Interessantes Interview

…im Spiegel Nr. 9 vom 24. 2. 03

mit Odo Marquard. Mal aus dem Zusammenhang genommen haben mich
2 Dinge beeindruckt. Zum einen sagt er sinngemäß: „im Grunde
ist der Mensch ein Taugenichts“ und zum anderen "eigentlich ist
der Mensch auf der Welt, um glücklich zu sein…letztenendes.

Vielleicht hat es jemand gelesen und findet es auch so gut…:smile:

Herzl. Grüße
d.

Hi Dilarah,

„im Grunde
ist der Mensch ein Taugenichts“ und zum anderen "eigentlich
ist
der Mensch auf der Welt, um glücklich zu sein…letztenendes.

das Interview hab ich nicht gelesen, aber das was Du oben schreibst kommt einigen Gedanken Epikurs recht nahe.

Gandalf

Hi Gandalf.

das Interview hab ich nicht gelesen, aber das was Du oben

schreibst kommt einigen Gedanken Epikurs recht nahe.

…tja…ist halt alles schon ge/durchdacht…:smile:

Grüsse
d.

naja, ob Epikur das mit dem taugenichts so unterschrieben hätte?

Marquard formulierts köstlich, vordergründig auch sehr attraktiv…wie immer bei ihm (von ihm stammt ja das herrliche Wort von der Philosophie, die Inkompetenzkompensationskompetenz sei…). Hat hier jemand die beiden reclam-Essay-Sammlungen von marquard gelesen? Was haltet ihr von ihm?

Marquard
Hallo,

Was haltet ihr von ihm?

ich schätze Marquard sehr, seinen Skeptizismus, seine Habermaskritik, auch seine Formulierkünste und vor allem natürlich, dass er als der Doktorvater von Gerd B. Achenbach 1981 Gründung der weltweit ersten philosophischen Praxis unterstützt und gefördert hat. Seine Habilitatioinsschrift von 1963 („Über die Potenzierung der Transzendentalphilosophie. Einige philosophische Motive eines neueren Psychologismus in der Philosophie“) erschien unter dem Titel „Transzendentaler Idealismus, romantische Naturphilosophie, Psychoanalyse“ zwar erst 1986, aber gerade rechtzeitig, um mich selbst nach nachhaltig zu prägen - und letztlich um mich dazu zu bringen, selbst eine Praxis zu eröffnen. Sein Buch ist Pflichtlektüre geworden.

Da ich selbst zwar logischerweise nicht der Ritterschule angehöre (weil Ritter schon 1974 gestorben ist), wohl aber noch bei Blumenberg hören durfte, den Marquardt auch zu seinen Lehrern zählt, fühle ich mich dieser Art des Philosophieren schon ziemlich nahe, auch wenn zwischen uns eine ganze Generation liegt - eigentlich sogar zwei.

Kritisieren würde ich seinen „Abschied vom Prinzipiellen“ (so ein Reclam-Titel), den er zwar positiv zu deuten sucht, der aber letztlich seine Skepsis zu einem Konservativismus führt, den ich nicht teilen kann - zu einer neuen Art von „Schein-Gemütlichkeit“. Er hat zwar nicht unrecht damit, dass wir als Menschen auch ein Recht auf Kritiklosigkeit haben, aber wir sollten dieses Recht nicht überstrapazieren, meine ich. In der Person Marquards relativiert sich das wieder, weil er dieses Verhalten ja selbst nicht verinnerlicht, aber wenn er das auch für andere propagiert, die sich in der Folge vielleicht nicht mehr wirklich bemühen, habe ich Bedenken.

Seine Berufung auf das Glück, scheint mir eher ein Zeichen seiner Resignation zu sein - und ist insofern ganz und gar nicht epikureisch. Seine Analysen sind zwar ohne Zweifel scharf und hochinteressant, verleiten aber vielleicht zu sehr zum „Sichgehenlassen“. Sein Plädoyer für einen allgemeinen Pluralismus zeigt aber vielleicht, dass er seine Position eben doch nicht universalisieren möchte. Das hätte für ihn die merkwürdige Konsequenz, dass sein Pluralismus eben doch nicht wie gefordert allgemein wäre. Aber in dieser Zwiespältigkeit lebt wohl naturgemäß jeder echte Skeptiker - und Marquard ist möglicherweise einer der letzten Vertreter dieser Spezies.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo,

Seine Berufung auf das Glück, scheint mir eher ein Zeichen
seiner Resignation zu sein - und ist insofern ganz und gar
nicht epikureisch. Seine Analysen sind zwar ohne Zweifel
scharf und hochinteressant, verleiten aber vielleicht zu sehr
zum „Sichgehenlassen“.

Dem kann ich zwar nicht ganz zustimmen was das „Sichgehenlassen“
betrifft, denn er vertritt ja auch die Meinung er selber sei keiner mit „Weltbeglückungsplänen“.

Aber in dieser Zwiespältigkeit
lebt wohl naturgemäß jeder echte Skeptiker - und Marquard ist
möglicherweise einer der letzten Vertreter dieser Spezies.

Und ich dachte immer, die Skeptiker sterben nie aus…:smile:

Noch ein Satz aus dem Interview, der mich nahezu berühert hat:
„Die Menschen sind viel zu zerbrechlich, um sich die Totalnegativierung des wirklichen Lebens, diesen permanenten
Luxus des Krisenstolzes leisten zu können.“

Jedenfalls nehm ich mir die Reclam-Empfehlung auf jeden Fall

  • äußerst interessiert - mal vor.

Herzl. Grüße
d.

dagegen …
… setze ich:

„Die Menschen sind viel zu zerbrechlich, um sich die Totalnegativierung des wirklichen Lebens, diesen permanenten Luxus des Krisenstolzes leisten zu können.“

Die Menschen sind viel zu komplex, um sich der Einfalt eines krisenlosen Lebens hinzugeben
und zu stolz, um auf den Luxus eines mehr als bloß wirklichen Lebens zu verzichten

Gruß

Metapher

1 Like

Für die, die den Text nicht kennen! (Link)
Hallo,

hier steht das Interview online:

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,237523,00.html

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Nachfrage
Hallo nochmal,

Dem kann ich zwar nicht ganz zustimmen was das
„Sichgehenlassen“ betrifft, denn er vertritt ja auch die
Meinung er selber sei keiner mit „Weltbeglückungsplänen“.

du kannst gerne anderer Meinung sein, nur verstehe ich deinen Einwand nicht ganz. Worin genau stimmst du mir denn nicht zu?

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Das Problem
Hallo,

Die Menschen sind viel zu komplex, um sich der Einfalt eines
krisenlosen Lebens hinzugeben
und zu stolz, um auf den Luxus eines mehr als bloß wirklichen
Lebens zu verzichten

dem kann ich grundsätzlich schon zustimmen, aber ich meine, dass es viele Menschen gibt, die von dieser ihrer Komplexität nichts wissen (oder nichts wissen wollen). Und gerade an dieser Stelle scheint mir die Position Marquards janusköpfig. Denn einerseits hat er natürlich Recht, dass man niemanden zwingen kann und soll, andererseits muss man schon das Bewusstsein für die Möglichkeiten von „Kritik“ (im ganz allgemeinen Sinn) erst öffnen - was dann leider häufig als Bevormundung interpretiert wird. Niemand, der nicht die Notwendigkeit von lebenslangem Lernen wirklich eingesehen hat, gibt eben gerne zu, noch etwas lernen zu können (oder gar lernen zu müssen). Und ich denke, dass gerade diese (nicht unproblematische) Einstellung vieler Menschen das Problem ist.

Herzliche Grüße

Thomas

Hallo nochmal,

Dem kann ich zwar nicht ganz zustimmen was das
„Sichgehenlassen“ betrifft, denn er vertritt ja auch die
Meinung er selber sei keiner mit „Weltbeglückungsplänen“.

du kannst gerne anderer Meinung sein, nur verstehe ich deinen
Einwand nicht ganz. Worin genau stimmst du mir denn nicht zu?

Lies bitte o.g. nochmal: Verleitung zum „Sichgehenlassen“, dies schrieb und meinte ich.

Herzliche Grüße

Dilarah

… setze ich:

Die Menschen sind viel zu komplex, um sich der Einfalt eines
krisenlosen Lebens hinzugeben
und zu stolz, um auf den Luxus eines mehr als bloß wirklichen
Lebens zu verzichten

-))) ja auch das stimmt, m.E. nach liegt die Betonung bei

Marquard aber auf dem Wort PERMANENT…und das ist wohl wahr.

Herzl. Gruß
Dilarah

Hallo Dilarah,

Lies bitte o.g. nochmal: Verleitung zum „Sichgehenlassen“,
dies schrieb und meinte ich.

das Wort „Verleitung“ kann ich in keinem Posting finden, aber ich denke, du möchtest der These widersprechen, dass Marquard zum Sichgehenlassen verleitet, mithin die Gegenthese aufstellen, dass Marquard nicht zum Sichgehenlassen verleitet.

Ich denke, dass er selbst das auch so sieht, allerdings haben manche Theorien unbeabsichtigte Nebenfolgen, und eine Nebenfolge der Theorie von Marquard könnte eben sein, dass jemand sich durch sie zum Sichgehenlassen verleitet fühlt.

Das allein freilich reichte noch nicht, um Marquard daraus einen Vorwurf zu machen (was ich auch gar nicht wollte), aber dass zumindest die Gefahr besteht (und dass in der Folge Marquard intensiver darauf hinweisen müsste), halte ich für „nicht meinungsfähig“, womit ich sagen will, dass eine solche Gefahr natürlich immer besteht und insofern meine Kritik auch andere Texte (etwa die von Habermas) träfe.

Der Punkt ist m. E. folgender: Marquard stilisiert das Glücksstreben als Rückzug - und die Folgen eines Rückzugs können genau so groß sein, wie die Folgen aktiven Handelns. Wo Marquard also Habermas selbst kritisiert, hat er m. E. schon Recht, aber er verfällt selbst in das entsprechende Gegenteil (nicht in der Person, wohl aber in der Theorie).

Siehst du das gänzlich anders?

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Da ich selbst zwar logischerweise nicht der Ritterschule
angehöre (weil Ritter schon 1974 gestorben ist), wohl aber
noch bei Blumenberg hören durfte, den Marquardt auch zu seinen
Lehrern zählt, fühle ich mich dieser Art des Philosophieren
schon ziemlich nahe, auch wenn zwischen uns eine ganze
Generation liegt - eigentlich sogar zwei.

Kritisieren würde ich seinen „Abschied vom Prinzipiellen“ (so
ein Reclam-Titel), den er zwar positiv zu deuten sucht, der
aber letztlich seine Skepsis zu einem Konservativismus führt,
den ich nicht teilen kann

Me too!

  • zu einer neuen Art von

„Schein-Gemütlichkeit“. Er hat zwar nicht unrecht damit, dass
wir als Menschen auch ein Recht auf Kritiklosigkeit haben,
aber wir sollten dieses Recht nicht überstrapazieren, meine
ich. In der Person Marquards relativiert sich das wieder, weil
er dieses Verhalten ja selbst nicht verinnerlicht, aber wenn
er das auch für andere propagiert, die sich in der Folge
vielleicht nicht mehr wirklich bemühen, habe ich Bedenken.

Hallo Thomas Miller

das halte ich für eine sehr gute Entgegnung.

Seine Berufung auf das Glück, scheint mir eher ein Zeichen
seiner Resignation zu sein - und ist insofern ganz und gar
nicht epikureisch. Seine Analysen sind zwar ohne Zweifel
scharf und hochinteressant, verleiten aber vielleicht zu sehr
zum „Sichgehenlassen“. Sein Plädoyer für einen allgemeinen
Pluralismus zeigt aber vielleicht, dass er seine Position eben
doch nicht universalisieren möchte. Das hätte für ihn die
merkwürdige Konsequenz, dass sein Pluralismus eben doch nicht
wie gefordert allgemein wäre.

Ist aber nicht genau das das Problem aller metakritischen verfahren (als die wir Marquards Ansatz wohl doch bezeichnen können)? Letztlich das Problem aller Postmoderne? WENN verallgemeinerbar, DANN ist das Ergebnissen in All-Sätzen formulierbar, ist referierbar, wiederholbar usf. Und entspricht somit dem klassischen Wissenschaftsbild, was doch gerade zu dekonstruieren war.

Was nicht bedeutet: Marquard ist widerlegt, peng! Im Gegenteil: Vieles ist mir sympathisch (wie Ihnen auch!), sein - tolle Metapher! - Polytheismus, sein Abweisen der sklavischen Rechtfertigungssucht (ich nenns mal: Plädoyer für LOCKERHEIT, Lockerheit jetzt bitte nicht im Werbeagentur-„kreativitäts“-Sinn verstehen)…und, hast Du Dich heute auch brav gerechtfertigt? (was, wenn nicht? Gibts dann Haue mit´m Philosophenrohrstock?), seine kritischen Reflektionen über das Anklagen…alles das ist mir mehr als plausibel.

Aber in dieser Zwiespältigkeit

lebt wohl naturgemäß jeder echte Skeptiker - und Marquard ist
möglicherweise einer der letzten Vertreter dieser Spezies.

Nee, die wirds immer geben. Weils eines der Grundmodelle philosophischen Denkens ist. Zum Glück! Sage sogar ich, der ja letztlich doch, gegen Marquard, so etwas wie ein „massive central core of human rationality“ (Strawson, kritischer Metaphysiker) (re)aktivieren will.

herzliche Grüße

Hartmut

Hallo Thomas,

Der Punkt ist m. E. folgender: Marquard stilisiert das
Glücksstreben als Rückzug - und die Folgen eines Rückzugs
können genau so groß sein, wie die Folgen aktiven Handelns. Wo
Marquard also Habermas selbst kritisiert, hat er m. E. schon
Recht, aber er verfällt selbst in das entsprechende Gegenteil
(nicht in der Person, wohl aber in der Theorie).

Siehst du das gänzlich anders?

Gänzlich anderes nicht, aber (zumindest im Spiegel) erklärt
er sich dahingehend, das er keineswegs eine Ermutigung zum
ständigen Glücklichsein geben will, sondern nur eine hin und
wieder sich selbst (dem Menschen) zugestehende Entspannung (Zitat "angesichts der ewigen Anstrengung, es als endl. Wesen mit dem Absoluten, mit dem Ganzen und Endgültigen aufzunehmen - dazu taugen wir nicht).

Vielen Dank für Dein Posting.

Herzl. Grüße
d.

Herzliche Grüße

Thomas Miller