Salut Joanne,
Drushba!
Ich unterstelle mal, daß diese Formulierung:
Reflektiert doch mal ein bisschen.
evendöll mit der langue maternelle zu tun hat? Unter diesen Umständen übergeh ich mal den Caporalston und erzähl janz unreflektiert folgendes:
Kunst ist immer Absicht und immer frei.
Jeder noch so verstümmelte Mensch (ich meine das wörtlich, Grüsse von Meister Riemenschneider) wird kunst-schaffenderweise Person, oder wenigstens die Möglichkeit einer Person.
Daher ist Kunst eine Möglichkeit, mitten im Falschen der Denkbarkeit eines richtigen Lebens zu begegnen.
Et is verdamp lang her, dass ich zuletzt Zinkplatte, Säurewanne und Stichel in der Hand gehabt habe, aber ich glaube Bruder Goya immer noch zu verstehen, wenn ich seine Desastres anschau.
Ich finde es interessant, wie Beschäftigung (passiv) mit Kunst und ihrem Handwerk, ihrer Geschichte, ihrem Kontext dazu führt, dass man dieser Art von schon fast Mensch Gewordenen in manchmal überraschenden Zusammenhängen Jahrhunderte übergreifend überall begegnet:
Feuchtwanger spricht in seinem „Goya“ vom „idioma universal“.
Ich hab dieses idioma universal mal ziemlich ausgeprägt in Kisslegg beim Schrader erleben dürfen: Shmuel Shapiro hatte sich tagelang rechtschaffen bemüht, einigen Damen den Weg weg vom „Dekorativen“ nahezubringen. Seine Lieblingsdame war ganz unglücklich, weil ihm an einem eigentlich gut angelegten Werk von ihr immer noch etwas fehlte - und er gleichzeitig dieses Werk so gut fand, dass er sie nicht was anderes anfangen ließ. Irgendwann abends hatte sie dann ziemlich bitter den Pinsel hingeschmissen und irgendwas ganz Grausames mitten in den Malgrund reingekleckst. Am anderen Morgen, es war ein strahlender schöner vorderallgäuer Wintermorgen, kam Shapiro auf dem Flur des Schlossgebäudes entlang, sah das Werk des anderen Abends, blieb zuerst verblüfft stehen, und winkte dann breit lächelnd der neu gefundenen Farbe zu, ungefähr so, als würde er morgens im Garten eine Katze begrüßen: „Hell-loo…!“
– Mein Gartennachbar Michel trägt eine böse Schramme auf der Stirn. Im Gegensatz zu einem der bekanntesten deutschen Künstler der zurückliegenden vierzig Jahre hat er sich diese nicht in der StuKa, sondern im Vierzigtonner geholt. Beiden ist gemeinsam, daß typische Spätfolgen von schweren Schädelverletzungen einerseits ein Hang zur Vereinfachung und Abstraktion, andererseits eine weit gehende Enthemmung sind.
Wenn der Michel seine strikt in Reihe gesetzten 12 Stangenbohnen und 6 Zucchini gewässert hat, einen halben Kasten Paulaner gekostet hat, und dann Phantasieverse singend auf der (präzise mittig vor der Laube angeordneten) Bank sitzt, denk ich jedesmal: „Soziale Plastik“ - er ist in diesem Moment ein Künstler, denn was er da draußen tut, ist absichtlich und frei.
Und wenn ich in Monte Oliveto Maggiore die gemalene Benediktslegende anschaue und drüber schmunzle, daß da den im Hintergrund badenden Buben in der Landschaft und bei der Begegnung des Hl. Benedikt mit den Mädels aus dem Bordell letzteren viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet ist als ersterem, denk ich gleich nach dem Schmunzeln: Die Schönheit dieser Fresken liegt darin, daß sie absichtlich und frei so gemalt worden sind - Rondo con variazioni…
Ähnliches begegnet mir beim Anblick der Madonna von Fontenay, wenn diese mich gleichzeitig spirituell und erotisch so ziemlich überwältigt, und ich mir dann überlege, wie es wohl kommt, daß die vielen Nachmacher, die derlei Skulpturen ca. 1880 versucht haben, niemals mehr zu einem Ausdruck von solcher Schönheit gekommen sind: Sie waren nicht frei, und was sie geschaffen haben, war nicht primär Absicht.
Soviel zum Idioma universal - es ist sicher nur ein kleines Splitterchen von dem, was dazu zu sagen wäre.
Schöne Grüße
MM