Liebe® Arithmetik
Ich möchte noch einmal kurz auf deinen Gedankengang eingehen.
Die Erforschung der Gene wird die Menschen in immer stärkerem
Maße dazu in die Lage versetzen, in den genetischen Bauplan
der nachwachsenden Generationen einzugreifen.
Ja. Das wird sie. Das ist aber auch leicht zu prognostizieren und
einfach eine Tatsache, keine Schlussfolgerung. Dir ist aber klar,
dass diese Richtungsänderung in beide Richtungen gehen kann?
Dass wir damit irreversible Tatsachen schaffen? Dass es durchaus
so sein kann, dass man (ich spekuliere jetzt) Menschen schaffen
kann, die bestimmte, in den Augen von Regierungen oder Organisationen
nützliche„Vorteile“ haben. Auf militärischem oder wirtschaftlichem
Gebiet zum Beispiel?
Es geht mir um die prinzipielle Bereitschaft, um den Willen
auch (nicht nur) mit Hilfe der Gentechnik den Menschen und die
Welt besser zu machen.
Der Grundgedanke, die Welt besser zu machen, gefällt mir. Aber
der Zweck heiligt nicht die Mittel.
Die Forschung der Humangenetik, und die Entwicklung der
Gentechnik sollte auch mit dem Ziel praktischer Nutzanwendung
betrieben werden. Wie weit man dann mit dieser Methode kommt,
das wird die Zukunft zeigen.
Ja, das wird sie. Lässt sich dann ein einmal beschrittener Irrweg
zurücknehmen? Ist dieses Wissen und deren Ergebnisse erst einmal
in der Welt, so bleiben sie da. Nicht das Wissen verschwindet, sondern
die Welt passt sich diesem Wissen an. Das Wissen um die
Kernspaltung hat einen großen Teil der Nachkriegsgeschichte
beeinflusst und tut es noch heute. Zurücknehmen lässt sich da gar
nichts mehr.
Dabei übersehe ich überhaupt
nicht die Gefahren, die mit der Gentechnik verbunden sein
könnten. Aber der Blick auf mögliche Gefahren sollte einem
nicht den Blick auf die vielen möglichen Vorteile versperren.
Was ist gegen eine Welt einzuwenden, in der alle Menschen
friedlich, gesund, klug und schön sind? - Wahrscheinlich
nichts.
Ohne besserwisserisch sein zu wollen, möchte ich dir die Lektüre
von „Schöne neue Welt“ von Huxley empfehlen. Das Buch
handelt von einer völlig regulierten Welt. Lies dieses Buch, dann
wirst du deinen Vorschlag plastisch vor Augen geführt bekommen.
Wenn (fast) alle Menschen, die humanistische Ideen vertreten,
eine solche Entwicklung nur ablehnen, ohne sie aufhalten zu
können, dann werden sie die Gestaltung dieser Entwicklung
Menschen überlassen, die von anderen Wertvorstellungen
geleitet werden. Einen auch von mir nicht gewünschten
Genfaschismus wird man nicht dadurch vermeiden, daß man in den
demokratischen, freiheitlichen Ländern die genetische
Optimierung zukünftiger Menschen verbietet.
Nein. Das stimmt nicht. Oder sagen wir besser, ich glaube das nicht.
Ohne es subjektiv zu wollen, förderst du eine Art Gleichschaltung,
die sich bei der Gestaltung von Menschen am Mainstream orientiert.
Dein Wort „Optimierung“ macht mich schaudern.
Die Prä-Implantations-Reparatur u. die
Prä-Implantations-Optimierung sind schon heute In bestimmten
Umfang möglich. Allerdings weiß man in der Regel noch nicht,
was für Folgen das für den sich aus dieser Eizelle
entwickelnden Menschen haben würde. Deshalb wäre, bevor man
soetwas praktiziert, noch viel wissenschaftliche Arbeit
erforderlich.
Wissenschaft in diesem Sinne, ist, wenn sie nur nach dem „Wie?“
fragt und das „Warum?“ außer Acht lässt, ohne Wert für die Zivilisation.
Sollte es im weiteren Verlauf der Gentechnik irgendwann einmal
möglich sein, die Menschen friedlicher zu machen, dann wäre es
verantwortungslos und schlicht wahnsinnig davon keinen
Gebrauch zu machen. Denn die Versuche nur durch Erziehung und
Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse die Menschen
friedlicher zu machen, sind bisher immer gescheitert.
Nein. Entschieden nein! Ich führte es an anderer Stelle schon aus.
Wir machen Fortschritte. Es gibt riesige Probleme, aber auch riesige
Veränderungen. Unsere Ethik entwickelt sich weiter. Unsere Staaten
werden zivilisierter. Inzwischen werden Herrscher, die als Diktatoren
in ihren Ländern gewütet haben, vor Gericht gestellt. Ist das kein
Fortschritt? Ich vermag nicht zu erkennen, dass sich vom Anbeginn
der Geschichtsschreibung bis zum heutigen Tag nichts, aber auch
gar nicht verbessert hat. Mit der wachsenden Anzahl der Demokratien
nimmt die Zahl der Kriege ab. Ich habe noch Hoffnung für uns.
Es geht also um zweierlei: Erstens um die Veränderung von
Details, die Erbkrankheit. Zweitens geht es darum Evolution
anzustoßen, die sowieso stattfindende natürliche Evolution,
sie an humanistischen Wertvorstellungen zu orientieren und der
Evolution damit weitgehend ihre Grausamkeit nehmen, die sie in
ihrer natürlichen „darwinschen“ Form hat.
Besser wäre es, Menschen mit Behinderungen das Leben so angenehm
wie möglich zu gestalten. Daran sollten wir gemessen werden, Philosoph!
Stelle dir bitte vor, wie viele Menschen mit einer körperlichen oder
geistigen Behinderung diese, deine Zeilen lesen. Empfinde nach, wie
diese Menschen sich dabei fühlen, dann kannst du dir vielleicht in etwa vorstellen, was
du da forderst.
Wo endet denn die gesellschaftliche Auffassung von Behinderung? Oder Beeinträchtigung?
Ich arbeite täglich mit Menschen, die eine Behinderung aufweisen.
Philosophierst du nicht darüber, ob sie eine Existenzberechtigung haben?
Impliziert deine Empfehlung nicht den unaufhaltbaren Zwang zur
Unterscheidung im Sinne einer Entscheidung zwischen einer berechtigten
und einer unberechtigten Existenz?
Nachsatz: Ich finde diese Thematik gehört in die Philosophie
u. die Philosophie sollte in viellen Gebiten nicht losgelöst
von der Naturwissenschaft arbeiten.
Bemühen wir zum Schluss einen berühmten Philosophen.
„Niemals tut man so vollständig und so gut das Böse,
als wenn man es mit gutem Gewissen tut“
Viele Grüße
Voltaire