Um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, legt der Berliner Webdienstleister I-D Media seinen rund 400 Mitarbeitern mit ungewöhnlichen Mitteln den Abschied von der Firma nahe. Die Angestellten fanden am heutigen Dienstagmorgen einen freundlichen Brief vor, in denen ihnen die Geschäftsführung eine „befristete Abfindungsregelung“ unterbreitet. Zwei Monatsbruttolöhne beziehungsweise maximal 16.000 Mark wird den Mitarbeitern quer durch alle Abteilungen offeriert, wenn sie ihren Schreibtisch räumen und „Auf-nicht-mehr-so-bald-Wiedersehen“ sagen. Die Entscheidung, ob sie den nicht besonders goldenen Handschlag annehmen wollen, sollen sie bis zum morgigen Mittwoch bereits getroffen haben.
Olaf Hofmann, der Berliner Beauftragte des Gewerkschaftsprojekts connexx.av, spricht gegenüber heise online von einem „unmoralischen Angebot“. Nicht nur der immense Zeitdruck, der auf die Mitarbeiter ausgeübt werde, sei jenseits von Gut und Böse. Verheimlicht werde ihnen auch, dass sie eventuell gewisse, für die Zahlung einer Arbeitslosenunterstützung zu beachtende Sperrfristen beim Arbeitsamt mit ihrem vorzeitigen Ausscheiden nicht erreichten. Zudem würden soziale Härtefälle nicht berücksichtigt. „Eine geregelte Kündigung oder eine Abwicklungsvereinbarung ist da oft besser“, meint Hofmann. Noch für den heutigen Abend hat connexx.av daher eine Informationsveranstaltung angesetzt, um die ID-Media-Belegschaft über ihre Situation aufzuklären.
Die Aufforderung zum Gehen kommt interessanterweise kurz vor der für den 11. September angesetzten Wahl eines Betriebsrats bei der ursprünglich aus Essingen stammenden Multimedia-Agentur, die – wie so viele Webdienstleister – in den vergangenen 12 Monaten voll in die Krise rund um die New Economy geschlittert ist. Die Einberufung einer solchen Mitarbeitervertretung ist die Voraussetzung für die Aufstellung eines Sozialplans, wie ihn connex.av vergangene Woche erstmals für das zu EM.TV gehörende Jugendportal Junior-Web erstritten hat. Mit einem solchen „kollektiven Aufhebungsvertrag“ wird ein Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmern angestrebt. Grundsätzlich wird darin geklärt, wer und wie viele zu welchen Bedingungen gekündigt werden. Die Möglichkeiten, auf individuelle Schicksale einzugehen, ist dabei deutlich größer als bei Abfindungsvorschlägen von der Unternehmensleitung.
I-D-Media-Sprecher Sebastian Dieterich wollte die „Berliner Regelung“ heute gegenüber heise online nicht kommentieren, da es sich um eine „rein interne Maßnahme“ handle. „Die schlechte Marktlage“ zwinge die Firma leider dazu, solche Wege zu beschreiten. Erst vergangene Woche hatte das börsennotierte Unternehmen die 21 Mitarbeiter in den Stuttgarter und Wiener Filialen davon in Kenntnis gesetzt, dass die Niederlassungen dicht gemacht werden. Bereits im Juni mussten zudem die 93 I-D-Media-Angestellten in Hamburg gehen, da der Standort aufgegeben wurde. „Davon haben aber 90 Prozent bereits neue Arbeitsverträge unterschrieben“, freut sich Dieterich, der über diese Zahl angesichts der schlechten Marktlage selbst überrascht ist. Vor allem kleine Unternehmen hätten aber anscheinend noch Einstellungsbedarf an gut qualifizierten Leuten.
Eine Sollgröße an Mitarbeitern, die I-D Media an den verbliebenen Niederlassungen in Berlin und London behalten möchte, kann Dieterich nicht benennen. „Wahrscheinlich will der Vorstand einfach mal schauen, wen er schnell loswerden kann“, sieht Hofmann daher als Sinn der überraschenden Aktion. Erklärtes Ziel des Unternehmens ist es, bis zum ersten Halbjahr 2002 profitabel zu werden. Dazu will der Dienstleister verstärkt auf das bisher vernachlässigte Consulting setzen. Neue Umsätze soll zudem die gerade in Kooperation mit IBM fertig gestellte Lösung Cynigma bringen, ein aus dem von I-D Media betriebenen Cycosmos entwickeltes Personalisierungstool. Mit der Software will die Firma Netzhändlern ein modular einsetzbares Gateway zur Verwaltung von Kundenprofilen an die Hand geben. (Stefan Krempl) / (jk/c’t)