- WK -Wie war der Alltag der Sold
Servus,
die (durch mich indirekt wiedergegebenen, daher mit Vorsicht zu lesenden, und durch die zufällige Auswahl sicher nicht repräsentativen) Berichte von zwei Familienangehörigen kann ich beisteuern:
Mein Vater war nach langer Wartezeit auf Sizilien ab Sommer 1942 bis zu seiner Verwundung im November 1943 in Nordafrika eingesetzt. Auf Sizilien in der Etappe zu liegen war wohl eine recht angenehme Zeit, zumal er an der Schule ein wenig Italienisch gelernt hatte und sich zumindest rudimentär mit den Leuten am Ort verständigen konnte. Sein Anteil am „Afrikafeldzug“ war von Anfang bis Ende eine ziemliche Quälerei, weil seine Einheit (wahrscheinlich galt das bei der katastrophalen Nachschubsituation für einen großen Teil des Afrikakorps) mit drei Litern Wasser pro Mann und Tag (zum Trinken, Kochen, Waschen und Rasieren) und ohne Decken oder Schlafsäcke in die Wüste geschickt worden ist. Möglicherweise war man in Berlin der Ansicht „in der Sahara ist es doch eh heiß“… Die knappe Versorgung mit Wasser ging so weit, dass man im küstenfernen Binnenland hie und da gefangen genommenen Engländern nur Waffen, Munition und sonst brauchbares Material abnahm, ihnen ihr Wasser und einen Kompass ließ und sie dann zu ihren Leuten zurückschickte, weil man sie als Gefangene auf dem Marsch nicht hätte mit dem überlebensnotwendigen Minimum an Wasser hätte versorgen können.
Im Vergleich zu dem, was von anderen Fronten zu hören war, muss der Einsatz in der Cyrenaika aber noch relativ gut erträglich gewesen sein: Mein Vater hat berichtet, dass sein erster Gedanke war, als er im Lazarett in Thessaloniki nach Amputation seines im Frontlazarett sehr schlecht versorgten Beines und schnellem Absinken des Wundfiebers überhaupt wieder denken und halbwegs klar wahrnehmen konnte und bemerkte, dass sein Bein weg war: „Gott sei Dank, mit einem Bein schicken sie mich wenigstens nicht an die Ostfront!“
– Mein Onkel hat sich Anfang 1943 freiwillig als Offiziersanwärter zur Wehrmacht gemeldet, weil es nach der Niederlage in Stalingrad immer mehr Gerüchte gab, die Waffen-SS würde nicht mehr nur Freiwillige rekrutieren - als „Bilderbuchgermane“ hatte er Angst davor, zur SS eingezogen zu werden. Er wurde nach einer schon ziemlich beschleunigten Ausbildung als Besatzer in der Gegend von Tours (F) eingesetzt und erlebte dadurch einen sehr komfortablen Krieg - FFI und Résistance waren kaum wahrnehmbar, das Leben war ruhig, und die Versorgung wohl eher besser als im Reich: Insbesondere Bücher, auch deutschsprachige, waren offenbar in viel größerem Umfang zu bekommen als zu Hause. Im März 1944 kam er nach Ungarn und blieb dort, weiterhin in einer recht komfortablen Situation, bis Kriegsende: Die rote Armee hatte sich für das Gebiet, in dem seine Einheit lag, nicht weiter interessiert, und am 9. Mai 1945 erhielt er seine Entlassungspapiere. Die Einheit konnte sich dann mehr oder weniger unbehelligt bis in die Gegend von Linz durchschlagen - die Russen hatten offenbar anderes zu tun -, wo ihnen dann einige Amerikaner eröffneten, dass erstmal Essig sei mit Heimgehen. Immerhin gestaltete sich dadurch die Gefangenschaft in einem US-Lager in Holland kurz und deutlich angenehmer, als wenn die Einheit sich in Ungarn den Russen ergeben hätte.
Fraternisieren der Besatzer mit der örtlichen Bevölkerung gab es sicherlich, aber das war kein irgendwie freundschaftliches Verhältnis unter Gleichen. Mein Onkel hat berichtet, wie er einmal so einen Bücherfund getan hatte und nach Hause schicken wollte - also in die Crèmerie ging und nach einem Karton zum Verpacken fragte. Bei seinem harten deutschen Akzent wurde jedoch seine Frage nach „un carton vide“ als „un carton, vite!“ verstanden, und die einen Moment vorher noch gemütlich ratschenden Madames stoben in panischer Angst in alle Richtungen, um nur ja schnell genug einen Karton für den Chleu aufzutreiben. Der Verursacher dieser Panik sagte mir, dass er sich nie vorher und nie nachher so sehr geschämt hätte wie in diesem Moment.
Ich habe mal gelesen, dass ein Kamerad
als Feigling galt, wenn er
sich nicht freiwillig zum Kämpfen meldete.
Ich glaube, dass Du da was in den falschen Hals bekommen hast. Gemeint ist wahrscheinlich gerade die Situation Anfang 1943, als nach dem Fall von Stalingrad rund 200.000 Mann (etwa 180.000 gefangengenommen und gefallen, der Rest verwundet) irgendwie ersetzt werden mussten. Es ging bei den im Frühjahr 1943 folgenden Anwerbeaktionen von Wehrmacht und Waffen-SS nicht um freiwilliges Melden zum Fronteinsatz - der geschah auf Befehl, nicht freiwillig -, sondern um mehr oder weniger freiwillige Meldung zum Eintritt in Wehrmacht und SS von bisher Ungedienten, ggf. auch wegen Alter oder Erkrankungen nicht zum Militärdienst Herangezogenen.
War das wirklich möglich, sich zu drücken, wenn auch als Feigling?
Es war möglich, als ordentlicher Nazi oder glaubhafter „Mitläufer“ oder als Kumpel eines ordentlichen Nazis in den verschiedenen Gliederungen der Partei „Druckposten“ an der „Heimatfront“ zu ergattern. Sehr viele bezahlten dafür allerdings mit dem Leben, wenn sie ab September 1944 fast ohne militärische Ausbildung und miserabel ausgerüstet im Volkssturm verheizt wurden. Es gab in 1943 auch noch genügend Leute, die in „kriegswichtigen“ Tätigkeiten unabkömmlich gestellt waren, zum Teil in ganz absurden Zusammenhängen: So war etwa das Projekt eines neuen Ferneisenbahnnetzes mit 300 cm Spurweite, ein persönliches Steckenpferd des Führers, noch im April 1945 als „kriegswichtig“ klassifiziert.
Handelte es sich dabei um Zwangsarbeiter/ Kriegsgefangene oder
wurden tatsächlich Soldaten als Erntehelfer abgestellt?
Kriegsgefangene waren damals und sind auch heute noch Soldaten.
Insbesondere für die russischen Gefangenen war es eine Art Lotto-Sechser, wenn sie in der Landwirtschaft eingesetzt wurden: Dort waren die Überlebenschancen sehr viel höher als beim Einsatz in der Industrie, da es für die allermeisten Bauern normal war, dass ein Knecht, der arbeitet, auch essen muss. Die Russenrationen, die auf langsames Verhungern kalkuliert waren, gabs bei Bauern in der Regel nicht.
„Fremdarbeiter“ - aus besetzten Feindstaaten - und „Gastarbeiter“ - aus dem verbündeten Italien - gab es in der Landwirtschaft nicht oder kaum. Sie waren in Lagern zusammengefasst untergebracht, die Fremdarbeiter aus den westlichen Ländern hatten - freilich minimale - Freiheiten: So hatten z.B. die Fremdarbeiter in Friedrichshafen nach Luftangriffen die Möglichkeit, am Seeufer angetriebene Fische, die von den Druckwellen der Bombendetonationen getötet worden waren, einzusammeln und an improvisierten Feuern am Ufer zu garen, um dem gröbsten Hunger zu helfen. Kriegsgefangene hätten so einen Ausflug wohl nicht überlebt. Die Strafen für Kontakte mit der - insbesondere weiblichen - Bevölkerung waren für Westarbeiter, vor allem die „germanischstämmigen“, weniger drakonisch als für Ostarbeiter: Russen und Polen wurden aufgehängt, wenn sie mit einer deutschen Frau erwischt worden waren; Franzosen hatten eine gewisse Chance, die Lagerstrafe zu überleben.
Soweit einige Splitter am Rande -
Schöne Grüße
MM