Josef in Ägypten

Sehr geehrter Herr Günther,
ich habe eine Weile überlegt, ob ich auf diese Art ‚qualifizierter‘ Kritik überhaupt reagieren soll. Im Interesse der Sache …

Immer mehr Archäologen verwenden den Inhalt der Bibel als
Anhaltspunkt für ihre Ausgrabungen und Nachforschungen.

Das hätte ich mir schon etwas konkreter gewünscht - welche Archäologen sollen das sein und auf welche Art genau wird da die Bibel als ‚Anhaltspunkt‘ verwendet? Schliemann hat die ‚Ilias‘ als „Anhaltspunkt“ zur Entdeckung Trojas genutzt - macht dies nun die Ilias zu einer ernstzunehmenden historiographischen Quelle? Wohl kaum.

Was heisst im übrigen „immer mehr“ - ist da tatsächlich ein zunehmender Trend in der modernen Archäologie zu belegen? Auch hier: wohl kaum.

Wenn man schon andere Postings als „Schmarrn“ abtut, sollte man die eigenen Behauptungen schon wenigstens minimal belegen - sonst ist der Eindruck unvermeidlich, sie seien aus der Luft gegriffen.

Tatsächlich ist es so, dass man in der Frage der historiographischen Bewertung des Tenach seit den Achtzigern regelrecht von einem Paradigmenwechsel sprechen kann, den freilich schon Wellhausen (1844 - 1918) eingeleitet hatte. Sicherlich sind die sog. Maximalisten noch nicht völlig verschwunden, Leute wie Kenneth Kitchen (On the Reliability of the Old Testament, 2003) sind allerdings fast schon Kuriositäten. Wie Metapher schon bemerkte - es gibt auf dem Gebiet nicht nur Finkelstein und Silberman. Es gibt z.B. auch William G. Dever, der 2006 in der März/April-Ausgabe der Biblical Archaeology Review schreibt (Übersetzung von mir):

Die Uhr kann nicht in die Zeit zurückgedreht werden, als die Archäologie angeblich „die Bibel bewies“. Archäologie, wie sie heute ausgeübt wird, muss ebenso in der Lage sein, die biblischen Geschichten zu widerlegen wie sie zu bestätigen. Manche der dort beschriebenen Dinge sind tatsächlich geschehen, aber andere nicht. Die biblischen Erzählungen von Abraham, Moses, Josua und Salomo reflektieren möglicherweise einige geschichtliche Erinnerungen von Menschen und Orten, aber die „überlebensgroßen“ Porträts der Bibel sind unrealistisch und stehen im Widerspruch zu den archäologischen Befunden. Einige der Vorfahren Israels kamen möglicherweise aus ägyptischer Sklaverei, aber es gab keine militärische Eroberung Kanaans und viele, wenn nicht die meisten der Israeliten während der Monarchie waren Polytheisten. Monotheismus mag ein Ideal der biblischen Autoren gewesen sein. Archäologie kann nicht entscheiden, was die unterstellten Ereignisse, die in der Bibel beschrieben werden, bedeuten. Diese Entscheidung ist jedem Einzelnen überlassen. Die Archäologie kann diese Frage nicht entscheiden, sie kann lediglich unseren Fokus schärfen.

Dieser William Dever (vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/William_G._Dever) ist nun alles andere als ein ‚Minimalist‘, ganz im Gegenteil … Anders etwa als Giovanni Garbini (History and Ideology in Ancient Israel, 1988) oder Thomas L. Thompson (Early History of the Israelite People: From the Written & Archaeological Sources, 1992). Wie schon gesagt, es gibt nicht nur Finkelstein und Silberman. Von dem ‚Maximalisten‘ Niels Peter Lemche (Dr.theol., Professor am Institut biblische Exegese an der Universität Kopenhagen) gibt es folgenden lesenswerten Artikel im Netz: http://www.arts.ualberta.ca/JHS/Articles/article_13.rtf aus dem ich hier noch einen Absatz übersetze:

Das biblische Bild des alten Israel fügt sich nicht ein, sondern es steht im Gegensatz zu jedem Bild antiker Gesellschaft in Palästina, das auf Grund antiker Quellen aus Palästina oder über Palästina erstellt werden kann. Es gibt kein Mittel, mit dem dieses Bild in der Bibel mit der historischen Vergangenheit der Region versöhnt werden kann. Und wenn dies der Fall ist, sollten wir die Hoffnung aufgeben, dass wir die vorhellenistische Geschichte auf der Basis des Alten Testaments rekonstruieren können. Es ist schlicht eine erfundene Geschichte mit lediglich einigen wenigen Bezügen auf Dinge, die tatsächlich geschahen oder existierten. Vom Gesichtspunkt des Historikers ist das antike Israel eine monströse Schöpfung. Es ist etwas, das der Fantasie biblischer Geschichtsschreiber und ihrer modernen Erklärer entsprungen ist, d.h. der historisch-kritischen Gelehrten der letzten zweihundert Jahre.

Einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion biblischer Historizität zwischen Traditionalisten/Maximalisten und Revisionisten/Minimalisten kann man sich hier verschaffen: http://www.historycooperative.org/journals/ht/34.3/c…

Freundliche Grüße,
Ralf

P.S.: Die Bibel habe ich „schon mal gelesen“ und mich um die „Verifizierung ihres Wahrheitsgehaltes“ sicherlich mehr bemüht, als dies Ihr Posting von Ihnen erkennen lässt.

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Herr Boeck,

ich habe eine Weile überlegt, ob ich auf diese Art
‚qualifizierter‘ Kritik überhaupt reagieren soll. Im Interesse
der Sache …

Hätte Sie sich nur etwas mehr Zeit gelassen.

Ihre Aussage, auf die sich mein „Schmarrn“ bezog:

„Die Geschichten in der Bibel kann man glauben (muss man aber nicht), man kann kann sie als Mythen oder als Metaphern auffassen oder einfach als altorientalische Märchen ansehen.“

Ist keine sehr objektive Aussage. Es ist ihre reine persönliche Meinung über die Bibel.
Hätten sie sich mit dem Wort Gottes jemals objektiv auseinander gesetzt, hätte sie erkannt, das jede Prophetie bezogen auf die Gegenwart so eingetroffen ist, wie sie in der Bibel steht.
Spätestens an diesem Punkt, an die Sie bei ihrem Bibelstudium sicher noch ankommen werden, hätte sie ihre Meinung überdenken sollen.
Sollten sie hier objektiv urteilen wollen.

Deswegen mag ich ihre Aussage sehr wohl als „Schmarrn“ bezeichnen.

„Was sie jedenfalls nicht sind: eine auch nur halbwegs seriöse historische Quelle.“

Wie können sie das eigentlich beurteilen?
Sie haben sich ja die Mühe gemacht, mir Verweise zu nenne.
Wenn Sie darauf bestehen kann ich ihnen auch welche nennen, um meine Aussage zu unterstreichen.
Sie sehen, das wird nichts bringen, weil es solche und solche Meinungen gibt.

Eins möchte ich noch erwähnen.
Einige Wissenschaftler aus dem Bereich der ET sagen aus,
das die ET nicht beweisbar ist, sie aber dennoch daran festhalten, weil sie die Alternative (Schöpfung) nicht akzeptieren wollen.
Diese sogenannten Wissenschaftler sind sehr damit Beschäftigt eine „Glaubenswelt“ aufrechtzuerhalten die nicht bewiesen ist.

Ich denke das für sie ebenso der Glaube an einen Gott nicht in Frage kommt. Nur so kann mann anderen Menschen eine solche Beurteilung der Bibel vorlegen.

mfg

Erich Günthner

Etwas nützet ihr doch, die Vernunft vergißt des Verstandes
Schranken so gern, und die stellet ihr redlich uns dar.

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Es sind jedoch „Hypothesen und
Interpretationen“, die zu den archäologischen Befunden passen

Ralf, DAS genau ist in diesem Bereich Fundament wissenschaftlicher Arbeit - außer der Kunst, die Funde zu finden - nämlich die zu ihnen passenden sinnvollen Theorien und Interpretationen zu bilden. Und manchmal gelingt es einem Team, umgekehrt etwas, das aus einer Interpretation als „zu Findendes“ postuliert werden kann, dann tatsächlich auch zu finden.

Es geht vielmehr darum, zunächst aufzuzeigen: so, wie es in der
Bibel steht, kann es nicht gewesen sein.

Das ist doch das, was ich meinte: das eben ist in den Fachwissenschaften ein alter Hut. Die skandinavische Schule der orientalischen Archäologie hatte diesen Standpunkt bereits Ende des 19. Jhdts. Und nur Leser, die von diesen Dingen ausschließlich über aktuelle populistisch perfekt aufgezogene Strategien Kennentnis bekommen, denken, daß das was Neues und Revolutionäres ist.

Dann erst kann man „Hypothesen und
Interpretationen“ entwickeln, wie es denn anders gewesen sein
könnte und warum die Bibel eine andere Geschichte erzählt.

Und genau da fängt das Problem an. Und genau darin sind die Stimmen der beiden Autoren nur 2 unter zig anderen.

Dass diese dann kontrovers diskutiert werden, ist bei
wissenschaftlichen Hypothesen durchaus üblich

nein, es ist sozusagen tägliche Arbeit in dieser Branche.

So etwas gilt Manchen in der
wissenschaftlichen Kommunität ja immer noch als Sakrileg.

Das wiederum, dieser Neid der anderen, die genauso fleißig und erfolgreich arbeiten wie die populistisch Aufgemotzten, dieser Neid ist eine urban legend: Was die anderen sauer macht, ist vielmehr die Fehldeutung, die damit in die Welt gesetzt wird, daß es hier um sensationell neue Thesen gehe oder eben sogar um Wahrheiten, auch wenn das nur im Klappentext steht.

Damit wird das ganze angeblich „revolutionäre“ Werk in genau denselben Schmarrn gezogen, wie das Werk, um dessen religionsintrinsischen Wahrheitsanspruch es doch früher ging.

Zu den Autoren:

ich bin mit ihrer Biografie vertraut :smile:

Gruß

Metapher

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Hallo Metapher

Das ist doch das, was ich meinte: das eben ist in den
Fachwissenschaften ein alter Hut.

… und genau das ist das Problem. Nämlich dass speziell dieses wissenschaftliche Fach sich so schwer damit tut, seine Erkenntnisse unters Laienvolk zu bringen. Dieser Thread ist doch dafür symptomatisch. Da wird eine Frage gestellt, bei der offenbar naiv davon ausgegangen wird, bei Joseph und Mose handle es sich um historische Gestalten und die „Knechtschaft bei den Ägyptern“ sei ein historisches Ereignis. Die meisten Antwortenden - darunter einer der Moderatoren dieses Bretts Religions wissenschaft - können oder wissen es nicht anders, als diesem Affen dann auch noch Zucker zu geben. Ich will es trotzdem niemandem zum Vorwurf machen - wie der von mir verlinkte Essay Jack Cargills zeigt, ist es selbst in Literatur für ein akademisches Publikum (jedenfalls amerikanischer) normal, diesen ‚alten Hut‘ zu ignorieren und schlicht so zu tun, als ob die Bibel die Geschichte des Nahen Ostens in der Bronze- und frühen Eisenzeit zuverlässig wiedergäbe.

Nenne mir bitte eine deutschsprachige Publikation, die diesen ‚alten Hut‘ einem Publikum interessierter Laien nachvollziehbar vermittelt - und ich werde zukünftig darauf verzichten, Finkelstein und Silberman zu empfehlen, weil sie aus eben diesem alten Hut ihre Hypothesen hervorzaubern, deren Stellenwert für einen Laien sicher eher schwierig einzuschätzen ist.

Zu den Autoren:

ich bin mit ihrer Biografie vertraut :smile:

Um so unverständlicher ist es mir, dass Du meine Literaturempfehlung als unseriös denunzierst. Schließlich handelt es sich nicht um dilettierende Scharlatane vom Schlage eines Illig. Unseriös mag vielleicht die Verlagswerbung für das Buch sein - das Buch selbst ist es nicht und schon gar nicht sind es die Autoren.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

Da wird eine Frage gestellt, bei der
offenbar naiv davon ausgegangen wird, bei Joseph und Mose
handle es sich um historische Gestalten und die „Knechtschaft
bei den Ägyptern“ sei ein historisches Ereignis.

dieser „Irrtum“ ist doch sicher bereits dadurch „aufgeklärt“, dass der Thread von „Geschichte“ zu „Religionswissenschaften“ verschoben wurde.

Es handelt sich bei dieser Geschichte um eine Erzählung innerhalb einer Religion und hat mit Historie und Ausgrabungen gar nichts zu tun. OK?

Die meisten
Antwortenden - darunter einer der Moderatoren dieses Bretts
Religions wissenschaft - können oder wissen es nicht
anders, als diesem Affen dann auch noch Zucker zu geben.

Man wird doch noch den korrekten Verlauf einer Geschichte erklären dürfen?

Und noch ist es nicht bewiesen , dass Joseph oder gar Mose nicht vielleicht doch gelebt haben. Vielleicht unter anderen Umständen, aber sicher in der beschriebenen zeitlichen Reihenfolge. Alles andere wäre nämlich unlogisch!

Gruss Harald