Ist die Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte Ausbeutung?

Hallo,
habe kürzlich an einer Infoveranstaltung bzgl. o. g. Themas teilgenommen.
U.a. kam zur Sprache, dass das Eintrittsgehalt im Monat bei 67 Euro im ersten Jahr liegt, im zweiten bei 80Euro.
Ein Vater echauffierte sich sehr und sprach von Ausbeutung.
Daraufhin entgleiste das Vorstellungsprogramm der Werkstatt und dem Vertreter des Jobcenters.
Jetzt bin ich verunsichert. Natürlich sind die meisten Schwerbehinderten permanent auf Hilfe angewiesen. Das kostet viel Geld.
Und bestimmt können und wollen sie nicht ewig im Elternhaus bleiben. Wie finanziert sich später das betreute Wohnen?
Es erinnert mich an einen jungen Mann, der in einem primitiven Gestüt beschäftigt war. Der hatte unglaubliche Kräfte!
Wenn wir uns an einem gefrorenen Rundballen abgezappelt haben, dann kam „Heino“ und hat den Ballen einfach mal ins Rollen gebracht. Der konnte auch jecke Pferde führen. Im Prinzip war er eine vollwertige Arbeitskraft.
Aber aufgrund des Umstands, dass er behindert war, wurde der Arbeitgeber für seine Beschäftigung bezuschusst.
Wenn Menschen davon profitieren, dann kann es durchaus sein, dass gar kein Interesse besteht, die Situation zu ändern.
Wer hat Erfahrung ?
Danke für Eure Anregungen!
Mao

Hallo Mao,
Ausbeutung von Behinderten würde ich es nur nennen, wenn die Werkstatt (viel) Geld an den durch die Behinderten erzeugten Produkten verdient. Beispiel Modell-Autos, die dann für 5000 € verkauft werden.
Schönes Wochenende.
Michael

Danke für deine Antwort.
Teamer, ich bitte um Hilfe.
Weder kann ich meine Frage, noch die Antworten lesen … :worried:

Servus,

auch über dieses Thema kann man auf geheimnisvolle Weise auch ohne eigene Erfahrung Dinge wissen und/oder in Erfahrung bringen, die für die Beurteilung der Situation ganz wichtig sein können.

Die Sache mit der „Ausbeutung“ ist schnell in den Mund genommen, gut geeignet um die beschriebene Situation zum Entgleisen zu bringen und in dieser Pauschalität schlicht dumm. Jeder, der sich darum kümmert, kann wissen, dass Werkstätten für Behinderte gem. § 12 WVO mindestens 70 % des „Arbeitsergebnisses“ an die Beschäftigten auszahlen und das höchst detailliert und mit einiger bürokratischen Last nachweisen müssen. Es gibt nirgendwo sonst in Gewerbe oder Industrie eine gesetzliche Vorschrift darüber, welcher Anteil des Rohertrags an die Arbeitnehmer ausbezahlt werden muss, und wenn jemand viel lieber seine Kraft dafür einsetzen würde, dass die Werkstatt „läuft“ und möglichst viele und gute Arbeitsmöglichkeiten bietet, aber statt dessen irgendwelche Berichte, Nachweise und Dokumentationen erstellen muss, braucht sich dafür nicht als „Ausbeuter“ beschimpfen zu lassen.

Ein bissele merkwürdig kommt mir der Wert von 67 Euro vor - ich meinte, der Grundbetrag müsse 80 Euro monatlich betragen; dazu kommt ein Steigerungsbetrag, der nach Maßgabe der Leistung des Einzelnen aus dem „Arbeitsergebnis“ verteilt wird, das nach Abzug der Grundbeträge verbleibt. Üblich sind meines Wissens Beträge in der Gegend von 160 € je nach Art der Werkstatt und der Beschäftigung. Man kann aber anständig fragen, wie die 67 Euro zustande kommen, und braucht da nicht so blöde vom Leder zu ziehen.

Heino war oder ist im Prinzip eine vollwertige Arbeitskraft, aber er arbeitet in einem Bereich, in dem nicht nur bei Nutzvieh, sondern auch in der Pferdehaltung winzigkleine Margen die Regel sind. Betriebe in der Land- und Forstwirtschaft, die keine Wege zur Umgehung des Mindestlohns gefunden haben und auch praktizieren, darf man suchen. Denoch muss man hier unterscheiden zwischen Werkstätten im Sinn von § 219 SGB XI und einer bezuschussten Beschäftigung in der „freien“ Wirtschaft, für deren Entlohnung andere Regeln gelten.

Eine Arbeit aus der Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Thema, in der u.a. auch die einschlägigen Rechtsquellen genannt sind, gibt es hier:

Schöne Grüße

MM

Hallo Michael,

schau mal:

§ 12 Abs 5 WVO

Schöne Grüße

MM

1 Like

Hallo,

die wenigsten Behinderten Menschen

sind auf Hilfen angewiesen, die eine Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt unmöglich machen.

Das Werkstattsystem steht (mE durchaus zu Recht) seit langem in der Kritik, weil sie oft einer ihrer gesetzlichen Hauptaufgaben nach § 5 WVO, nämlich behinderte Menschen für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu qualifizieren, nicht oder höchst unzureichend nachkommen.

Gerade bei den sog. „Leistungsträgern“ in den Werkstätten kann man dann sehr wohl von „Ausbeutung“ sprechen, wenn sie eine weit überdurchschnittliche Leistung erbringen und ihre Vergütung trotzdem nur dem Durchschnitt aller Beschäftigten entsprechen.
Es ist nämlich der „Geburtsfehler“ des Werkstattsystems, daß die Träger der Werkstätten aus „betriebswirtschaftlicher“ Sicht kein monetäres Interesse haben, eben diese „Leistungsträger“, die eine Perspektive für den allgemeinen Arbeitsmarkt haben, so zu qualifizieren, daß sie eben die Werkstatt verlassen können, da diese Entwicklung dann ihr Betriebsergebnis verschlechtert.

Ich habe in den letzten Jahren einiger dieser Menschen begleitet, deren Werkstatt-AG in keinster Weise Anstrengungen gemacht hat, diese Menschen gem. § 5 Abs. 4 WVO zu qualifizieren und die in diesem System völlig abhängig gefangen waren.
In vielen dieser Fälle war mit dem üblichen Förder- und Qualifizierungsinstrumentarium des SGB eine Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt problemlos möglich.

Aus meiner Sicht ist das Werkstattsystem krank und für viele Betroffene ein Integrationshemmnis.

&Tschüß
Wolfgang

Die Grundvoraussetzung für die Beschäftigung in einer WfbM besteht darin, dass eine Person aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage ist, 3 Std . oder mehr auf dem allg. Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Eine WfbM ist eine Mischung aus individuell angepasster mehrwetschaffender Arbeittätigkeit und Förderung individuell vorhandener Fähigkeiten. Alle WfbM - Tätigen haben vergleichsweise früh einen Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
Außerdem haben die Einrichtungen den Auftrag, die Beschäftigten in den regulären Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Klar gibt es auch da ein paar schwarze Schaafe.
Da wird aber nicht generell ausgebeutet. In der Regel ist es ein guter Weg, Kindern mit deutlicher Behinderung einen Weg in Erwachsensein zu eröffnen.
LG
Amokoma1