Jähzorn - was hilft?

Hallo! Mein Freund neigt leider zu Jähzorn,manchmal reicht eine Kleinigkeit, und er geht in die Luft. Vor allem, wenn er ohnehin angespannt ist. Jetzt, wo wir ein kleines Kind haben, macht mir das echte Sorgen. Noch reißt er sich ja zusammen - aber wenn der Kleine älter wird und auch mal Fehler macht, befürchte ich, dass er ihn dann auch anschreit. Das kann ich gar nicht ab, da mir das als Kind ähnlich ging und ich weiß, wie beängstigent und verwirrend solche Wutausbrüche sind. wie kann man so jemandem helfen? Er selbst wird natürlich absolut nicht einsehen, dass er therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollte, da er das für verkraftbar hält und sich oft auch im Recht sieht. Er weiß schon, dass er jähzornig ist, hält das aber eher für eine Seite, die eben zu ihm gehört. Im Grunde sollten sich wohl die anderen bemühen, ihn eben nicht wütend zu machen. Sonst ist er ganz lieb, nur eben ungeduldig, weicht ungern von seinen Erwartungen ab etc. Was also raten Sie mir da? Würde mich über grundsätzliche Ratschläge freuen. Y.

Hallo Yilsa,

da hast Du es sicherlich nicht einfach. Für alles, was helfen würde, bist Du sicherlich auf die Motivation Deines Freundes angewiesen. Das scheint für mich der erste Schritt, ihn zu überzeugen, sich Hilfe zu suchen.
„Jähzorn“ kann ganz viele Ursachen haben. Manche Personen werden damit geboren, bei anderen entwickelt sich so etwas erst, weil sie etwas Schlimmes erlebt haben und bei manchen Personen ist beides der Fall. Manche Menschen sind einfach nur sehr stressempfindlich. Da ist es immer notwendig, die Lebensgeschichte und aktuelle Situation Deines Freundes ganz genau anzuschauen und am Einzelfall entlang Unterstützungsangebote zu machen.
Leider lassen sich ja nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen (und da bist Du sicherlich schon Expertin), weil das Leben nicht immer so einfach ist (und schon gar nicht mit kleinem Kind). Ich denke, Du machst Dir also aus gutem Grund sorgen. Vielleicht gelingt es Dir, Deine Sorgen in einem guten Moment so anzusprechen, dass er sich nicht angeklagt, sondern umsorgt fühlt und Deine Unterstützung besser annehmen kann. Manchmal hilft es auch zu überlegen, wie er mit den „Idioten um ihn rum“ besser umgehen kann. Er fühlt sich dann besser verstanden und evtl. kommt irgendwann der Punkt, an dem er merkt, dass er auch an sich was ändern muss.

Grundsätzlich ist als Unterstützung vieles denkbar: Stress-Verarbeitungstechniken, Erlernen anderer Denkmuster, eine Art Notfallkoffer oder -plan (Was mache ich, wenn es kommt? Wo hole ich mir Unterstützung? Was hilft mir?), o.ä. Falls eine schlimme Erfahrung eine Rolle spielt, ist die therapeutische Aufarbeitung immer sehr hilfreich.

Für Dich hilfreich ist sicherlich, Dich gut zu schützen und für Dich gut abzuwägen,was Du tolerieren kannst und was nicht bzw. wann es Zeit ist, eine Grenze zu ziehen. Dies kannst Du ihm auch ganz deutlich sagen.

Für Euch beide hilfreich könnte das Buch: „Daniel Amen. Das glückliche Gehirn“. Es erklärt anhand des Gehirns, dass wir alle unsere „Gehirn-Baustellen“ haben (bei Deinem Freund eben vielleicht der Jähzorn) und was man konkret dagegen tun kann. Dr. Amen hat in der USA viele Menschen mit bildgebenden Verfahren untersucht und hier seine Erkenntnisse gewonnen. Das Buch ist voller Fallbeispiele - vielleicht findest Du ja eines, das auf Deinen Freund passt und mit dem Du den Zugang zu therapeutischen Hilfen besser schaffen kannst. Lies hier vor allem die Kapitel „Anteriores Cingulum“ und „Amygdala“ (nicht erschrecken - ist anschaulich und auch für Laien verständlich geschrieben).

Grüße
SunnyMo

Hallo Yilsa,
Jähzorn bei Erwachsenen ist schwierig in den Griff zu bekommen, da es sich um ein lange gefestigtes Verhaltensmuster handelt, das nur langsam „abtrainiert“ werden kann. Ich würde Ihren Freund in einem ruhigen, entspannten Gespräch (ohne Vorwürfe), gerade mit dem Hinweis darauf, dass ihr jetzt eine Familie seid, bei seinem Ehr- und Verantwortungsgefühl packen und ihm seine Vorbildrolle für euren Sohn klar vor Augen führen. Gerade Ihre beängstigenden Erfahrungen in Ihrer Kindheit sollten eine nützliche Argumentationshilfe darstellen.

Ein erster Schritt wäre, dass Sie sich mit Ihrem Freund ein klares STOP-Signal (das kann ein Wort oder eine Geste sein, deren Bedeutung nur ihr kennt) ausmachen, das dann zum Einsatz kommt, wenn Ihr Freund im Beisein eures Sohnes, aus welchem Grund auch immer, einen Zornausbruch bekommt. Ich kenne eure Wohnverhältnisse nicht, aber eine Möglichkeit wäre: „Halt, könntest du mir bitte ein Glas Wasser bringen.“, oder ähnliches. Der Sinn solcher STOP-Signale ist es aus der momentanen Situation den ersten „Dampf“ herauszunehmen und für eine kurze Unterbrechung und Ablenkung zu sorgen, ohne dass Ihr Freund dabei sein Gesicht verliert weil Sie ihn vor dem Kind oder Freunden und Familie bloßstellen.

Die Arbeit mit diesen Signalen sollte auch mit einem nonverbalen (ohne Worte) Bewertungssystem verbunden werden. Für so ein nonverbales Bewertungssystem hat sich bei Kindern (geht aber bei Erwachsenen auch) die Steinchen-Methode sehr bewehrt. Dazu benötigen Sie ein hübsches Glas, eine Vase o.ä. und eine Menge an roten, gelben und grüne Steinchen, Glassteinchen oder Holzkügelchen. Jeden Abend werfen Sie unbeobachtet ein Steinchen in das Glas; unbeobachtet deshalb, weil Sie das konkrete Steinchen nicht erklären sollen. Je nachdem wie Ihr Freund seinen Jähzorn unter Kontrolle hatte ein grünes, wenn alles super war und er sich toll im Griff hatte, ein gelbes, wenn es schon gut war, aber noch nicht optimal, ein rotes, wenn sein Temperament mit ihm wieder einmal durchgegangen ist. Einmal im Monat setzt ihr euch gemeinsam in entspannter Atmosphäre zusammen und schaut wie es sich mit den Steinchen im Glas verhält, welche Farbe überwiegt. Sie werden sehen, mit der Zeit werden die gelben und roten Steinchen seltener werden oder vielleicht sogar ganz verschwinden.

Das Wichtigste ist, ohne Vorwürfe miteinander zu reden und nur das positive Verhalten Ihres Freundes hervor zu heben. Ihre Rolle ist jene der Helferin und nicht jene der Therapeutin oder gar der Erzieherin Ihres Freundes. Was Sie dazu brauchen ist Geduld und Konsequenz, denn Verhaltensweisen ändern sich nur sehr langsam, besonders bei Erwachsenen.

Ich hoffe Ihnen mit diesen kleinen Tricks einen möglichen Weg aufgezeigt zu haben.

LG Sam Deer

Hallo!
Ihnen aus der Ferne etwas zu diesem Problem zu raten fällt mir schwer, da ich dazu die Situation viel zu wenig kenne. Wenn Sie mit diesem Problem in meine Praxis kämen, würde ich Sie fragen, ob Sie da ein Problem aus ihrer eigenen Geschichte wiedereingeholt haben könnte und ob es vielleicht nützlich sein könnte, dieses, ganz abseits Ihres Kindes, für Sie persönlich aufzugreifen. Vielleicht könnten Sie durch therapeutische Gespräche, z.B. in einer Beratungsstelle lernen, mehr Sicherheit im Umgang mit einer zu Jähzorn neigenden Person zu gewinnen und diese ohne Angst in Ihre Schranken zu weisen. Ich denke, ein gemeinsames Kind ist es wert.