Hallo Christian!
Wozu ein blauer Brief aus Brüssel? Die Stabilitätskriterien sind doch eh’ ein Auslaufmodell. Schon wird laut darüber nachgedacht, aus den Kriterien „konjunkturelle Einflüsse herauszurechnen“. Das käme faktisch einer Abschaffung gleich.
Wie soll es auch anders gehen? Leute mit Visionen gibt es in unserer politischen Kaste nicht. Der politische Wille zur Verschlankung des Staates, zur Entrümpelung sämtlicher Gesetzes- und Vorschriftenwerke fehlt. Es wird verwaltet und wenn es nichts zu verwalten gibt, verwalten wir uns eben selbst. Die Fähigkeit zu Reformen ist nicht existent. Kleinere Tarifänderungen und Einführung neuer schwarzer Löcher für beliebige Geldbeträge werden als Reformen verkauft. Unser Schul- und Ausbildungssystem ist das beste der Welt wurde so lange gebetet, bis es jeder glaubte. Nur kosten darf das alles nichts.
In der EU gibt es so viele Armeen wie Mitgliedsstaaten. Davon will niemand lassen. Die brauchen wir angeblich. Wir brauchen aber tatsächlich jährlich einen mehrstelligen Milliardenbetrag für Forschung und Entwicklung, statt just dieses Geld in den volkswirtschaftlichen Schwachsinn, der Militär heißt, zu stecken.
An der Spitze dieses Staates sitzen Schwächlinge. Sie haben sich in meinen Augen als rückgratlose Figuren erwiesen, u. a. weil sie den amerikanischen Unsinn der Aufrüstung mittragen, obwohl die angeblich angestrebte Sicherheit so nicht herstellbar sein kann. Jede ins Militär gesteckte Mark fehlt an anderer Stelle der Volkswirtschaft. Außer dem kurzfristigen Push für die Rüstungsindustrie sind militärische Investitionen volkswirtschaftlich ein Sumpf. Das Geld bewirkt nichts, schiebt nichts Selbsttragendes an, initiiert nichts.
Die Staatsausgaben liegen in der Hauptsache fest. Gehälter und Pensionen für das Millionenheer öffentlich Bediensteter, Zuschüsse für ein ineffizientes Sozialsystem, Zinsen, Militär. Wer in diesem Land etwas bewegen will, darf sich nicht zufrieden geben, per Erhöhung der Tabaksteuer noch ein paar Euro abgegriffen zu haben. Wer in diesem 80-Millionen-Volk etwas bewegen will, muß an die großen Töpfe gehen und deren Struktur nicht nur ankratzen, sondern umkrempeln. Wer dauerhaft etwas bewegen will, kann das in diesem Land nur in Bildung und Forschung tun. Nicht mit 100 Millionen, sondern mit 100 Milliarden. Euro und pro Jahr. Mag sein, daß man (ich) für solche Forderung als Spinner abqualifiziert wird. Aber die gleichen Kritiker werden an 8 Milliarden für ein paar Militärflieger nichts Ungewöhnliches finden. Übrigens kostet jeder schwimmende Alu- und Stahlhaufen, der regelmäßig in irgendeiner Werft für die Marine zusammengeschweißt wird, auch in der Größenordnung einer Milliarde. Kein Hahn kräht danach.
Weil an dieser groben und hartnäckig fortgesetzten politischen Fehlleistung keine Änderung beabsichtigt ist, werden wir weiter ein Millionenheer an Arbeitslosen haben. Deshalb wird weiter Spitzentechnologie in anderen Ecken der Welt entwickelt, während wir landwirtschaftliche Überproduktion und Steinkohlebergbau subventionieren.
Ich beschaffe inzwischen auf abenteuerlichen Wegen, die ich hier lieber nicht beschreibe, einzelne Produkte der Spitzentechnologie (Halbleitersektor) direkt aus USA. Europäische Distributoren, speziell deren deutsche Niederlassungen, halten Spezielleres hierzulande nicht mehr bereit. Es läuft doch nichts oder viel zu wenig. Das ist eine üble Spirale nach unten.
Weder die aktuell Regierenden noch der bayerische Strauß-Verschnitt wollen und werden daran etwas ändern. Es sind phantasielose Verwaltungsapparatschiks, die mit dem alten Stiefel weitermachen wollen und das werden sie auf Pump machen, wenn das Geld nicht reicht. Deshalb werden die Stabilitätskriterien kippen. In offizieller Lesart heißt das „an die konjunturelle Entwicklung angepaßt“. Und deshalb ist es völlig wurscht, ob jetzt ein blauer Brief aus Brüssel kommt oder nicht.
Gruß
Wolfgang