Ist das Christentum antisemitisch?

Judas, der typische Jude
Hallo,

dass einige oder viele die Sache nicht so sehen, wie ich sie sehe, sehe ich ein. Sie sehen eben anders als ich.
Ich sehe ja auch manches anders als andere es sehen.

Meinen Gedankengang zu erklären, dies:

Wenn in einer tendenziösen, russischen Geschichte ein richtig böser, fieser, gemeiner Deutscher auftritt, so heißt der kaum Ferdinand, Georg, Johann oder Peter, sondern eher Fritz, Willi, Adolf, Herrmann oder Heinrich.

Und umgekehrt wird ein richtig böser, fieser, gemeiner Russe in einer tendenziösen deutschen Geschichte kaum Nikolaj, Alexandrej. Fjodor oder Pjotr heißen, sondern eher Iwan oder Josip.

Da geht die Übertragung zwar in anderer Richtung; der eine oder andere böse Einzelfall wird zum Eponym für einen typischen Vertreter eins Volkes, während bei Judas ein typischer Name eines Volkes zur Darstellung eines negativen Musters dient und zugleich für die Verunklimpfung des ganzen Volkes.

Ich habe einige Bekannte, denen das einleuchtet. Aber es ist nicht meine Absicht, jemand zu meiner Sicht der Dinge zu bekehren.

Suum cuique!

Gruß Fritz

Hallo Fritz,

ich stimme Dir völlig zu, daß Judas oft für die negative Stereotypen-Bildung bezgl. Judentum herhalten mußte bzw. herhalten muß.
Es kommt ja nicht von irgendwoher, daß man in der Umgangsprache vom „Judaskuß“ oder vom „Judaslohn“ spricht.

Viele Grüße

Iris

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Liebe Iris, lieber Fritz,

je länger ich darüber nachdenke, desto unwahrscheinlicher finde ich, dass es für den Judas eine historische Vorlage gegeben hat.
Abgesehen davon, dass der Prozess Jesu überhaupt nicht rekonstruierbar ist, weil die Verhandlungen vor dem Synhedrium allen jüdischen Prozessvorschriften widersprechen (Ja, ich weiß, die sind im Talmud erst Jahrhunderte später kodifizert worden, abe die Vorschriften des Talmuds sind eben nicht plötzlich entstanden), ist ja immer wieder gefragt worden, warum Judas Jesus verraten haben sollte. Es hat darauf keine einleuchtende rationale Antwort gegeben. Auch die Frage, was Judas denn verraten habe, ist unbeantwortet geblieben.
Auch ist festzustellen, dass die Gestalt des Judas im Lauf der Zeit von Evangelist zu Evangelist immer negativer und unschöner gezeichnet wird - bis hin zu Johannes, der ihn als Dieb schildert.

Für mich bleibt da nur ein Schluß zwingend: In der Gestalt des Judas haben die Evangelisten das jüdische Volk personifizieren wollen, das Jesus nicht als den Messias anerkennen wollte. Daher auch der Name, wobei festzuhalten bleibt, dass es noch einen zweiten Jünger mit Namen Judas gab und dass auch ein Bruder Jesu diesen namen trug.

Das ist jetzt einfach mal so schnell dahingeschrieben; ich habe es noch nicht in einer Einzelexegese der Texte verifiziert. Das kömmt aber noch.

Grüßean Euch - Rolf

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Liebe Iris, lieber Rolf,

ich freue mich, dass es auch hier Leute gibt, die meine Gedankengänge als nicht ganz und gar abwegig einschätzen.

Der ganze Bericht der Passion, angefangen vom Einzug auf dem Esel bis zu den Erscheinungen des Auferstandenen, sind so unlogisch und verwickelt geschildert, dass es schon einer gewaltigen Naivität und Leichtgläubigkeit bedarf, um sie als historisch anzusehen.

So „musste“ Jesus auf einem Esel in Jerusalem einziehen, weil die Evangelisten das Vorbild der Inthronisation Salomons nachzeichneten.

Jesus „musste“ in Bethlehem geboren werden, weil David dort geboren wurde.

Die Worte der Stimme vom Himmel bei der Taufe Jesu sind ein reines messianisches bekenntnis.

Und so ist das bei vielen anderen Details der „Geschichte“ Jesus. Ständig werden Vorstellungen und Aussagen, selbst vermeintliche, über den Messias Jesus aufs Auge gedrückt, um nachzuweisen DERDA IST der MESSIAS!

Beste Grüße
Fritz

Lektüre-Hinweis
Lieber Rolf,

wenn Du mal ganz viel Zeit und Nerven hast, dann empfehle ich Dir folgendes Buch von Chaim Cohn:
„Der Prozeß und der Tod Jesu aus jüdischer Sicht“
im Jüdischen Verlag.
ISBN 978-3458344308 Buch anschauen

Nach der Staatsgründung Israels erhoben christliche Theologen Klage wegen des Justizmordes an Jesus. Chaim Cohn hat die Quellen gesichtet, geordnet und kommentiert, was jeweils aus der Sicht des jüdischen sowie des römischen Rechts dazu zu sagen ist. Was kann wie stattgefunden haben oder auch nicht?

Er war kurze Zeit Generalstaatsanwealt am Obersten Gerichtshof von Israel und auch Justizminister.

Eine sehr lohnende Lektüre!

Viele Grüße

Iris

[MOD: Link zur Literaturangabe eingefügt]

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Heuchler
Ich finde die Aussage, dass der Papst unfähig ist, „antisemitische Tendenzen“ zu unterdrücken, beleidigt einerseits den Papst durch die Behauptung seiner „Unfähigkeit“ und nebenbei werden implizit Teile der Kirche wie selbstverständlich als antisemitsch bezeichnet.

Das ist bei weitem schlimmer, als einfach nur „das sind Antisemiten“ zu sagen. Da ist nichts überspitzt, eher sogar noch vereinfacht.

Außerdem finde ich es höchst heuchlerisch, den Katholen die „Erleuchtungsformel“ als Vorwurf zu machen, und im selben Atemzug das eigene Volk als das allerwertvollste und allen Christen total überlegen darzustellen.

Alle Absolutheitsaussprüche sind mit Vorsicht zu geniesen. Klar, wenn einer zu mir kommt, und behauptet, ich wäre die Krone der Schöpfung oder gehörte zum von Gott auserwählten Volk, ist die Versuchung sehr groß, da einfach dran zu glauben, aber die aus dieser Versuchung resultierende Verblendung ist meistens das was Kriege und Hass erzeugt.

Nick

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BS"D

Hallo Nick.

Ich finde die Aussage, dass der Papst unfähig ist,
„antisemitische Tendenzen“ zu unterdrücken, beleidigt
einerseits den Papst durch die Behauptung seiner „Unfähigkeit“

Mh, du must schon entschudligen, dass Nichtkatholiken den Papst nicht als unfehlbar ansehen und somit mit dieser normalen menschlichen Eigentschaft ausstatten. In diesem Sinn kann ich darin keine Beleidigung erkennen :wink:

und nebenbei werden implizit Teile der Kirche wie
selbstverständlich als antisemitsch bezeichnet.

Willst du das etwa bestreiten, dass es diese Teile in der Kirche gibt? Daraus folgt aber noch lange nicht deine Verallgemeinerung.

Das ist bei weitem schlimmer, als einfach nur „das sind
Antisemiten“ zu sagen. Da ist nichts überspitzt, eher sogar
noch vereinfacht.

Warum ist das schlimmer?

Außerdem finde ich es höchst heuchlerisch, den Katholen die
„Erleuchtungsformel“ als Vorwurf zu machen, und im selben
Atemzug das eigene Volk als das allerwertvollste und allen
Christen total überlegen darzustellen.

Aha, woher hast du nun wieder diese Weisheit? Wo steht davon etwas in dem Homolka Artikel? Oder meinst du mich? Wie dem auch sei, nach der jüdischen Lehre ist die Auserwählung keine Erhebung und nicht ausschliesslich. Es wird dabei sogar gelehrt, dass das jüdische Volk auserwählt wurde, weil es so gering und normal ist. Von deiner angenommenen Überlegenheit findest du da nichts.

Alle Absolutheitsaussprüche sind mit Vorsicht zu geniesen.

Welche es so im Judentum eben nicht gibt.

Klar, wenn einer zu mir kommt, und behauptet, ich wäre die
Krone der Schöpfung oder gehörte zum von Gott auserwählten
Volk, ist die Versuchung sehr groß, da einfach dran zu
glauben, aber die aus dieser Versuchung resultierende
Verblendung ist meistens das was Kriege und Hass erzeugt.

Nu, die Juden sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die ganze Menschheit.

Und warum bin ich nun ein Heuchler???

und nebenbei werden implizit Teile der Kirche wie
selbstverständlich als antisemitsch bezeichnet.

Willst du das etwa bestreiten, dass es diese Teile in der
Kirche gibt? Daraus folgt aber noch lange nicht deine
Verallgemeinerung.

Genau das ist das Hinterhältige. Was der Rabbi da behauptet, ist wahr oder zumindest noch recht nahe an der Wahrheit.

Die Formulierung „Benedikt hat die antisemitischen Tendenzen der Kirche nicht im Griff“ ist aber bewusst so gewählt, dass für den typischen oberflächlichen Zuhörer, nur die Worte „antisemitisch“ und „Papst Benedikt“ ankommt.

Nimm die scheinbar harmlose Formulierung und die Tatsache, dass die allermeisten Nachrichtenkonsumenten nur oberflächlich zuhören zusammen, und du hast eine sehr sehr böse antichristliche Aussage.

Alle Absolutheitsaussprüche sind mit Vorsicht zu geniesen.

Welche es so im Judentum eben nicht gibt.

Immer das Spiel mit Formulierungen. Die Politiker sagen auch immer „Das hab ich so nicht behauptet“…

Klar, wenn einer zu mir kommt, und behauptet, ich wäre die
Krone der Schöpfung oder gehörte zum von Gott auserwählten
Volk, ist die Versuchung sehr groß, da einfach dran zu
glauben, aber die aus dieser Versuchung resultierende
Verblendung ist meistens das was Kriege und Hass erzeugt.

Nu, die Juden sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die
ganze Menschheit.

Und warum bin ich nun ein Heuchler???

Zwei Missverständnisse:
Ich bezog „Absolutheitsansprüche“ auf die Eigenschaft aller Religionen, überzogene Absolutheitsansprüche zu stellen, und „Heuchler“ war auf den Rabbi gezielt.

Nick

BS"D

Genau das ist das Hinterhältige. Was der Rabbi da behauptet,
ist wahr oder zumindest noch recht nahe an der Wahrheit.

Seit wann ist Wahrheit nun hinterhältig und Heuchelei?

Nimm die scheinbar harmlose Formulierung und die Tatsache,
dass die allermeisten Nachrichtenkonsumenten nur oberflächlich
zuhören zusammen, und du hast eine sehr sehr böse
antichristliche Aussage.

LOL, es darf also wegen der Trivialität der Massen niemand mehr die Wahrheit sagen, weil sie missverständlich ist?

Immer das Spiel mit Formulierungen. Die Politiker sagen auch
immer „Das hab ich so nicht behauptet“…

Du hast etwas in dem Raum gestellt, dem ich widersprochen haben. Was hat das nun mit Formulierungen zu tun?

Zwei Missverständnisse:
Ich bezog „Absolutheitsansprüche“ auf die Eigenschaft aller
Religionen, überzogene Absolutheitsansprüche zu stellen

Das ist schön, nur wird deine Aussage dadurch nicht wahrer, da es offensichtlich Religionen gibt, auf die diese Aussage so nicht zutrifft.

und „Heuchler“ war auf den Rabbi gezielt.

Weil er die Wahrheit benennt?

Es tut mir leid, du hast hier Urteile gefällt, welche aus meiner Sicht nicht einmal im Ansatz zulässig sind. Es wäre aus meiner Sicht hier angebracht, dass einzusehen und sich zu entschuldigen.

Ich entschuldige mich.

Es tut mir leid, du hast hier Urteile gefällt, welche aus
meiner Sicht nicht einmal im Ansatz zulässig sind. Es wäre aus
meiner Sicht hier angebracht, dass einzusehen und sich zu
entschuldigen.

Scheiss Zwickmühle, die Du da aufmachst:
Entweder ich entschuldige mich und gebe damit zu, dass Ich als Teil aller Christen ein Antisemit bin, oder ich entschuldige mich nicht und bin bockig.

Also gut, ich gebe es zu: Die Juden sind das auserwählte Volk. Keiner, erst recht nicht der Papst hat das Recht, das auserwählte Volk zu belehren. Wir Christen haben alle unsere antisemitischen Tendenzen nicht unter Kontrolle.

Zufrieden?

Nick

Hallo!

Warum muss man als Christ einen Juden bekehren? Jeder hat das Recht seine Religion so zu leben wie er es selbst für richtig hält.
Wir Christen glauben, dass Jesus der Messias ist, das genügt vollkommen. Jede Religion hat ihren eigenen Lehren. Ich finde es sehr anmaßend, dass wir andere Religionen nicht so sein lassen können wie sie sind. Auch Priester die einen andersgläubige Mitmenschen bekehren müssen, finde ich nicht gut, denn sie sollten sich lieber um das Seelenheil der eigenen Schäfchen bemühen und diese, wenn sie in Not sind, mehr unterstützen. Denn Gott selbst lässt ja jeden Menschen seine eigenen Entscheidungen treffen und mischt sich auch nicht drein. Außerdem mischt sich ein guter Christ nicht in das Leben seines Nächsten ein. Das steht ihm nämlich nicht zu.

Ist es antisemitisch, wenn man als Katholik Juden davon

überzeugen will, dass Jesus nicht nur irgendein Rabbi sondern
der Messias ist?

Gruss

Petra Herbst

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo!

Hallo Petra
„Geht hin zu allen [!] Völkern, macht sie zu Meinen Schülern, tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was Ich euch aufgetragen habe.“
(Mt 28,19)

Gruss
Mike

BS"D

Zufrieden?

Nein, du hast nichts verstanden…

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Hallo,

Die Formulierung „Benedikt hat die antisemitischen Tendenzen
der Kirche nicht im Griff“ ist aber bewusst so gewählt, dass
für den typischen oberflächlichen Zuhörer, nur die Worte
„antisemitisch“ und „Papst Benedikt“ ankommt.

nach der Logik dürfte man überhaupt nichts sagen, ein oberflächlicher Zuhörer kann alles überall hineininterpretieren.

Kati

Lieber Rolf,
eher zufällig entdecke ich, voll Erstaunen, diese Diskussion.
Die These eines nicht-historischen Judas, der zudem gleich das gesamte jüdische Volk (!) bei allen Evangelisten (!) personifizieren soll, ist doch extrem steil, offensichtlich auch in der gesamten Antike von niemanden (!) so verstanden worden. Das finde ich schon arg eigenartig, die Gnostiker haben es nicht kapiert, die Evangelisten mit ihren höchst unterschiedlichen theologischen Konzepten haben es nicht kapiert (oder eben doch), ja, hier wird sich noch nicht einmal intratextual Gedanken darüber gemacht, ob den einer der Autoren sich überhaupt mal einer derartigen Symbolik bedient, sondern es hört sich eben gut an Judas-Juden???
Ich bin höchst erstaunt.
Natürlich ist es hier eine Henne-Ei-Frage, aber jeder solide historisch-kritische Exeget kann die hier vertretene These kaum als verifizierbar ansehen - es fehlt jeder literarische Anhaltspunkt. Auch ansonsten kennt die Literatur keinen Judas, der das jüdische Volk repräsentieren soll.
Ein Verrat (und sei es „unglaub“) aus dem Kreis der engsten Anhänger ist ja nun eher mehr als wahrscheinlich und woher, wenn nicht aus diesem Kreise, sollte eigentlich ein Anklagepunkt nach Römischen Recht gekommen sein??? Und wenn nun mal Judas ein Allerweltsname war?
Höchst erstaunte, nachösterliche Grüße
Taju

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warum Judas Jesus verraten haben sollte.

wegen dem Geld, das er dafür bekam; es könnten aus historischer Sicht weitere Motive als möglich angesehen werden, bspw. um Jesus mit Gewalt zu konfrontieren, herauszufordern, damit das irdische Reich Israel endlich wieder installiert werde oder Ähnliches, aber das sind dann wirklich Spekulationen. Dagegen haben wir die eindeutige Frage des Judas „was wollt ihr mir geben, ich will Ihn euch verraten“ (Mk 15,10)

was Judas denn verraten habe,

den Ort, wo Jesus sich aufhielt, wenn er nicht im Tempel das Volk lehrte, sodass die Häscher Ihn greifen konnten, denn an der Öffentlichkeit war Er nicht zu kriegen, das Volk schützte Ihn, „ja nicht bei dem Fest, damit es keinen Aufruhr im Volk gebe“ (Mk 15,2)
und komm bitte, bitte nicht mit dem Argument, das sei mangelhaft belegt. Es steht auch bei Matth, ist auch die Auslegung von Joh, und was das Alter der Erzählung betrifft, so gehen die meisten Exegeten damit einig, dass es wohl schon vor dem Aufschreiben der Evangelien eine geschriebene Passion gab, zu der diese Stellen gehören dürften. Also bestreite man entweder das Gesamte oder gar nichts, der Rest ist schlicht und ergreifend als Willkür zu bezeichnen.

Grüße an Euch - Rolf

Gruss
Mike

Liebe Taju,

so hoch, wie Du das jetzt ansiedelst, möchte ich die Idee doch nicht hängen; zuerst war es bloß einfach ein Einfall, der selbstverständlich geprüft und erhärtet werden muss.
Es gibt aber einfach ein paar Ungereimtheiten, und die machen einen Exegeten ja immet stutzig.
Die Sache mit den 30 Silberlingen ist höchst verdächtig; diese Summe - exakt! - wird ja in Sach 11, 12 erwähnt, und eine Deckungsgleichheit von Altem und Neuem Testament mit der Erfüllung einer Prophezeiung zu erklären, ist exegetisch frivol. So stehen ja im Grunde alle Stellen, welche eine Erfüllung einer at-lichen Prophezeiung erzählen, a priori unter Verdacht, bis sie auch anders erklärt und bezeugt werden können.

Es bleibt die FGrage, was denn Judas verraten haben soll.
Deine Bemühungen, lieber Mike, in Ehren; sie zeigen aber doch nur die Ratlosigkeit von ganzen Generationen von Exegeten. Sie mussten, weil es Offensichtliches nicht gab, zwangsläufig zu Spekulationen greifen.

In 1. Kor 15, 5 erzählt Paulus von den Erscheinungen des Auferstandenen zuerst vor Petrus und dann vor den Zwölfen. Diese Formel, die Paulus ja eingestandenermaßen übernommen hat und die also sehr alt ist, weiß also wohl nichts von dem durch den Tod des Judasb freigewordenen Platz.
Es sei denn, man hielte „die 12“ für einer so festgeprägten Begriff, dass die wirkliche Zahl unwesentlich ist - es könnten dann auch sieben oder zehn sein; sie blieben „die 12“, wenn sie als Gruppe der Apostel gemeint wären.

Kann es nicht sein, dass „der Verräter Judas“ ein schon vor Markus feststehendes Theologoumenon war, ebenso wie Maria Magdalena und Joseph von Arimathia? Von Letzteren hat Karl Martin Fischer (in „Das Ostergeschehen“) immerhin wahrscheinlich gemacht, dass sich hier der Name des Totengräbers erhalten hat.
Und auch Maria Magdalena lässt sich in den verschiedenen Berichten nicht so richtig fassen; ihre Gestalt schillert und changiert. Sie war aber so bekannt und mit der Überlieferung von Jesus so fest verbunden, dass weder Markus noch ein anderer Evangelist es wagen konnte, sie auszulassen.

Ich will jetzt gewiss nicht der Däniken der Theologie werden, der die gesamte bisherige akademische Bemühung in den Orkus des Irrtums und der Nichtigkeit schleudert - dazu halte ich zuviel von ihr. Aber die Tatsache, dass bisher niemand diesen Gedanken gehabt hat, ist doch nicht von vornherein ein Argument. Oder?

Gruß - Rolf

Nur mal so als kleine Anmerkung - was ich nie so recht verstanden habe ist, warum man diesem Judas den Gegenwert eines ganzen Ackers(!) dafür bezahlte, um zu ‚verrraten‘ wo sich Jeschua mit seiner Gefolgschaft am Abend aufhielt. Etwas, das ja nicht allzu schwierig auszumachen gewesen sein kann. Hätte es nicht gereicht, einen arbeitslosen Eckensteher mit der nicht allzu schwierigen Aufgabe zu beauftragen, Jeschua und seine Jünger (immerhin eine Gruppe von mindestens 13 Männern) für einen halben Tag zu beschatten und dafür - sagen wir mal einen Silberling (statt gleich dreißig) auszugeben? Wenn sich schon kein freiwilliger Glaubenseiferer dafür fand, dies kostenlos zu tun? Jesus und seine Leute gingen ja wohl nicht konspirativ vor, wie die Volksfront von Judäa …

Nein - diese ganze Judas-Geschichte ist als historischer Bericht extrem unglaubwürdig. Ganz offensichtlich spielt hier das erzählerische Moment die entscheidende Rolle - nämlich das Motiv des Verrates ‚aus den eigenen Reihen‘. Dass Judas damit jene Juden verkörpert, die den Messias nicht annehmen wollten, ist für mich offensichtlich. Ob dies nun auch speziell in seinem Namen zum Ausdruck kommt, sei dahingestellt. Allerdings - es ‚passt‘ einfach zu gut, um reiner Zufall zu sein.

Freundliche Grüße,
Ralf

Da kann ich Dir nur Recht geben, Ralf.
Nicht nur ist der Preis von 30 Silberlingen in Sacharla 11, 12f erwähnt, in Jeremia 32, 9 kommt der Kauf eines Ackers vor (Wenn auch um 17 Lot Silber), und Matthäus hat die beiden Stellen zusammengenommen - eine Technik, die im Talmud ständig anzutreffen ist.
Und auch was Deine Überlegungen zum Verrat des Aufenthaltsortes Jesu angeht, pflichte ich Dir bei.

Gruß - Rolf

Lieber Rolf,
ich hoffe, ich antworte hier nicht zu spät.
Natürlich hast Du Recht, gerade Ungereimtheiten, und die gibt es rund um Judas, sollten stutzig machen.
Ich halte es lediglich für höchst unwahrscheinlich, dass Judas das jüdische Volk (negativ) symbolisieren soll. Genauso wie MM ist er eher eine Figur, dessen Name offensichtlich tradiert und dessen Verrat uns eben heute rätselhaft erscheint. Hier könnte er aber der missing link sein, der die Hinrichtung Jesu durch die Römer (!) in irgendeiner Weise erklären könnte, was immer Judas Jesus vorgeworden haben könnte. Natürlich ist 1.KOr. ein gutes Argument, wobei gerade Paulus ja an dem, was wir den „historischen Jesus“ nennen würden, kaum interessiert ist, es nicht verwunderlich ist, dass gerade er nun kaum lang erklärt, dass es ja die 12 ohne den einen war und dann wurde der ersetzt etc.
Hat dann also schon Mk Judas als Symbol eingesetzt? Gerade bei ihm halte ich das doch für höchst unwahrscheinlich und wie gesagt, es müsste das schon literarkritisch gefragt werden. Unser guter Mt, der uns ja gerne seine Symbolik erklärt, scheint mir auch keinerlei Hinweis auf eine symbolische Verwendung des Judas zu geben. Bei den Silberlingen etc. sind wir uns ja einig, aber eben nicht bei Judas=Juden. Das wäre, auch bei den Evangelisten, einfach auch zu früh.
Die Antike, ich meine mich an eine Münzdarstellung zu erinnern, kennt wohl eine Frau als Symbol für das Judentum. Werde das bei Gelegenheit recherchieren.

Viele Grüße
Taju