Hi,
Ein Freund hat neuerdings die These aufgestellt, dass zunehmender Lobbyismus besonders im wirtschaftlichen Bereich ein Indiz für eine Krise der Demokratie ist. Er hat damit argumentiert, dass diese Lobbyorganisationen oft ihre Position ausnutzen um politische Entscheidungsprozesse oder die öffentliche Meinung zu manipulieren und dies den Grundsätzen der Demokratie wiederspericht. Würdet ihr dieser These zustimmen?
Demokratie = Lobbyismus
Hallo,
m.E. ist der Einfluss der Lobbies (direkt ueber „Spenden“ oder indirekt ueber die Medien) der Kern dieser Form der Demokratie, weshalb ich andere (wirklich basisdemokratische) Demokratiemodelle bevorzuge da unsere jetztige Demokratie m.E. nur eine Diktatur der Maechtigen (Personen die Einfluss auf die Medien haben) ist und die Bezeichnung „Demokratie“ nicht verdient da ein Volk welches manipuliert ist nicht wirklich eine Entscheidung faellen kann.
Gruss
Desperado
Nein.
Ein Freund hat neuerdings die These aufgestellt, dass
zunehmender Lobbyismus besonders im wirtschaftlichen Bereich
ein Indiz für eine Krise der Demokratie ist. Er hat damit
argumentiert, dass diese Lobbyorganisationen oft ihre Position
ausnutzen um politische Entscheidungsprozesse oder die
öffentliche Meinung zu manipulieren und dies den Grundsätzen
der Demokratie wiederspericht. Würdet ihr dieser These
zustimmen?
Nein, Lobbyismus ist kein Indiz für eine Krise der Demokratie. Lobbyismus ist Ausdruck von Demokratie und grundsätzlich eine sinnvolle Sache.
Lobbyismus ist Interessenvertretung und Interessenvertretung ist natürlicher Bestandteil jedes demokratischen Entscheidungsprozesses: Wer in einer Demokratie zu einer Entscheidung kommen will, braucht für diese Entscheidung eine Mehrheit. Um aber zu einer Mehrheit zu kommen, muß man die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen, die von dieser Entscheidung berührt werden, erkennen, aufnehmen und soweit ausgleichen, dass die Entscheidung von einer Mehrheit der Träger dieser Interessen mitgetragen wird. Damit ein gesellschaftliches Interesse wahrgenommen und in den Ausgleich einbezogen wird - oder, um in der Wortwahl des Fragestellers zu bleiben, damit das Interesse die Entscheidung erfolgreich „manipulieren“ kann -, muß man es in den politischen Prozeß einbringen. Das kann natürlich jeder für sich tun - was bei 80 Millionen Menschen aber nicht gerade erfolgversprechend ist. Sinnvoller ist es, gleichgerichtete Interessen zu bündeln und organisiert zu vertreten. Das ist auch allgemein üblich und kann in der Form einer Partei, einer Umweltschutzorganisation oder eines Verbraucherschutzverbandes erledigt werden - oder eben durch Lobbying. Lobbyismus ist daher dem Grunde nach gerade nicht antidemokratisch, sondern vielmehr Ausdruck aktiver Mitwirkung am demokratischen Entscheidungsprozeß.
Wenn bei diesem Prozeß den durch Lobbying vetretenen Interessen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist das - sofern die „besondere Aufmerksamkeit“ nicht lediglich eine vermeintliche ist, die auf Wahrnehmungsstörungen der Stammtischrunden beruht (dazu sogleich) - auch nicht per se verkehrt. Denn die, meist industriellen, Interessen, die die Lobbyisten vertreten, haben - auch wenn manch einer das nicht sieht oder nicht sehen will, weil es nicht in sein Weltbild paßt - Wirkungen, die über das Portemonnaie der betroffenen Unternehmen hinausreichen und gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben. So wirkt sich die erfolgreiche Vertretung unternehmerischer Interessen u.U. auch auf die Stabilität von zehntausenden oder hunderttausenden von Arbeitsplätzen aus, die vom Erfolg der vertretenen Unternehmen abhängen, und damit auf die Kaufkraft und die Lebensqualität ebensovieler Familien. Außerdem bedeutet unternehmersicher Erfolg Steuergeld, insb. in Form von Gewerbesteuereinnahmen. Und im übrigen Zudem ist es bisweilen so, dass Lobbyisten mit fundierter Branchensachkunde ausgestattet sind und neben den Interessen ihrer Industrie auch deren Sachkenntnis in den Entscheidungsprozeß einbringen. Und wenn man eine Angelegenheit vernünftig regeln will, ist Sachkenntnis erfahrungsgemäß nicht hinderlich. Daher sollte man einem Gesetzgeber, der seinen Lobbyisten überhaupt keine Aufmerksamkeit scheint, kräftig in den Hintern treten, damit er es tut.
Im übrigen macht sich manch einer offenbar falsche Vorstellungen davon, wie effektiv Lobbyismus tatsächlich ist. Es ist mitnichten so, dass der Lobbyist den Minister zum Bankett einlüde, ihn anschließend eine halbe Stunde beiseite nähme und am nächsten Tag der Gesetzentwurf nach den Wünschen des Lobbyisten umgeschrieben würde. Wer ein wenig Einblick in die Praxis hat, wird überrascht sein, wie wenig Lobbyisten bisweilen tatsächlich ausrichten. Und das ist besonders dann ärgerlich, wenn der Gesetzgeber bei seinem Regelungsvorhaben ohne aufreichenden Sachverstand unterwegs ist, was gar nicht selten ist.
Hallo,
Im übrigen macht sich manch einer offenbar falsche
Vorstellungen davon, wie effektiv Lobbyismus tatsächlich ist.
Es ist mitnichten so, dass der Lobbyist den Minister zum
Bankett einlüde, ihn anschließend eine halbe Stunde beiseite
nähme und am nächsten Tag der Gesetzentwurf nach den Wünschen
des Lobbyisten umgeschrieben würde. Wer ein wenig Einblick in
die Praxis hat, wird überrascht sein, wie wenig Lobbyisten
bisweilen tatsächlich ausrichten. Und das ist besonders dann
ärgerlich, wenn der Gesetzgeber bei seinem Regelungsvorhaben
ohne aufreichenden Sachverstand unterwegs ist, was gar nicht
selten ist.
so sieht es aus. Der Lobbyismus findet keineswegs in der Lobby oder auf dem Klo statt, sondern ganz langweilig per Brief/Fax: ein Gesetzentwurf wird vorgelegt und anschließend von Interessenverbänden kommentiert. Daraus ergibt sich dann ein sich teilweise über Jahre hinziehendes Hin-und-Her, in dessen Verlauf man sich manchmal an den Kopf fassen muß. Es ist in der Tat nicht selten, daß der Gesetzgeber am Anfang etwas völlig unbrauchbares, praxisfernes präsentiert und man selbst nach Monaten noch das Gefühl nicht loswird, daß der Referent im Ministerium immer noch gar nicht genau weiß, worum es überhaupt geht.
Insofern dient Lobbyismus nicht nur der Interessenwahrung einer Gruppe, sondern ggfs. dem Interesse der gesamten Bevölkerung.
Gruß
Christian
Hallo alex411,
meine Meinung als politischer Laie:
Ich denke, dass hier weniger der Lobbyismus, in seinem ursprünglichen Wortsinn, gemeint ist, sondern die finanziellen Zuwendungen bedeutender Unternehmen an Parteien bzw. Politiker. Lobbyismus ist sicher als positiv zu betrachten, da die meisten Politiker wenig Ahnung von dem haben worüber sie reden. Unter dem Aspekt können sie garnicht genug Hilfe, in Form von Rat, an die Hand bekommen.
Wenn allerdings Geld als Mittel eingesetzt wird Politiker dahingehend zu beeinflussen, einzelne wirtschaftliche Unternehmerinteressen durchzusetzen, ohne diese auf ihre gesamtwirtschaftliche Tauglichkeit zu prüfen, finde ich diese Form des Lobbyismus höchst verwerflich. Abgesehen davon, dass ein derart beglückter Politiker sich in eine Abhängigkeit begibt und damit erpressbar ist. Ganz zu schweigen von seinem Wählerauftrag, der darin liegt Volksinteressen zu vertreten, weniger (oder garnicht?)die Einzelner Begüterter.
Sabine
Hallo,
es ist sicher nicht alles so toll wie es hier geschildert wird.
Aus Wikipedia:
Kritik am Lobbyismus [Bearbeiten]
Lobbyisten werden von Kritikern oftmals als wahre Strippenzieher bezeichnet. Die Politiker wären quasi ihre Marionetten. (Bild: Demonstration gegen den Hongkonger Regierungschef Donald Tsang am 1. Juli 2005)Der Lobbyismus wird in Anlehnung an die „Vierte Gewalt“ (Presse) auch als „Fünfte Gewalt“ bezeichnet, da die Interessenpolitik ebenso wie die Presse einen Einfluss auf die Staatsgewalt hat. Anders als die institutionalisierten Gewaltenträger unterliegen Interessenvertreter jedoch keinen klaren gesetzlichen Regelungen.
Lobbyismus kann in manchen Fällen bis zur Korruption und damit unerlaubten Einflussnahme führen. Die harmloseste Form sind hier noch von Lobbygruppen organisierte sogenannte „Informationsveranstaltungen“ für Parlamentarier, die mit kostenloser Verköstigung der Eingeladenen verbunden sind. Besonders in Brüssel, aber auch in Berlin ist dies keine Seltenheit. Dabei wird natürlich das Ziel verfolgt, die Volksvertreter für seine eigenen Interessen zu gewinnen.
Es gibt Fälle, in denen tatsächlich Gelder und Leistungen fließen, um von einzelnen Parlamentariern bestimmte Abstimmungsverhalten zu erhalten. Das Ausmaß lässt sich jedoch kaum feststellen, und andererseits gibt es auch Bemühungen, diese Art von Korruption zu verhindern. So sind zum Beispiel die Mitglieder der EU-Kommission dazu verpflichtet, Geschenke ab einem Wert von 150 Euro anzugeben, und die Liste dieser Geschenke ist auf der Webseite der EU-Kommission einzusehen.
Lobbyismus steht folglich immer im Spannungsfeld zwischen berechtigter Einflussnahme und der möglichen Gefährdung demokratischer Grundprinzipien(!!!) Aufgrund immer komplexer werdender Wirtschaftsstrukturen und Themenfelder, die den Gesetzgeber vielfach in seinen Möglichkeiten überfordern, haben Lobbygruppen dennoch eine wichtige Funktion, insbesondere die Verschaffung von Informationen. Die am Gesetzgebungsprozess Beteiligten in Europa suchen daher mittlerweile – wie schon seit langer Zeit in den USA – offen das Gespräch mit Wirtschaftsvertretern, Verbänden und Lobbyisten, um sich vor einer Entscheidung umfassend über die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte eines Vorhabens zu informieren.
Gruß
tycoon
Hallo,
es ist sicher nicht alles so toll wie es hier geschildert
wird.
von toll schreibt hier niemand etwas, sondern es wurde dargestellt, wie Lobbyismus in der Praxis funktioniert.
Aus Wikipedia:
Kritik am Lobbyismus [Bearbeiten]
Solange Menschen von Politik beeinflußt werden, werden sie versuchen, Einfluß auf die Politik zu nehmen. Nun kann man entweder Politik ohne Konsequenzen machen oder das Volk abschaffen. In jeder andere Konstellation bleibt dabei: man versucht Einfluß auf jemanden zu nehmen, der Einfluß nimmt. Daß es dabei mitunter zu schädlichen oder intransparenten Aktivitäten kommt, ist unvermeidlich. Deswegen den Lobbyismus als solchen zu verteufeln, fände ich etwas übertrieben.
Gruß
Christian
Hallo Christian,
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Wo ist die Grenze zwischen Lobbyismus und Bestechung von Politikern?(Welche in Deutschland auch noch voellig legal ist!)M.E. erleichtert Lobbyismus Bestechung erheblich.
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Die Elite kann sich besser organisieren und bessere Lobbyarbeit machen als die Mittel- und Unterschicht (diese haben zwar auch Lobbies aber mit sehr wenig Einfluss)
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Gerade in komplexen Bereichen sind (einige) Politiker ueberfordert und neigen aus Unkenntnis Vorschlaege und Gesetzesentwuerfe der Lobby zu uebernehmen - unabhaengige Berater, z.B. Beraterkreise aus zufaellig ausgewaehlten Experten (Professoren) aus dem Gebiet koennten als Ersatz bzw. Ergaenzung zu den Lobbies dienen.
Gruss
Desperado
hi
- Die Elite kann sich besser organisieren und bessere
Lobbyarbeit machen als die Mittel- und Unterschicht (diese
haben zwar auch Lobbies aber mit sehr wenig Einfluss)
Das bezweifle ich, sind die größten Lobbyisten in Deutschland doch die Gewerkschaften.
grüße
Raoul