Hume: Was blieb Kant noch zu tun?

Hallo Leute

Ich hinke wohl etwas hinterher mit unserer gemeinsamen Lektuere. Ist
Romana eigentlich mit von der Partie?
Ich habe gestern den 1. Abschnitt der Abteilung IV gelesen
(Skeptische Zweifel in Betreff der Taetigkeit des Verstandes).
Hume behauptet, dass in den Dingen nichts sei, was ueber ihre
Ursachen oder ihre Wirkungen Auskunft gaebe, wenn wir nichts als
unseren Verstand zur Verfuegung haben. Einzig die Erfahrung und deren
Verallgemeinerung kann uns kausale Zusammenhaenge zeigen.
Ich weiss schon, worauf das hinauslaeuft: Wir stossen auf das
Induktionsproblem, also auf die Tatsache, dass induktive Schluesse
grundsaetzlich nicht logisch zu rechtfertigen sind, womit ihnen immer
eine unbekannte Unsicherheit anhaftet. Ausserdem sind kausale
Zusammenhaenge keine der objektiven Wirklichkeit zugehoerige
Vorgaenge, sondern Konstrukte unseres Wahrnehmungs- und
Denkapparates.
Ich wollte den Einwand erheben, dass Ingenieure Maschinen a priori
entwerfen und schon vorher sicher genug wissen, dass sie
funktionieren werden, um Geldgeber zur Finanzierung des Projektes zu
bewegen, aber alles, was ein Ingenieur an Wissen in den Entwurf der
Maschine steckt, inklusive aller physikalischen Gesetze, ist
natuerlich empirisches Wissen, abgesehen von mathematischem Wissen,
das er sich durch Denken allein erwerben kann. Dass die Natur sich
nach mathematischen Gesetzen verhaelt, ist freilich auch wieder nicht
a priori klar, sondern irgendwie bis heute ein Wunder.

Zu Beginn des Abschnittes trifft Hume die Unterscheidung zwischen
Tatsachen und Beziehungen der Vorstellungen, die mich stark an Kants
Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Urteilen
erinnert.
Ich habe zu Kant nur sehr oberflaechliches Wissen, daher meine Frage:
Was konnte die Kritik der reinen Vernunft, die rund 30 Jahre nach
unserem Hume-Text erschien, an Neuem verkuenden?

Gruss, Tychi

Hallo Tychi,

nach Hume gibt es (in kantischer Terminologie) synthetische Urteile (die immer empirisch sind) und analytische Urteile (die immer a priori sind). Die Grundfrage Kants ist, ob es synthetische Urteile gibt, die gleichzeitig a priori, also nicht-empirisch sind. Hume sagt nein, Kant ja. Wer Recht hat, ist noch immer umstritten.

Gruß

Bona

Hallo Leute

Ich hinke wohl etwas hinterher mit unserer gemeinsamen
Lektuere. Ist
Romana eigentlich mit von der Partie?

Entschuldige Tychi, ich habe eben - weiter oben - schon die nächsten 5 Seiten als Thema angekündigt, ohne diesen Deinen Beitrag wahrgenommen zu haben.
Ich freu mich, wenn Du weiter den Diskussionsleiter machst.

Ich habe gestern den 1. Abschnitt der Abteilung IV gelesen
(Skeptische Zweifel in Betreff der Taetigkeit des Verstandes).
Hume behauptet, dass in den Dingen nichts sei, was ueber ihre
Ursachen oder ihre Wirkungen Auskunft gaebe, wenn wir nichts
als unseren Verstand zur Verfuegung haben. Einzig die Erfahrung
und deren Verallgemeinerung kann uns kausale Zusammenhaenge zeigen.

So hatte ich Hume auch verstanden, aber er bestreitet eben die Kausalität und bleibt, wie Du es sagst, dabei, daß es sich einzig um Verallgemeinerungen unserer Erfahrungen handelt.

Ich weiss schon, worauf das hinauslaeuft: Wir stossen auf das
Induktionsproblem, also auf die Tatsache, dass induktive
Schluesse grundsaetzlich nicht logisch zu rechtfertigen sind, womit
ihnen immer eine unbekannte Unsicherheit anhaftet. Ausserdem sind kausale Zusammenhaenge keine der objektiven Wirklichkeit zugehoerigen
Vorgaenge, sondern Konstrukte unseres Wahrnehmungs- und Denkapparates.
Ich wollte den Einwand erheben, dass Ingenieure Maschinen a
priori entwerfen und schon vorher sicher genug wissen, dass sie
funktionieren werden, um Geldgeber zur Finanzierung des
Projektes zu bewegen, aber alles, was ein Ingenieur an Wissen in den
Entwurf der Maschine steckt, inklusive aller physikalischen Gesetze, ist natuerlich empirisches Wissen, abgesehen von mathematischem
Wissen, das er sich durch Denken allein erwerben kann. Dass die Natur
sich nach mathematischen Gesetzen verhaelt, ist freilich auch
wieder nicht a priori klar, sondern irgendwie bis heute ein Wunder.

Zu Beginn des Abschnittes trifft Hume die Unterscheidung
zwischen Tatsachen und Beziehungen der Vorstellungen, die mich stark an Kants Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen
Urteilen erinnert.

http://www.textlog.de/5309.html
Dabei unterscheidet Kant analytische und synthetische Urteile. In analytischen Urteilen enthält das Prädikat nur, was bereits im Subjekt enthalten ist. Sie sind Urteile a priori und vermitteln im strengen Sinne kein neues Wissen.
In synthetischen Urteilen enthält das Prädikat immer etwas, was im Subjekt nicht enthalten ist. Damit bringen synthetische Urteile neues Wissen.
Synthetische Urteile, die neues Wissen enthalten, das nicht allgemeingültig ist, nennt Kant Urteile a posteriori.

Ich habe zu Kant nur sehr oberflaechliches Wissen, daher meine
Frage:
Was konnte die Kritik der reinen Vernunft, die rund 30 Jahre
nach unserem Hume-Text erschien, an Neuem verkuenden?

Gruss, Tychi

Hallo Tychi,
ich bin kein Kant-Experte und habe nur die Standartstellen in der „Kritik der reinen Vernunft“ und die Prolegomena gelesen.

Im Gegensatz zu Hume geht Kant nicht von einer Tabula rasa aus. Unser Verstand funktioniert quasi nach einer bestimmten angeborenen Software:
Kant unterscheidet Kategorien der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit), der Qualität (Realität, Negation, Einschränkung), der Relation (Substanz, Ursache, Gemeinschaft) und der Modalität (Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit). Jeder Urteilsform liegt ein reiner Begriff der Synthesis zugrunde, die entsprechende Kategorie.

Hume behält insofern recht, als Zeit, Raum und die genannten Kategorien zwar a priori gegeben sind, aber erst durch die Prädikation von Erfahrungen in Erscheinung treten und bewußt werden können. Wir brauchen Erfahrungen, um logisch derart denken zu können.

Aber auch mit Kant ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

herzlichen Gruß
Friedhelm

Tychi schrieb:

Hallo Leute

Ausserdem sind kausale

Zusammenhaenge keine der objektiven Wirklichkeit zugehoerige
Vorgaenge, sondern Konstrukte unseres Wahrnehmungs- und
Denkapparates.
Ich wollte den Einwand erheben, dass Ingenieure Maschinen a
priori
entwerfen und schon vorher sicher genug wissen, dass sie
funktionieren werden, um Geldgeber zur Finanzierung des
Projektes zu
bewegen, aber alles, was ein Ingenieur an Wissen in den
Entwurf der
Maschine steckt, inklusive aller physikalischen Gesetze, ist
natuerlich empirisches Wissen, abgesehen von mathematischem
Wissen,
das er sich durch Denken allein erwerben kann. Dass die Natur
sich
nach mathematischen Gesetzen verhaelt, ist freilich auch
wieder nicht
a priori klar, sondern irgendwie bis heute ein Wunder.

Gruss, Tychi

Lieber Tychi,
Die physikalischen Gesetze sind Konstrukte und Artefakte unseres Denkapparates, d.h. der Software unseres Verstandes, das gilt aber auch für die Natur, die wir nicht original sondern quasi durch die Brille unseres Verstandes sehen. Aber auch die Natur ist unser Konstrukt und Artefakt. Und dies gilt auch für die Maschine, die nach den gleichen Regeln funktioniert wie die Regeln selbst. Alles ist Innenwelt, auch die Außenwelt ist Teil der Innenwelt. Alles quasi selbstgemacht.
Was tatsächlich, was „an sich“ passiert, wenn wir eine Maschine laufen lassen, können wir nicht wissen.

Friedhelm

Hallo Friedhelm

Entschuldige Tychi, ich habe eben - weiter oben - schon die
nächsten 5 Seiten als Thema angekündigt, ohne diesen Deinen
Beitrag wahrgenommen zu haben.
Ich freu mich, wenn Du weiter den Diskussionsleiter machst.

Als solchen sehe ich mich nicht. Ich fuehle mich anderen
Diskussionsteilnehmern gleichgestellt, sofern es die Diskussion des
Hume-Textes betrifft.
Fuer deine Ausfuehrungen zu Kant danke ich dir.

Gruss, Tychi

funktioniert wie die Regeln selbst. Alles ist Innenwelt, auch
die Außenwelt ist Teil der Innenwelt. Alles quasi
selbstgemacht.
Was tatsächlich, was „an sich“ passiert, wenn wir eine
Maschine laufen lassen, können wir nicht wissen.

Friedhelm

Ich würde das nicht so sagen. Man kann guten Gewissens zwischen Außen und Innen unterscheiden. Die Sinne öffnen sich nach Außen, was wir denn damit machen, geschieht im Inneren.

Besser ausgedrückt würde ich sagen:
Die Außenwelt ist eine Entsprechung unserer Innenwelt.

gruß
rolf

Hallo Friedhelm

Die physikalischen Gesetze sind Konstrukte und Artefakte
unseres Denkapparates, d.h. der Software unseres Verstandes,
das gilt aber auch für die Natur, die wir nicht original
sondern quasi durch die Brille unseres Verstandes sehen. Aber
auch die Natur ist unser Konstrukt und Artefakt. Und dies gilt
auch für die Maschine, die nach den gleichen Regeln
funktioniert wie die Regeln selbst. Alles ist Innenwelt, auch
die Außenwelt ist Teil der Innenwelt. Alles quasi
selbstgemacht.
Was tatsächlich, was „an sich“ passiert, wenn wir eine
Maschine laufen lassen, können wir nicht wissen.

Das mag ja so sein, aber ob die Welt, in der wir leben, die objektive
Realitaet oder ob sie unser Verstandeskonstrukt ist, spielt in Bezug
auf meine sponaten aber dann doch besaenftigten Zweifel an Humes
Aussage keine Rolle. Er sagt naemlich, dass wir in unserer
Welt Erfahrungen beduerfen, um ihre (scheinbaren) Gesetzmaessigkeiten
zu entdecken, dass dies also nicht durch Denken allein gelinge, es
sei denn, dieses Denken habe Erfahrungswissen als Voraussetzung.
Wie gesagt: Inwiefern unsere Welt der „Wirklichkeit“ entspricht, ist
dabei egal.
Uebrigens wuerde Hume Spekulationen ueber eine unzugaengliche
„Wirklichkeit“ als metaphysischen Humbug ablehnen. Und wir sollten
dies genauso handhaben.Wenn er von Welt redet, dann meint er unsere
konstruierte Welt innerhalb derer die Begriffe wahr und
falsch, wirklich und unwirklich durchaus auch
schon sinnvoll sind. Die unzugaengliche objektive Realitaet als
Wirklichkeit zu bezeichnen, ist eine Verschwendung dieses Wortes.

Gruss, Tychi

Uebrigens wuerde Hume Spekulationen ueber eine unzugaengliche
„Wirklichkeit“ als metaphysischen Humbug ablehnen. Und wir
sollten
dies genauso handhaben.Wenn er von Welt redet, dann meint er
unsere
konstruierte Welt innerhalb derer die Begriffe wahr und
falsch, wirklich und unwirklich durchaus
auch
schon sinnvoll sind. Die unzugaengliche objektive Realitaet
als
Wirklichkeit zu bezeichnen, ist eine Verschwendung dieses
Wortes.

Gruss, Tychi

Da stimme ich Dir zu. Man muß mit dem Material arbeiten, daß einem zur Verfügung steht. Doch sich seiner Relativität bewußt zu sein, scheint mir ebenso wichtig.

…im übrigen ist diese objekive Realität von der Du sprichst, nichts anderes als die buddhistische Erfahrung des Nirvanas.

gruß
rolf

Hallo Friedhelm

Das mag ja so sein, aber ob die Welt, in der wir leben, die
objektive
Realitaet oder ob sie unser Verstandeskonstrukt ist, spielt in
Bezug
auf meine sponaten aber dann doch besaenftigten Zweifel an
Humes
Aussage keine Rolle. Er sagt naemlich, dass wir in
unserer
Welt Erfahrungen beduerfen, um ihre (scheinbaren)
Gesetzmaessigkeiten
zu entdecken, dass dies also nicht durch Denken allein
gelinge, es
sei denn, dieses Denken habe Erfahrungswissen als
Voraussetzung.
Wie gesagt: Inwiefern unsere Welt der „Wirklichkeit“
entspricht, ist
dabei egal.
Uebrigens wuerde Hume Spekulationen ueber eine unzugaengliche
„Wirklichkeit“ als metaphysischen Humbug ablehnen. Und wir
sollten
dies genauso handhaben.Wenn er von Welt redet, dann meint er
unsere
konstruierte Welt innerhalb derer die Begriffe wahr und
falsch, wirklich und unwirklich durchaus
auch
schon sinnvoll sind. Die unzugaengliche objektive Realitaet
als
Wirklichkeit zu bezeichnen, ist eine Verschwendung dieses
Wortes.

Gruss, Tychi

Hallo Tychi,
jeder wird Dir zustimmen; auch der Kernphysiker, der die sog. Materie differenzierter sehen muß. Wenn mir ein Polizist sagt, die Ampel sei rot, wäre es welt- und wirklichkeitsfremd, würde ich dies mit dem erkenntnistheoretischen Argument bestreiten, daß es dort an der Ampel keine Farbe gäbe, sondern „Röte“ nichts als seine individuelle Veranlagung sei, bestimmte Lichtwellen rot zu sehen.
Selbst wenn bei dem Polizisten durch einen Geburtsfehler Rot und Blau vertauscht wäre, würde weder er selbst es wissen, noch ich ihm das beweisen können. Und er bekäme zurecht vor jedem irdischen Gericht Recht.
Ein weiteres Argument zu Deinen Gunsten: Unser Nachtsichtgerät, d.h. das Geschenk unserer Sinne, die Fähigkeit das WAS, Wie, Warum, Wo und Wann sinnlich zuordnen zu können, gehört ohne Zweifel mit zur Natur.

Trotzdem möchte ich nicht „blind“, so wie eine zufriedene Kuh auf der Weide, im Alltag aufgehen, sondern möchte etwas mehr darüber wissen, wo und als was ich meinen kurzen Besuch hier auf Erden werten kann.

ganz herzlich
Friedhelm

Uebrigens wuerde Hume Spekulationen ueber eine unzugaengliche
„Wirklichkeit“ als metaphysischen Humbug ablehnen.

Entschuldige, wenn ich da etwas anderer Meinung bin: Heute würde Hume dies ganz sicher nicht ablehnen, ob er nun Kantianer wäre oder Kernphysiker. Sicher reden wir heute umgangssprachlich noch immer von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, setzen aber als Wissen und Bewußtsein voraus, dass sich dabei nicht die Sonne, sondern die Erde bewegt.
Spätestens mit dem Chemieunterricht in der Schule lernt heute jedes Kind, dass die Augenscheinlichkeit der Materie bzw. der Welt ein Produkt unserer Sinne ist.
Allerdings macht sich bereits Kant lustig über alle Versuche, über das Jenseits des Augenscheinlichen, des sog. Transzendenten, über das Ansichsein zu spekulieren. (VON DER METHODE IM FELDE DER METAPHYSIK Seite 93)

Und wir sollten
dies genauso handhaben.Wenn er von Welt redet, dann meint er
unsere
konstruierte Welt innerhalb derer die Begriffe wahr und
falsch, wirklich und unwirklich durchaus
auch
schon sinnvoll sind.

Hier hast du meine ganze Zustimmung!

Die unzugaengliche objektive Realitaet als
Wirklichkeit zu bezeichnen, ist eine Verschwendung dieses
Wortes.

Gruss, Tychi

Rolf: Da stimme ich Dir zu. Man muß mit dem Material arbeiten, daß
einem zur Verfügung steht. Doch sich seiner Relativität bewußt
zu sein, scheint mir ebenso wichtig.

…im übrigen ist diese objekive Realität von der Du sprichst,
nichts anderes als die buddhistische Erfahrung des Nirvanas.

gruß
rolf

Hallo Rolf, Tychi,
Ich bin kein Buddhist und kenne das Nirwana nicht. Ich bestreite deswegen auch, dass es übersinnliche Erfahrungen geben kann. Auch spiritistische Erfahrungen sind letztlich sinnliche Wahrnehmungen bzw. sinnliche Reflektionen. Aber ich weiß, dass die Mehrheit aller Menschen (mich als Christ eingeschlossen) sich seit je von übersinnlichen Kräften, Engeln, Geistern, Göttern und Dämonen und Zusammenhängen umgeben weiß, die sich unserer Ratio entziehen, aber zu unserem Leben gehören. Dies gilt auch für Buddhisten.
Mag das meiste oder alles an Definition und Benennung auch falsch und nur menschlich sein, es ist aber nicht aus der Luft gegriffen.

ganz herzlich
Friedhelm