Hallo Andreas,
Mag sein. Aber wozu ein Kunstwerk bunkern, wenn man nicht
vorhat, es anderen zu zeigen? Sobald jemand es anderen zeigt,
spricht sich rum, dass derjenige ein gesetzesuntreuer Mensch
ist. Und er muss damit rechnen, dass ihn jemand an die Polizei
verrät.
Oha, weit gefehlt, Verehrtester. Ein nicht unerheblicher Teil der fanatischsten Sammler hat nicht im mindesten vor, es anderen zu zeigen. Die Sonnenblumen von van Gogh liegen bis heute im Tresor und die sind noch nicht mal geklaut.
Also ich hätte nicht das leiseste Problem, mich des Abends mit einem guten Weinchen in einen bequemen Sessel zu setzen und zufrieden stiller Einkehr einen kleinen Privatplausch mit meinem Vermeer zu halten. Der Teufel soll mich holen, sollte ich das jemals jemanden zeigen. Das ist meiner.
Wir besuchen oft die Berliner Gemäldegalerie, da hängen zwei von den Schätzchen nebeneinander. Mein Liebling ist die Weinprobe. Die Dame in Pelz hat so einen recht einfältigen Gesichtsausdruck, der mir irgendwie ein wenig aufstößt.
Wenn man ganz nah an die Weinprobe rangeht, quasi mit der Nase drauf, erkennt man, dass jedes einzelne Karo der karierten Tischdecke je nach Lichteinfall (wie bei Vermeer üblich, stets von links schräg nach unten) gleich vier, fünf verschiedene Farben hat. Keine 12Megapixelkamera kriegt das so genau abgebildet.
Und das ist ein ziemlich kleines Bild und die Karos sind winzig, bestenfalls im Millimeterbereich. Ich weiss nicht, wie der das bewerkstelligt hat. Zu Lebzeiten wurde ihm nicht umsonst ein Pakt mit dem Teufel nachgesagt, mindestens aber war er berüchtigt ob seiner überaus langsamen Arbeitsweise, es sind ja nur eine kleine Handvoll seiner Werke überhaupt erhalten (15 insgesamt glaub ich, hehe, und zwei in Berlin *freu*).
Eines glutheißen Sommertages dann standen wir wieder andächtig davor. Es war vollkommen leer, ein normaler Wochentag, wie gesagt, brülleheiss draussen (drinnen aufgrund der alten Meister auf schnucklige 19° runtergekühlt).
Wir waren also absolut allein und unbeobachtet, denn der Museumswärter hielt auf der Holzbank der dem Raum angrenzenden Terrasse draussen leise schnarchend vor geöffnetem Fenster (Keine irgendwie geartete Sicherung, geschweige denn ein Gitter) ein kleines Mittagsschläfchen.
Und der Hammer: Direkt ein Stockwerk tiefer befindet sich der Wirtschaftshof der Gemäldegalerie sowie des angrenzenden Kunstforums und die Wirtschaftshoftore standen aufgrund irgendeiner Lieferung sperrangelweit offen.
Wenn jetzt einer von uns beiden mit einem schnellen, leichten Mopped unten gewartet und der andere mit einem kleinen Bolzenschneider kurzerhand blitzschnell die beiden Stahlseile, an denen die Kunstwerke hängen (höchstwahrscheinlich alarmgesichert wie sonstwas) durchtrennt und das Bild aus dem Fenster geworfen hätte, direkt in die Hände des unten wartenden Komplizen, der dann sofort abgerauscht.
Und der Alarm selbstverständlich sofort ausgelöst worden wäre, die flugs herbeigeeilten Wärter nebst der Herrschaften Gesetzeshüter später aber lediglich eines dann logischerweise nachweislich überführten Diebes (nennen wir ihn der Einfachheit halber die kleine Annie) habhaft würden, ohne Diebesgut.
Annie ist in keinster Weise vorbestraft und möglicherweise würde sie mit einer doch sehr überschaubaren Haftstrafe zu rechnen haben, wenn nicht gar die zu erwartende Strafe gleich auf Bewährung ausgesetzt würde. Kein bewaffneter Raub, keinen Personenschaden, kein Einbruch, keine Gewalt, alles ganz gediegen und elegant.
Sie hätte dann einen Vermeer. Hach.
Irgendwann einmal wäre sie dann in der Lage, das Versteck in einem unbewachten Augenblick aufzusuchen, würde sich in ein bequemes Sofa davor setzen und, passend zum Sujet des Werkes, ein kleines Gläschen Wein in der Hand glücklich und zufrieden vor sich hinlächeln.
Nicht im Traum würde sie auf die Idee kommen, das Bild in roher Kidnappermanier der Gemäldegalerie wie Sauerbier würdelos zum Wiedereinkauf anzubieten.
Und noch viel weniger würde sie dieses herzzerreissend schöne Kunstwerk irgendeinem bekloppten Scheich oder gar einem verbrecherischen russischen Oligarchen in den gierigen Schlund werfen.
Sie würde sich (nebst ihrem Gefährten, dem man leider, obzwar natürlich schwer verdächtig im Visier aller Ermittlungen aber auch gar nichts nachweisen konnte) bis ans Ende ihrer Tage still ihres Sammlerglückes freuen und niemand sonst auf der Welt bekäme von der Sache Wind.
Herzliche Grüße
Annie