Ist Deutschland noch zu retten?

hallo,
ein etwas längerer Text:
PANORAMA Nr. 612 vom 18.4.2002

Wem gehört Deutschland?

  • Die Profiteure der Staatsverschuldung

Anmoderation Anja Reschke:

Beim Baukonzern Holzmann war’s im März so weit, das Luft- und
Raumfahrtunternehmen Dornier, der Papierkonzern Herlitz und der Medienmogul
Kirch folgten im April. Alle mussten Insolvenz anmelden. 2002 - das Jahr der
Rekordpleiten. Wer betroffen ist, ist verzweifelt, wer nicht betroffen ist,
ist froh, es nicht zu sein. Dabei sind wir eigentlich alle verschuldet, und
zwar heillos, mit einer unvorstellbar hohen Summe von 1 Billion Euro - das
sind ganz nebenbei bemerkt schon mal Tausend Milliarden. Dann noch weitere
226 Milliarden obendrauf und noch ein paar Millionen hinterher. Denn die
Bundesrepublik Deutschland selbst steht am tiefsten in der Kreide. Aber bei
wem eigentlich? Das ist ein wohlgehütetes Geheimnis. Wer wissen will, wem
diese Republik eigentlich wirklich gehört, tut sich schwer. Meine Kollegen
sind der deutschen Schuldenspur gefolgt.

Kommentar:
Hans Eichel hat es eilig: In zwei Jahren will er Schluss machen mit der
Schuldenpolitik seiner Vorgänger. Der Sparkommissar im Wettlauf gegen die
rasende Staatsverschuldung. 10.000, 11.000, 12.000, 13.000 Euro. In den
wenigen Sekunden, die Eichel morgens bis in sein Büro braucht, hat
Deutschland schon wieder 80.000 Euro Schulden mehr. Deutschlands Schulden,
eine unvorstellbare Summe: 1.226 Milliarden und viele Millionen Euro. Und
sie tickt unbarmherzig weiter, die Schuldenuhr, die der Steuerzahlerbund
aufgestellt hat.

0-Ton Hans Eichel:
(Bundesfinanzminister)
„Da tickt eine Zeitbombe, und das heißt, wir haben durch Schulden in der
Vergangenheit einen Großteil unserer Zukunft verfrühstückt. Und deswegen
können wir so nicht weitermachen.“

Kommentar:
Eine Nobeladresse im Frankfurter Norden. Hier sitzen die Leute, die
Deutschlands Schulden managen. So effizient wie möglich Geld für den Bund
beschaffen, die Aufgabe der Elitetruppe in der Bundesrepublik Deutschland
Finanzagentur GmbH. Ganze sieben Händler jonglieren hier mit den
Staatsmilliarden. Hat der Bund etwa am Morgen zu wenig Geld, um seine
Rechnungen zu bezahlen, wird das kurzerhand besorgt: Schnellverschuldung.

0-Ton Thomas Weinberg:
(Chefhändler, Finanzagentur)
"Heute konkret war es zum Beispiel so, dass wir eine Summe von etwa vier
Milliarden Euro im Markt aufnehmen mussten.

Interviewer:
„Also, die Bundesrepublik Deutschland braucht heute vier Milliarden Euro.“

Thomas Weinberg:
„Wir rufen an, und wenn der Kontrahent eben grade dieses Volumen zur
Verfügung hat, dann versuchen wir uns auf einen Zinssatz zu einigen. Und
dann ist das Geschäft gemacht, und das Geld fließt in unsere Kassen.“

Kommentar:
Geräuschlos und diskret werden Milliarden für Deutschland besorgt. Auch die
schwindelerregenden Schuldensummen, die die Agentur auf dem Markt hin und
her verschiebt, sind hier Alltag.

0-Ton Gerhard Schleif:
(Geschäftsführer, Finanzagentur)
„An diese Zahlen gewöhnt man sich, ob da drei Nullen mehr dranhängen oder
drei Nullen weniger, das geht in Fleisch und Blut über, das lässt einen
nicht mehr schlecht schlafen.“

Kommentar:
Auch nicht der Handel mit Schatzanweisungen, den langfristigen
Schuldscheinen der Republik. Der Staat als Schuldner ist so begehrt, dass
die Banken sich überbieten, um ihm Geld zu leihen.

0-Ton Gerhard Schleif:
„Wir haben heute zum Beispiel sechsmonatige Schatzanweisungen des Bundes
verauktioniert. Das heißt. Wir bieten die einer bestimmten Bankengruppe an.
Und wir wollten eigentlich fünf Milliarden aufnehmen, und die Banken haben
uns Gebote für 17,3 Milliarden eingereicht.“

Kommentar:
Denn für sie kann der Staat nicht genug Schulden machen: Die Banken -
Profiteure der Verschuldung. Für jeden Kredit kassieren sie Zinsen und
Provisionen, jedes Jahr zig Milliarden Euro. Ein Bombengeschäft und ganz
diskret abgewickelt.

Kein Wunder, dass die Liste der Gläubigerbanken nicht unbedingt an die
Öffentlichkeit soll. Denn ihnen gehört Deutschland. Ganz oben die Deutsche
Bank, dann Morgan Stanley, Dresdner Bank, Merrill Lynch - die Crème de la
Crème der internationalen Hochfinanz. Kreditsummen und Zinsgewinne werden
gehandelt wie Staatsgeheimnisse, Interviewanfragen zwecklos. Die Deutsche
Bank: kein Kommentar. Die Dresdner Bank: kein Kommentar. Die Commerzbank:
kein Kommentar. Die Banken kassieren, Eichel zahlt, der Steuerzahler haftet.

0-Ton Hans Eichel:
(Bundesfinanzminister)
„Das machen wir jetzt seit über dreißig Jahren, zahlen auch nichts zurück.
Wenn ein Kredit fällig wird, wird ein neuer aufgenommen, um den alten
abzulösen.“

Kommentar:
Die Chronik der Schuldenmacher:

  1. Der letzte Aufstand der Anständigen. Bundesfinanzminister Möller tritt
    zurück. Der Grund: In zwei Amtsjahren ganze drei Milliarden Euro neue
    Schulden. Der Neue hält es nur ein Jahr aus. Karl Schiller sagte damals, er
    könne keine Politik machen unter dem Motto „Nach mir die Sintflut“.
    Rücktritt wegen zwei Milliarden Neuverschuldung.

  2. Der Nachfolger hatte weniger Skrupel: Finanzminister Helmut Schmidt
    machte fünf Milliarden Euro Schulden - und wurde Kanzler. Die Gesamtschulden
    von Bund, Ländern und Gemeinden damals: 91 Milliarden Euro.

  3. Mit ihm ging die Schuldenparty richtig los: Hans Apel. Sorglos und
    unbekümmert der Aufbruch in den Schuldenstaat. Finanzminister Apels Bilanz
    nach vier Jahren: 33,5 Milliarden Euro Neuverschuldung.

  4. Hans Matthöfer, der nächste Finanzminister, sorgt für noch verrücktere
    Schuldenrekorde. 56 Milliarden Euro Miese. Sein Kanzler: Helmut Schmidt. Und
    die CDU versprach, alles besser zu machen

Wahlspot:
„Lassen Sie uns den SPD-Staat stoppen.“

0-Ton Gerhard Stoltenberg:
„Mit der hemmungslosen Schuldenmacherei der Regierung Schmidt/Genscher kann
es so nicht weitergehen.“

Kommentar:
CDU-Wahlsieg: Stoltenberg war nun selbst Kassenwart. Vorher große Worte und
dann doch wieder neue Schulden: 75 Milliarden.

  1. Theo Waigel und die deutsche Einheit - natürlich kreditfinanziert. Die
    Schulden explodierten: Waigels Horrorbilanz: 428 Milliarden Euro neue
    Schulden.

1998 standen Bund, Länder und Gemeinden mit über 1,1 Billionen Euro in der
Kreide. Heute sind es schon wieder 100 Milliarden mehr. Und auch in diesem
Jahr macht Hans Eichel wieder neue Schulden: rund 21 Milliarden Euro nur für
den Bundeshaushalt.

Bad Homburg, eine Idylle. Hier wird über Eichels Schulden Buch geführt, in
der Bundeswertpapierverwaltung. Schuldenverwaltung hieß die Behörde bis vor
kurzem, doch das klang zu negativ. Überhaupt war früher vieles anders: Die
Schulden wurden noch mit Tinte in dicke Folianten eingetragen. Das
Schuldbuch aus einer Zeit, als die Staatsverschuldung noch zwischen zwei
Buchdeckel passte. Heute ist der horrenden Schuldensumme nur noch mit
Großrechnern beizukommen. Das Schuldbuch 2002 - eine Computerdatei. Und die
Post an die Gläubiger muss schneller produziert werden, um mit der
Verschuldung Schritt zu halten. Schuldscheinquittungen im Sekundentakt. Auch
in Bad Homburg sind Deutschlands Schulden grauer Alltag.

0-Ton Knut Kage:
(Präsident, Bundeswertpapier-Verwaltung)
„Wir streben keine höhere Bundesschuld an, etwa um Arbeitsplätze hier zu
halten. Wir haben genug andere Aufgaben. Wir wollen ordentlich und flexibel
weiterarbeiten.“

Kommentar:
Ordentlich und flexibel in die Pleite. Viel Zeit bleibt Eichel nicht, um die
Wende noch zu schaffen. Denn so bankrott ist der Staat: 752 Milliarden Euro
hat sich allein der Bund seit 1980 geliehen. Das Geld wurde komplett
gefressen von den 903 Milliarden Euro Zinsen, die er für diese Kredite
zahlen musste.

0-Ton Wolfgang Kitterer:
(Schuldenexperte Universität Köln)
„Die Schulden werden immer höher sein, auf Dauer, als das, was man sich
durch Kredite erkauft hat. Das heißt, es ist ja jetzt auch schon
festzustellen, dass die Defizite, die man macht, auf Dauer nicht ausreichen
können, um die Zinslast abzudecken. Was bedeutet das wiederum? Dass man
zusätzliche Zinslasten wiederum über Steuern finanzieren muss. Also
resultiert aus der Staatsverschuldung letztlich nur eine höhere Steuerlast.
Man hat niemandem etwas Gutes getan, es sei denn den Wertpapierhaltern.“

Kommentar:
Eichel, der Schuldenkiller? Tatsächlich ist sein Sparprogramm nur ein ganz
bescheidener Anfang. Denn das ist Deutschlands Schuldenberg: 1.200
Milliarden Euro. Was Eichel einsparen will, ist lediglich die
Neuverschuldung - derzeit ganze 42 Milliarden. Vom Abbau des gigantischen
Schuldenberges ist noch gar nicht die Rede.

Jetzt hat Eichel versprochen, spätestens 2006 keinen Cent neue Schulden mehr
zu machen. Doch ein Hintertürchen hält auch er sich noch offen.

0-Ton Interviewer:
„Sie legen Ihre Hand dafür ins Feuer, dass es 2006 eine Null gibt?“

Hans Eichel:
„Wir setzen alles daran. Alles, was wir tun können, tun wir. Was Sie nie im
Griff haben, ist die Weltkonjunkturentwicklung. Wenn es eine große Rezession
gibt, sieht natürlich die Welt anders aus.“

Kommentar.
Der Schuldenuhr ist die Konjunktur egal, sie tickt unerbittlich weiter.

0-Ton Friedrich Halstenberg:
(ehem. Finanzminister NRW)
„Es ist auch durchaus möglich, dass wir unsere Staatsfinanzen ganz zu Grund
richten. Noch ein, zwei Jahrzehnte weiter in dieser Musik, dann gibt es
einen anderen Staat.“

Bericht: Jochen Graebert, Max von Klitzing, Stephan Stuchlik
Schnitt: Stefanie Blasch, Charlotte Steiner

Das hört sich wie ein Horrorfilm an.

Ist unser Staat noch zu retten? Geht es anderen genauso?
Irgend wann muss doch das ganze zusammenbrechen!
Grüße
Raimund

  1. Ja, anderen geht es genauso.
  2. Die Gegenseite der Bilanz (die geschaffenen Werte) wurden nicht erwähnt.
  3. Der Abbau der Neuverschuldung hat begonnen. Ist natürlich noch ein weiter Weg bis zum Abbau der Verschuldung. Aber das hat ja auch 30 Jahre gedauert. Da dauert der Abbau mindestens ebenso lange.
  4. Nein, ein ernsthaftes Problem besteht nicht.

hallo,

habe meinen Beitrag falsch gepostet:

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/www/service.fpl?..

Noch sieht es ja ganz gut aus, solange die Kriterien einghalten werden. Im Gegenteil ist es sogar nichtmal sinnvoll, diese Schulden abzubauen. Unser Währungssystem besteht ja nur aus Ausgabe- und Einnahmeüberschüssen - und irgendwer muß ja verschuldet werden, damit wir Geld haben.

Nur sehe ich eher ernsthafte wirtschaftliche Konsequenzen. Bislang hatten wir den REALEN Fall, daß die Schulden bis auf knapp 60% BIP gestiegen sind. Selbst unter Einhaltung der Maastrichkriterien BLEIBT das so in den nächsten Jahren!!

Du kannst es dir überschlagen: um das, was benötigt wird die zinsen aufzubringen, ist auch die verschuldung gestiegen. Im Moment sind es wohl ca. durchschnittlich 7,1%. Du kannst es drehen, wie du willst, entweder wird in diesem Währungsgebiet jährlich 7,1% neu verschuldet oder irgendwer kann die Zinsen nicht bedienen ( wenn man die 7,1% mal als Durchschnitt für alles ansetzt).
Das dürften dann wohl die Firmen zu spüren bekommen.
Ich frage mich schon lange, ob so ein Währungssystem eine mathematisch rationale Lösung zuläßt.

Frank

hallo,

Ist unser Staat noch zu retten?

Sagen wir es mal so. Wir werden noch schwierigeren Zeiten entgegen gehen. Wir werden noch wesentlich mehr Insolvenzen dieses Jahr erleben. Und wir werden bei einem Tarifabschluss mit der 4 vor dem Komma durch die IGM einen Schlag erhalten, der uns auf Jahre zurückwerfen wird. Wir werden dann Arbeitslose von mehr als sechs Millionen am Ende haben.

Geht es anderen genauso?

Nein. Andere haben zwar auch Probleme, aber ihre Hausaufgaben gemacht. Anderer Staaten reagieren flexibler und vor allem handeln sie gemeinsam. Andere Staaten haben ihre Ausrichtung auf die Arbeitslosigkeit, auf Wirtschaftsaufschwung gelegt. Bei uns wurden Themen durchgezogen, die zuerst mal dem grünen Potential die Neigungen befriedigen musste. Und natürlich dem „MmdkB“ sein Spielzeug.

Irgend wann muss doch das ganze zusammenbrechen!

Das ist der Vorteil eines Staates. Er bricht nicht zusammen. Und wenn er in diese Richtung geht, kann man immer noch, wie es andere große Staaten zeigen, Krieg führen. Wären wir irgendwo in Asien oder in der Türkei würde ich sagen, warten wir doch auf das nächste Erdbeben. Bei uns nicht möglich. Also irgendwann dann eben Krieg.

Gruss Günter

Hi!

Nein. Andere haben zwar auch Probleme, aber ihre Hausaufgaben
gemacht. Anderer Staaten reagieren flexibler und vor allem
handeln sie gemeinsam. Andere Staaten haben ihre Ausrichtung
auf die Arbeitslosigkeit, auf Wirtschaftsaufschwung gelegt.
Bei uns wurden Themen durchgezogen, die zuerst mal dem grünen
Potential die Neigungen befriedigen musste. Und natürlich dem
„MmdkB“ sein Spielzeug.

Irgend wann muss doch das ganze zusammenbrechen!

Das ist der Vorteil eines Staates. Er bricht nicht zusammen.
Und wenn er in diese Richtung geht, kann man immer noch, wie
es andere große Staaten zeigen, Krieg führen. Wären wir
irgendwo in Asien oder in der Türkei würde ich sagen, warten
wir doch auf das nächste Erdbeben. Bei uns nicht möglich. Also
irgendwann dann eben Krieg.

Sehe ich etwas anders.
Frankreich z.B. hat sich gerade von den vertraglich festgelegten Euro-Vereinbarungen verabschiedet, bis 2004 einen konsolidierten Staatshaushalt hinzulegen (das, was Eichel verzweifelt - und wohl vergebens - versucht). Die Folgen werden ein schwächerer Euro, eine steigende Inflationsrate und somit steigende Zinsen sein. Das ist eine viel stärkere Konjunkturbremse als diese läppischen vierkommairgendwas von der IG Metall (nur zur Info: der Lohnkostenanteil in der Metallindustrie ist von 25% auf unter 20% gefallen. Derart ruinös wie immer behauptet sind die Gehaltssteigerungen also nicht. In vielen Branchen ist Werbung z.B. ein viel größerer Kostenfaktor). Steigende Zinsen bedeuten für den Staatshaushalt, daß die Kreditneuaufnahme teurer finanziert werden muß. Was alles andere als gut ist.

Ein Staat kann sehr wohl zusammenbrechen. Bestes Beispiel ist derzeit Argentinien. In Deutschland gab es zweimal einen Staatsbankrott: 1923 und 1948. In beiden Fällen waren Finanzwerte plötzlich nichts mehr wert (der Staat wurde so z.B. seine gigantischen Schulden los), hingegen waren alls Sachwertbesitzer auf der Gewinnerseite. Jedoch führte weder der eine noch der andere Bankrott direkt zu einem Krieg.

Grüße
Heinrich