Ist Berlin hermetischer geworden?

Hallo!

Im Duden nachgeschlagen

so dicht, verschlossen, dass nichts eindringen oder austreten kann

Passt „hermetisch“ in diesem Kontext rein? Viele Leute ziehen nach Berlin. Die Stadt wird lauter und durchlässiger und nicht hermetischer, oder?

Träumer? »Eher Realisten«, sagt
Fischer. Vor allem Berliner, die merkten,
dass ihre Stadt sich verändert
habe, immer lauter, hermetischer, teurer
werde. Spätestens durch Corona
habe sie »für viele als Lebensmittelpunkt
an Bedeutung verloren«.

Hi Nadja.
„isolierter“, „steriler“ oder „a(nti)septischer“ würde vielleicht besser passen.

Ich muss immer den Kopf schütteln , wenn sie in Filmen „den Luftraum hermetisch abriegeln“

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Halb-OT: Berlin ist ein linkes Shithole geworden :grin:

Vier Achtel OT:

Berlin ist so groß, dass es verschiedenste Shithols hat: rechte, linke, reiche, arme, weiße, schwarze und alle Graustufen und Farbschattierungen dazwischen.

OT:

Schon vor über 100 Jahren schrieb der Kunstkritiker Karl Scheffler: Berlin sei „dazu verdammt: immerfort zu werden und niemals zu sein“. (Ich las mal, dass er das Zitat selbst nur von einem Stadtchronisten übernommen habe.) Damit ist gemeint, dass sich Berlin stets weiter entwickelt hat. Sie war schon immer ein Moloch mit hoher Einwanderungsquote und sich wandelnder politischer, künstlerischer, sprachlicher und wirtschaftlicher Einflüsse. Und so wirkt Berlin alle paar Jahrzehnte wie eine neue Stadt.

Das klingt für mich nach der Beschreibung durch einen Menschen, der nicht gut mit Veränderungen umgehen kann. Der am liebsten keinen Wandel erleben möchte und am liebsten im Gestern hängen geblieben wäre. Da ist er aber in Berlin falsch. Und es gibt Menschen, die hätten ihm das schon vor Jahrzehnten sagen können.

Selten habe ich so einen pauschalen Unsinn gehört.

Aber zurück zum eigentlich nachgefragten Wort „hermetisch“. Ja, damit ist ein kompletter Abschluss gegenüber der Umwelt gemeint. Und nein, dass trifft werden auf Berlin als Stadt, noch auf die Menschen zu. Wer das nicht glaubt, sollte heute (bei schönem Wetter und Wärme) mal durch den Mauerpark schlendern, durch die Restaurant-Straßen im Friedrichshain, durch die Stadt- und Strandbäder oder einfach nur durch die Parks. Hier ist nichts hermetisch abgeschlossen. Ähnlich wie in anderen Teilen der Welt erwacht die Stadt wieder, lassen die Menschen die Hemmungen fallen, die Corona ihnen auferlegt hatte.

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Punkt 1: Ich habe den Begriff in diesem Zusammenhang noch nie gehört, finde es schwierig ihn diesbezüglich zu interpretieren und daher mag es sein, dass ich mit Punkt 2 daneben liege :wink:
Punkt 2: Wenn ich mir den Originalsatz in diesem kurzen Zusammenhang ansehe, dann kann ich zu einer Interpretation kommen, die man durchaus auf eine Stadt wie Berlin anwenden könnte (ob sie zutrifft, steht auf einem ganz anderen Blatt): Von besonders hippen Metropolen, wie Berlin eine nach der Wiedervereinigung geworden ist, sagt man regelmäßig, dass ihre Weltoffenheit nicht nur mit dem auf Dauer angelegten Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen, sondern insbesondere auch dem Durchzug von Fremden zusammenhängt. D.h. da ist ein großes „dynamisches Moment“. Da sind nicht nur Nadja, Ali und Costa vor zig Jahren mal auf der Suche nach Arbeit gelandet und haben sich jetzt ggf. in einem selbst gewählten Ghetto auf Dauer eingerichtet, sondern da gibt es Studenten, die nur mal für ein Semester kommen, Lebenskünstler, die ständig auf gepackten Koffern sitzen, Politiker, die nur für eine Legislaturperiode im Bundestag sind, Projektmitarbeiter der mehr oder weniger großen Firmen, die nur für ein oder zwei Projekte mit einigen Monaten oder Jahren in die Stadt kommen, … Diese „nicht auf Dauer“ angelegte Migration schafft ein besonderes Umfeld. Wenn ich weiß, dass ich nur für eine absehbare Zeit vor Ort bin, will ich in der Zeit möglichst viel erleben und mitnehmen, finde ich für meine spezielle Situation ggf. eben auch nur auf Zeit angelegte Beziehungen, …

Der Begriff „hermetisch“ dürfte dann eine gewisse Erstarrung beschreiben, bei der diese Dynamik verloren geht und damit dann eben auch der damit verbundene Teil der besonderen städtischen Lebenskultur. D.h. die Leute werden vor Ort sesshaft, geraten mehr in den üblichen Alltagstrott, gehen feste Beziehungen ein, planen langfristig vor Ort, … Z.B. merkt man dann eben, dass es zwar für drei Monate mal ganz hipp war, in einem Szeneviertel in einer ziemlich abgewrackten Wohnung gehaust zu haben, man dann aber doch lieber das ruhige und komfortable Einfamilienhaus sucht, um Familie zu gründen.

Dazu passt dann auch gut der 2. Satz, wonach „Berlin für viele als Lebensmittelpunkt an Bedeutung verloren habe“. In dieser besonders hippen Phase war der Wohnort Berlin ein Statement und Statussymbol. Viele Menschen glaubten, dass man „nur in Berlin wohnen könne“, wenn man etwas erleben und beim Zeitgeist ganz vorne mitmischen wollte. Und jetzt haben sie angesichts Homeoffice während Corona erkannt, dass es eigentlich vollkommen egal ist, von wo aus man den doch ganz erheblichen Teil seines Lebens - die Arbeit - verrichtet. D.h. niemand kann mehr stolz erzählen, dass er jetzt in Berlin arbeitet, weil das eben nur der Küchentisch in der kleinen Altbauwohnung ist, die auch in Mannheim oder Duisburg liegen könnte.