Hallo Oranier,
vielen Dank erst mal für den Link, der für mich sehr
aufschlussreich ist.
Eine Sache ist mir unklar. Da steht bei der Thesis:
„Denn, man nehme an, die Welt habe der Zeit nach keinen
Anfang:
so ist bis zu jedem gegebenen Zeitpunkte eine Ewigkeit
abgelaufen,
und mithin eine unendliche Reihe aufeinander folgender
Zustände der Dinge in der Welt verflossen.
Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit einer Reihe, daß
sie durch sukzessive Synthesis niemals vollendet sein kann.
Also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unmöglich,
mithin ein Anfang der Welt eine notwendige Bedingung ihres
Daseins; welches zuerst zu beweisen war.“
Was ich daran nicht verstehe:
Nur die Tatsache, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein
(vorläufiges) Ende der Reihe erreicht ist, heißt doch nicht,
dass sie nicht rückwärts gerichtet unendlich ist. Anders
ausgedrückt: Die unendliche Reihe kann doch sehr wohl durch
sukzessive Synthesis vollendet sein, wenn diese Synthesis
unendlich ist. Und wenn sie immer war, ist sie unendlich, auch
wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ein (vorläufiges) Ende
findet.
Hallo Fredun,
du stellst mich vor eine herbe Herausforderung, ich bin leider auch nicht der intimste Kenner der Kr.d.r.V.
Trotzdem folgender Versuch nach meinem Verständnis, den andere ja ggf. präzisieren oder korrigieren können:
Kant versucht hier ja nicht tatsächlich zu beweisen, dass die Welt einen zeitlichen Beginn habe, sondern er will eigentlich beweisen, dass man das eben mit den Mitteln unseres begrenzten Verstandes nicht beweisen kann, genauso wenig, wie das Gegenteil.
Dazu operiert er mit einem von ihm so genannten „transzendentalen“ Begriff von Unendlichkeit, das bedeutet m.E.: Wie können wir Unendlichkeit (und Endlichkeit) nur denken, (nicht: vorstellen). Seine Antwort: Die „sukzessive Synthesis“ (aufeinanderfolgende Zusammensetzung) der gedachten Einheit kann in Durchmessung eines Quantum niemals vollendet sein. Bis zu einem gegebenen (gegenwärtigen) Zeitpunkt kann nicht eine Ewigkeit wirklicher aufeinanderfolgender Zustände verflossen sein. Anders ausgedrückt: Man müsste so das Unendliche als Endliches denken, und das ist unmöglich. Also kann die Aufeinanderfolge nur endlich sein und muss daher einen Beginn haben.
Das ist aber für Kant eben, wie gesagt, zwar ein in sich schlüssiger, aber trotzdem kein gültiger Beweis für einen zeitlichen Anfang der Welt, sondern „nur“ das Durchexerzieren eines bestimmten, metaphysischen, Beweisverfahrens, von einem Begriff der Unendlichkeit ausgehend, dem er kontradiktorisch den leichter verständlichen, in sich ebenso schlüssigen, Gegenbeweis mit der leeren Zeit gegenüberstellt.
Was Kant zusammenfassend mit dem Vorführen dieser „Antinomie“ zeigen will, ist ja gerade, dass unser Verstand zu begrenzt ist, die Endlichkeit oder Unendlichkeit aus reinen Vernunftbegriffen heraus zu beweisen, wie er es auch in entsprechender Weise mit der Frage der Existenz bzw. Nicht-Existenz Gottes vorführt.
Grüße
oranier