Hallo Jana,
So ist das. Es dauert jedesmal, wenn ich sie abhole, ein paar
Sekunden, dann weiß sie wieder, dass sie mich nicht gassi
führen soll. Sie springt auf meinen Zuruf vom Haus aus ins
Auto 20m entfernt, während meine Eltern sie nur noch reinheben
(35kg), weil sie bei ihnen nicht für Geld und gute Worte ins
Auto zu bekommen ist.
Deine Schilderung ist ein typisches Beispiel dessen, was ich im vorherigen Beitrag versucht habe zu erklären: ein Hund kann sehr wohl unterscheiden, bei wem er sich was leisten kann.
Nein, das tu ich auch nicht. Zum großen Teil klappt es ja gut,
die Frage ist nur, ob ich eine Chance habe, auch das frei
laufen hin zu bekommen.
Das hängt sehr von Dir ab. Bis der Hund verstanden hat, dass jetzt neue Regeln gelten, kommt er an die Schleppleine. Immer. Ausnahmslos. Kommt er, wenn Du rufst, folgt eine Belohnung, die der Hund auch wirklich als solche ansieht. Futter eignet sich dazu sehr gut, gerade wenn Dein Retriever ein typischer Rassevertreter ist. Gerade wenn der Hund mehrere Tage bei Dir ist sehe ich gute Chancen, dass er effektiv und schnell lernen kann. Ich würde dabei zur Radikalkur greifen und ihn sein Futter nur noch verdienen lassen. Der Futternapf verschwindet dabei im Schrank - den brauchst Du vorläufig gar nicht und das Füttern wird durch Arbeit mit dem Futterbeutel ersetzt. Futter gibt es ab sofort nur noch von Dir und nur, wenn der Hund es sich auch tatsächlich verdient hat. Hunde haben einen anderen Verdauungsapparat als wir, fasten macht ihnen deshalb weniger aus als uns. Ich spreche nicht davon, dass Du deinen Hund hungern lassen sollst, aber es wird eine Zeit dauern bis er verstanden hat, dass der einzige Weg zu Futter und Spiel über Dich führt.
Ja, aber sie weiß durch die ständige und immer aufgefrischte
Erfahrung bei meinen Eltern, dass sie weglaufen KANN. Der
Lerneffekt mit der Schleppleine ist ja „sie haben mich
trotzdem, wenn ich versuche, weg zu laufen“, und ich dachte,
der wäre ausgehebelt. Du meinst, ich habe eine Chance, dass
sie das mit mir anders verknüpft?
Du sagst es selbst: Dein Hund hat die Erfahrung gesammelt, dass er weglaufen kann. Die Lösung ist, Deine Hündin mittels Schleppleine daran zu hindern. Ist sie mit Dir unterwegs, wirst Du einige Wochen ausschliesslich mit der Schleppleine unterwegs sein - wie lange das sein wird, hängt von der Frequenz Deiner Spaziergänge mit ihr ab. Die muss nun umlernen, dass sie bei Dir ab sofort nicht mehr weglaufen kann. Damit sie das lernen kann, darf sie bei Dir ab sofort niemals mehr Erfolg haben damit. Arbeite auch am Grundgehorsam: der Futterbeutel wird erst dann geholt, wenn Du ihr das Kommando dazu gibst. Andere Hunde werden nicht „begrüsst“, wenn Du das nicht willst und sie aktiv dazu aufforderst, etc. Du bist diejenige, die Entscheidungen trifft. Damit sie sich Deinen Entscheidungen fügt, muss sie Dir aber auch Vertrauen können. Hier geht es um einen wechselseitigen Prozess. Das ist tatsächlich so viel Arbeit wie es sich hier danach anhört.
Wie kann ich die Motivation für sie schaffen, IMMER zurück zu
kommen? Vielleicht sehe ich das falsch, aber ich bin der
Meinung, dass ich es trotz Spiel, Spaß und Futter kaum
schaffen kann, IMMER und verlässlich positiv attraktiver für
sie zu sein, als alles was da kommen mag (Bad im Bach, Pferde
(sind un-glaub-lich TOLL -das habe ich ihr als Welpe etwas zu
gründlich beigebracht).
Möglicherweise grenzt Du „Spiel, Spass und Futter“ zu eng ein. Es ist für deinen Hund Spass und Spiel, im Bach zu Baden, Pferde anzuspringen und wegzulaufen. Nun muss sie mittels Schleppleine lernen, dass Du ihr alle diese Dinge entziehen kannst und dass sie erst Deine Erlaubnis dazu einholen soll. Natürlich darf der Hund im Bach baden, aber nur, wenn Du sie vorher unter Gehorsam gestellt hast und sich diese Belohnung verdient hat. Das kann aber nur funktionieren, wenn mit dem Hund solide gearbeitet wird. Hunde, die vorm Bällchen apportieren noch kurz willkürlich sämtliche Tricks, welche sie auf Lager haben mit oder ohne Kommando abspulen, sind nicht erzogen, sondern wollen nur möglichst schnell an den Ball. Sie muss auch lernen, mit Frust umgehen zu können und eben einmal nicht in den Bach springen zu dürfen.
Ich weiß, das ist nicht, was Du meintest. Aber ich bin im
Moment ziemlich raus. Mir ist klar, dass ich wesentlich mehr
Zeit investieren muss, wenn ich das Thema nochmal ernsthaft
angehe.
Genau, Zeit und eine klare Vorstellung von Deiner Erziehungsarbeit, den Zielen und dem Weg, der Dich dahin führen wird.
Das merkt der Hund genau, denn Du
bist mit grosser Wahrscheinlichkeit genau so inkonsequent in
Deinem Verhalten wie Deine Eltern.
Gewagte Ferndiagnose. Bei >500kg Pferd kann Inkonsequenz
weitaus mehr weh tun und ist nicht ratsam.
Das meine ich nicht als Angriff. Du sagst selber, dass Du „aufgegeben“ hast und den Hund einfach machen lässt. Ist Dein Entschluss, den Hund wirklich zu erziehen, ernst, dann wird darf sie keine Chance mehr erhalten, sich Deinen Befehlen zu entziehen.
Der Hund muss lernen, dass es sich lohnt, wenn er zu
Dir kommt und dass ein Ignorieren Deiner Befehle ihm keine
Vorteile bringt.
Wie genau kann ich das in meinem Fall am besten umsetzen? Also
Du meinst, der Lerneffekt mit der Schleppleine sei schon noch
da in Kombination mit einer anderen Person = mir. Abgesehen
von der positiven Verstärkung natürlich.
Verlass Dich nicht darauf, dass vom Hundekurs vor Jahren noch etwas im Hirn Deines Hundes abgespeichert ist. Beginn ganz von vorn, wie bei einem Welpen, der noch gar nichts kann. Stelle Dir vor, der Hund sei eine tabula rasa, das wird der Strukturierung Deiner Erziehungsarbeit helfen. Wichtig ist nicht nur die positive, sondern auch die negative Verstärkung: Du entziehst ihr Angenehmes, wenn sie sich entschliesst, nicht mit Dir zusammen zu arbeiten. Ein Lernen völlig ohne unangenehme Konsequenzen oder Frust kann es nicht geben, weil die Motivation sonst fehlt.
Gruss,
Semiramis