Idiotenapostroph

Hallo,

ich werde ja stellenweise fast wahnsinnig bei dieser willkürlichen Apostrophsetzung von vielen Menschen. Besonders bei gewerblichen „Apostrophnutzern“ mache ich mich ganz gerne lustig.

Aaaaber: Jetzt habe ich Folgendes entdeckt:

Der Apostroph kann dort gesetzt werden, wo jemand ein Gewerbe eröffnen und dazu ein Schild mit Genitiv anbringen will (aber nur dann): Bellini’s Bar; Gerti’s Grillstation; Willi’s Weinkontor

Ich wäre fast vom Glauben abgefallen. Ist das tatsächlich richtig? Kann mir jemand die Hintergründe hierzu erklären? Der einzige Grund, der mir einfällt, ist: Es soll für die Gewerbetreibenden nicht so peinlich sein, wenn sie ihr Kneipen- oder sonstiges Schild mit Apostroph haben drucken lassen.

Danke für eure Hilfe.

Hallo Bernd,

_Der Apostroph kann dort gesetzt werden, wo jemand ein Gewerbe
eröffnen und dazu ein Schild mit Genitiv anbringen will (aber
nur dann): Bellini’s Bar; Gerti’s Grillstation; Willi’s
Weinkontor

_ Ich wäre fast vom Glauben abgefallen. Ist das tatsächlich richtig?

ohne das nun konkret nachgeprüft zu haben - ich mag es nicht bezweifeln. Das ist der Normalfall: gelebte Schizophrenie. Die Duden-Redaktion hat sich offiziell von dem Anspruch, grammatikalische und orthographische Normen zu definieren, längst verabschiedet - tut dies aber nicht tatsächlich, denn damit würde sie ja ihre eigene Existenzberechtigung in Frage stellen. Also hat man aus der Rechtswissenschaft das Modell der ‚normativen Kraft des Faktischen‘ (Jellinek) übernommen und bescheidet sich mittlerweile damit, die galoppierende allgemeine Legasthenie nur noch zu dokumentieren, statt ihr entgegen zu wirken. Wenn eine hinreichende Menge von Menschen das Falsche tut, wird das Falsche richtig. Die Rückzugsposition, den Deppenapostroph für gewerbliche Zwecke zu ‚tolerieren‘, jedoch (vorerst noch) Deutschlehrern zu erlauben, ihn ihren illiteraten Schülern als Fehler anzukreiden, ist charakteristisch für diese Art ‚Sprachpflege‘, die sich selbst offensichtlich nur noch als permanentes Rückzugsgefecht gegen die zunehmend stagnierende Schreib- und Lesekompetenz versteht. Daher meine uneingeschränkte Bereitschaft, das unbesehen zu glauben (Du merkst, vom „wahren Glauben“ bin ich schon längst abgefallen).

Wenn es denn ein Trost sein könnte - der z.B. von Goethe höchstpersönlich ohne jegliche Ironisierungsabsicht erwählte Titel seines Blockbusters ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ würde auch durch Hinzufügung eines Deppenapostrophen (‚Die Leiden des jungen Werther’s‘) nur unerheblich verschlimmert (korrekt müsste er natürlich entweder ‚Die Leiden des jungen Werther‘ oder aber ‚Des jungen Werthers Leiden‘ lauten). Aber so ist es nun einmal mit dem Sprachwandel - so richtig Bauchgrimmen kriegen davon nur die alten Säcke.

Willkommen im Klub,
Ralf

Moin,

Ist das tatsächlich richtig?

klar, der Duden erfindet ja keine Regeln, sondern greift nur auf, was geschrieben wird. Und wenn jeder zweite Ladenschwengel das Auslassungszeichen beim Genitiv hineinpfriemelt, auch wenn er nicht sagen kann, was da ausgelassen wird, dann ist das immerhin schon fast die Mehrheit.

Zur gleichen Zeit ist ja die Leyden’sche Flasche erfunden worden, die kam aber wirklich nicht vom Volke. sondern von den Gehirnschwurblern, die die Neue Deutsche Rechtschreibung in die Welt gesetzt haben.

Sei froh, dass die Kartoffel’n noch nicht den Weg in die Rechtschreibfibeln gefunden haben.

Gruß Ralf

Nicht zu fassen!

Der Apostroph kann dort gesetzt werden, wo jemand ein Gewerbe
eröffnen und dazu ein Schild mit Genitiv anbringen will (aber
nur dann): Bellini’s Bar; Gerti’s Grillstation; Willi’s
Weinkontor

Als nächstes werden wir wohl schwarz auf weiss die Bestätigung bekommen, dass es völlig egal ist, mit welchem Zeichen wir den (ursprünglich einzig richtigen) Apostroph (’) ersetzen.
Ob Zollstrich, Minutenstrich oder Akzent in irgend einer Richtung … warum nicht gleich eine Tilde oder ein Hacek, das wäre doch originell?

Und das darf man dann auch ungeniert «Hochkomma» nennen – und wir alten Säcke müssen das schweigend ertragen.

scalpello

Vielen Dank für die Impulse.

Ich hatte erhofft, dass jemand das Ganze entkräften kann - aber scheinbar ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Was heute eindeutig falsch ist, kann morgen schon richtig sein, ohne dass es hierfür einen plausiblen Grund gibt. Schade.

(korrekt müsste er natürlich entweder ‚Die Leiden des jungen
Werther‘ oder aber ‚Des jungen Werthers Leiden‘ lauten).

Korrekt nach heutigem Verständnis. Nicht aber zwangsläufig nach dem Verständnis zu Goethes Zeiten. Zu Goethes Zeiten sagte man allerdings auch noch: „Du siehst mit diesem Trank im Leibe bald Helenen in jedem Weibe.“

Die „Leiden des jungen Werther“ hätten einem Goethe vermutlich ebenso viel Bauchgrimmen bereitet wie Dir und mir „Die Angst des Torwart vor dem Elfmeter“.

Aber so ist es nun einmal mit dem Sprachwandel - so richtig
Bauchgrimmen kriegen davon nur die alten Säcke.

Ich bin wahrlich kein großer Freund davon, Sprachwandel ungeprüft oder kritiklos hinzunehmen. Allerdings bin ich auch kein großer Freund davon, Kritik am Sprachwandel ungeprüft oder kritiklos hinzunehmen. :smile:

Ich mag den Apostroph nicht - aber nicht, weil’s etwas Neues ist, sondern, weil ich die Motivation, den Apostroph zu setzen, in den meisten Fällen für dumm halte. Es gibt aber auch sehr sinnvollen Sprachwandel, z.B. im Kurzwortbereich.

Wer Sprachwandel pauschal ablehnt, ist in meinen Augen genauso unwissend wie der, der Sprachwandel pauschal begrüßt.

Gruß,
Max

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(korrekt müsste er natürlich entweder ‚Die Leiden des jungen
Werther‘ oder aber ‚Des jungen Werthers Leiden‘ lauten).

Korrekt nach heutigem Verständnis. Nicht aber zwangsläufig
nach dem Verständnis zu Goethes Zeiten.

Vielleicht nicht zwangsläufig. Aber immerhin korrigierte Goethe den Titel im Zuge der Überarbeitung schon 13 Jahre später und strich das Genitiv-S - ganz dudenkonform („Familien-, Personen- und Vornamen mit vorangehendem Artikelwort bleiben ohne Flexionsendung“).

Laut der Schweizer Germanistin Cornelia Steinmann war das ursprüngliche Genitiv-S beim ‚Werthers‘ eine „Modererscheinung des Sturm und Drang“. Vielleicht ist dies ja auch beim Deppenapostroph so - allein, auch da fehlt mir der rechte Glaube und die Hoffnung ohnehin.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hi!

Ich hatte erhofft, dass jemand das Ganze entkräften kann -
aber scheinbar ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Was heute
eindeutig falsch ist, kann morgen schon richtig sein, ohne
dass es hierfür einen plausiblen Grund gibt. Schade.

Zitat meines Sohns (16 Jahre) zum Thema Rechtschreibung:
„Du musst etwas nur lange genug falsch schreiben - irgendwann wird es schon richtig sein.“

Das war, als ich den Plural Globusse im Duden las.
Konsequent ist der Plural für mich seitdem „Globuli“.

VG
Guido

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Zum Plural habe ich auch noch ne Geschichte: Jahrelang reklamiert, dass Pkws, Lkws usw. falsch ist, weil der Plural ja auch -wagen ist. Was lese ich dann mal zufällig im Duden: Pkws, Lkws usw. ist als Plural legitim. Der Wahnsinn!

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Servus, Bernd,

ich werde ja stellenweise fast wahnsinnig bei dieser
willkürlichen Apostrophsetzung von vielen Menschen.

Kann ich verstehen.
Ich glaube, da hat sich „lediglich“ vom Hinsehen wieder mal was aus dem Englischen (wo das Genitiv-s ja richtig ist) ohne Nachdenken und ohne Korrektur durchgesetzt. Und dann wurde, wie Ralf via Zitat Jellinek schon sagte, die normative Kraft des Faktischen mit der NDR einfach übernommen.

Die Bildgestaltung von Werbetafeln, Frittenbuden- und Friseurnamen, Hundeschuranstalten und leider oft auch von Bücherstuben läßt sich ja nach so einem Farbtupfer-Apostroph recht schwungvoll und ideenreich gestalten.

Übrigens kann der Duden - sorry Ralf :smile: - ausnahmsweise nichts dafür - er hält sich
nur an das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung (überarbeitete Fassung von 2004 E/4.1/§97
(E: Von dem Apostroph als Auslassungszeichen zu unterscheiden ist der gele-
gentliche Gebrauch dieses Zeichens zur Verdeutlichung der Grundform eines
Personennamens vor der Genitivendung -s oder vor dem Adjektivsuffix -sch:
Carlo’s Taverne, Einstein’sche Relativitätstheorie
)
http://www1.ids-mannheim.de/fileadmin/service/reform…

Ich nenne bei Ansicht solcher Stricherln das Ding immer öffentlich mit deutschen Namen und kleinem Vorsatz: „Hirn-Auslassungszeichen“.

Lieben Gruß aus dem Waldviertel, J.

Guten Tag,

Zum Plural habe ich auch noch ne Geschichte: Jahrelang
reklamiert, dass Pkws, Lkws usw. falsch ist, weil der Plural
ja auch -wagen ist. Was lese ich dann mal zufällig im Duden:
Pkws, Lkws usw. ist als Plural legitim. Der Wahnsinn!

Diese Plurale sind völlig normal und legitim, so folgen sie doch der Standardregeln der deutschen Grammatik. Das -s ist ein produktives Pluralmorphem für Wörter, die auf lange Vokale enden, und zusätzlich noch bei Abkürzungen sehr gebräuchlich. Wie dabei das letzte Wort der Abkürzung selbst endet, spielt im Deutschen eigentlich nie eine Rolle. Du sprichst ja auch nicht davon, dass du im Keller noch zwei alte PC stehen hast, oder?

Liebe Grüße,

  • André
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