon und auch von Sorel behauptet, aber
es wird immer vergessen, dass es - wenn überhaupt - die ultima
ratio sein muss.

Kein Widerspruch!

Der Grundfehler bei Honderichs Übertragung der These auf den
Nah-Ost-Konflikt liegt m. E. in der Vorstellung, Gewalt sei
kompatibel.

Weiß ich nicht. Er selber warnt ja davor, einfach falsches Tun durch falsches Tun legitimiert zu sehen (p.12). Sein hauptfehler liegt darin, den paläst. Terror für alternativlos zu halten - was Unfug ist.

Weiterhin würde ich als Fehler ansehen, dass

Gewalt hier nicht als Rechtsfolge, sondern als Rechtsgrund
interpretiert wird. Bereffend die Entstehung von Staaten hat
das schon Hegel gewusst:

„Die Gewalt, welche in dieser Erscheinung Grund ist, ist darum
nicht Grund des Rechts, obgleich das notwendige und
berechtigte Moment im Übergange des Zustandes des in die
Begierde und Einzelheit versenkten Selbstbewusstseins in den
Zustand des allgemeinen Selbstbewusstseins. Es ist der
äußerliche und erscheinende Anfang der STaaten, nicht ihr
substantielles Prinzip.“ (Enz., § 433)

Interessante Sicht, hab ich so noch nicht drüber nachgedacht. Danke!
Trifft aber Honderich glaube ich nicht. Er glaubt einfach nur de facto an die Alternativlosigkeit der Gewalt in diesem konkreten Fall - was Unsinn ist.

Die Verteidigung der „great goods“ darf nicht mit der Aufgabe
anderer „great goods“ erkauft werden.

Sofortige Zustimmung.

Herzliche Grüße

Thomas