In der Nähe des heutigen Ortsteils Grone lag die „urbs, quae Grona dicitur“ - Erhellg. einer Übersetzg. aus histor. Sicht


Zitat aus dem Wikipedia-Artikel: In der Nähe des heutigen Ortsteils Grone lag die „urbs, quae Grona dicitur“ (keine Quellenangabe).
dicitur = er/sie/es wird gesagt (3. Person Singular Präsens Indikativ Passiv) u. dieser Ausdr. wird mit dem Nom. gebraucht (wie ein Präd.nomen).
Die Übersetzg. wörtl. lautet: die Stadt (Siedlg.), zu der man Grona sagt.
Um sich an den dt. Sprachgebrauch zu halten, verwendet man statt dieser primitiven ersten Übersetzg. d. geläufige u. einwandfreie Formulierg.: Die Stadt, die Grona genannt wird.
Diese Übersetzg. läßt allerdings eine Unterstellg. zu, die man normalerweise ausschließen würde. Die Spekulation wäre dann: Diese Stadt hat in Wirkl.kt. einen anderen Namen, der jedoch nicht gebraucht wird. Man sagt (beachte den Hintersinn der primitiven Übersetzg.) zu dieser Stadt „Grona“, um den wirkl. Namen nicht zu erwähnen. Die Bezeichng. Grona ist demnach eine Art Spitzname (harmlos u. widersprüchl. - denn in diesem Fall würde der echte Name ja irgendwo auftauchen, überliefert sein) oder (ernst u. folgerichtg.) ein neuer Name, ein Deckname, ein Name, der ein Verbrechen verschleiern und dabei doch gleichztg. andeuten soll, eine Untat, die eben mit dieser Königspfalz in einem direkten Zus.hg. steht.
Um derlei Vermutungen von vorneherein zu vermeiden, sollte d. Übersetzg. folgl. sein: d. Stadt, die Grona heißt. Hier gibt es nun wirkl. keine Zweideutigkt. mehr: Das ist d. Stadt und dies ist ihr Name.
Ist es also in jedem Fall richtig, die hier zit. mittellat. Textstelle mit diesen Worten wieder zu geben? Wir haben ja gesehen, daß es sich nicht um eine wörtl. Übersetzg. handelt, sondern um eine bereits etwas freiere Übersetzg… Ist also „dicitur“ in dieser mittelalt. Textstelle die ganz gewöhnliche sprachl. Wendung, mit der man im MA folgenden simplen Sachverhalt standardmäßig wieder gegeben hat: diese Stadt…heißt X,Y,Z. Oder ist die Redewendg. „dicitur“ im Sinn von „heißen“, „trägt den Namen“ doch selten, ungewöhnl.?
Man stolpert über dieses Zitat (es fehlt d. Angabe d. Quelle), weil der Name Grona ja praktisch der heutige Name des Gebietes ist, also der Ortschaft, die aus jenem Kö.burg-Areal hervorging. Konnte derselbe Name damals in der hier überlieferten Form wirkl. bestanden haben (anbei: er scheint, niederdt./holl. ausgespr. ein Geröll im Ton mit sich zu führen, eben ein Gro-ll, mit dem man Feinden grollend entgegen tritt)? Die Schreibweise des Namens bietet nicht das orthograph. Aussehen, daß Ortsnamen in mittelalt. Texten haben sollten (es fehlen diakrit. Zeichen, da es sich ja nicht um einen lat. Namen, sondern um einen volkssprachl. Namen handelt). Man würde aber gerade bei einer Kö.pfalz von der Latinisierung des Namens ausgehen. Sollte er dann nicht Crona heissen? Grona wirkt so unbedeutend, als handele sich hierbei um irgendeinen Flecken, der sich auf ein paar Kühe auf einer Weide beläuft.
Aus diesen Gründen, wegen d. Redewendg. „dicitur“ u. wegen des schlichten, modern wirkenden Namens „Grona“ frage ich nach Übersetzgs.mögl.kt.en, was eigentl. bedeutet, den Hintergrund dieser Textstelle doch bitte aufzuklären.

Hallo,

Vorab:
Bei denjenigen Experten, von denen du auf deine Frage Antworten wünschst, dürftest du logischerweise schon voraussetzen können, daß sie wissen, was lat. dicitur heißt.

Ferner:
Die penetranten und vollkommen sinnlosen Abk.. in deinem Text:

Übersetzg. d. geläufige u. einwandfreie Formulierg.
in einem direkten Zus.hg.
in Wirkl.kt.
die hier zit. mittellat. Textstelle
wirkl. keine Zweideutigkt. mehr
aus jenem Kö.burg-Areal
das orthograph. Aussehen
Übersetzgs.mögl.kt.en

sind eine Zumutung. Als Leser fühlt man sich veräppelt. Wir sind hier ja nicht im Whatsapp, und in diesem Forum gibt es auch bei Postings keine Begrenzung der Zeichenanzahl.

Nun zu deiner Frage:
Die Erwähnung eines Städtenamens lautet normalerweise z.b. „urbs, nomine Roma“. Der Ausdruck „quae dicitur .…“ (= „die … genannt wird“) zeigt der Autor, daß ihm der offizielle Name nicht bekannt ist, bzw. daß er von diesem Namen lediglich gehört hat, oder daß er von der Bevölkerung so genannt wird. Er hat aber mutmaßlich keine „amtlichen“ Dokumente gesichtet.

Andererseits ist eine urbs eine befestigste Stadt, zumindest eine Stadt, die einen Festung bzw. Stadtmauer im Kern hat. Es ist dann zumindest keine bloße Siedlung (lat. oppidum) mit oder ohne Marktplatz. Da klingt es schon merkwürdig, daß hier Grona als urbs bezeichnet wird (von der man den offiziellen Namen kennen dürfte).

Zum Vergleich: Bei Personennamen bedeutet „qui … dicitur“ in der Regel einen Spitznamen. Berühmtes (allerdings einige Jhdte älteres) Beispiel in Joh. 20.24 „Thomas, qui dicitur Didymus“ („Thomas, der Zwilling genannt wird“). Oder Joh. 9.11 „ille homo qui dicitur Iesus“ („jener Mann, den sie Jesus nennen“), wo sich der Sprecher für den Namen nicht verbürgen möchte, er hat ihn nur gehört.

Andererseits findet man auch Folgendes (blasse Erinnerung, ohne Beleg): „urbs, nomine Byzantium, quae nunc dicitur Constantinopolis“), wo auf die neuerliche (auch amtliche) Umbenennung der Stadt verwiesen wird.

Also zusammengefaßt: Wenn der Autor zur Zeit als er schrieb, eine amtliche Bezeichnung für die urbs gehabt hätte, hätte er „urbs, nomine Grona“ geschrieben. Das allein würde heißen „die Stadt, die Grona heißt“. Der Autor sagt mit dicitur jedenfalls keineswegs, daß er

den wirkl. Namen

der urbs nicht verraten wolle.

Eine Spekulation, daß hier irgendein Geheimnis angedeutet wurde, das nicht publik werden durfte, ist ganz und gar abwegig.

Gruß
Metapher

Servus,

ergänzend noch zu Metaphers wie gewohnt erquicklicher Einlassung zur Hewrkunft des Ortsnamens Grone, über die du spekulierst:

Wenn man von den deutschen Ortsnamen diejenigen weglässt, die sich auf einen Grundherren, Gründer oder Eigentümer beziehen, diejenigen, die sich auf irgendeinen Ort von religiöser Bedeutung beziehen und diejenigen, die sich auf eine Beschreibung des Ortes beziehen, bleiben so gut wie keine übrig.

Sowas wie der „Groll gegen anrennende Wenden, Katholiken und andere vielböse Feinde“ ist - halten zu Gnaden - ein ausgemachter Blödsinn, geboren aus einer volkstümlichen Onomastik, die die banalsten Regeln wissenschaftlicher Betrachtung nicht respektiert: So funktioniert kein deutscher Ortsname. Auch Weende hat seinen Namen nicht davon, dass Studenten aus dem Hannöverschen dort auf der freitäglichen Heimfahrt wenden, wenn sie merken, dass sie die Wäsche für Muttern vergessen haben, und Nikolausberg hat seinen Namen nicht von den legendären Nikolausvorlesungen, die der Agrarchemiker Wolfgang Ziechmann im „Nordbereich“ bei den Förstern gehalten hat, mit allem, was die Chemie an Lichtspielen, Farben und Knalleffekten zu bieten hat.

Grone ist ein Musterbeispiel für einen schulbuchmäßig zu „entschlüsselnden“ Ortsnamen: Die Endung ist genau die, die die überwiegende Mehrzahl der älteren (d.h. vor ~ 1100) deutschen Ortsnamen ausmacht, nämlich der Hinweis auf einen eher feuchten Talgrund. Alle Ortsnamen auf -a und -au und viele auf -e und -en bezeichnen schlicht eine Aue.

Und von vorne her muss man bedenken, dass Vokale sich in den sehr vielen unterschiedlichen Ausprägungen deutscher Dialekte ab und zu recht unberechenbar entwickelt haben (z.B. ist der Ort Heddrum heute in Landkarten mit dem Namen ‚Hettenleidelheim‘ verzeichnet, aber auch harmlosere Metamorphosen wie die Bezeichnung von Engerkenga als ‚Ingerkingen‘, Egna als ‚Ehingen‘ und Äbfenga als ‚Äpfingen‘ sind landläufig zu finden), aber die Konsonanten sind dabei in den allermeisten Fällen klar erkennbaren Regelmäßigkeiten gefolgt, und die Verschiebung von ‚Groll‘ zu ‚Gron‘ gehört eben nicht zu diesen.

Es ist viel einfacher:

Grone ist nichts anderes als eine Grüne Au.

Et c’est ainsi qu’Allah est grand.

Sincèrement

Alexandre Vialatte

Herrlich! :balloon:

Grone ist nichts anderes als eine Grüne Au.

Wie zum Beispiel das (oder sogar die) gleichbenamste allenthalben zu findende „Gronau“

Gruß
Metaphrosch

Ich bedanke mich aufrichtig für die Mühe, die Sie sich mit Ihrer ausführlichen Antwort gegeben haben.
Barbara

Ich möchte mich vielmals für die große Mühe bedanken, die Sie sich mit Ihrer Antwort gegeben haben.
Barbara

Hallo Barbara,

hier kann man mal ganz ehrlich sagen: ‚Es war mir ein Vergnügen‘ - ich schätze, dass das für Metapher ebenso gilt.

Schöne Grüße

MM