Jesus und die Hellenen

Hallo,

da ich mich seit geraumer Zeit etwas näher mit der Person Jesus von Nazareth beschäftige, um mir ein umfassendes Bild von ihr machen zu können, würde ich gerne wissen, welche Haltung Jesus zum Hellenismus hatte.

Da die großen griechischen Denker ja schon vor Jesu’ Zeiten gelebt haben und er als Wanderprediger viel umhergereist ist und sich somit mit Menschen geistig austauschen konnte, liegt es nahe, dass er mit der griechischen Denkart irgendwann einmal in Berührung kam. Hier drängt sich natürlich die Frage auf, welche Einstellung er denn zur Kunst, zur Musik und Theater, und zu all den naturwissenschaftlichen Entdeckungen, zur Mathematik, aber auch zur Philosophie, und überhaupt zur griechischen Lebens- und Denkart hatte? Fand er das, was die Griechen entdeckt hatten und das, worüber sie philosophierten, nicht beachtenswert? Hatte er nur seinen jüdischen Gott im Kopf?

In Verbindung damit würde ich doch mal ganz gerne wissen wollen, wieso Jesus einmal eine Griechin als Hund bezeichnet hat? Daraus lässt sich doch schließen, dass er eine eher ablehnende Haltung zu den Griechen hatte! Aber warum war das so?

Je mehr ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher scheint es mir, dass das, was Jesus am allerwenigsten wollte, nämlich eine in allen Ländern der Erde mit ihren verschiedenen Traditionen und Kulturen verehrte Gottheit zu sein, heute eingetroffen ist. Er sagte doch selbst: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“. Vielleicht war er sogar ein sehr beschränkt denkender Mensch in Hinsicht auf Kulturen und Nationen, lies nur das Jüdische zu bzw. hieß es gut und verpönte alles andere.

Vielleicht kann die Frage mit Hilfe biblischer Texte nicht eindeutig geklärt werden, aber es existieren ja sicher auch apokryphische Texte bzw. außerbiblische Quellen.

Ich würde mich auch auf Literaturempfehlungen freuen!

Danke und Tschüss,
Wolfgang Fazio

Hallo,

zur Zeit Jesu war Griechenland nur noch römische Kolonie - die großen Glanzzeiten lagen lange zurück.
Zudem war Jesu ein Sohn armer Leute und hat als solches wohl nie eine umfassende klassische Bildung erhalten - genau so wenig wie die Leute, dier er auf seinen Wanderungen durch Palästina traf. Woher sollte da also eine große klassische hellenistische Bildung kommen?
Er war Jude und sah sich als Jude - und er wollte auch zu zu keinem anderen Volk sprechen.

Es war ein wenig wie heute - nur krasser: Unter den verschiedenen Völkern kursierten viele Vorurteile. Griechen galten z.B. bei den Römern als verweichlichte dekantente notorische Lügner.
Und wenn man ehrlich ist… es steckt sogar ein rationaler Kern drin. Nach griechischer Lesart galt schön gleich gut und gottgefällig. Das beinhaltete explizit auch, daß eine schön vorgetragene Lüge als besser und gottgefälliger galt als eine häßliche Wahrheit. Bestraft wurde nicht die Lüge - bestraft wurde man, wenn man sich dabei erwischenlies - wegen der Dummheit, sich erwischen zu lassen.
Und mit diesem Konzept konnten die meisten anderen Völker nun herzlich wenig anfangen.

Zudem: Jesus war Jude. Und für ihn war sein Volk das auserwählte Volk. Das beinhaltet automatisch eine gewisse Mißachtung anderer Standpunkte. Er hatte doch nie vor, sich aus irgendwelchen Teilen eine neue Religion zu basteln. er wollte sein Volk auf die Wurzerln der angestammten Religion zurückführen - da waren ihm die Griechen herzlich egal.

Gernot Geyer

Tach Wolfgang,

Vielleicht kann die Frage mit Hilfe biblischer Texte nicht
eindeutig geklärt werden, aber es existieren ja sicher auch
apokryphische Texte bzw. außerbiblische Quellen.

Die apokryphen Texte werden Dir noch weniger weiterhelfen als die kanonischen Evangelien, denn erstens sind sie erheblich jünger als diese, und zweitens stammen sie fast ausschließlich aus einer bestimmten geistesgeschichtlichen Ecke, der Gnosis nämlich. Und da kommt es nicht auf historische Zusammenhänge oder Genauigkeit an, sondern es wird ein Jesusbild gezeichnet, das als ideologische Untermauerung dienen sollte.

Da die großen griechischen Denker ja schon vor Jesu’ Zeiten
gelebt haben und er als Wanderprediger viel umhergereist ist
und sich somit mit Menschen geistig austauschen konnte, liegt
es nahe, dass er mit der griechischen Denkart irgendwann
einmal in Berührung kam.

Das liegt m.E. durchaus nicht nahe, denn „viel herumgereist“ ist Jesus gewiß nicht. Zuerst hat er wohl mal als Zimmermann in Galiläa gearbeitet, dann hat er seine Tätigkeit als Wanderprediger begonnen, und zwar in Galiläa, Samaria, der Dekapolis, zum Schluß Judäa und Jerusalem. Die Wanderung in die Gegend von Tyrus, wo er die Tochter der syrophönizischen Frau heilte (Mk 7, 24ff parr), war ein einmaliger Abstecher.
Und er hat keineswegs die Frau als Hund oder Hündin bezeichnet, sondern in einem Vergleich darauf hingewiesen, daß man den Kindern nicht das Brot zugunsten der Hunde wegnimmt. Da hat er allerdings deutlich gemacht, daß er seiner Meinung nach nur zu den Israeliten gesandt war.

Hier drängt sich natürlich die Frage
auf, welche Einstellung er denn zur Kunst, zur Musik und
Theater, und zu all den naturwissenschaftlichen Entdeckungen,
zur Mathematik, aber auch zur Philosophie, und überhaupt zur
griechischen Lebens- und Denkart hatte? Fand er das, was die
Griechen entdeckt hatten und das, worüber sie philosophierten,
nicht beachtenswert?

Ob diwse Frage sich aufdrängt , weiß ich nicht, halte es auch eher für unwahrscheinlich. Aber egal: Er hatte zu all den von Dir genannten Gebieten überhaupt keine „Einstellung“; sie waren ihm herzlich egal, weil unbekannt. Sie hatten für ihn keinerlei Bedeutung.

Hatte er nur seinen jüdischen Gott im Kopf?

Wenn Du es denn so ausdrücken möchtest: Ja!

In Verbindung damit würde ich doch mal ganz gerne wissen
wollen, wieso Jesus einmal eine Griechin als Hund bezeichnet
hat? Daraus lässt sich doch schließen, dass er eine eher
ablehnende Haltung zu den Griechen hatte! Aber warum war das
so?

Auf Dein Mißverständnis habe ich schon hingewiesen.

Gruß - Rolf

Hallo Wolfgang,

zunächst einmal kann man davon ausgehen, dass Jesus Kontakt zur griechischen Kultur hatte. Er kam beispielsweise in das Gebiet der Dekapolis (siehe Markus Kapitel 5). Bei der Dekapolis handelt es sich um griechische Kolonien, die nach dem Eroberungsfeldzug Alexanders gegründet wurden. Die griechische Sprache war allgemein verbreitet.
In den Evangelien finden sich aber keine Anklänge an griechische Kultur und Gedankengänge. Dies ist aber auch verständlich, wenn man sich beide Kulturen ansieht.

Für die Griechen war der Dienst für DIE Götter und das heilige Gastrecht das Zeichen von Kultur. Die Barbaren erkannte man daran, dass sie den Göttern nicht dienten.
Die Juden dagegen glaubten dagegen nur an den Gott JHWH. Der Glaube gebot ihnen auch sich von anderen Völkern abseits zu halten, um nicht deren Götter und Gebräuche anzunehmen.

Vielleicht war
er sogar ein sehr beschränkt denkender Mensch in Hinsicht auf
Kulturen und Nationen, lies nur das Jüdische zu bzw. hieß es
gut und verpönte alles andere.

Jesus war ein jüdischer Wanderpriester, der nur zum jüdischen Volk gesandt war. Das einzige worum es in ging, war die Botschaft vom Reich Gottes. Andere Kulturen, Nationales und Politisches spielten für ihn keine Rolle. In seinen Predigten und seinen Erklärungen bezog er sich auf das Alte Testament und das alltägliche Leben seiner Zuhörer. Insofern war er wirklich ein beschränkt denkender Mensch.

Wenn nun Jesus seinen Dienst auf das Haus Israel beschränkte, bedeutet dies nicht, dass er den Rest der Welt ignorierte. Seine Botschaft sollte nach seiner Himmelfahrt von seinen Jüngern über die ganze Welt verbreitet werden (Matthäus 24:14, 28:19).

Gruß
Carlos

Hallo Rolf,

Das liegt m.E. durchaus nicht nahe, denn „viel herumgereist“
ist Jesus gewiß nicht. Zuerst hat er wohl mal als Zimmermann
in Galiläa gearbeitet, dann hat er seine Tätigkeit als
Wanderprediger begonnen, und zwar in Galiläa, Samaria, der
Dekapolis, zum Schluß Judäa und Jerusalem. Die Wanderung in
die Gegend von Tyrus, wo er die Tochter der syrophönizischen
Frau heilte (Mk 7, 24ff parr), war ein einmaliger Abstecher.

auffällig ist mE, dass er das gerade mal 15 km von Kafarnaum gelegene Tiberias anscheinend nicht betrat. Gerade für einen Zimmermann muss es in diesem Zentrum hellenistischer Kultur jede Menge Arbeit gegeben haben (die Stadt wurde 17 u.Z. gegründet, das größte Arbeitsbeschaffungsprogramm in der Region) und für einen Wanderprediger ein großes Publikum - freilich aus Menschen bestehend, die entweder keine Juden waren oder solche, die in religiöser Hinsicht etwas lau waren (vgl. Josephus Flavius, Antiquitates, XVIII).

Ansonsten ist vom ‚Gebiet der Dekapolis‘ die Rede - nicht aber von einer bestimmten Stadt dort. Die Städte waren natürlich hellenistisch - mit dem Land sah es wohl anders aus. Davon abgesehen, dürfte es in den Städten der Dekapolis starke jüdische Gemeinschaften gegeben haben. Dass in Mk 7,26 die nicht-jüdische Herkunft der Bittstellerin explizit erwähnt wird, in Mk 7,32 jedoch nichts dergleichen, ist ein starkes Indiz dafür, dass der „im Gebiet der Dekapolis“ geheilte Taubstumme Jude war.

Speziell das Fehlen von Tiberias in seinem Itinerar scheint mir ein deutlicher Hinweis dafür zu sein, dass Jesus sein Publikum nicht in hellenisierten Juden oder gar Nicht-Juden suchte. Die genannte Stelle Mk 7,27 macht dies ebenfalls sehr deutlich.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Wolfgang,

Natürlich war Jesus von Nazareth in Kontakt mit der griechischen Kultur. Palästina war über Jahrhunderte Teil des griechischen Seleukidenreichs gewesen. Griechisch (Koiné) war die Umgangssprache unter den Gebildeten. Das jüdische Volk teilte sich in konservative Traditionalisten (die Pharisäer) und progressive griechisch-römische Sympathisanten (die Sadduzäer), wobei letztere die Kontrolle über den Tempel ausübten.

Jesus gehörte den Kreisen der Pharisäer an. Nachdem man sich vor allem liebsten mit seinesgleichen und dann am heftigsten streitet, ist das neue Testament voll von Streitfragen mit und über Pharisäer. Die Kultur und die Ansichten der „griechischen“ Juden waren Jesus sicherlich bekannt, doch die Berührungspunkte eher gering, das war nicht seine Welt.

In der Apostelzeit drehte sich das Ganze, die christliche Lehre fand stärkeren Zulauf bei den „griechischen“ Juden als bei den Traditionalisten. Spuren der Heftigkeit, mit der Bruderzwiste ausgetragen werden, findet sich damit auch in den Evangelien.

Gruß
Hardey

‚Die‘ Regensburger Vorlesung
Hallo Wolfgang,

die aus anderen Gründen berühmt gewordene Vorlesung von Benedikt XVI. - für diesen einen Moment wäre allerdings die Bezeichnung Prof. Ratzinger zutreffender - beschäftigt sich mit genau dieser Frage. Wirklich interessant zu lesen!

Gruß,
Andreas

Servus Hardey

du kommst dem Thema und meiner Sichtweise nahe. Die Frau hatte nur mehr die eine Hoffnung, sonst ist ihr die jüd. Religion fremd. Heute würde man sagen : Trittbrettfahrerin. Wo hingegen, als ein Helene Jesus sprechen wollte, war Jesus sehr gerührt. siehe Joh 12,20

Gruß

peter S

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