Ist En Marche

… im Ar… ?

Die aus der „Bewegung“ En Marche hervorgegangene Partei LREM ist seit den Parlamentswahlen arg zusammengestuzt worden. Ein Minister nach dem anderen trat zurück. Die Popularitätswerte des gerade in D hochgejazzten Mr. Europa, Emmanuel Macron, sind im tiefen Tal angelangt. Beim Absturz konnte er IMHO (man darf mich gerne berichtigen) dem Trump zuwinken, kurz bevor er auf dem Boden französischer Realitäten aufschlug.

In Sachen Europawahl, die in 05/19 stattfindet, sieht es aktuell ebenfalls ganz mies aus. Ebenso für die ehemalig starke konservative (Volks)Partei LR. Die (Radikal)Linke dümpelt um Jean-Luc Melenchon auch mehr recht als schlecht vor sich hin. Dass ausgerechnet Le Pen knapp vor der LREM liegt, soll hier nicht erstes Thema sein.

  1. Hat jemand bitte einen Link zu einer Grafik dieser angesprochenen Umfrage? Ich kann zwar Artikel finden, bin aber zu faul mir die Details rauszufiltern :pensive: .

  2. Wie ist es Macron gelungen, vom High so sehr abzustürzen und warum wird das nur recht selten in der dt. Medienlandschaft thematisiert? Angeblich ist F doch unser wichtigster Partner in der EU.

  3. Wird die LREM durch eine Schere im Kopf geschwächt oder war sie nur eine pol. Eintagsfliege, die aus der vereinten Abwehr des FN (Präsidentschaftswahlen) entstand? In Österreich hat so ein Effekt ja auch einen Grünen (eher unerwartet) ins Amt getragen, während seine Partei anschliessend bei den Nationalratswahlen zerbröselt wurde.

Man verschone mich mit Hinweisen, dass van der Bellen seine Mitgliedschaft ruhen lasse bzw. ausgetreten sei. Dass ist formal so. Aber realistisch betrachtet ist auch unser Präsi nach wie vor ein SPDler.

Gruß
vdmaster

Servus,

Er hat, genau wie sei Amtsvorgänger, einiges Notwendige veranlasst. Und das ist in Frankreich traditionell unbeliebt. Zu den schlimmsten Dingen, die er verbrochen hat, gehört, dass Eisenbahner künftig nicht mehr mit 52 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen werden und dass man künftig einigen Triebfahrzeugführern zumuten wird, auf Triebwagen, die für den Einmannbetrieb ausgelegt sind, ganz alleine den Diens verrichten zu müssen - derzeit ist die Mindestanzahl von Cheminots auf einem Zug vier, und weniger dürfen es auch nicht sein, weil die populärsten Kartenspiele in Frankreich anders als das deutsche Skat zu viert gespielt werden.

Ziemlich schlimm ist auch, dass er - was beiläufig durch seinen glücklosen Amtsvorgänger vorbereitet war - Möglichkeiten geschaffen hat, unter bestimmten Bedingungen bestehende Arbeitsverhältnisse auch von Arbeitgeberseite aufzulösen, selbst wenn der Arbeitnehmer nicht seinen Vorgesetzten erschossen hat. Zum Ausgleich gibt es dann ein System kompliziert berechneter und ziemlich komfortabler Abfindungen, die ein Arbeitnehmer erhält, wenn er selber von sich aus kündigt.

Ebenfalls ganz grässlich ist, dass er - was übrigens in seinem kleinen Büchelein „Révolution“, das als eine Art Programm vertrieben worden ist, als eine der wesentlichen notwendigen Veränderungen ausgeführt wird - zusieht, öfter mal Vertreter möglichst vieler Seiten, die mit einem Thema zu tun haben, an einen Tisch zusammenzubringen, mit der Absicht, nicht nach französischer Tradition irgendwelche Maßnahmen unter Kumpels von der ENA im stillen Kämmerlein auszukaspern, sondern dem, was in D „Träger öffentlicher Belange“ wären, auch die Gelegenheit zu geben, an einem Projekt mitzuwirken und nicht immer erst hinterher darüber zu quengeln. Der unmittelbare Anlass für den Rücktritt des recht populären Nicolas Hulot war, dass ihm zugemutet wurde, sich mit einen Vertreter des recht einflussreichen französischen Jagdverbandes (einer Art Organisation des niederen und mittleren Adels innerhalb der Republik) in einem Raum aufzuhalten.

Kurz: Der Mann will Frankreich germanisieren!

Sowas ähnliches hatten vorher nicht wenige seiner Wähler gerochen, obwohl er ohne konkretes Programm angetreten war. Sie hatten das aber falsch verstanden: Sie glaubten, Macronn wollte flächendeckend sowas ähnliches wie den Haustarif von Porsche oder von der BASF für alle französischen Arbeitnehmer einführen, und waren begeistert. Jetzt, wo sie merken, dass sowas auch einen Preis hat und nicht nach französischer Tradition finanziert werden kann, indem man halt mehr Geld druckt, sind sie stinkig und wollen nicht mehr mitspielen. Die größte Angst ist inzwischen, dass der Mann es im Rahmen der Reformen am Arbeitsmarkt noch hinkriegen könnte, funktionierende Arbeitnehmervertretungen an den Unternehmen einzurichten: Mit einem System von effzienten Gewerkschaften gäbe es lästige Betriebsratsarbeit zu tun und den zweiten Jahresurlaub in Gestalt der traditionellen mehrwöchigen Streiks im Mai oder im September könnte man vergessen.

Tja, und davon, dass ein Präsident mit einer solchen Agenda auch scheitern kann, redet man in D halt nicht so gerne - das könnte auf das „Modell Deutschland“ zurückfallen.

Schöne Grüße

MM

Das ist natürlich unverzeihlich und rückt ihn für einige Gewerkschaftler fast in die Nähe eines ehemaligen Frankreichbesuchers mit seltsamem Gesichtsschmuck, dt. Staatsbürgerschaft und Wurzeln in der „Ostmark“.

Ich kann mir aber nur schlecht vorstellen, dass die Gallier en bloc so dämlich sind, den Reformbedarf auf dem Arbeitsmarkt nicht zu erkennen. Zudem hatte er doch im Wahlkampf durchblicken lassen, dass er auch schmerzhafte Schritte für (durch die frühere staatlich-sozialiitische Schutzattitüde gallischer Prägung) übermäßig Sozialverwöhnte durchziehen wird. Auch der Arbeitsmarkt in F hat sich doch gewandelt und der typische Arbeiter ist zahlenmäßig auf Talfahrt.

Hat sein Popularitätsverlust nicht auch unter Umständen damit zu tun, dass er sich als Reaktion auf den Gegenwind in seiner elitären Filterblase und in die Pariser Wagenburg zurückgezogen hat? Da gab und gibt es ja wohl die ein oder andere suboptimale Randbemerkung von ihm, höheres Personal in handfesten Skandalen verstrickt, eine Abriegelung gegenüber kritischer Presse etc.

Hier in D wird er uns so gut wie nur als pathetisch daherquatschender Sonnenschein und Retter des Europas in der Vorstellungswelt eines Martin Schulz (Mehr Europa, immer mehr Europa) verkauft. Also so etwas wie der Gegenentwurf zu einem Trump, der gern als Satan in Person dargestellt wird.

Gruß
vdmaster

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Servus,

Bei den Mehrheiten, die halt ihre eigene „Denke“ und ihre eigene Dynamik haben, kann das so funktionieren. Für den ihrerseits bereits schon ein wenig „elitären“ Le-Monde-Lesern gehörte das weniger offensive Auftreten auf jeder sich bietenden Plattform aber auch zum „das Nötige tun“, nachdem sich Macron ein paar Mal in ziemlich kurzer Folge mit den Bädern in der Öffentlichkeit vergaloppiert hatte: Die Bezeichnung von bretonischen Schlachthausarbeitern, die für eine neue nationale Isolierung Frankreichs mit seinem hohen Mindestlohn demonstrierten, als '‚Analphabeten‘ war wohl noch vor der Wahl, aber inzwischen kamen einige Antworten, die genauso wenig Kinderstube zeigten wie Sarkos „Ach, hau doch ab, armer Trottel!“, und das hat Macron sicherlich eine Menge Sympathien gekostet, wo er sie genossen hatte, weil er die nicht wenigen Erfolge in seiner bisherigen Biographie wesentlich mit klassischer bürgerlicher Bildung und Kinderstube erreicht hat: Er hat arbeitslosen Gärtnern empfohlen, doch im Restaurant gegenüber anzufangen, dort würden Leute gesucht (womit er ja eigentlich recht hat, aber das darf man zumal als Präsident der Republik nicht sagen), und er hat einigen Rentnerinnen, die sich beklagten, dass die Besteuerung der Renten ein wenig erhöht worden war, gesagt „Es gibt eines, was Sie jedenfalls nicht tun dürfen: Sich jetzt beklagen!“ (Frankreich ist mit einem Beitrag von 4% aus Steuermitteln zu der Finanzierung der Altersrenten europaweit ganz vorne). Die Sache mit Alexandre Benalla war auch ein ziemlicher Griff ins Klo, weil das Versprechen, den sozusagen vor der Haustür präsenten Schutzmann wieder einzuführen und die Polizei hinter Kameras und Bildschirmen hervor und aus Panzerwagen und Wasserwerfern heraus wieder da hinzubringen, wo sie gebraucht und gewünscht wird, ihm schon auch eine Menge Sympathien eingebracht hatte. Kurz: Wenn er jetzt ein wenig zurückhaltender an der Öffentlichkeit auftritt, weil ihm das einige Male daneben gegangen ist, verstehen das einige seiner Wähler durchaus auch als „das Notwendige tun“, aber es gibt halt auch viele andere, die von einem Präsidenten eine Art Stand-up-Comedy 24/7 ohne Pausen erwarten, und die hätten eine weniger vernünftige Reaktion wohl viel besser gefunden.

Ich bin übrigens nicht sicher, ob M. sein Pulver schon verschossen hat: Er wusste, bevor er seine vorsichtigen Reformen angefangen hat, dass sich diese nur mittelfristig positiv auswirken könnten und dass zuallererst bei zurückgefahrenem Staatskonsum alles noch schlechter ginge als vorher. Dass die Mehrheit der Wähler zu blöde dafür ist, das zu verstehen, und man also nicht von vornherein ankündigen darf, dass es einige teils schwere Schmerzen geben wird, aber man da halt durchmuss, wenn man am Ende das gewünschte Ergebnis haben möchte, wusste er auch. Dass entweder jetzt vor dem Vorweihnachtstrallala oder im kommenden Frühjahr zu diesem Thema etwas von ihm kommen muss, wusste er auch, und ich fände es ein wenig überraschend, wenn er da nichts in petto hätte.

Ich bin mal gespannt; immerhin sind die Verlautbarungen Macrons viel angenehmer zu lesen als Dossier n° 2.17.35 A V0, von Hollande vorgelegt, oder das vulgäre Bramarbassieren von Sarko. Macrons trotz aller „langue de bois“ schon regelrecht übestürzte Reaktion auf Merkels angekündigte Rückzüge lässt allerdings daran denken, dass er sich für den „erneuerten Elysée-Vertrag“ irgendwas mit ihr zusammen ausgedacht hatte, was jetzt mit einer schon antehum von Partei und Wahlvolk fallengelassenen deutschen Kanzlerin nicht mehr so gut geht. Müsste schon ein bissele mehr sein als die künftige Angliederung der Jobcenter von Saarlouis, Merzig und Völklingen an den „Pôle emploi“ Metz.

Schöne Grüße

MM

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Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl bekam Macron 24% der Stimmen. Die Partei LREM erhielt beim im ersten Wahlgang der anschließenden Parlamentswahl 28%. Dabei muss noch berücksichtigt werden, dass ein Teil der Wähler - sicher mehrere % - schon im ersten Wahlgang taktisch gewählt hat, und nicht aus Überzeugung für Macron/LREM gestimmt hat, sondern weil sie Macron bzw. den LREM-Bewerber um den Parlamentssitz für den einzigen hielten, der im zweiten Wahlgang eine Chance gegen den Kandidaten des Front National hatte. So gesehen wäre ein Ergebnis von 19% bei einer Wahl, bei der es aus Sicht der meisten Franzosen um nichts Wichtiges geht und wo man daher ohne taktische Hintergedanken munter nach Lust und Laune abstimmt, für eine Partei, die letztes Jahr zum ersten mal antrat, mehr als respektabel.