Jetzt die Eurobonds? Warum handeln wir so?

Liebes Forum,

immer wieder diese Finanzkrise und ich würde so gerne ein bisschen mehr bei den Zusammenhängen durchblicken als ich das momentan tue. Ich würde mich freuen, wenn mir jemand mit der folgenden, allgemeinen Frage weiterhelfen könnte.

Nach Rettungsschirmen und dem Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB werden ja jetzt europäische Staatsanleihen, also die Eurobonds diskutiert. Zwar heißt es offiziell bisher, dass Merkel, FDP & Co diese ablehnen, aber natürlich gibt es auch Befürworter und - man ahnt es schon - bei der nächsten Marktturbulenz (wie die der letzten Woche), ist dann ein nächster Schritt ganz schnell wieder „alternativlos“ und die Eurobonds kommen. Ich frage mich nur immer wieder: wieso macht Deutschland das immer noch mit. Bisher war meine Erklärung diese hier: Deutsche Unternehmen bzw. ganz Deutschland exportiert viel und zwar wesentlich mehr als wir importieren. D.h. wir sammeln Geld in Form von Devisen etc. Dieses Geld will irgendwo investiert werden. Da die Investitionsmöglichkeiten, zumindest die lukrativen, auch in Deutschland begrenzt sind, wird das Geld ins Ausland verliehen. D.h. wir Deutschen haben jede Menge Geld in anderen Ländern, z.B. auch den PIIGS. Gehen eines oder gar mehrere dieser Länder insolvent, so müssen die Banken, Lebensversicherungen etc., die den betreffenden Ländern investiert sind, einen Großteil ihrer Forderungen abschreiben, der Staat müsste sie wieder stützen, würde dabei aber bald an den Rand seiner Möglichkeiten kommen und somit würden private Gläubiger „enteignet“. Damit das nicht passiert, stützen wir die betreffenden Länder also lieber, bevor diese Kette angestoßen wird. Das erscheint zwar erstmal sinnvoll, aber wenn wir doch immer und immer wieder zahlen müssen, dann müsste es uns doch irgendwann günstiger zu stehen kommen, die Gläubiger der Banken für potentielle Ausfälle abzusichern und ggf. später zu entschädigen. Wenn wir nach der Einführung von Eurobonds nur 2 % mehr Zinsen auf unsere 2 Billionen Euro Staatsschulden bezahlen, so wären das bereits 40 Mrd. zusätzliche Ausgaben für den dt. Staat pro Jahr. Ggü. Griechenland hatten wir gemäß einer Statistik in 2010 z.B. insgesamt „nur“ ca. 65 Mrd. Euro Forderungen. Und bei einem Schuldenschnitt kommt es ja auch nicht direkt zum Totalausfall der Forderungen.
Also warum machen wir das mit? Ist es rein politisch motivierter Wille, dass die Eurozone so erhalten bleibt, wie sie ist mit allen Mitgliedsstaaten?
Ist der Grund, dass eine Staatspleite sofort einen Dominoeffekt nach sich ziehen würde und dann sofort ein Land nach dem anderen insolvent gehen müsste?
Da alle Länder der Eurozone verschuldet sind und die Verschuldung im Trend Jahr für Jahr steigt und eben nicht weniger wird, liegt es ja eigentlich auf der Hand, dass das Spiel „den letzten (Gläubiger) beißen die Hunde (Vermögensverlust/Abschreibungen von Forderungen)“ gespielt wird. Die Frage lautet halt nur, wie lange Anleger noch das Vertrauen haben, eben nicht der Letzte zu sein und entsprechend den Staaten noch Geld leihen. Wieso also dieses Spiel des Hinauszögerns, bei dem wir immer mehr zahlen ohne dass sich an der Ausgangslage, dass wir immer noch Forderungen mindestens in gleicher Höhe gegenüber diesen Ländern behalten?

Ich würde mich sehr über Antworten und Kommentare zu diesem Thema freuen!

Viele Grüße

Chris

Hallo Chris,

Nach Rettungsschirmen und dem Aufkauf von Staatsanleihen durch
die EZB werden ja jetzt (…) die
Eurobonds diskutiert. (…) wir Deutschen haben jede Menge Geld in anderen
Ländern, z.B. auch den PIIGS. Gehen eines oder gar mehrere
dieser Länder insolvent, so müssen die Banken,
Lebensversicherungen etc., die den betreffenden Ländern
investiert sind, einen Großteil ihrer Forderungen abschreiben,
der Staat müsste sie wieder stützen, würde dabei aber bald an
den Rand seiner Möglichkeiten kommen und somit würden private
Gläubiger „enteignet“. (…)

Ziel ist es, dass wir NICHT an die Grenzen kommen.

Wenn wir nach der Einführung von
Eurobonds nur 2 % mehr Zinsen auf unsere 2 Billionen Euro
Staatsschulden bezahlen, so wären das bereits 40 Mrd.
zusätzliche Ausgaben für den dt. Staat pro Jahr. (…)

Es ist nicht gesagt, das wir dafür volle 2 Prozent mehr Zinsen zahlen müssen. ich weiss, das hat ein angesehener Sachverständiger gesagt, aber da gibt es auch andere Schätzungen die einem Bruchteil dessen annehmen, entsprechend kostet es „nur“ einen Bruchteil der 40 MRD Euros.

Ist der Grund, dass eine Staatspleite sofort einen
Dominoeffekt nach sich ziehen würde und dann sofort ein Land
nach dem anderen insolvent gehen müsste?

Mehr oder weniger JA.

(…)Wieso also dieses
Spiel (…) gegenüber diesen Ländern behalten?

Der Euro als Gemeinschaftswährung wurde vor Einführung Jahre und Jahrzehnte diskutiert. Es gab schon immer kontroverse Meinungen. Beide Seiten haben sinnvolle Argumente. Es gab also eine Abwägung, ob die Vorteile oder die Nachteile überwiegen.

Einer der Nachteile ist, dass in einem so großen Währungsraum mit unterschiedlich entwickelten Ländern auf Dauer Spannungen entstehen können. Das ist absolut wahr und richtig, aber man sollte dabei bedenken, dass die Einzelwährungen auch Probleme erzeugt hatten und hätten.

Einige dieser Spannungen zeigen sich nun. Das war abzusehen. Nicht abzusehen ist, wann welche Spannungen in welcher Höhe auftreten. Ganz allgemein muss die Politik auf reale Entwicklungen reagieren - total normal. Meist könnte man besser reagieren - auch total normal. Wichtig ist, ob es gut genug war. Noch leben wir :wink:

Die Eurobonds: Sie sind ein Konzept um den aktuellen Problemen zu begegnen, insbesondere der Problematik, dass einzelne Länder Ziel von spekulativen Attacken sind/werden/bleiben. Die Idee dahinter basiert unter anderem darauf, dass der Euroraum als ganzes wesentlich sicherer geg. Spek. Attacken ist als jedes einzelen Land, auch als Deutschland.

Letzlich könnten die Eurobonds allen Euroländern die Zeit verschaffen, Ihre Finanzen zu konsolideren, was natürlich geschehen muss.

Die Furcht, wir (Deutschen) müssten für die Schulden der anderen Länder aufkommen ist hysterisch denn es kommt erheblich auf die Ausgestaltung der Eurobonds im Detail an. Geeignete Sanktionen gegen „Schuldensündern“ einzubauen sind prinzipiell machbar.

Meine Meinung: den Euo fallen zu lassen und die gute alte DM wieder einzuführen wird uns gewaltige Probleme bereiten, nicht nur dass unsere Produkte in den meisten anderen Ländern durch DM-Aufwertung teurer werden, auch die Absicherung gegen Währungsschwankung kostet das ein oder andere Prozent (was bei der Konjunkturentwicklung leicht den Unterschied zwischen „rosig“ und „Rezession“ ausmachen kann).

Was gerne vergessen wird: Vor dem Euro gab es eine Abwanderung von Arbeitsplätzen: die Unternehmer hatten keine Lust in D zu investieren weil durch eine Aufwertung auch die Produktionsstandorte leicht unrentabel werden. Wir erinnern uns an die Zeiten der Arbeitsplatzverluste TROTZ erheblicher Lohnzurückhaltung bei den Arbeitnehmern.

Was noch gerne vergessen wird sind die Potentiale die der Euroraum ausserdem bietet. Ohne dies näher auszuführen glaube ich, dass es bei entsprechender politischer Umsetzung sehr gut möglich ist, sich von etlichen Turbulenzen der Finanzmärkte zu entkoppeln, auch wenn es gerade danach aktuell überhaupt nicht aussieht.

Ganz nett auch, dass der Euro sich neben den Dollar als Weltwährung stellt. Der schwankende Kurs zum Dollar bedeutete in der Vergangenheit weitere Unsicherheiten, die wiederum mit Zusatzkosten abgesichert werden mussten. Dies hat abgenommen (Verträge mit dem Ausland werden zunehmned in Euro geschlossen, auch bei Öl) und bringt uns wiederum das eine oder andere Prozentbruchteilchen Wirtschaftswachstum.

Die aktuelle Diskussion ist für mich hysterisch: wir befinden uns in einer guten wirtschaftlichen Lage, aber alles was mit dem Euro zu tun hat wird gerne in breiter Öffentlichkeit verdammt.

Der Euro als Politikum/langfristig: Selbst wenn der Euro uns Deutsche tatsächlich mehr kostet als er bringt halte ich den für gut, denn Kosten sind immer auch eine Frage der zeitlichen Perspektive. Solange Euroland so schön enge poilitisch miteinander ist kann man sich einen Krieg der Mitgliedsstaaten nicht vorstellen, aber Krieg war DIE politische Konstante in Europa über Jahrhunderte. Genau deswegen haben sich die größtem Kriegsgegner D und F nach 45 zusammengerauft um das Projekt Europa trotz der frischen Verletzungen (durch uns Deutsche) anzugehen. Der Euro und eine stabile wirtschaftliche Lage sind teil des Fundaments, auf dem unser Frieden aufgebaut ist. sollten also ein Krieg in 20 oder 50 Jahren NICHT stattfinden hat sich die ganze Sache „Euro“ mit all seinen Problemen und Schwierigkeiten und Kosten fett rebntiert.

Gruß

Udo

Hallo Chris,

im Grunde logisch argumentiert von dir, nur ein paar Anmerkungen.

  1. Die eventuellen „Mehrkosten“ durch Eurobonds für Deutschland hängen sehr von der Ausgestaltung des Systems ab. Z.B. haftet Deutschland für alle Bonds voll oder nur mit seinem „Anteil“ von - ich glaube irgendwas über 20 % , analog zur EZB und Rettungsschirm - und können Länder danach trotzdem noch eigenen Anleihen begeben ? Wer die Mehrkosten simpel aus „Höherverzinsung“ und Schuldenstand errechnet impliziert, dass 1. Deutschland seinen Bedarf auch über Eurobonds und nicht über eigene Bonds deckt, und sämtliche deutsche Anleihen am Tag nach Einführung der Eurobonds fällig werden. ( Weil für laufende Anleihen zahlen wir auch mit Eurobonds keinen einzigen Cent mehr Zinsen ).

  2. Das mit dem Export und der Kapitalanlage im Ausland geschieht nicht aufgrund mangelnder lohnender Alternativen im Inland sondern ist ein zwingender Mechanismus. Man kann keine Handelsbilanzüberschüsse bzw. Leistungsbilanzüberschüsse haben, ohne Forderungen gegen das Ausland aufzubauen. Das ergibt sich aus den Grundsätzen der Zahlungsbilanz.

  3. Aus dem Punkt 2. stellt sich die Frage, ob man, wenn seine Forderungen gegen Land X als gefährdet eingestuft werden, die Außenstände noch dadruch erhöhen sollte, dass man weiter in dieses Land exportiert. Deutschland ist leider zu exportgeil, um sich diese Frage auch nur ansatzweise mal zu stellen.

  4. Deine Idee, „lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende“ ist an sich ja richtig und sympatisch. Aus den in 3. erwähnten deutschen Sonderheit wäre es aber so, dass Deutschland, nachdem auf die Forderungen sagen wir mal 30-50 % abgeschrieben wurde, durch weitere Exporte sofort wieder neue Schulden draufgepackt würden. Mit etwas Phantasie und einem Taschenrechner könnte man dann ausrechnen, wann der nächste Forderungsverzicht fällig werden würde … daher verliert die Idee doch ziemlich an Charme finde ich.

Grüßle

Eric

Hallo,

abgeschrieben wurde, durch weitere Exporte sofort wieder neue
Schulden draufgepackt würden.

das wäre nicht so, wenn sich die Staaten mal dazu hinreißen ließen, ausgeglichene Haushalte zu produzieren anstatt ständig neue Schulden.

Gruß
C.

Sry, aber ich glaube, auch aus der Historie heraus, dass die „Exportsucht“ Deutschlands nichts mit der Haushaltslage zu tun hat. Das ist einfach zu tief in uns drin.

Und übrigens Chris, der Fakt, dass die (Staats)Schulden immer weiter steigen liegt daran, dass auch das Vermögen durch Ersparnisbildung kontinuierlich weitersteigt.

Der anhaltende Schuldenanstieg muss daher per se nichts zwingend unheilvolles sein, da er, zumindest auf die Gesamtwirtschaft betrachtet, völlig unvermeidlich ist.

Grüßle

Eric