Ist Grüßen tatsächlich ein Sprechakt?

Hallo,
ich schreibe im Moment eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema Grüßen. In fast allen Büchern und Artikeln wird wie selbstverständlich davon ausgegangen (wahrscheinlich weil auch Austin & Searle diese Position vertreten), dass das Grüßen ein expressiver Sprechakt ist.
Ich frage mich aber, ob das tatsächlich stimmt…

  1. wird beim Grüßen kein propositionaler Gehalt ausgedrückt, im Bereich der Lokution fällt damit also schon mal eine Handlungsart weg.

  2. wird doch innerhalb eines Grußes meist ein Wunsch „(ich wünsche Dir einen) guten Tag!“ ausgedrückt, meiner Ansicht nach ist dieser Wunsch der Sprechakt, nicht aber das Grüßen an sich (auch wenn heutzutage darunter kein wirklicher Wunsch, sondern eben einfach eine Grußformel verstanden wird)

  3. kann man jede Sprechhandlung verneinen, in Frage stellen oder erörtern - aber ich kann nicht fragen „was fragst du?“ (vgl: „was behauptest du?“ „was versprichst du?“ „um was bittest du?“)

Was meinen die Sprachwissenschaftler dazu? Ich bin für jede Idee dankbar.

Viele Grüße! :smile:
Yvonne

Hi,

ich hab vor mir liegen:Herbst, Stoll, Westermayr, Terminologie der Sprachbeschreibung. Ein Lernwörterbuch für das Anglistikstudium. Ich zitiere S. 175f., Kapitel 525: Sprechakt.

Dort wird der Sprechakt definiert als „Sprachliche Handlung (bzw. ihr Ergebnis), bei der ein Sprecher (bzw. Schreiber) gegenüber einem Hörer (bzw. LEser) eine Äußerung macht, die durch Faktoren wie die intention des Sprechers und die beabsichtigte Wirkung auf den Hörer gekenzeichnet ist.“

Das passt ja alles auf das Grüßen.Der Sprecher will die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und/oder kundtun, dass er sein Gegenüber gesehen und / oder erkannt hat, es kann auch die Reaktion darauf sein, dass man gerade gegrüßt wurde (Intention des Sprechers, beabsichtigte Wirkung). Und reden tut man ja beim Grüßen auch, er sagt zB „Guten Morgen!“ - das ist die Äußerung.
Austin (ibid.) unterschiedet dann innerhalb des Sprechakts den lokutionären, illokutionären und denb perlokutionären Akt, die alle gleichzeitig stattfinden.
„Guten Morgen!“, …
…lokutionär: das Äußern bestimmter Sätze mit Bedeutung und Referenz. Man wünscht einen guten (und keinen schlechten) Morgen (und nicht Abend)
…illokutionär: die Intention des Sprechers:Aufmerksamkeit auf sich ziehen, einen Gruß erwidern, höflich sein, einen guten Eindruck erwecken, ein Wunsch (nicht all diese Dinge müssen gleichzeitig stattfinden, manche schließen sich auch gegenseitig aus. Aber selbst wenn ich Guten Morgen! sage, ohne einen Guten Morgen! wirklich zu wünschne, tue ich meinen Mund doch aus Höflichkeit auf. Illokutionärer Akt erfüllt)
…perlokutionär: die Wirkung auf den Hörer: er freut sich, nickt, grüßt zurück, schneidet dich… auch keine Reaktion ist in diesem Falle eine Reaktion.

Der Begriffder Proposition gehört nicht in die Sprechakttheorie ud kann also hier nicht diskutiert werden i Zusammenhang mit oben genannten Begriffen. Proposition hat zwei grundsäzliche Verwendungen (ibid., S. 170f.): einmal bezeichnet sie einen Inhalt, der wahr oder falsch wsein kann. In diesem Sinne wäre Guen Morgen! tatsächlich keine Proposition, weil man sie nicht als wahr oder falsch klassifizieren kann. Daneben wird der Begriff Proposition aber auch verwendet, um das zu bezeichnen, was in anderen Theorien als Prädikation bezeichnet wird. hinweise zu weiterführenden Lektüre geben Herbst, Stoll, Westermayr a.a.O.

die Franzi

ich staune immer wieder, aus welch belanglosem zeug man eine wissenschaft machen kann.
gleichzeitig jammern wir über fachkräftemangel.
aber naja. jedem tierchen sein plaisierchen :wink:

sprachlose grüße

michael

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Moin,
das mag ja alles richtig sein, und ich bin auch aufs Äußerste erstaunt, was Menschen aus dem Verb „loqui“ alles machen können.
Aber wenn Reisemobilisten einander mit der Lichthupe begrüßen, wenn zwei Bus- oder Straßenbahnfahrer, die einander begegnen, sich duch kurues Winken oder Handaufheben begrüßen, dann ist das entweder kein Grüßen - da illoqitionär - oder die Theorie hat ein Loch.

Gruß - Rolf

Hallo Rolf,
vielen Dank für Deine Antwort. In der Sprechakttheorie geht es aber tatsächlich nur um sprachliche, nicht aber um nichtsprachliche Akte. Selbstverständlich kann man auch rein nonverbal eine Grußhandlung vollziehen, indem ich z.B. jemandem zunicke oder zuwinke (und dafür muss ich nicht einmal in einem Auto oder einer Straßenbahn sitzen^^). Aber nichtsprachliche Grüße haben vor allem keine Lokution (sprich: keine Äußerungshandlung), und fallen deshalb gleich aus dem Raster.
Danke trotzdem für deinen Beitrag!

Und @Franzi: Ich les mir den Herbst/Stoll/Westermayr mal durch und melde mich dann nochmal - wenns ok ist :smile: vielen Dank schon mal für die äußerst hilfreiche Antwort!

LG Yvi

Hallo Michael,
ich finde es keinesfalls belanglos, die deutsche Sprache zu analysieren - schließlich verwenden wir diese doch tagtäglich! Das ist nunmal Inhalt der Sprachwissenschaft, und da ich Sprachen studiere, würde es nur wenig Sinn ergeben, meine Examensarbeit über die neuesten Technologien im Automobilbereich zu schreiben - was vielleicht für mich uninteressant ist, aber keinesfalls für die, die sich damit beschäftigen. Ein bisschen engstirnig, Dinge, für die man sich nicht interessiert, als belanglos abzustempeln, meinst du nicht?
LG Yvi

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hallo yvi.

ich finde es keinesfalls belanglos, die deutsche Sprache zu
analysieren

ich auch nicht. sprache zu analysieren ist wichtig.

Ein bisschen engstirnig, Dinge, für die man sich
nicht interessiert, als belanglos abzustempeln, meinst du
nicht?

ich meine aber: man kann’s auch übertreiben.

solange du dir aus eigenem interesse gedanken machst, ob ein gruß ein sprechakt ist oder nicht, ist mir das eigentlich egal.

aber - nix für ungut - wenn du dafür bezahlt würdest, und wenn das geld aus einem topf käme, in den ich einzahle(n muß), ginge mir ehrlich gesagt die hutschnur hoch.

gruß

michael

Hallo Michael
da kann ich dich beruhigen: nicht du bezahlst für diese „belanglose“ Untersuchung, sondern ich - nämlich 542,- € pro Semester. Dafür gibt es dann aber im nächsten Jahr eine „Fachkraft“ (bzw. besser gesagt „Lehrkraft“) mehr. Und da haben dann ja wieder alle was davon.
VG

Hi,

ich bin vernichtet! Tödlich getroffen! In meiner Berufsehre verletzt! Und überhaupt! Leider habe ich grad keine Klippe zur Hand, von der ich springen könnte. Die Wird es mir verzeihen.

Was wären wir ohne Sprechakte? Nichts. Das Forum wäre nicht nur tot, sondern unvorstellbar. Aber mit Sprechakten können wir das eine sagen, und das andere meinen, viel reden, ohne irgendwas zu sagen, und jemanden verletzen, ohne dass unseren Worten eine Spur davon anhaftet.
Und der Sprechakt, Michael, ist etwas, was die weiche Ware noch nicht erfasst hat und woran die Übersetzungssoftware noch auf lange Sicht hin scheitern wird - weiche weiche Ware begreift im unterschied zu Dir nicht nur nicht, WARUM man Sprechakte erforschen muss - sie kann nicht einmal begreifen (bzw. begreiflich gemacht, kodiert bekommen), was ein Sprechakt ist. Sie bleibt beim lokutionären Akt stehen, ohne auch nur diesen komplett erfüllen zu können: sie verknüpft Symbole mit Bedeutung, ohne die Situation, den Sender oder gar den Empfänger verstehen zu können.
Aber Softwareentwickler verstehen das ja eh alles bessser, die brauchen keine Linguistenfuzzis… und solange das so bleibt, können wir uns auch darauf verlassen, das es weiterhin Software gibt, die absolut unbenutztbar ist - Entwickler müssen ja ncht verstehen, dass das, was der Sender beabsichtigt, nicht unbedingt das ist, was beim Empfänger ankommt. Das ist nämlich Sprechakttheorie, und die braucht kein Mensch.

):smile: Honi soit qui mal y pense

die Franzi

3 Like

Hi,

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Unbeleckt von Sprechakttheorie kann sich aber der minuskelfreudige Softwarefuzzi einbilden, mit dem Begriff „weichware“ einen unerhört guten Gag gelandet und die Lacher auf seiner Seite zu haben.

Cheers

Jo

hallo.

Sie bleibt beim lokutionären Akt stehen, ohne
auch nur diesen komplett erfüllen zu können: sie verknüpft
Symbole mit Bedeutung, ohne die Situation, den Sender oder gar
den Empfänger verstehen zu können.

„Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! […] Im Handeln wie ähnlich einem Engel! Im Begreifen wie ähnlich einem Gott! Die Zierde der Welt!“

Aber Softwareentwickler verstehen das ja eh alles bessser, die
brauchen keine Linguistenfuzzis… und solange das so bleibt,
können wir uns auch darauf verlassen, das es weiterhin
Software gibt, die absolut unbenutztbar ist - Entwickler
müssen ja ncht verstehen, dass das, was der Sender
beabsichtigt, nicht unbedingt das ist, was beim Empfänger
ankommt.

http://www.buena-la-vista.de/buenalog/wp-content/upl…

Das ist nämlich Sprechakttheorie, und die braucht
kein Mensch.

ob das projekt erfolgreicher wäre, wenn alle beteiligten vorher sprachtheorien studiert hätten?

praktische grüße

michael

Pragmatik für Linguisten
Hallo,

im ersten Semester Linguistik haben wir eine kurze Einführung in die Pragmatik gehabt, hier ein Auszug:

  • Performative Äußerungen: damit können unmittelbar nichtsprachliche Handlungen vollzogen werden. („Ich taufe Dich…“, „Ich kündige hiermit…“ „Ich verspreche Dir…“)
  • Konstative Äußerungen: sie geben einen wahren oder falschen
    Bericht von Sachverhalten.

Im folgenden wird dann gezeigt, dass man konstantive als eine verkürzte Form von performativen Äußerungen betrachten kann („Ich informiere dich hiermit darüber, dass…“).

Dann gibt es einige genauere Klassifikationen von Sprechakten, z.B. nach Searle 1975:

  • Assertiv (Behauptung, Aussage)
  • Direktiv (Bitte, Befehl, Frage)
  • Kommissiv (Versprechen, Drohung)
  • Expressiv (Danken, Gratulieren, Entschuldigen)

Keine Sorge…
…hier meldet sich die Generation der Computerlinguisten, die alles besser machen wird :wink: