Hallo Tizia,
Mit welchem
Recht meinen denn eigentlich Kinder und Enkel, dass das
richtig ist, was sie so meinen. Haben sie denn schon 84 Jahre
gelebt und entsprechende Erfahrungen gesammelt.
erst einmal: Schön, dass es Deiner Oma noch so gut geht - und ich hoffe für sie und Euch, dass dies noch lange anhält.
Ich erzähle Dir jetzt die Geschichte von dem Lebensgefährten meiner Oma, der letztes Jahr im Alter von 86 gestorben ist.
Der Herr war immer fit, ging jeden Tag kilometerweit spazieren, fuhr bis 85 immer noch Auto, hatte wirklich keine einzige ernstzunehmende Erkrankung.
Aber dann fing es im Jahr 2007 (er ergo: 84 Jahre) an: Er wurde zunehmend vergesslicher, fuhr mal eben auf einen stehenden LKW auf und war noch der festen Überzeugung, dass er richtig gehandelt hat. Ich wollte ihn überzeugen, nach dem Unfall zum Arzt zu gehen (könnte ja was passiert sein), aber er war ja immer fit; warum sollte er? Ich habe ihm auch über Reportagen berichtet, dass eventuell der Druck in seinem Kopf zu hoch sei, um ihm die Angst vor der Demenz zu nehmen, an der auch sein Vater erkrankt war. Keine Chance!
Dann ging es ganz rapide mit seinem Abbau. Er pinkelte grundsätzlich neben das WC, er zog sich seine Hose nicht mehr hoch, in Gesprächen verwechselte er Personen, hatte Schwierigkeiten mit Begriffszuordnungen, so dass kaum mehr ein Gespräch möglich war. Und seine Autofahrten und seine täglichen Spaziergänge (ohne Begleitung) waren nicht mehr zu verantworten.
Irgendwann ist er bei einem Besuch bei uns zusammengeklappt und wir mussten den Notarzt holen: War nur eine Kreislaufschwäche, Diagnose aber: Demenz im rapide fortschreitenden Stadium. Trotz Medikamente ging es irgendwann nicht mehr. Meine Oma (2 Jahre älter) konnte ihn trotz familiärer Unterstützung und einem Pflegedienst nicht pflegen. Meine Mutter konnte ihn nicht gemeinsam mit meiner Oma in ihrem Haus aufnehmen.
Es hieß auch von den Ärzten, dass er in einem Heim am besten aufgehoben sei. Wir suchten ein kleines, sehr familiäres für ihn aus, aber er verweigerte alles, wurde zu einem „Problemfall“: Seinen Zahnersatz ließ er sich nicht mehr rausnehmen (biss so fest die Zähne zusammen), mal aus dem Bett aufstehen (was bei ihm körperlich überhaupt kein Problem gewesen wäre), verweigerte er. Als er eine leichte Blasenentzündung bekam und ein Katheter gelegt werden musste, riss er diesen ständig raus. Er verweigerte alles, erkannte uns überhaupt nicht mehr.
Nach seinem Tod haben meine Oma, meine Mutter (die übrigens die Betreuung für ihn übernommen hatte) und ich uns von seinen Geschwistern anhören dürfen, wir hätten ja früher etwas unternehmen sollen (aber wo waren sie? Sie wurden stets von uns informiert)…ja, das habe ich mich selbst tatsächlich gefragt: Hätte ich den Herren nicht lieber bei den ersten Anzeichen der Demenz, die ich mitbekommen habe, direkt zum Arzt schleifen sollen?
Vielleicht könnten die „kleinen“ von den Alten noch ein wenig
lernen damit sie leichter durch´s Leben kommen!
Das werden sie sicherlich - aber in bestimmten Situationen wird es eben dazu kommen, dass die Alten die Jungen brauchen (so sieht es der Generationsvertrag vor - und diesen verstehe ich persönlich nicht rein finanziell).
Und wenn man mit Sturköpfen zu tun hat, die man liebt, stellt sich schon die Frage, ob man nicht auch (frühzeitig) eingreifen sollte.
Es ist und bleibt selbstredend eine Gratwanderung zwischen Entmündigung und unterlassener Hilfeleistung.
Noch eine Geschichte: Meine Mutter war mal für eine Woche im Urlaub und bat mich, dass ich mich in der Zeit um meinen Vater kümmere (ihm ging es schon eine Zeitlang nicht so gut, verweigerte aber einen Arztbesuch).
An einem Sonntagmorgen weckte er mich und meinte, er bekäme keine Luft mehr. Ich solle in die Apotheke fahren und ihm etwas holen. Nö - war nicht. Ich habe den Notarzt gerufen. Mein Vater hatte Wasser in der Lunge und bekam 7 (!) Bypässe. Er ist zwar trotzdem viel zu früh gestorben - aber so hatte er wenigstens noch 5 schöne Jahre mit seiner Familie, die er sichtlich (und intensiv) genossen hat.
Wie man mit Erkrankungen und Abbau bei Eltern/Großeltern umgeht, muss jeder selbst entscheiden. So lange sie gesund sind, ist man ja leider nicht dazu gezwungen, sie, von denen man auch so viel gelernt hat, zu „entmündigen“.
Für mich ist die Notruf-Nummer jedenfalls mittlerweile Standard (lach, natürlich nicht bei einem Schnupfen). Wenn ich einen Sturkopf nicht zum Arzt bekomme, muss der Arzt eben kommen.
Ich hoffe, Deine Oma wird erst in vielen Jahren ohne zu leiden einfach friedlich einschlafen!
Liebe Grüße
Kathleen